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II
Das Problem taucht auf

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Die Tomaten stehen erschreckend gut. „Es wird einem rot vor Augen, Meyersachs“, sagt sie dem Gärtner und lacht ihn an. „An die sechzig Zentner“, wiederholt Meyersachs ein paarmal und reibt seinen Daumen an der blauen Schürze, weil der juckt, was angeblich Gewitter zur Folge hat. Dann muß Stefanie noch die neu angelegten Spargelbeete besichtigen, den Blumenkohl und die anderen Gemüse und muß mit ins Treibhaus kriechen, wo eine Menge Orchideen im Aufblühen sind und mit ihren langen grünen Schlingästen sich gegenseitig in die Töpfe greifen.

Ich mag die Biester nun mal nicht leiden, denkt Stefanie, mit ihren dumm aufgerissenen Mäulern. Immer sehen sie beleidigt aus. Laut aber preist sie Meyersachsens besondere Orchideenbegabung, um die Kenner die Landowskis beneiden, und macht sich unter Lobsprüchen von dem Alten los.

Es ist elf Uhr geworden, bis Frau Landowski mit Begrüßen und Besichtigen fertig ist. Aber sie ist nun ganz zufrieden. Die Leute hängen rührend an ihr, und es ist in Haus und Garten alles in bester Ordnung. Das ist ihr durchaus nicht gleichgültig. „Irgendwas muß der Mensch in Ordnung halten,“ pflegt sie zu sagen, „und wenn er mit sich nicht fertig wird, so soll er es mit seiner Umgebung versuchen.“

Sie geht einen Augenblick in ihr Wohnzimmer, tritt auf den Balkon hinaus, der ganz in den Grunewald hineinsieht, kehrt ins Zimmer zurück und blättert ein bißchen in Zeitschriften. Das Telephon schrillt ein paarmal, aber sie läßt sich noch nicht sprechen. Die Menschen, die anrufen können, sind ihr alle höchst gleichgültig.

Schließlich ist Leo Landowski am Apparat, ihr Herr und Gebieter, und er muß etwas sehr Komisches gesagt haben, denn Stefanie lacht laut und lange. Ihr Lachen ist merkwürdig tief und glucksend, ja, wenn sie von Herzen lacht, kann es klingen, wie wenn Wasser aus einem Steinbrunnen aufquillt.

„Du bist so gut gelaunt, Ole,“ sagt sie zärtlich, „natürlich wundert mich das. Nein, sicher hätte ich es nicht vergessen.“ Sie schwatzt so lange von den Erlebnissen des Vormittags, bis sie daran denkt, daß sie alles gleich erzählen kann, und hängt dann ein.

Sie sitzt eine ganze Weile und starrt auf den schwarzen Hörer, als könne der ihr erklären, was ihr eben als unerklärlich und beinah als Schrecken aufgefallen ist, nämlich, daß sie immer wieder von der alten Leidenschaft für Leo Landowski gepackt wird. Es widerspricht ihrer Erfahrung, nach der Leidenschaften mit Krach abbrennen und dann eben in alle Ewigkeit hinein Asche bleiben. Sollte in diesem Falle…?

Sie schüttelt den Kopf. Ausgerechnet eine gute Ehe soll aus einer Leidenschaft werden, denkt sie und lächelt halb spöttisch und halb gerührt.

Zehn Minuten später steht sie im grauen Kashakleid mit kleinem bunten Don-Juan-Cape und einem großen Rosenhut, den sie „wider alle Mode und alle Vernunft“ aufgesetzt hat, und wartet auf das Auto, das ihren achtjährigen Sohn, Herbert von Strassow, aus der Schule abholen soll. Sie sieht ernst nach der Seite, aus der das Auto kommen muß, und hebt den Sonnenschirm zum Winken, als es um die Ecke biegt.

Herbert, in einem hellgrauen Sportanzug, mit grauen Handschuhen und grauen Halbstrümpfen, die die zerschundenen Jungenwaden freilassen, winkt wie ein Kaiser mit steifem Handgelenk zurück, steigt aus, nimmt die Mütze zeremoniell ab und küßt der Mutter die Hand. Er ist ein schmächtiger Junge mit lustigen, braunen Augen, einem sommersprossigen, etwas käsigen Gesicht und einem Schädel, dessen Rundheit durch den Halbmillimeterschnitt des Haares noch betont wird. Das Haar schimmert trotz seiner Kürze ins Rötliche und hat — sehr zum Schmerze Herberts — einen zweiten goldblonden Wirbel oben an der rechten Stirnseite, da, wo anständige Leute nach Leo Landowskis Ausspruch eine Geheimratsecke haben.

