Читать книгу Anna Göldi - geliebt, verteufelt, enthauptet - Walter Hauser - Страница 5
Einleitung – Das Schicksal von Anna Göldi
ОглавлениеAnna Göldi – 1782 öffentlich hingerichtet und 2008 offiziell rehabilitiert – ist heute eine der bekanntesten Frauen der Schweizer Geschichte. Ihr Name hat grosse Strahlkraft, die Magd wurde weit über die Landesgrenzen hinaus zum Symbol für die Opfer von Willkür und Machtmissbrauch.
Das war nicht immer so: Kaum eine andere Figur der Schweizer Geschichte wurde so übel beschimpft und beleidigt wie Anna Göldi – als verruchte Dirne, Vergifterin, mörderische Person, letzte Hexe, Schlange und Werkzeug des Teufels.
Doch wer war sie wirklich? Wer war die Frau, die Stecknadeln in den Magen von Annamiggeli Tschudi gezaubert und das Kind danach mit «übernatürlicher Kraft» geheilt haben soll – und die 1782 vom evangelischen Rat in Glarus zum Tod verurteilt wurde?
Der im Februar 1782 in der Zürcher Zeitung publizierte polizeiliche Steckbrief gibt knapp Auskunft über das Aussehen der Frau aus Sennwald: gross, bleiches Gesicht, schwarze Haare.
Der deutsche Journalist Heinrich Ludwig Lehmann, der damals in Glarus recherchierte, schilderte die 48-Jährige als «verwelkende Schönheit», «wohl gewachsen» und «ziemlich gebildet».
Ihr Lebenslauf bezeugt: Anna Göldi muss eine selbstbewusste und starke Frau gewesen sein. Geliebt und gehasst, immer wieder auf der Flucht und in Angst vor dem Zugriff der Straf- und Sittenbehörden. Ihre letzte Flucht wurde 1781 ausgelöst durch Gerüchte um eine aussereheliche Beziehung mit ihrem Dienstherrn.
Doch obwohl Anna Göldi als «fremde Person» aus der zürcherischen Herrschaft Sax völlig auf sich allein gestellt war, hätte sie um ein Haar das Unmögliche geschafft. Fast die Hälfte der über sechzig Glarner Richter stimmte für ihren Freispruch.
Nach der Enthauptung von Anna Göldi im Juni 1782 überschlugen sich die Ereignisse. Deutsche Journalisten machten den Hexenprozess zum medialen Ereignis und äusserten massive Kritik daran, dass eine Frau wegen zauberischer Handlungen enthauptet worden war.
Bald darauf und für fast hundert Jahre war die Magd aus Sennwald jedoch kein Thema mehr. Das dramatische Schicksal einer einfachen Frau passte nicht ins Bild einer Schweiz, die lieber eidgenössisches Heldentum zelebrierte. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rückte der letzte Hexenprozess wieder ins öffentliche Blickfeld – Anna Göldi wurde als historische Frauenfigur entdeckt.
Heute wissen wir: Der Anna-Göldi-Prozess besiegelte nicht nur das Ende der neuzeitlichen Hexenverfolgung im christlichen Europa, dank Whistleblower Johann Melchior Kubli wurde er zum Wegbereiter für eine von Hexen und Dämonen befreite Strafjustiz und förderte den Wandel zum schweizerischen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts.
Für Anna Göldi war es ein Martyrium. Beklemmend daran: Was ihr in einem Teufelskreis von Liebe, Verleumdung und Hass widerfuhr, ist rund zweihundertvierzig Jahre nach ihrem Tod noch immer brandaktuell.