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III
Leo Landowski

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Leo Landowski — von seiner Frau Leo, Löwe, Löwchen und meistens Ole genannt, was wieder eine ihrer Permutationen aus Leo ist — Leo Landowski stammt aus der bekannten Bankdynastie Landowski. Er ist der Sohn vom „großen“ Hermann Landowski, dem ehemals allmächtigen Generaldirektor der D-Bank, und der Großsohn des wirklich bedeutenden Israel Landowski, der 1923 91 jährig starb, nachdem er ein halbes Jahr vor seinem Tode sein Testament umgestoßen, seine Familie auf Pflichtteil gesetzt und die eine Hälfte seines Vermögens jüdischen Krankenhäusern, die andere einem Fonds zur Erforschung der Krebskrankheit vermacht hatte. Man sagt, daß er zu diesem Entschluß hauptsächlich durch die Verheiratung Leo Landowskis mit Stefanie von Strassow gekommen sei. Nicht so sehr darüber aufgebracht, daß Stefanie keine Jüdin war, als daß er durch ein Detektivbüro die dunklen Affären des Herrn von Strassow aufgedeckt hatte.

Die Wahrheit, die jetzt nur noch Stefanie und Leo Landowski kennen, ist viel phantastischer: der Alte hatte sich eines Tages wirklich als zürnendes Familienoberhaupt aufgemacht, um durch eine Unterredung mit Stefanie die Schande von der Familie abzuwenden. Das Ergebnis war, daß er ihr nach zwei Stunden selbst einen Heiratsantrag machte. Nach ein bis zwei Jahren könne sie dann immer noch Leo heiraten und so das Familienvermögen zusammenhalten. Als Stefanie ablehnte, hatte er ihr seinen Segen gegeben, aber sein Testament geändert, damit sie nicht auf Umwegen zu einem Geld käme, das er ihr nur direkt gönnte.

Hermann Landowski, obwohl der „große“ genannt, hat im Grunde von den Einfällen und Ratschlägen des alten Israel gelebt und hat sich, beim Tode seines Vaters selbst schon ein alter Mann, bald darauf zur Ruhe gesetzt. Er ist der schwierigste Charakter der Familie. In der Jugend ein liberaler Mann, wurde er mit zunehmendem Alter immer orthodoxer und schrulliger und macht jetzt mit allerlei abstrusen Einfällen sich und seiner Familie das Leben schwer.

Seine Frau ist vor fünfzehn Jahren gestorben. Seine Kinder — außer Leo gibt es noch die wunderschöne Hilde Landowski, die an den amerikanischen Allerweltsarchitekten Bellewsberg in New York verheiratet und damit verschollen ist — stehen in schärfstem Gegensatz zu ihm, und er haust allein mit seiner älteren Schwester, der Rebekka Landowski, immer noch in der alten Wohnung in der Bendlerstraße, in die er, „ein Pionier des Berliner Westens“, vor vierzig Jahren gezogen ist.

Leo Landowski ist 36 Jahre, seit fünfzehn Jahren selbständig, seit acht Jahren reich, seit dem Ende der Inflation sehr reich. Er ist stolz darauf, seinen Reichtum nur sich selbst zu verdanken, obwohl er im Grunde weiß, daß der Kredit seines Namens ihn aus mancher schwierigen Lage gerettet hat. Er verdankt seine Erfolge der Tatsache, daß er selbständig denken kann (so hat er sein großes Vermögen durch Frankenspekulation à la hausse verdoppelt), seine Niederlagen kommen aus der allgemeinen Unterschätzung seiner Gegner. Auch kehrt er nicht gern um, wenn er einmal einen Weg eingeschlagen hat. Er ist eitel und leicht verletzt, im Gegensatz zu seinen Vorfahren schroff im geschäftlichen Verkehr und liebenswürdig zu seinen Untergebenen.

Er ist klein und schlank, körperlich übertrainiert, hat einen leichten Herzfehler, der ihn manchmal verschwommen aussehen läßt. Sein Kopf ist etwas zu groß für den Körper: weil Landowski ihn geradehalten möchte, trägt er ihn leicht nach hinten über. Er hat volles blondes Haar, das rechts gescheitelt ist, braungraue Augen, eine kleine dicke Nase und schmale Lippen. Das alles sieht man zuerst nicht, weil Kinn und Stirn, beide wuchtig und breit, das Gesicht bestimmen und es imponierend erscheinen lassen, wenn er es will. Meist aber liegt ihm daran, wie andere auszusehen. Er hat sich in Anzug und Gebärden Durchschnittsmanieren angewöhnt, so daß seine Erscheinung höchstens in seinen Kreisen auffällt. Auf der Straße würde man sich nicht nach ihm umdrehen.

