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Kapitel III Grün leuchtet die Nacht A. D. 179, Juni

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Es war mitten in der Nacht und die römischen Heiler und Sklaven hatten längst das Schlachtfeld verlassen. Alle römischen Gefallenen waren geborgen worden. Und immerhin ein Schwerverletzter und ein Bewusstloser waren – nicht von den Frauen – gefunden und notdürftig versorgt worden. Lucia hatte darauf verzichtet, den Heilern vorzuwerfen, dass sie von Anfang an diese Hoffnung besessen und sie sich wieder einmal bestätigt hatte. Der Blick in die dankbaren Augen der Geretteten entschädigte sie mehr als die Einsicht der Ignoranten. Und die verstohlen-neidischen Blicke der Heiler trugen ein weiteres zu ihrer stillen Befriedigung bei. Darüber hinaus konnte Inga an Lucias bebenden Händen erkennen, dass ihre Herrin vom Handeln des Druiden, der erst seinen Gefallenen zu helfen schien und dann vor ihren Augen einen Überlebenden erdolcht hatte, noch ebenso schockiert war wie sie selbst. Die Verwirrung stand ihr immer noch in den schreckgeweiteten Augen. Doch die Dunkelheit verbarg diesen Ausdruck vor ihren Begleitern, die teils beschämt, teils störrisch in die entgegengesetzte Richtung sahen. Selbst den beiden Mitgliedern ihrer informellen Leibgarde verschwiegen sie die Beobachtung und fuhren ohne Worte zum Kastell zurück.

Inga dachte darüber nach, ob wohl Familienangehörige der Picten ihre Toten holen würden. Sie hatte Berichte gehört, dass die Picten unheimliche Krieger waren, die ihre Verstorbenen zunächst verbrannten, den Brandresten und Knochen aber anschließend dennoch ein Begräbnis zukommen ließen. Ihre Anführer und Fürsten sowie tapfere Männer – und Frauen – hatten sich durch ihre Taten die Bestattung des ganzen Körpers verdient. Inga fühlte bei diesem Gedanken ein seltsames, tief verborgenes Zittern in ihrer Brust, das sie noch nie empfunden hatte.

Bei diesem Volk kämpfen auch die Frauen. Und sterben ebenso wie ihre Brüder, Väter, Ehemänner.

Ihre Gedanken wirbelten durcheinander und befassten sich immer und immer wieder mit dem geheimnisvollen Druiden. Sie konnte nicht verleugnen, dass dieser Mann sie, bei aller Fremdartigkeit und unmissverständlicher Feindschaft, die er verströmt hatte, faszinierte.

Erst gibt er dem Verletzten den Gnadenstoß und danach gibt er dem Toten zu trinken. Wozu?

Sie schüttelte den Kopf und Lucia sah sie fragend an. Doch Inga verneinte wortlos mit einem erneuten Wackeln ihres Kopfes.

Ich verstehe sein Tun nicht. Was bezweckt er damit?

Ihre Gedanken kehrten wieder zu den Picten und Britanniern zurück. Manche behaupteten, dass skrupellose Händler die wenigen Habseligkeiten, die ein Picte mit sich führte, vom Schauplatz stahlen und in alle Welt verkauften, vorzugsweise an Skoten, Gallier, Germanen und andere fremdländische Händler. Sogar die bemalte und tätowierte Haut, die oft mit besonders geheimnisvollen Symbolen verziert war, sollte schon auf wundersame Weise selbst römische Märkte erreicht haben. Mit Grausen stellte sie sich so eine Schandtat vor: Ein gieriger Händler schnitt einem Krieger die Haut vom Leibe. Wieder fiel ihr der Druide ein.

Das zumindest hat er nicht getan.

Die römische Wagenkolonne war längst einige Meilen vom Kampfplatz entfernt, als auf dem Schlachtfeld ein geisterhaftes Licht erklomm. Der Mond verbarg sich hinter einer dichten Wolkendecke, die kein Sternenlicht durchdrang, als um die toten Pictenkrieger herum langsam ein schwaches Leuchten entstand. Mann für Mann und Frau für Frau waren von diesem wabernden Leuchten umhüllt, das immer dichter um die reglosen Körper wogte, grün schimmerte und sich wie eine zweite Haut an sie schmiegte. Sogar abgetrennte Körperteile umfasste das unheimliche Licht, selbst kleinste Stücke umwob der unheimliche Zauber. Das weite Tal erhellte sich durch die vielen lumineszierenden Krieger und nach wenigen Minuten strahlte es so hell, dass bei naher Distanz die umhüllten Körper fast transparent erschienen. Ein paar satte Krähen stoben erschrocken auf und flatterten mit trägen Flügelschlägen davon. Ein Fuchs, der sich zu spät an dem reich gedeckten Tisch gütlich tun wollte, zog seinen Schwanz ein und schnürte hastig davon. Einzig die Maden in den offenen Wunden und Körperstellen blieben und ignorierten das mystische Licht, doch nicht lange. Als das Leuchten eine Intensität angenommen hatte, die einem nahen Betrachter die Augen hätte ausbrennen können, vergingen sie im glühenden Grün und zerfielen zu Staub.

