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Dr. Karl Breitling steigt die Treppe zu den Raümen von Landowski & Co. hinauf. Er ist sehr sorgfältig, allerdings etwas auffällig angezogen. Er trägt einen hellen Kamelhaarmantel, einen kleinen silbergrauen Velourshut, der vorn und hinten heruntergeklappt ist, Stiefel mit hellem Wildledereinsatz und, wie alle jungen Männer, einen klobigen Bambusstock ohne Verzierung. Der Schnurrbart ist etwas gestutzt und steht nicht mehr über, aber die Koteletten sind geblieben. Unter dem Hut sehen sie wie Schatten oder Schmutzstreifen aus.

Breitling geht gemächlich und zögert auf jedem Treppenabsatz. Wie peinlich, daß dieser Landowski reich ist. Für Breitling, der aus einer armen Familie stammt, ist das eine große Schwierigkeit. Er hat die reichen Leute nicht nötig gehabt. Er hat alle Reisen aus eigener Kraft gemacht. Erst ohne Geld, dann mit etwas Geld, jetzt mit ziemlich viel Geld. Es steht ihm sogar mehr Geld zur Verfügung, als er braucht. Im Grunde aber bewundert er die Reichen immer noch, so sehr er sich mit Gründen und Überlegungen, mit Grobheit und Herausforderung dagegen wehrt (wie er übrigens auch sich selbst bei jedem Hundertmarkschein bewundert, den er ausgibt).

Leo Landowski ist der erste Reiche, der ihm gefällt. Vielleicht denkt er, sind die jungen Reichen erträglicher. Er gibt sich also einen Ruck, springt den letzten Treppenabsatz leicht und leise hinauf, geht durch den kleinen Schalterraum — Landowski & Co. haben kaum Kundenverkehr — und den langen Korridor, der auf der einen Seite die Türen zu den Zimmern der Angestellten hat und auf der anderen Seite eine Reihe von Fenstern in den Hinterhof.

Es ist ein dunkler Tag, und der graue, enge Hof, der von schlecht gepflegten Hinterhäusern umstellt ist, macht einen beklemmenden Eindruck. Breitling bleibt kopfschüttelnd stehen. Er ist erstaunt, daß ein geschmackvoller Mensch täglich diesen Korridor mehrmals zu durchqueren vermag. Er geht dann langsam weiter, indem er die Schilder liest, bis er auf einen Bürojungen stößt, der auf seinem Stuhl eingeschlafen ist. Komisch, wie lautlos hier Geld verdient wird, denkt er. Aber da hört er gerade aus einem Zimmer eine ziemlich heftige Auseinandersetzung. Er kann zwei Männerstimmen und eine Frauenstimme unterscheiden. Was die Männer sagen, ist nicht zu verstehen. Aber die Frauenstimme ist ohne Schärfe durchdringend.

„Und es ist doch gemeine Eifersucht, wenn ihr Teufelmann nicht aufnehmt…“ Und nach einer Pause, die von Gemurmel erfüllt ist: „Daß die letzte Voraussetzung erfüllt wird, dafür ist gesorgt.“

Breitling will zuerst umkehren. Aber dann sieht er auf seiner Uhr, daß die Zeit der Verabredung schon um zehn Minuten überschritten ist, und er tippt den schlafenden Bürojungen auf die Schulter, so daß der aufwacht, erschreckt in die Höhe springt und zunächst behauptet, nicht geschlafen zu haben.

Breitling will gerade den Jungen mit einer Visitenkarte hineinschicken, als von der anderen Seite her (es gibt zwei Aufgänge) Stefanie Landowski kommt, sehr eiligen Schrittes, den Sehleier nach ihrer Gewohnheit halb hochgeschlagen, das Taschentuch in der einen Hand, den Schirm am Gelenk der anderen Hand, eine große Ledertasche an zwei Fingern schlenkernd.

„Da sind Sie schon“, sagt sie freundlich und sieht ihn prüfend an. Er hat die Haarfarbe, die sie liebt. Kornblond mit Asche vermischt. Schade, daß es lockig ist. Schafslocken eigentlich, wenn man sie wuchern läßt, wie sie wachsen wollen. Jetzt mühsam gebändigt und durch einen kleinen Scheitel in zwei ungleiche Teile geteilt.