Stefanie versucht, mit ihrem Jungen wenigstens ein paar Worte zu sprechen, aber er ist zunächst damit beschäftigt, Handschuh, Mantel und Mütze auszuziehen und sie Stück für Stück dem herbeigeeilten Gaspard zu überreichen, wobei er die Bewegungen seines Stiefvaters genau nachahmt. Dann muß er mit dem Chauffeur Künnecke ein technisches Problem erörtern. Künnecke und Herbert tauchen die Köpfe dabei tief in die aufgeklappte Motorhaube, der Motor surrt schneller und langsamer und steht endlich still.

Frau Landowski erinnert zaghaft daran, daß sie zu einer bestimmten Stunde in der Stadt sein muß, und jetzt hat Herbert endlich Zeit, der Mutter ordentlich guten Tag zu sagen. Er hängt sich ihr wie ein richtiger Bengel an den Hals, schaukelt da hin und her und guckt ihr lachend in die Augen. Er öffnet ihr mit den Bewegungen Gaspards den Wagenschlag, springt, als der Wagen sich in Bewegung setzt, auf das Trittbrett und begleitet vergnügt schwatzend die Mutter beinahe bis zur Halenseer Brücke.

Er hat allerlei Sachen zu erzählen, Nachträgliches von seiner Schweizer Reise und eben Erlebtes aus der Schule. Stefanie hört bei den Schulerzählungen gespannt zu. Werden nun die Dinge wiederkommen, für die sie auch keinen Rat weiß? Aber nein — es bleibt bei harmlosen Prügeleien und Betrügereien, und Herbert springt ab, um im Galopp zurückzulaufen. Stefanie winkt ihm nach, sie erhebt sich dazu sogar von ihrem Sitz, und ist enttäuscht, weil der Junge sich nicht umsieht.

Sie gerät beim Weiterfahren wieder in die „nüchterne Betrachtungsweise“ und gibt zum hundertsten Male zu, daß sie ihren Sohn in unlösbare Schwierigkeiten gebracht hat. Großsohn eines mecklenburgischen Grafen, Sohn eines adligen Offiziers und Stiefsohn eines jüdischen Bankiers — daraus soll mal einer zur heutigen Zeit ein Leben machen.

Leo Landowski hat ihn mit Recht kurzweg „das Problem“ genannt, ein Name, der indes nur zwischen den Eheleuten gebraucht wird, während der Kosename einfach „Lemmchen“ und davon abgeleitet wieder „Lamm“ ist, ein Sprachwerdegang, der Etymologen zu Zorn und Nachdenken bringen kann und ein Schulbeispiel dafür ist, wie Stefanie an jedem Wort so lange dreht, bis sie jede Möglichkeit an Unsinn und Sinn herausgepreßt hat. Auch eine Art, sich vor den Dingen zu drücken!

Stefanie springt mit ihren Gedanken in ihrem Leben herum. Heute scheint ihr, daß sie doch nur ein Glück zweiter Klasse habe, etwa so, daß ihr nichts ganz schief geht. Ist Otto von Strassow etwa nicht zur rechten Zeit gefallen? Welche Schwierigkeiten hätte er bei der Scheidung gemacht! Wieviel Erpressungen noch versucht! Aber so ganz gerade geht auch nichts. Einen Sohn wollte sie immer. Aber Herrn von Strassow fortpflanzen?

Armes Lemmchen, denkt sie und schüttelt sich, damit die unangenehmen Gedanken auf- und davonfliegen sollen. Denn sie will finden, daß diese Verantwortung für die Kinder ein dummer christlich-jüdischer Schnickschnack ist, der immer von jedem seinem Nächsten empfohlen und von niemandem befolgt wird. Oder hat man sich Sorgen darüber gemacht, wie sie sich durchs Leben finden würde?

Ganz überzeugend scheint das letzte nicht zu sein; denn sie hat Kopfweh und einen schalen Geschmack auf der Zunge, als sie die Treppe zu Landowski & Co. hinaufsteigt.

„Es ist wieder das Problem, Leo“, seufzt sie, setzt sich in den „Generaldirektorssessel“ und läßt ihn durch Knopfdruck zu einem Liegestuhl werden.

„So, so,“ sagt Landowski und macht noch schnell ein paar Unterschriften, „hat sein arisches Blut oder sein jüdisches Portemonnaie Anstoß erregt?“

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