Читать книгу Anna Göldi - geliebt, verteufelt, enthauptet - Walter Hauser - Страница 8
Kapitel 2 – Die Glarner Justiz trotzt Hexerei und Zauberei – vorerst
ОглавлениеAnders als etwa das benachbarte Bündnerland blieb das Land Glarus vom Hexenwahn während Jahrhunderten verschont. Jedenfalls ist bis zum Prozess gegen Anna Göldi kein Fall bekannt, bei dem glarnerische Richter in einem Hexenprozess ein Todesurteil gefällt oder dieses gar vollzogen hätten. Der Glaube an Hexen und Teufel war zwar auch im Land Glarus verbreitet und löste richterliche Ermittlungen aus, wie mehrere Fälle aus dem 16. Jahrhundert belegen. Aber offensichtlich waren die Strafbehörden wenig geneigt, Prozesse dieser Art bis zur letzten Konsequenz durchzuziehen.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Landsgemeindeort legte Wert auf eine eigenständige und unabhängige Rechtssetzung. Er anerkannte nur die klassischen, weltlich fassbaren Straftatbestände wie Mord, Totschlag, Diebstahl oder Betrug, Unzucht und so weiter. Magische Delikte wie Hexerei oder Zauberei gehörten nicht dazu und spielten deshalb als Strafgrund in der glarnerischen Gerichtspraxis keine Rolle.
Zudem verfügte das Land Glarus seit dem Spätmittelalter über ein erstaunlich gut entwickeltes Strafprozesssystem. Schon die Landessatzungen von 1387 enthielten zum Beispiel Bestimmungen zum Recht von Angeklagten, sich von einem Verteidiger vertreten zu lassen. Die Bürger achteten darauf, dass ihre Rechte vor Gericht gewahrt wurden, und erliessen schon früh strafprozessuale Regelungen – zum Schutz vor staatlicher Willkür, wie sie gerade bei Hexenprozessen üblich war.
Es gibt eine weitere mögliche Erklärung für die Zurückhaltung gegenüber der Hexenverfolgung: Das Glarnerland war konfessionell in einen reformierten und einen katholischen Landesteil gespalten. Doch im Gegensatz etwa zu Appenzell wurde eine gemeinsame Behördenorganisation aufrechterhalten. Es gab katholische, reformierte aber auch gemeine Landsgemeinden; ebenso katholische, reformierte, und gemeine Gerichte. Deshalb waren beide Landesteile selbst in Zeiten religiösen Hasses gezwungen, gemeinsame Lösungen zu suchen. Dieses Zusammenwirken der beiden Landesteile verhinderte eventuell, dass sich der Hexenwahn sowohl auf katholischer wie auch protestantischer Seite entfalten konnte.
Nicht der glarnerischen Justiz anzulasten ist übrigens der Hexenprozess gegen drei Frauen, die in Uznach 1695 angeklagt und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden. Die Verfahrensherrschaft übten in diesem Fall nicht die Glarner aus, sondern die Schwyzer, wie der Uznacher Historiker Kilian Oberholzer in seinem 2019 veröffentlichten Buch Uznach in seiner farbigen Vergangenheit schreibt. Das Städtchen gehörte zum Untertanengebiet von Schwyz und Glarus, die im Turnus abwechselnd den Landvogt stellten. Im Jahr des Hexenprozesses war Schwyz am Zug. Initiator und treibende Kraft war der als Hexenjäger gefürchtete Schwyzer Landvogt Josef Anton Stadler (1661–1708). Er klagte die Frauen an, auf Besen durch die Lüfte geflogen und mittels Zauberei Tiere und Menschen krank gemacht zu haben. Der Stand Glarus wurde zwar als Partnerort einbezogen und nahm im Urteilsverfahren Stellung. Doch der Prozess lief weder vor glarnerischen Gerichten noch nach glarnerischen Verfahrensregeln ab.
Auch das Beispiel von Susanna Ackermann aus Kerenzen, die 1771 als «Hex und Unholdin» angeklagt wurde, kann nicht als Hexenprozess herangezogen werden, der mit dem Fall Göldi vergleichbar wäre. Ein nur wenige Zeilen umfassender Protokolleintrag lässt vermuten, dass es sich um einen Bagatellfall handelte. Offensichtlich wurden die Vorwürfe nicht weiterverfolgt und das Verfahren gegen die unter Vormundschaft stehende Frau schon bald fallen gelassen beziehungsweise eingestellt.
Beständig hatte das Land Glarus dem Hexenhammer getrotzt. Es war mithin immun geblieben gegen gewalttätige Exzesse der Teufelsbekämpfung. Doch als am Ende des aufgeklärten 18. Jahrhunderts der Glaube an Hexen und Dämonen, just als er überwunden schien, ringsum nochmals aufflammte, ritt plötzlich auch das Land Glarus auf der Welle mit und wurde Schauplatz des letzten aktenkundigen Hexenprozesses in Europa.