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Sie kam an einem Montagabend in P. an. Sie steuerte den kleinen Wagen selbst, trug einen karierten Capemantel, eine Lederkappe und hellgelbe Stulpenstiefel. Wetzel war nicht zu Hause. Sie stellte sich der Wirtschafterin als seine Frau vor, saß oben im Zimmer, lief rings um den Tiroler Balkon und rauchte. Endlich kam der Mann. Sie nahm die Kappe herunter, strich das Haar zurück, zog die Mundwinkel, lächelte ein wenig.

Der Arzt stand starr in der Tür. Da war sie also. Sie hatte sich wohl ein wenig verändert. Die Stirnfalte war bestimmt nicht gewesen. Die häßliche Rundung am Kinn auch nicht. Die Fingernägel trug sie spitzer und sehr rot lackiert. Aber das war es nicht, was ihn entsetzte. Es war vielmehr, daß diese lebende Vera gar nicht die wahre Vera war, gar nichts mit der Vera zu tun hatte: die wahre Vera, das ist alle Süße des Vergangenen, alle Schwere des Unabänderlichen und alle Verantwortungslosigkeit, die sich aus dem Unabänderlichen ergibt.

Aber dieser falschen, dieser lebendigen Vera konnte er das Kinn zurückbiegen, durch die Haare fahren. Wenn er mit ihr sprach, antwortete sie. Wenn er sie küßte, küßte sie wieder. Ja, sie fragte ihn allerlei, was er nicht erwartet hatte. Musterte sein Zimmer, lobte die Aussicht, den Hühnerhof, das Abendrot und war entschlossen, über Nacht zu bleiben.

Während sie aßen, war schon Lena Wagenfeld unterwegs. Sie hatte wieder eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater gehabt. Der Bauer schrie sie an, sie sollte von dem Arzt lassen und den Lehrer heiraten. Aber sie antwortete nicht. Sie lief nach dem Abendessen hinaus, hintenherum über die Felder. Sie wollte keinen Rat von Wetzel und keine Hilfe. Ihr war nur bange nach ihm. Er sollte „gute Augen“ machen. Sie kletterte über den Zaun, wie schon oft, unten durchs Wartezimmerfenster, das immer offenstand, und die Treppe hinauf. Sie klopfte.

Drinnen fuhren sie auseinander, standen mit hochroten Köpfen. Lena sah von einem zum andern. Wandte sich und wollte weglaufen. Aber das ließ Wetzel natürlich nicht zu. Er machte die Frauen miteinander bekannt. Sprach offen und ehrlich mit ihnen, verheimlichte nichts. Vera war sehr herzlich. Sie hatte Lena höchstens zu danken. Sie wollte auch nicht in Bestehendes eingreifen. Für diese Nacht war Platz genug im Hause. Lena lächelte verlegen. Sie konnte doch der herzlichen Dame nicht sagen, daß alles gelogen war, und dem Freunde nicht, daß er sie betrogen hatte. Er hatte also doch jemanden geliebt. Wenn auch das Gespenst eines Menschen, das Bild, das Zurechtgemachte ... Nun, wie er es eben fähig war und alle fähig waren. Sie konnte das nicht sagen. Sie war starr über so viel Lüge und Unglück. Darum erzählte sie schnell, was zu Hause passiert war. Weinte heftig, lief plötzlich ohne Abschied weg. Wetzel hinterdrein.

Sie standen in der nachtfeuchten Wiese. Sie konnten sich nicht erkennen. „Es ist nicht auszuhalten“, weinte Lena.

Sie beschloß, sich umzubringen, aber sie sagte es nicht. Sie lehnte ihre Stirn gegen seine. Vielleicht konnte sie seine Augen erkennen? Nichts! So trennten sie sich, sie lag die halbe Nacht wach. Vergiften? Aufhängen? Ertränken? Sie konnte sich nicht entschließen. Gegen halb vier Uhr morgens packte sie ein paar Sachen. Schrieb einen Zettel: „Ich gehe für immer. Nicht nachforschen. Lena.“ Marschierte am Hause Wetzels vorbei in die Morgendämmerung.

Schicksale gebündelt

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