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Kapitel VI Ein neuer Adept A. D. 167, Juni

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Trotz der Jahreszeit blies der Wind kühl aus dem Norden herab und Túan glaubte, den Geruch der auch während des Sommers schneebedeckten Gipfel darin zu schmecken. Es war mehr als dreißig Tage her, seit er sein zerstörtes Dorf verlassen hatte.

Und die Hälfte der Zeit, seitdem der Wolfswelpe bei ihm geschlafen hatte und von da an nicht mehr von seiner Seite gewichen war. Die beiden verstanden sich stumm, auch wenn Túan ab und an mit dem Kleinen sprach und manchmal ein Pfeifen, manchmal einen kläglichen Laut als Antwort bekam, von dem der Welpe wohl glaubte, dass es Túan für ihn einnahm. Doch der hatte längst sein Herz an den Racker verloren, der immer längere Zeit neben ihm her hüpfte, bis der Punkt kam, an dem er einfach stehen blieb und zu müde zum Weiterwandern war. Dann nahm Túan den jungen Wolf lächelnd auf und trug ihn in seinem Umhang weiter.

Die innere Stimme, die er schon früher in den Wäldern zu hören geglaubt hatte, hatte Túan unweigerlich in das Hochland gezogen. Stunde für Stunde, Tag für Tag, immer weiter nach Norden.

Das ungleiche Paar, das Mensch und Tier bildeten, hatte schon nach kurzer Zeit die Gegend verlassen, die Túan zumindest nach den Erzählungen der Händler noch als heimatlich betrachten konnte. Mit grimmiger Zähigkeit hatte er Hügel erklommen, eiskalte Flüsse durchquert und einige beachtliche Berge überwunden. Nun stand er am Rand eines Waldes, der ihm völlig unbekannt war. Trotzdem zog dieser ihn an, als hinge Túan an einer unsichtbaren Schnur, der er nur zu folgen brauchte. Túan hatte keine Angst. In diesen Gefilden bestand nicht die geringste Gefahr, von römischen Einheiten aufgegriffen zu werden. Und gegen wilde Tiere würde er sich zu wehren wissen. Allerdings hatte Túan die Ältesten seines Stammes nur flüsternd von den Clans erzählen hören, die hier oben hausen sollten. Vacomagi, Taexalae und noch weiter im Norden Boresti. Geheimnisvolle Namen aus Erzählungen an abendlichen Lagerfeuern tauchten in seinem Gedächtnis auf. Wild, unzivilisiert und grausam sollten sie sein, die Menschen der Berge und Seen. Doch das konnten auch nur die Geschichten von alten Weibern und Greisen sein, mit denen sie die Kinder beeindrucken wollten.

Für seine Verhältnisse war Túan gut ernährt, was nicht hieß, dass er auch nur ein einziges Gramm Fett am Leibe trug. Seine Verbundenheit zum Land hatte ihn immer Wild erlegen lassen, ein Gelege aus Vogeleiern beschert, eine Gruppe Früchte oder Beeren tragender Büsche finden oder einen unvorsichtigen Vogel mit einer Schlinge fangen lassen. Sogar, dass er nun seine Nahrung mit dem schnell wachsenden Wolf teilen musste, schmälerte seine Mahlzeiten nicht wesentlich.

Während seiner Rasten am abendlichen Feuer hatte er seinem Köcher neue Pfeile verschafft, einen zerbrochenen Speer durch zwei neue, bessere ersetzt, seine zerfetzten Lumpen gegen ein ansehnliches Stück Hirschfell ausgetauscht und seine zerschlissenen Sandalen zunächst ausgebessert und schließlich durch ein komplett neues Paar ersetzt.

Bei allen Arbeiten sah ihm der Welpe, dem er bisher noch keinen Namen gegeben hatte, weil ihm kein passender einfallen wollte, neugierig zu. Erfahrungsgemäß erlahmte die Neugierde rasch und sein kleiner Gefährte rollte sich zusammen und schlief den ruhigen Schlaf desjenigen, der sich in sicherer Gesellschaft wähnt, was er ja auch war.

Alles in allem stand Túan nun am Saum des Waldes nicht wie ein zerlumpter Bettler da, sondern wie ein junger, sehr junger Krieger, bereit, den Schritt in ein unbekanntes Gebiet zu wagen.

Es war ja nicht so, dass er in der ganzen Zeit nicht auch auf Menschen gestoßen wäre. Doch sein Instinkt riet ihm, den mehrmals möglichen Kontakt zu meiden. Er ging sogar zwei oder drei Mal größere Umwege, um kleine Siedlungen und Dörfer zu meiden. Einen Grund dafür hätte er nicht nennen können. Die innere Stimme, die Túan trieb und leitete, schien ihm zu raten, sich versteckt zu halten.

Sein kleiner Freund entwickelte eine fast symbiotische Verbundenheit zu ihm und oft genug roch oder hörte der Racker andere Menschen, bevor Túan sie bemerkte. Dabei war es sehr lustig für Túan zu sehen, wie sich das kleine Fellbündel plötzlich versteifte, völlig regungslos stehen blieb und sich von einem jungen Tier in ein nicht weniger junges Raubtier verwandelte. In allen Situationen wies die Schnauze des Kleinen mit untrüglicher Sicherheit exakt in die Richtung, aus der die mögliche Bedrohung kam.