Sie hat wohl schon ein bißchen lange geguckt — Stirn, Ohren und Nacken muß man beim Mann zuerst ansehen, obwohl manchen Frauen die Nase bedeutungsvoller zu sein scheint — denn es ist still geworden, und man hört nur wieder die Stimmen aus Leos Büro. Der Junge sieht die Frau vom Chef erwartungsvoll an. Stefanie stellt also die Prüfung mit dem vorläufigen Ergebnis „befriedigend“ ein und geht auf die Tür zu. „Es ist eine Sitzung von Mitgliedern des Fünferklubs“, sagt sie, klopft, klinkt vorsichtig, tritt ein und winkt Breitling, mitzukommen.

Stefanie ist enttäuscht, denn es sind nur Windschütz und Clara Höger, und sie hatte gehofft, daß vielleicht auch Christiane da sei. Aber natürlich ist sie auch kein Mitglied des Fünferklubs. Satzungsgemäß muß Clara das einzige weibliche Mitglied bleiben. Stefanie macht die Herrschaften miteinander bekannt, etwas schüchtern, weil sie auch unter der Frauenkrankheit des Nichtvorstellenkönnens leidet, und man rettet sich in ein neutrales Gespräch. Breitling wird verlegen. Die Höger betrachtet ihn gründlich und genau wie ein Ausstellungsobjekt, und er meint der Prüfung nicht standhalten zu können. Windschütz hat die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sieht verdrießlich vor sich hin, während seine Finger in der Tasche Klavier spielen. Obwohl er seit einem Jahre sich von Clara getrennt hat, ist er immer noch von einer närrischen Eifersucht. Dieser Teufelmann, denkt er aufgeregt, ausgerechnet Teufelmann. Aber er würde bei jedem anderen das gleiche denken, gegen jeden anderen ebenso wüten und es kurzum für das beste halten, wenn Clara ihr Leben nunmehr unterm Glassturz in seinem Erinnerungsschrank verbrächte.

Die Höger ist äußerst empört über Windschütz, dem sie nie die Spur einer Treue geschworen hat und der außerdem die Satzungen des Fünferklubs, der auf Eifersucht die Todesstrafe erkennt, in schändlicher Weise verletzt. Gleichzeitig triumphiert sie über den Ärger, den sie angerichtet hat, wenn es auch schade ist, daß Landowski so ruhig bleibt.

Zum Bewußtsein kommt ihr nur ihre Empörung, während die Triumphe durch besonders geschickt abgerichtete Nerven auf dem Wege vom Herzen zum Hirn abgefangen und ausgelöscht werden. Leo hat diesen seltsamen Mechanismus oft genug arbeiten sehen. Aber er staunt immer wieder über die Präzision, mit der durch ihn erreicht wird, daß die Schauspielerin sich für einen grundehrlichen, wohlmeinenden, wenn auch durch seine besondere Bedeutung eigenartigen Menschen halten darf.

Jetzt ist er froh, daß der seltsame Überfall sein Ende gefunden hat. Er verabschiedet Clara und Windschütz, indem er ihnen kameradschaftlich die Hände drückt und sie hinausschiebt, als käme ein Bleiben gar nicht in Frage, obwohl Clara sich ganz gern den Dr. Breitling genauer angesehen hätte. Denn sie hat Arbeiten von ihm gelesen, die ihr durch eine eigenartige Methode aufgefallen sind, zwischen harmlose Schilderungen sehr aufreizende Behauptungen einzustreuen oder nebenbei Dinge als selbstverständlich auszusprechen, die sonst selten angerührt werden. Sie erinnert sich an einen Satz über „die in den kultivierten Ländern Europas stets überwiegende Polygamie“, an den sie jetzt ein Gespräch anknüpfen würde — aber Landowski braucht ja gar nichts zu sagen, er braucht nur den Willen zu haben, daß man gehen soll. Dann ist nichts zu machen.

So bleiben also Breitling und die Landowskis allein, und Leo begrüßt den Besuch noch einmal, während Stefanie sich still aufs Sofa gesetzt hat. Ihr scheint es ganz klar, daß es doch noch zu einer großen Auseinandersetzung mit Clara kommen muß oder vielmehr zu dem Zusammenstoß, den sie seit Beginn ihrer Ehe zu vermeiden. sucht. Eigentlich müßte Landowski jetzt arbeiten. Fortwährend stecken die Prokuristen ihre Sorgenköpfe herein, sucht die Sekretärin durchdringend nach einem Schriftstück, das draußen verlangt wird, um immer wieder seufzend festzustellen, daß die Unterschrift noch fehlt.

Ja, zehn Minuten muß man Leo auch wirklich noch entschuldigen, und er läuft eiligst mit der wichtigsten Mappe ab, während die Sekretärin in fliegender Hast aus dem anderen Stapel noch einiges zusammensucht, was auch noch erledigt werden könnte, und hinterherfegt.

