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Kapitel 1 – Hass und Gewalt zur ­Rettung des Christentums

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Religiös begründete Gewalt gegen Frauen bringen wir häufig mit dem finsteren Aberglauben im Mittelalter oder mit islamistisch diktierten Ländern in Verbindung. Tatsache ist aber: Die Verfolgung, Folterung und Tötung von «Hexen» war auch während der Neuzeit schreckliche Realität – mitten im christlichen Europa.

Dreihundert Jahre lang tobte der Hexenwahn sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gebieten und forderte zehntausende Opfer. Unschuldige Menschen wurden von zumeist weltlichen Gerichten mit dem Segen der Kirche gefoltert und mit dem Feuertod bestraft. Es war eine der grössten von Menschen verursachten Katastrophen im christlichen Abendland.

Zwar hatten Hexenprozesse schon früher stattgefunden, der Beginn der systematischen Verfolgung lässt sich aber auf die Zeit nach 1486 datieren, als der sogenannte Hexenhammer publiziert wurde, ein besonders fatales Machwerk. Das Buch mit dem eigentlichen Titel Malleus maleficarum war die ideologische Legitimation für den Hexenwahn, es wurde vom Elsässer Domi­ni­kanerpater Heinrich Kramer verfasst. Der Mann, der sich Henricus Institoris nannte, wurde um 1430 geboren und starb 1505. Seinem Werk prominent vorange­stellt war die Hexenbulle von Papst Innozenz VIII., der Kramer zum Inquisitor für Oberdeutschland ernannt hatte. Zu dieser Region wurde damals auch die heutige Deutschschweiz gezählt.

Bis jetzt ist der Hexenhammer eines der frauenfeindlichs­ten und blutrünstigsten Werke der Weltliteratur. Weil das Buch in lateinischer Sprache verfasst war, konnte es in der ganzen westlichen Welt gelesen werden und fand enorme Verbreitung. Das Werk – eine eigentliche «Bibel der Hexenjäger» – erschien bis zum 17. Jahrhundert in fast dreissig Auflagen und belegt einen Spitzenplatz in der Liste der ewigen Bestseller.

Der Dominikanerpater Heinrich Kramer schuf mit seinem Hexendogma allerdings keine völlig neue Lehre. Er berief sich auf christliche Vorbilder wie Augustinus (354–430) oder Thomas von Aquin (1225–1274) und baute seinen Frauenhass auch auf biblische Geschichten auf – zum Beispiel jene von Eva, die im Paradies Adam zum Sündenfall verführte.

Neu am Hexenhammer waren der explizite Aufruf zur Gewalt und die Fokussierung auf das weibliche Geschlecht. Wie schon der Buchtitel wörtlich verdeutlicht, hatte Kramer nicht etwa Männer, «malefici», im Visier, sondern «maleficae», also eindeutig Frauen, die im Hexenhammer als Übeltäterinnen, Verführerinnen und Unholdinnen gebrandmarkt wurden. Laut Kramer waren Frauen minderwertige Wesen; sie hätten wenig Verstand und seien deshalb empfänglicher für die Verlockungen des Teufels. Sein Buch erklärte Frauen pauschal zum «Übel der Natur», zur «begehrenswerten Katastrophe» und warf ihnen Defizite im Glauben vor. Die Minderwertigkeit der Frau be­­gründete er mit einer eigenwilligen Ableitung des lateinischen Wortes «femina» aus «fides» (Glaube) und «minus» (weniger).

Nach Kramer waren Hexen keine Fantasieprodukte dunklen Aberglaubens, sondern existierten real. Sie konnten, so seine Theorie, sich in Tiere verwandeln, auf Besen durch die Lüfte fliegen und vor allem – das war sein Angelpunkt – mithilfe Satans Schaden anrichten. Sie waren schuld an allem Bösen auf der Welt, an Hungersnöten, Naturkatastrophen und Seuchen. Kramer geisselte im Buch angebliche Vorboten einer gigantischen Verschwörung gegen Gott und die christliche Menschheit. Und er lieferte eine praktische Anleitung, wie Hexen unschädlich gemacht und ausgerottet werden sollten.

