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Mut und Entschlossenheit Als junges Mädchen auf der Flucht

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Auf die Welt gekommen bin ich als Zangengeburt und habe dadurch offensichtlich einen starken Lebenswillen entwickelt. Das war sicherlich auch notwendig in einer Familie, die durch die Nähe der Grenze zu Polen – ich habe nämlich meine Kindheit bis zur Flucht im Januar 1945 in Gleiwitz verbracht – immer in zwei Welten lebte.

Meine Großeltern mütterlicherseits wohnten in Polen, der Großvater verdiente den Unterhalt für seine Familie als Sattlermeister; sie galten als „Deutsche in Feindesland“. Meine Großmutter hat noch während des Krieges zusammen mit zwei Töchtern in Polen gelebt und zwar in dem Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg an Polen fiel. Das Passieren der Grenze war aufwendig und nahm viel Zeit in Anspruch, die Kontrollen waren gründlich und streng. Ab dem sechsten Lebensjahr benötigte auch ich einen Reisepass. Bei der Großmutter und den Tanten war ich gern, ich fühlte mich von ihnen geliebt und mochte sie sehr. Bei meinen eigenen Eltern war ich mir in meinen Gefühlen jedoch nicht sicher. Für meinen Vater war ich wohl eine „Leistungstochter“. Meine Mutter hat mich sicher gemocht, und ich habe sie später, als ich größer war, sehr geschätzt.

Mein Vater war das 14. Kind; seine Eltern hatten einen großen Bauernhof. Er baute sich zusammen mit seiner jungen Frau eine neue Existenz auf. Bei uns daheim – meine Eltern hatten einen Gasthof – wollten wir mit Polen jedoch nichts zu tun haben, weil sie das sogenannte „Wasserpolnisch“ sprachen und eher den unteren Schichten angehörten. Meine Eltern, die perfekt Polnisch sprachen, hätten dies jedoch niemals in der Öffentlichkeit getan. Sie waren stolz darauf, Deutsche zu sein, wobei in unseren Augen die deutsche Seite eher durch Großindustrielle und jüdische Kaufleute geprägt wurde.

Als Kind war ich viel allein. Am wichtigsten war für mich eine Tante, die bei uns im Haus lebte und vor allem auch arbeitete. Sie hatte jedoch einen Makel, sie war nämlich verheiratet gewesen und geschieden worden. Ich jedoch mochte sie so sehr, dass ich sie „Tante Mutti“ nannte. Von ihr fühlte ich mich geliebt. Bis zum Schuleintritt war ich nach Aussagen meiner Tante, die mich betreute, mehr krank als gesund. Masern, Scharlach, Keuchhusten haben sich abgewechselt und mir sehr zugesetzt. Ich musste ja krank werden, um Zuwendung zu bekommen.

Als die Schulzeit begann, wurde ich mit einer Schiefertafel, an der ein feuchter Schwamm und ein trockenes Tuch hingen, sowie mit einem Griffel ausgestattet. Eine Schultüte mit Obst und Süßigkeiten wie die anderen Kinder hatte ich nicht. Ich beneidete sie heftig darum. Der Kommentar meiner Eltern dazu lautete: „Du bekommst Obst und Schokolade zu Hause, die anderen brauchen nicht zu sehen, was es bei uns gibt“. Weil wir eine Gaststätte hatten, gab es sicherlich mehr als bei anderen.

Mit schlechten Karten gut gespielt

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