Auf einmal erzitterten abgeschlagene Arme, Bei-ne und Hände und begannen, lautlos zu ihren ehemaligen Besitzern zu gleiten und zu schweben. Wie von Zauberhand schlossen sich alle geschlagenen Wunden, so tief und schrecklich sie auch gewesen sein mochten. Stück für Stück gesellte sich zu seinem ehemaligen Besitzer und fügte sich an den richtigen Stellen wieder an. Manche Teile legten nur wenige Zentimeter zurück, andere viele Meter, wenn etwa ein abgeschlagener Kopf in der Schlacht seinem davoneilenden Reiter mit entsetzten Augen nachgesehen hatte. Wenn sich ein Stück zu seinem Körper fügte, strahlte das Grün sonnenhell auf und erlosch nach wenigen Sekunden. Sogar fehlende Teile – und deren gab es aufgrund des Hungers der Krähen, Geier und Maden mehr als genug – formten sich auf schaurige Weise wieder unter dem magischen Feuer. Das Leuchten verglomm, als die letzte Hand sich wieder am Arm ihres Besitzers befand, die letzte Wunde sich geschlossen hatte. Die Körper und das Tal fielen abermals in gespenstische Dunkelheit.

Doch dann erhob sich mitten in der Menge der erste Krieger mit zaghaften Bewegungen. Mehrmals hielt er inne, so als müsse er sich erst erinnern, wie er seine Muskeln benutzen musste. Halb aufgerichtet durchfuhr ihn ein Zittern und die Knie schienen ihm nicht gehorchen zu wollen, doch schließlich stand er stumm und still zwischen seinen Kameraden. In der Dunkelheit tastete er seinen Körper ab, befühlte die geschlossenen Wunden und jede Bewegung drückte Verwirrung und gleichzeitig Freude aus. Er reckte seine Brust, hob beide Arme zum dunklen Himmel. Für lange Zeit stand er so da und atmete die kalte Nachtluft. Seine Brust hob und senkte sich, erst verhalten, dann sicherer und schließlich mit tiefen Atemzügen. Der Schrei, der seinen Mund verließ, brandete wie ein Fanfarenstoß in die Nacht. Ein Mensch hätte die Wut darin erkannt, genauso wie den Drang nach Rache. Doch den Geiern, die sich an den Rand des Tals verzogen hatten und nun aufstoben, genügte allein der Schrei, auch ohne dessen Bedeutung zu erkennen, um sie zu vertreiben.

Als wäre sein Schrei ein Signal gewesen, brach die Wolkendecke auf und Mondlicht fiel auf sein Haupt. Und wieder schrie er, lauter und kräftiger als zuvor, während sein zu neuer Kraft erwachtes Herz pochte und sein Hass auf die Römer, die Invasoren seiner Heimat, die Mörder seiner Brüder, Schwestern und Kinder über das Feld hallte.

Dann hielt er inne und lauschte in sich hinein. Da war noch etwas, das er spürte. Ein Ziehen wie von vielen Händen, die an seinen Muskeln, Knochen und Organen zerrten. Panik stieg in ihm auf, aber er beruhigte sich sofort wieder. Die körperlosen Berührungen erschienen ihm vertraut. Er blickte sich um und erwartete seine Eltern zu sehen, seine jüngere Schwester, so bekannt tasteten sich die unsichtbaren Hände über seine Haut. Es war, als würde er nicht nur zwei, sondern auf einmal Dutzende oder sogar Hunderte Hände haben, die sich genauso anfühlten wie die beiden, die er immer noch in die Höhe streckte. Er senkte die Arme und seinen Kopf. Sein Blick fiel auf ein Spiegelbild seines Körpers, das immer noch am Boden lag, genau unter ihm. Seine Füße standen in zwei weiteren Füßen, die ebenfalls ihm gehörten. Mit Verwunderung und Grimm verfolgte er, wie sich eine zweite Gestalt aus der am Boden liegenden erhob, dann eine weitere und noch eine und noch eine.

Alle, die sich um ihn scharten, waren ein Spiegelbild seiner selbst, so identisch, dass sogar die blauen Linien und Runen auf der Haut sich bis ins letzte Detail ein wenig blass im kargen Mondlicht abzeichneten. Mit Neugier betrachtete er den Rücken eines Doppelgängers und erfreute sich an einem kunstvollen Ornament, das er selbst noch nie gesehen hatte.

Plötzlich lachte er wild auf und hielt einem seiner Duplikate spontan die Rechte hin. Dieses war noch verwirrt und zögerte einen Moment, dann ergriff es die Hand und drückte zu. Der wiedererwachte Krieger lächelte, als er die perfekte Ausgewogenheit ihrer beider Kräfte in dem Handschlag fühlte und ihre Anerkennung besiegelte.

Rings um sie geschah es so bei allen Gefallenen, die nun diese Bezeichnung nicht mehr verdienten. Hunderte erhoben sich, wo vorher Dutzende gestorben waren. Mehr als eintausend Krieger verließen die Wallstatt des Todes und wandten sich alle in eine Richtung. Ein unsichtbares Band schien sie alle zu umfassen und noch Norden zu ziehen. Die letzten und besonders wagemutigen Aasfresser sträubten die Federn, als sich ihr verlorenes Festmahl in losen Gruppen auf den Weg machte und durch die Nacht marschierte.

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