Höhepunkt des Hexenwahns in Mitteleuropa bildete der Dreissigjährige Krieg (1618–1648), als Religionskriege, Un­wet­ter­katastrophen und Hungersnöte Europa erschüt­terten. In dieser Schreckenszeit breitete sich der Hexenwahn wie eine Pandemie aus. Die Hexenverfolgung war längst nicht mehr nur eine Sache der Katholiken, auch in refor­mierten Gegenden gingen die Behörden unerbittlich gegen Magie und Zauberei vor. Die Reformatoren Martin Luther (1483–1546) und Johannes Calvin (1509–1564) waren berüchtigt dafür, dass sie Hexenprozesse einsetzten, um die Menschen zum «rechten Glauben» zu bekehren. Es war eine Eskalation der Gewalt, hervorgerufen von einer Mischung aus Volksaberglauben und religiösem Fanatismus.

Dem neuzeitlichen Hexenwahn in Europa fielen schät­zungs­weise siebzigtauschend Menschen zum Opfer. Die Zahl wurde in den vergangenen Jahren relativiert und nach unten korrigiert, bringt aber ohnehin das wahre Ausmass der Tragödie nicht zum Ausdruck. Denn die Hexenprozesse rissen eine Vielzahl von Menschen ins Elend, die in keiner Statistik und in keinem Protokoll aufgeführt sind: Freunde und Verwandte der Angeschuldigten, die ebenfalls endlose Verhö­re über sich ergehen lassen und Todesängste ausstehen mussten. So gesehen waren weit mehr Menschen als offiziell ange­geben betroffen.

Nach dem Denunziationsprinzip konnte jede Person jede andere beschuldigen, im Bund mit dem Teufel zu stehen. Ein einzelner Fall konnte einen Rattenschwanz weiterer Klagen nach sich ziehen. In schwierigen Zeiten wurden schnell Sün­denböcke ausfindig gemacht und dem weltlichen Richter aus­ge­liefert. Dieser hatte das Verfahren von Amtes wegen einzu­leiten und mit aller Schärfe durchzugreifen.

Da Hexerei als ein besonders schlimmes Delikt galt, als «crimen magiae», war das Verfahren besonders grausam. Wer leugnete, wurde so lange gefoltert, bis ein Geständnis vorlag. Es ist naheliegend, dass auf diese Weise jedes gewünschte Be­­­weisergebnis zustande kam. Schuldige hatten gegen die Gesetze Gottes verstossen und demzufolge nur eines verdient: den Tod auf dem Scheiterhaufen.

Obschon auch Kinder und Männer Opfer der Hexenverfol­gung wurden, waren davon zu etwa achtzig Prozent Frauen betroffen. Deshalb wurde im Zusammenhang mit der europäischen Hexenverfolgung auch schon der Begriff «Frauen-Holocaust» verwendet. Das ist jedoch abwegig und gefährlich: Vergleiche mit dem Völkermord an den Juden bergen die Gefahr, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegenein­ander ausgespielt und kleingeredet werden.

Zuzustimmen ist hingegen der modernen Genderforschung, die von einem gezielt gegen das weibliche Geschlecht gerich­teten Massenmord spricht, von einem Femizid. Das bestätigen auch seriös geschätzte Opferzahlen. Die christlich abendlän­dische Hexenverfolgung war in erster Linie eine Frauenverfolgung.

Zwar war die Hexenverfolgung der Neuzeit umstritten und stiess auch in kirchlichen Kreisen auf Widerstand. Bedeu­tende Persönlichkeiten meldeten sich kritisch zu Wort, so etwa der protestantische Theologe Anton Praetorius (1560 bis 1613), der Jesuitenpater Friedrich Spee (1591–1635), Verfasser der Cautio criminalis, und der Jurist Christian Thomasius (1655–1728). Diese ächteten in ihren Schriften die auf Folter und Geständniszwang beruhenden Gerichtsverfahren, die tausende un­­schuldi­ge Menschen, vor allem Frauen, in den Tod trieben.