Über Leo Landowski gibt es unzählige Geschichten, von denen keine einzige wahr ist. Von seinen Abenteuern mit Frauen, deren er angeblich unzählige gehabt hat, kennt man eigentlich nur sein Verhältnis zur Schauspielerin Clara Höger, für die er das Haus im Grunewald gebaut hat, um es nachher selbst zu beziehen, ein Jahr bevor er Stefanie heiratete. Warum er eigentlich mit der Höger gebrochen hat, weiß man nicht. Er selbst hat es niemandem erzählt, und die Höger, die übrigens bei Landowskis viel verkehrt, bekommt eine jährliche Rente, so lange sie schweigt.

So muß sich die Klatschsucht ganz an seiner Ehe mit Stefanie von Strassow austoben. Und da gibt es ja schließlich vielerlei, was auch ein paarmal erzählt seinen Reiz behält. Es leben Leute, die auf jener denkwürdigen Gesellschaft waren, auf der Stefanie erklärt hatte, sie werde Landowski, den sie gerade eine halbe Stunde kannte, im Verlaufe von drei Monaten heiraten.

Man kann sich denken, daß Landowski das erfuhr und tausend Eide dagegen setzte. Aber er schwor falsch. Zwei Monate später hatte er den „Wahnsinn“ begangen, und Stefanie zog mit Herbert und Gaspard in die Grunewaldvilla ein.

Da niemand auf die sehr simple Wahrheit verfiel, daß die beiden Menschen durch jene geheimnisvolle Anziehung zusammengebracht sein könnten, wie sie heftig und unwiderstehbar zuweilen zwischen blutsfremden Geistverwandten entsteht, so mußten die unglaublichsten Geschichten herhalten, unter denen noch die harmloseste war, daß Stefanie acht Nächte auf der Schwelle von Landowskis Schlafzimmer zugebracht hatte, um schließlich von dem Müdegehetzten das Jawort zu erpressen.

Die Landowskis kennen diese Geschichten alle, und Stefanie hat sogar versucht, zuweilen dagegen anzugehen. Aber Leo liebt es nicht, Gerüchten zu widersprechen. „Gerüchte über mich kann ich nur entkräften, indem ich sie bekräftige“, pflegt er zu sagen, und so hat er einmal eine Gesellschaft der größten Klatschbasen eingeladen, um sie in seinem Hause umherzuführen und ihnen schließlich die blumengeschmückte Schwelle seines Schlafzimmers zu zeigen, die er „als einen Grabstein seiner Freiheit und als Erinnerungsstätte an die Werbewoche seiner Frau stets unter Blumen zu halten pflege“.

Man kann sich denken, daß Landowski wenig Freunde hat. Eigentlich, wenn er nachdenkt, kommen nur der Musiker Windschütz in Frage, der alte Kunsthändler Mewes, der Schnapsfabrikant Wedderstedt, ja, und die Höger.

Mit diesen vier Sonderlingen ist er bisweilen zusammen. Sie haben einen geheimnisvollen Fünferklub, der einmal im Monat tagt und zu dem auch Stefanie nicht zugelassen wird. Von ihnen läßt er sich Geschichten erzählen, wahre und falsche, unter der einzigen Bedingung, daß nicht gefragt werden darf, welche Geschichten wahr und welche erlogen sind.

Die Ehe der Landowskis ist bis vor einem Jahr allen Prophezeiungen zum Trotz glücklich verlaufen. Aber vor einem Jahr haben jene Spannungen eingesetzt, die aus Unbekanntem auftauchten und die beiden Mißtrauischen sehr erschreckt haben.

Es wird zu Ende sein, denken sie zuweilen, und manchmal sagen sie es auch mit jener ruhigen Höflichkeit, die alle ihre Beziehungen vor den Beziehungen anderer Menschen auszeichnet. Aber weil es in Wirklichkeit nicht zu Ende ist und weil sie auch nicht wüßten, was dann zu tun sein würde, wenn es zu Ende wäre, so haben sie sich aufs Abwarten, aufs Lauern und aufs Experimentieren verlegt, eine Art zu leben, mit der sie beide schon oft Schiffbruch gelitten haben und von der sie doch nicht loskommen. Sie bestärken sich sogar noch darin, weil sie Menschen sind, die „eine schmerzhafte Wahrheit besser vertragen als eine angenehme Lüge“.

Stefanies Sommerreise, die sie allein gemacht hat, ist eines der Experimente, mit denen die Landowskis die Wahrheit herauskochen möchten, und die Blicke, mit denen jetzt die beiden im Büro einander abtasten — während er schreibt und sie geduldig eine Zigarette nach der anderen raucht —, diese Blicke versuchen herauszubekommen, welche Ergebnisse dieser Versuch hatte.

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