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Die Führungsschicht
ОглавлениеIn Humanien zählt man Journalisten, deren Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit über dem Durchschnitt liegen, zur geistigen Elite. Sie haben das Recht, sich jederzeit ungefragt zu Wort zu melden und Erfahrungen weiterzugeben, die kaum jemand machen möchte. Sie hätten es fast geschafft, die noch in Freiheit lebenden Völker für die hohen Ideale eines von allen menschlichen Unzulänglichkeiten gereinigten Marxismus zu begeistern, hätten die unter dem Kommunismus lebenden Völker mit ihrem Freiheitsdrang das nicht verhindert. Da jeder Journalist imstande ist, auf jede Frage die einzig richtige Antwort zu geben, die Versäumnisse oder Fehlentwicklungen, unter denen das Land leidet, mit erstaunlicher Genauigkeit und Leichtigkeit zu analysieren und die für die Heilung wirksamsten Rezepte zu benennen, ziehen die Politiker es vor, anstatt selbst zu führen, sich von ihnen führen zu lassen.
Ich selbst habe Woche für Woche erlebt, mit welcher Spannung und Dankbarkeit die Humanier auf die Ausgabe des hoch angesehenen Wochen-Magazins „Der Prügel“ warten. Auf meine Frage an den Herausgeber, was denn das Geheimnis der außerordentliche Beliebtheit seines Magazines sei, versicherte er mir: Seine Beliebtheit sei vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass es der Neigung der Humanier zu zersetzender Kritik und lähmender Skepsis entgegenwirke und den Mut habe, die Abonnenten - und darüber hinaus jeden, der es nötig hat - mit väterlicher Strenge zurechtzuweisen und liebevoll an die Hand zu nehmen, um sie sicher durch ihre Probleme zu führen. Denn die Humanier, auch die in Führungspositionen, blieben - auch als Erwachsene - Kinder und bräuchten bis ins hohe Alter eine feste Hand.
Eine auffallende Erscheinung ist es auch, dass man in Humania den Querdenkern große Aufmerksamkeit schenkt und eine außergewöhnliche Hochachtung entgegenbringt. Da sie so schnell sprechen können, dass alle, die nachdenken, Mühe haben, mitzukommen, bezeichnen sie sich selbst auch gerne als Vordenker. Man bewundert sie, weil sie es meisterhaft verstehen, abgewirtschaftete, aus der Mode gekommene und längst vergessene Ideen auszugraben, um sie ihren Zeitgenossen als Neuheit anzubieten.
Seitdem es diesen Vordenkern gelungen ist, in Humanien das positive Denken durchzusetzen, haben die Leute Mühe, in der Welt überhaupt noch etwas Böses zu entdecken. Sie finden, dass durch Konsumeinstellung Wirtschaftszweige florieren können, die vielen Menschen Arbeitsplätze bieten; dass Steinwürfe oder Straßenschlachten den Bürger aus seiner Lethargie wachrütteln und Missstände schonungslos bloßlegen; dass Gammler die Gesellschaft vor Überlastung ihrer Bildungsstätten schützen; Abtreibungen die Emanzipation der Frau sichern und ein Kind vor der Last bewahren, leben zu müssen; dass Süchte die Pädagogen zwingen, über Versäumnisse nachzudenken und die Kriminalität die Polizei dränge, ihre veralteten Fahndungsmethoden zu verbessern; dass Kirchenaustritte den längst fälligen Gesundschrumpfungsprozess der Kirchen beschleunigen, und Katastrophen den Technikern beweisen, wie unzureichend ihre Sicherheitsvorkehrungen sind. So ist nicht verwunderlich, dass man in Humania kaum noch Übel bekämpft, weil man der Ansicht ist, ein Übel sei gar nicht so übel.
Wenn die Humanier oft außerstande sind, schwierige Probleme zu lösen, dann ist das der Tatsache zuzuschreiben, dass die Intellektuellen bei ihnen in der Mehrzahl sind. Da die Politiker sich nicht - wie einst die Monarchen - mit Hofbeichtvätern und mit Narren umgeben, sondern mit diplomierten Ratgebern und Experten, ist es unmöglich geworden, sie von törichten Entscheidungen abzuhalten.
Der Staatssekretär ‘für dringende Angelegenheiten’ wies den Vorwurf, er verwische den Unterschied zwischen privatem und dienstlichem Bereich, als haltlos zurück. Er beteuerte, dass er keinen Privatbereich kenne, und sich nur für seine Dienste entschädigen lasse.
Klarstellung im Magazin ‘Der Prügel’