Aus den zehn Minuten wird natürlich eine halbe Stunde. Aber das schadet nichts, weil sich Breitling als ein gewandter und dabei nicht aufgeblasener Erzähler erweist, so daß Stefanie mit Genuß zuhört. Es fällt ihr auf, wie selten sich Zuhören lohnt, so daß man kaum mehr Ohren hat.

Dabei ist Breitling sehr befangen. Er hat sich gleich am ersten Abend zugegeben, daß er in Frau Landowski verliebt ist. Er hat es sogar nach seiner etwas grobschlächtigen Manier übertrieben und dann die Chancen ausgerechnet, die er hat. Er ist in den Tagen sehr tätig gewesen, hat ein Detektivbüro arbeiten lassen und jeden Bekannten nach den Landowskis ausgefragt. Er hat das Material sorgfältig gesichtet, ist zu dem Ergebnis gekommen, daß er so gut wie keine Aussichten hat, und sitzt nun doch hier. Er paßt nicht in die Atmosphäre, die z. B. das Büro hat oder die beiden, die eben gegangen sind, aber er paßt zu den Landowskis.

Wenn wiederum die Landowskis so sind, daß er zu ihnen paßt, so paßt es sich nicht, daß er in Stefanie verliebt ist. Während er also mit seiner merkwürdig hohen und klanglosen Tenorstimme ein gesellschaftliches Gespräch führt, versucht er, seine Stellung zu Stefanie ins Gesellschaftliche hinüberzuleiten. Aber es will ihm nicht glücken. Welch herrliches Gesicht! Welcher Schwung der vollen Augenbrauen, was für ein Halsansatz! Was für ein Stolz und welch liebenswerte Unsicherheit!

Gut nur, daß Landowski endlich doch hereinkommt. Breitling geht eilig auf ihn zu und schüttelt ihm die Hand. Leo weiß nicht recht, was das bedeuten soll, und sieht ihn etwas erstaunt an. Stefanie errötet unwillig. Sie begreift klar, was vorgegangen ist.

Man geht zusammen Mittag essen. Die Männer fahren in angeregten Gesprächen aufeinander los, und Stefanie kann still daneben sitzen. Beinah gelingt es ihr, die Erregung über Breitling zu vergessen. Vielleicht hat sie sich doch getäuscht.

Sie hat sich nicht getäuscht. Am nächsten Tage kommen Breitlings Bücher an. Je ein Exemplar für Leo und für sie. Am übernächsten Tag macht Breitling Besuch.

Er kommt mit seinem kleinen Opel angefahren, den er selbst lenkt. Zufällig ist Stefanie am Fenster. Es sieht komisch aus, wie er im Zylinder am Steuerrad sitzt, aussteigt, den Motor sichert und durch den Vorgarten kommt. Er geht schnell, mit langen Schritten, den Zylinder (wohl des Zugwinds wegen) bis auf die Ohren gezogen, den Mantel offen, den Blick suchend und prüfend auf das unbekannte Haus gerichtet.

Sie könnte sich ja verleugnen lassen, aber sie tut es nicht. Sie ist nur noch gerader als sonst, noch damenhafter. Ihr Haar liegt geschmeidig und fest an. Ihr Blick ist forschend, freundlich, kühl und versucht den Mann in dem Abstand zu halten, der nötig ist.

Es gelingt auch ganz gut. Aber es ist so anstrengend, daß sie nachher schwache Knie hat und böse und verbissen auf dem Diwan liegt. Nein, ich bin nicht gesichert, muß sie sich wieder zugeben. Ich stehe durchaus nicht so, daß Wünsche nicht an mich herankönnen. Ich spüre sie, und sie tun mir sogar gut. Und warum sollte es auch nicht sein? Was ist anders als früher? Hatten nicht früher, während der ersten Ehe und bevor Leo kam, hatten da nicht neben einem Mann noch andere Platz? Warum also jetzt nicht? „Ausgerechnet Breitling“, murmelt sie mißbilligend und muß lachen. Leo hat gerade am Tage vorher sich über Windschütz’ Eifersucht lustiggemacht. „Ausgerechnet Teufelmann“ hatte der gerufen.