Doch Spee, Praetorius, Thomasius und weitere hatten einen schweren Stand. Sie galten als Abtrünnige vom wahren Christenglauben. Ihre Gegner warfen ihnen vor, das Christentum im Kampf gegen das Böse zu schwächen und die «Partei Satans» zu stärken. Eine breite Phalanx von Anhängern dieser Glaubensrichtung hielt an der Botschaft des Hexenham­mers fest und erklärte den Kampf, ja den Krieg gegen den Teufel zum Kardinalauftrag der christlichen Menschheit, um diese vor dem Untergang zu retten.

Der Hexenhammer, der Kriminalkodex gegen die Frauen, war das berühmteste, aber nur eines von zahlreichen Werken der Neuzeit, die den Hexenwahn anheizten. Grossen Einfluss hatten die Juristen Jean Bodin (1530–1596) und Benedikt Carpzov (1595–1666), die beide als Hexentheoretiker und Teufelsbanner auf sich aufmerksam machten. Der Leipziger Jurist Carpzov verfasste die Practica nova, auch «protestantischer Hexenhammer» genannt. Der französische Staatstheo­retiker Jean Bodin machte gezielt Stimmung gegen das weibliche Geschlecht und rief in seinem Werk De la Démonomanie des Sorciers zum bedingungslosen Kampf gegen Hexen auf. Beide propagierten ein rigides Strafprozessrecht, ausgehend von einem machtvollen Herrschaftsstaat. Da Hexerei und Teu­felspakt eine Realität seien, müssten sie als Sonderverbrechen behandelt und mit ausserordentlichen Mitteln be­­kämpft werden. Konkret hiess das: Der Staat hat das Recht und die Pflicht, Hexen im höheren Interesse, zum Schutz der Allgemeinheit, zu foltern und zu töten.

Keineswegs so ausgleichend und mildernd, wie oft dar­­gestellt, wirkte sich die 1532 erlassene, nach Kaiser Karl V. benannte Constitutio Criminalis Carolina (CCC) aus. Zwar trieb das Gesetzeswerk die Rechtsvereinheitlichung im deutschen Reich voran, das in Hunderte von Territorien mit ebenso vielen Rechtsordnungen aufgesplittert war. Zudem machte die CCC – anders als der Hexenhammer – zwischen den Geschlechtern keinen Unterschied und stellte nicht die Hexerei unter Strafe, sondern die «schadensstiftende Zauberei». Unheilvoll wirkte es sich jedoch aus, dass für die Ermittlung der Wahrheit das In­quisitionsverfahren propagiert wurde, was sadistischen Methoden Tür und Tor öffnete. Die Prozessma­ximen waren Denunzi­ation, Folter, Geheimjustiz, Geständniszwang – auf Hexen­­prozesse wie zuge­schnit­ten.

Auch wenn die eidgenössischen Orte Wert auf eigenstän­dige Rechtssetzung legten, beeinflussten die Werke von Heinrich Kramer, Jean Bodin, Benedikt Carpzov die Rechtslandschaft unseres Landes. Der Verfasser des Hexenhammers war als päpstlicher Inquisitor von Oberdeutschland vor allem im Raum Bodensee, Konstanz und Basel aktiv und brüstete sich am Ende seines Lebens damit, über zweihundert Hexenpro­zesse erfolgreich zum Abschluss gebracht zu haben.

Etwa zehn Prozent der europäischen Hexenprozesse fand hierzulande statt, ein beachtlicher Teil. Etwa sechs- bis sie­bentausend Menschen dürften auf dem Territorium der heutigen Schweiz der Hexenjustiz zum Opfer gefallen sein. Das Wallis, Freiburg, die Waadt sowie die Innerschweiz und das Bündnerland waren Epizentren der Hexenverfolgung.

Die Hysterie fand erst ein Ende, als im Zeitalter der Aufklärung die menschliche Vernunft den Glauben an Hexen und Teufel verdrängte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Europa praktisch keine Hexenprozesse mehr. Doch befeuert durch den Churer Priester und Exorzisten Johann Joseph Gassner flackerte in den Siebzigerjahren des 18. Jahrhunderts der Glaube an den Teufel nochmals auf und brachte, dreihundert Jahre nach der Publikation des Hexenham­mers, die letzte Verfolgungswelle ins Rollen.

Anna Göldi - geliebt, verteufelt, enthauptet

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