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2.

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„Haben Ich war so versunken in meine Arbeit während der nächsten Tage nach der Heimkehr, dass ich des Weltlaufs nicht recht achthatte — die dumpfen Stöße nicht empfand, die an den Grundfesten der Menschenerde rüttelten.

Aber eines Tages gab es doch ein unwilliges, erstauntes, ungläubiges Erwachen. Wir lebten so abgeschlossen von aller Welt, dass von dem Ungeheuren, das draußen wurde, nichts in unsere Stille drang, als die Nachrichten der Zeitungen.

„Wär’s möglich?“ fragte meine Frau dann wohl im Frieden der Bibliothek, die uns vier allabendlich bei der Lampe versammelte — „wär‘s möglich?! diesmal doch?!“

Aber sie tröstete sich dann immer selber hastig über ihre Beklemmungen hinweg. „Ach Unsinn — das haben wir nun doch schon so oft erlebt — und immer war es nichts — es wird auch diesmal nichts werden.“

Andern Morgens lasen wir die Zeitungen mit geweiteten Augen. Nun plötzlich fühlten wir den Boden unter unsern Füßen wanken. Ein Büchlein wurde hastig beschafft, das eine Zusammenstellung des Kriegsbedarfs für den berittenen Offizier enthielt, eine Liste von hundert Gegenständen ausgezogen. Morgens arbeitete ich mit fieberhafter Anspannung an meinem Roman. Fehlten doch nur noch wenige Kapitel bis zur Vollendung . . .

Nach Tisch eilten wir in die Stadt und kauften zwei Stunden lang ein. Und wenn auch die Schwabenhauptstadt noch nicht merklich aus ihrer sesshaften Ruhe aufgeschreckt schien: wir begegneten in allen Läden einkaufenden Herren in Uniform und Zivil, sahen sie mit Zetteln in der Hand auf der Straße haften.

Abends packten wir lang, bedachtsam und sorgfältig.

Meine Offizierkoffer, der Wäschesack und jedes Paketchen trugen in der Handschrift eines meiner Lieben die Angabe des Inhalts. Und dann saßen wir stumm und beklommen unter der Lampe im Frieden der Bibliothek.

Wär’s möglich — —?!

So lang und bitter war unser Lebenskampf gewesen.

So nahe, zum Greifen nahe winkte uns der ersehnte Lohn. Zwei Reisejahre im Süden . . . und dann: die eigene Scholle. Und nun —?!

Wenn ich unserer Zukunftsträume gedachte, wie sie, der Erfüllung nahe, noch in dieser Abendstunde vor uns standen und doch schon verblassten und seltsam geisterhaft zurückwichen — dann war mir weh. Aber wenn ich dann meines Dichterloses gedachte, fühlte ich mich geführt und vorwärtsgewiesen von einer wunderstarken Lenkerhand.

Nie so stark zuvor empfundenes Vertrauen erfüllte mich, ein Vorklang jener unerhört herrlichen Offenbarungen, die ich in den heißen Kämpfen der Zukunft erleben sollte.

So in tiefer, erschütternder und doch schon jetzt geheimnisvoll erhebender und beseligender Gefühlsverwirrung saß ich in meiner Lieben Mitte an jenem Vorabend des Weltkrieges.

Wohl war der Kriegszustand in Deutschland erklärt, hatte Russland mobil gemacht. Doch immer zirpte irgendwo im Herzenswinkel ein Hoffnungsheimchen: Es ist schon manchmal so gewesen — und immer wieder hat das Unwetter sich verzogen.

So begaben wir uns zur Ruhe und suchten den Schlummer. Draußen in der großen Welt wirkte inzwischen das Weltgeschick. —

Der Morgen des Sonnabends fand mich wieder am Arbeitspult. Ach schrieb wie ein Verrückter — und staunte oft über mich selbst, dass ich das konnte. Bis mich um Mittag die Kraft verließ. Noch wenige Seiten, und ich hätte den Meinen als letzte Gabe, als letzte Stütze für ihre dunkle Zukunft noch ein fertiges Werk hinterlassen können.

Aber es ging nicht mehr. Es war aus mit dem Dichten. Die Stunde der Tat hatte geschlagen.

Nach Tische gingen wir vier wiederum einkaufen. Selbst in der gelassenen Schwabenhauptstadt war bereits eine tiefe Veränderung des gewohnten Bildes wahrnehmbar. Überall sah man jene Herren mit den weißen Zetteln in der Hand, mit den erregten Frauen am Arme hin und wider hasten.

Und dann war auf einmal ein weißes Blatt in aller Händen, und auch in unsern knisterte es: da stand es hart und unverwischbar:

„Mobil!“

Vom Schloss her kam ein Zug junger Leute über die Planie — sie mochten beim König schon gewesen sein, nun zogen sie zum Herzogsschloss.

Vom Balkon herab sprach der junge Herzog Albrecht: militärisch knapp und kraftvoll. Das Hoch auf Kaiser und Reich brauste daher: ja . . . nun würde es Wahrheit werden, das Unausdenkbare. Es gab noch viel zu tun. Mein Entschluss war gleich gefasst: obschon ich erst am dritten Mobilmachungstage im Standort meines Regiments einzutreffen hatte, wollte ich doch schon morgen, Sonntag früh, reisen. Ich musste zur Truppe.

Fieberhaft wurde gepackt, ein Wagen besorgt, die zwei Kisten mit der Ausrüstung für zwei Pferde vom Speicher heruntergeholt und samt dem Offizierkoffer und dem braunen Wäschesack verladen. Tiefaufatmend sah ich zu, wie am Gepäckschalter auf alle vier Stücke der rote Zettel geklebt wurde:

„Kriegsgepäck. Bevorzugt zu befördern.“

Und dann saßen wir alle vier beisammen unter der friedlichen Lampe in der Bibliothek. Zum letzten Mal.

Vater, Mutter, Kinder. Zum letzten Mal beisammen. Und morgen geht’s in den Krieg.

Hand will Hand, Auge will Auge nicht lassen. Und mit einem Male wird’s dem Herzen ganz deutlich und zum ersten Mal im Tiefsten bewusst: wie glücklich man gewesen. Wie reich. Wie begnadet.

Steht auf, meine Lieben: es gilt dem Manne, dem ich einst im Fahneneid die Treue gelobt hab“ — die ich nun besiegeln will in Tat und Opfer, wie es Gott gefallen mag.

Unser Kaiser hoch! und hoch unser herrliches, reiches, lichtes, wundervolles Vaterland! Sie stürmen heran aus Ost und West und wollen’s uns rauben — sie sollen nicht — sie werden nicht! — Die Gläser klingen zusammen: Auge will Auge, Hand will Hand nicht lassen. Ist es zu glauben? Wir werden froh, als ging’s morgen auf gemeinsame Fahrt ins Sonnenland — und nicht — —

So sitzen sie nun beisammen in vielen, vielen hunderttausend und Millionen Heimstätten — und feiern Abschied! Nein, es muss noch einen Ausweg geben. Gewiss, die Großen, die Schicksalslenker, sind im letzten Augenblick doch noch erschrocken vor dem Übermaß des Leids, das sie heraufbeschworen haben, und sinnen auf eine Lösung. Es kann nicht anders sein . . .

Sei’s, wie’s sei: diese Stunde noch ist unser.

Vormarsch

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