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Bald nach diesem Urlaub wurde Wetzel als Bataillonsarzt an die Front versetzt. Die Kämpfe am Chemin des Dames und um Laon überstand er gut. Im Oktober 1918 geriet er beim großen Rückzug mit seinem Verbandplatz in Gefangenschaft, hatte einen empörenden Transport durch Frankreich zu erdulden und kam infolge von allerlei unglücklichen Umständen erst im August 1919 wieder nach Deutschland zurück, obwohl er als Arzt sofort hätte ausgetauscht werden müssen. Durch die zehn Monate der Gefangenschaft war er in einen Zustand tiefer Entmutigung geraten. Er kam sich überflüssig vor, entwurzelt. Er gab seinem Stolz einen Stoß und fuhr zu Vera hinaus. Aber das Haus war verkauft, Vera zu ihren Eltern nach Holland zurückgekehrt. Der neue Besitzer führte ihn durch die Räume, deren vertraute Wände durch fremde Möbel entstellt waren. Nicht einmal die Aussicht aus dem Schlafzimmer war geblieben. Rechts und links standen neue Stadthäuser aufgebaut. Schrebergärten drängten sich an den Zaun des Hauses, und nur wenn man starr geradeaus sah, hatte man die alte ungezäunte Felderweite vor sich.

Nichts war geblieben. Wetzel besuchte seine Eltern in Hamburg. Der Vater, Archäologe von Beruf, war weiß und verbittert, als seien seine Ausgrabungen durch die Revolution ein zweites Mal verschüttet. Die Mutter erzählte Geschichten aus ihrer Kindheit, die golden neben der finsteren Gegenwart glänzte, und die Schwester lebte an der Seite eines Verdieners ein langweiliges Sportleben. Er blieb, er sprach von sich, erzählte, die anderen erzählten von sich. Keiner hörte zu, keiner wollte vom anderen wissen. Nichts, nichts!

Wetzel vergrub sich ein Jahr lang in die Arbeit. Noch ein Jahr. Ein drittes. Er machte eine ausgezeichnete Arbeit über Pankreaserkrankungen. Habilitierte sich. Wie ging das nur zu? Er schlief langsam ein. Aber die Schmerzen ließen nicht nach. Die Langweile nicht. Er verzehrte sich und wurde dicker. Er umpanzerte sich und war empfindlich gegen jede Trübung seines Schicksals. Er hielt sich eigentlich von Frauen fern — was sollte ihm das alles nach Vera? —, aber von den kleinen Mädchen, den Studentinnen, Laborantinnen, nahm er jede, die sich ihm bot. Er hatte also Erfolg bei Frauen und in seinem Beruf. Aber was nützte das?

Wenn er nun Professor wurde? Sind ordentliche Professoren glücklich? Hingegen, wenn er sich das zerstörte? Ja, dann hatte er noch eine Enttäuschung, die er anklagen konnte, um sich nicht anzuklagen. Ging er deshalb aufs Land? Natürlich, im Grunde aus Feigheit und Selbstzerstörungslust. Man sieht, das Leben läuft, wenn es läuft, immer auf den gleichen Schienen. Eines Tages also kaufte Wetzel die Praxis eines alten Landarztes in dem Dorfe P., zwischen Merseburg und dem Thüringer Wald.

Schicksale gebündelt

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