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Das Wahlrecht

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Im ersten Jahr meines Aufenthaltes in Humania erlebte ich, wie die Humanier, die bei kaum einem Anlass ihre Lethargie aufgeben, vor Wahlen von einer rätselhaften Nervosität ergriffen werden. Ein Wahlkampfstratege, der damit beauftragt wurde, die Wahlkämpfe der humanistischen Parteien zu organisieren und zu diesem Zweck die großen Schlachten der Weltkriege sehr genau studierte, machte mir in überzeugender Weise klar, dass man einen Kanzlerkandidaten wie einen Feldherrn als unbesiegbar darstellen muss. Das Image sei entscheidender als die Persönlichkeit. Man müsse an jede freie Wand Politikerköpfe kleben, die mit einem weit geöffneten Mund jedem Betrachter etwas ganz Persönliches zuflüstern und etwas versprechen, was nur er verstehen kann. Ein Wähler müsse denselben Kopf viele hundert Male gesehen haben, so dass er sich nicht nur im Wachzustand, sondern auch in seinen Träumen mit ihm befassen müsse und fähig sei, ihm gegenüber Sympathien zu empfinden.

Jeder Bürger ist dafür unendlich dankbar, dass der Gesetzgeber ihm das Recht einräumt, die Partei zu wählen, von der er sich am wenigsten abgestoßen fühlt, und dem Kandidaten seine Stimme zu geben, dem er am wenigsten misstraut. Es gibt ein Recht zu wählen, aber kein Recht, die Wahlversprechen einzufordern, damit die Regierung ihren Handlungsspielraum nicht verliert. Mit dem Wahlzettel gibt man seine Stimme ab und kann sie dann für viele Jahre nicht mehr gebrauchen. Es gibt immer mehrere Parteien, die um die Gunst der Wähler buhlen, und aus einer Unzufriedenheit heraus entstanden sind. Jede Partei versichert vor den Wahlen jedem Wähler, dass nur sie für einen denkenden und verantwortungsbewussten Bürger wählbar sei, und jeder Abgeordnete verspricht jedem Wähler, dass er alles tun wird, seine Interessen zu vertreten. Wenn er dann nach den Wahlen seine Interessen vertritt, sind seine Wähler maßlos verärgert und enttäuscht. Nach den Wahlen stellt sich das Volk die Frage, warum es überhaupt Wahlen gibt, wenn man mit Wahlen die Wahlprognosen doch nicht widerlegen kann.

Es gibt Volksparteien, die sich so nennen, weil sie damit zum Ausdruck bringen möchten, wie eng das Volk mit ihnen verbunden ist, und kleine Parteien, die mit hauchdünnen Minderheiten die Hauptlast beim Mitregieren tragen. Während die Regierungspartei dem Volk mehrmals täglich versichert, dass es eine außergewöhnlich gute Regierung hat, für die es keine Alternative gibt, wirft die Opposition der Regierungspartei so lange Unfähigkeit vor, bis sie selbst die Regierungsverantwortung übernehmen muss. Dann beweist auch sie auf die schnellste Weise, die ihr möglich ist, dass sie es nicht besser kann. Jede Partei ist eine freiheitliche, weil sie sich stets die Freiheit nimmt, das eigene Parteiprogramm auf verschiedene Weise auszulegen und Versprechungen jederzeit zurückzunehmen.

Alle Abgeordneten vertreten über die Grenzen der Partei hinaus die Meinung, dass sie für das allgemeine Wohl unentbehrlich sind. In der Überzeugung, dass nur zufriedene Abgeordnete ihre Wähler zufriedenstellen können, gestatten sie sich ansehnliche Diäten. Jeder Abgeordnete ist stolz, wenn es ihm gelingt, viele Wählerstimmen auf sich zu vereinigen, er bemüht sich aber nicht zu klären, ob er seine Stimmen von den nachdenklichen Wählern bekommen hat, oder ob ihm die Dummen nachgelaufen sind. Das Versprechen, es werde keine Steuererhöhungen geben, darf in Humania nicht als Absichtserklärung zur Sparsamkeit verstanden werden, sondern eher als beruhigende Ankündigung, man werde alles Erdenkliche tun, zusätzlich zu den Steuern neue Geldquellen zu erschließen.

Da die Partei der geistig unabhängigen, aber anständigen Bürger die Drei-Prozent-Hürde niemals überspringt, ist sie zur Einflusslosigkeit verurteilt. Die Partei für Überfluss und dauerhaften Wohlstand kann sich dagegen eines seit Jahrzehnten anhaltenden enormen Wählerzulaufes erfreuen, den sie dazu nutzt, den Ausbau von Bildungsstätten und die Förderung von Kultur zu stoppen.

Politiker werben um die Wähler:

Die dem Politiker ihre Stimme geben, der sich darzustellen versteht.

Die entschlossen waren, nie mehr zu einer Wahl zu gehen.

Die nicht wissen, was sie wollen, aber alles, was möglich ist, möchten.

Die froh sind, wenn sie Entscheidungen abgeben können.

Die wider alle Hoffnung hoffen können.

Die glauben, dass begabte Politiker die Fähigkeit besitzen,Träume wahr zu machen.

Die sich nicht vorstellen können, dass jemand so dreist ist und Wahlversprechen bricht.

Die nicht zweifeln, dass Politiker immer nur das Beste eines jeden Wählers wollen.

Euro-Studie über die am wenigsten schädliche Regierungsform

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