Am Nachmittag kommt Amélie Stern zur Beichtstunde. Natürlich ist es jetzt Bleichert. Stefanie weiß es schon lange. Sie ist eigentlich nur erstaunt, daß sie sich diesen Kram immer wieder anhört, und da sie einen skeptischen Tag hat, schiebt sie auch das ihrer Schwäche und Unsicherheit zu. Einmal muß sie doch lachen, als Amélie nämlich versichert, daß „nur“ Modellstehen doch langweilig sei und daß es ihr gar nicht leicht geworden ist, weiter zu kommen, da Bleichert unter schlimmen sexuellen Hemmungen leide, unter denen der Elternhaß noch die kleinste sei. Sie schwört, nicht eher ruhen zu wollen, bis auch die kleinste Hemmung gefallen sei, und muß immer wieder über die Schwere ihrer Aufgabe stöhnen, wobei sie das Näschen betrübt zu senken versucht, was insofern nicht leicht ist, als es in seiner Spitze nach oben zu zeigen gewöhnt ist.

Gegen halb sechs fährt Amélies Mann, der Getreidehändler Stern, vor und läuft aufgeregt hinter der anmeldenden Hanna in den Salon. Er muß sich sehr zusammennehmen, als er seine Frau wirklich, wie sie hinterlassen hat, bei Frau Landowski findet. Amélie ist außer sich über den Spaß und verlangt von ihrem Mann energisch, daß er ihr in Zukunft nun glauben soll.

Abends kommt ein Brief aus Wangen. Die Schrift des Vaters, die Stefanie früher immer wie eine Drohung aussah, macht ihr auch heute noch Unbehagen. Der Inhalt ist an sich belanglos. Der alte Graf klagt über die Beschwerden des Alters, die bei ihm, seiner konservativen Lebenshaltung wegen, hauptsächlich in Podagra bestehen, von dem alle alternden Wangens seit Hunderten von Jahren befallen werden. (Stefanie hat „den Podagra“ als Kind für einen Hausteufel gehalten, der alte Männer so ins Bein beißt, wie es der Storch bei den Frauen tut, und immer gedacht, aus dem umwickelten Fuß müsse sich irgendetwas Gestaltähnliches loslösen.) Auch die Wülffen — das ist die Haushälterin — werde nun immer mürrischer.

Das alles ist Stefanie verhältnismäßig gleichgültig. Aber es kommt noch eine Nachschrift, in der die schlechte Lage der Landwirtschaft bejammert wird, der auch die Tüchtigkeit des Vetters Albrecht, als welcher nun alle Geschäfte eigentlich führe, nicht auf die Dauer gewachsen sein könne.

Diese Nachschrift macht Stefanie stutzig. Denn sie ist mit voller Unterschrift gezeichnet: Eugen Graf Wangen und hat somit ihre Bedeutung. Sollte der Vater wirklich nach all dem Krach eine Anleihe bei Leo versuchen wollen?

Eigentlich ist es ihr ganz klar, und sie ist sehr beschämt. Aber es scheint ihr für den einen Tag zu viel Ehrlichkeit, wenn sie auch das noch eingestehen will. Wenn man alles auf einmal zugibt, wird man ganz irre. Wie ist man? Was tut man? Woher kommt man? Wohin geht man? Für was ist man verantwortlich? Was will man? Was wünscht man?

Es ist schon beinah erheiternd, eine achtundzwanzigjährige Frau, die die Welt ansieht wie ein Baby!

Sie möchte haltlos, hilflos weinen, aber sie tut es nicht. Sie geht vielmehr, da die Zofe ihr jetzt die Zeit meldet, gehorsam ins Bad, plätschert gedankenlos in der Wärme herum, zieht zum Troste das schönste Kleid an, das sie hat — ein erdbeerfarbenes, eng anliegendes Seidenkleidchen, an den Ärmeln und am Kragen mit kostbarer alter Spitze geschmückt — und betritt eine halbe Stunde später an Leos Seite den zu grell erleuchteten Vorraum der „Komödie“.

Sie erregt, wie immer, großes Aufsehen und findet heute eine kleine Befriedigung darin, so etwa, als bestätige man ihr, daß sie doch schon ein Mensch sei. Aber als der Vorhang aufgeht und die künstlich heiße Stimme der Höger einsetzt, fühlt sie sich doch wieder verlassen und muß sich sehr zusammennehmen, nicht zu zucken, nicht sich umzusehen.

Sie sieht starr geradeaus und versucht, den Vorgängen auf der Bühne ein Interesse abzugewinnen. Aber es werden nur sehr alte und einfach zu handhabende Gefühle vorgetragen — Liebe, Haß, Verruchtheit und Mord und Engelsreine — und es will ihr sogar scheinen, als sei die Höger, die modernste Schauspielerin Berlins, eigentlich recht altbacken in ihrer Furienhaftigkeit. Das wenigstens kann sie nachher Leo sagen, und so lächelt sie leise und spitzbübisch vor sich hin, während des Publikums Augen- und Ferngläser starr den Ausbrüchen der Höger folgen.

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