Nach den vielen Tagen des einsamen Marsches und am Rand dieses Waldes überkam ihn die Erkenntnis, dass sich daran die nächsten Jahre auch nichts ändern würde, vielleicht sogar sollte. Ein geheimnisvolles Flüstern, dessen Worte er nicht verstand, gab ihm das sichere Gefühl, dass jetzt nicht die Zeit war, sich anderen Menschengruppen anzuschließen. Auch wenn ihn diese willkommen geheißen hätten, was mehr als fraglich war. Denn die Clans im Hochland kämpften untereinander um das Wenige, was ihnen das Land bot. Und das war nicht immer ausreichend, um alle Mitglieder eines Clans am Leben zu erhalten. Dazu kamen uralte Feindschaften, deren Gründe längst niemand mehr wusste. Stiller Groll erfüllte ihn und verdrängte für mehrere Augenblicke die flüsternde Stimme in seinem Kopf. Túan hatte immer bei solchen alten Geschichten gefragt, warum die Stämme sich gegeneinander wandten, anstatt einig zu sein und die Eindringlinge aus dem fernen Rom gemeinsam zu bekämpfen. Stets hatte er ein nachsichtiges und mitleidiges Lächeln der Erwachsenen geerntet, was ihn nur noch mehr in Wut gebracht hatte. Es endete dann jedes Mal auf die gleiche Weise. Er stand auf und lief in seinen geliebten Wald. Bei solchen Anlässen vermieden es die anderen Kinder, ihm zu folgen. War seiner zorngefurchten Stirn doch überdeutlich anzusehen, dass er nicht wegen Pilzen, Beeren und anderen Waldfrüchten ging.

Als ein erneuter, kalter Windstoß ihm ins Gesicht blies, hatte Túan den Eindruck, dass der Wind ihn warnte, allein den Wald zu betreten. Doch die innere Stimme widersprach dem Wind und Túan machte einen Schritt nach vorn. Doch kaum hatte er ihn getan, als ein heiserer Schrei aus der Luft ihn innehalten ließ.

Der Schrei stammte von dem Adler, der ihn schon seit einigen Stunden im Auge behielt, stets seine Kreise über die Hügel ziehend, den Jungen keine Sekunde verlierend. Túan hatte zunächst vermutet, dass diese Gegend das bevorzugte Jagdgebiet des Raubvogels sei, doch nach einer Weile und einigen tieferen Kreisen des Vogels war er sich dessen nicht mehr so sicher. Er hatte keine Angst davor, dass der Adler ihn oder den jungen Wolf womöglich angreifen könnte, stellte er doch weder eine Gefahr für den Vogel dar, noch konnte der Adler hoffen, ihn, den fünf Mal größeren Menschen, als Beute zu schlagen.

»Ich tue dir nichts, mein gefiederter Freund. Und du tust mir nichts, nicht wahr? Warum verbringst du deine Zeit also damit, mich zu beobachten, anstelle eines saftigen Hasen?«

Als hätte ihn der Adler gehört, beendete der plötzlich seine Kreise und zog mit einem lang gezogenen Schrei aus dem Tal genau über den Wald hinweg, der Túan nun noch mehr einzuladen schien.

»Na schön, Adler. Wenn du meinst …«

Das Licht im Wald war dämmerig, so wie es in jedem Wald war. Doch dieses Licht hatte eine eigenartige Färbung, die Túan noch nie in seinem Leben je in einem Wald gesehen hatte. Er war kein Maler, geschweige denn ein Künstler, so wie sie die Römer und andere große Völker – er bezog die Bezeichnung groß tatsächlich nur auf ihren Machtbereich und nicht auf andere Vorzüge – besaßen. Aber Túan vermochte den Unterschied zu einem normalen Wald zu erkennen. Alles war trotz des verminderten Lichtes um eine Kleinigkeit schärfer, klarer, eindeutiger. Keine Halbschatten, weiche Übergänge und undefinierbare Flecken, sondern akzentuiert, betont, mit Farben, als hätte sie ein Maler extra zu diesem Zweck mit viel Mühe gemischt.

Túans Blick fiel auf seine beiden Unterarme, die von starken Muskeln und deutlich hervortretenden Adern überzogen waren. Mit plötzlicher Erkenntnis begriff er eine weitere Bedeutung der Muster, die ihm seine Mutter Rurayleigh vor scheinbar ewigen Zeiten eintätowiert hatte. Nicht nur die Symbole allein für sich enthielten eine Aussage, sondern die Anordnung folgte seinen Adern und Muskelsträngen. Zusammen bildeten sie eine Harmonie, welcher der Harmonie hier in diesem fremden Wald auf eine erschreckende Weise glich. Wie konnte seine Mutter damals das empfunden oder gewusst haben, was er hier als eine … magische Kraftquelle wahrnahm? Mit jedem Atemzug, mit jedem Herzschlag füllte sich sein Körper mit dieser Kraft, jeder Blick auf seine eigenen Zeichnungen offenbarte ihm neue Türen, hinter denen Geheimnisse lagen, die nur auf ihn zu warten schienen.

»Du fühlst es, Junge, nicht wahr?« Die Stimme klang alt, aber stark und Túan wirbelte herum, um die Quelle der Worte zu sehen. Doch als er sie fand, waren ihm selbst Worte unmöglich.

»Habe ich dich erschreckt?« Die Stimme gehörte zu einem Mann in einer ehemals weißen, nun arg verschmutzten Kutte.

»Nein«, antwortete Túan einsilbig und kämpfte innerlich gegen seine Sprachblockade.

Der alte Mann lächelte und ließ Túan Zeit, ihn genau zu betrachten. In wenigen Schritten Entfernung zu Túan – wie hatte er das nur geschafft? – stand ein uralter, grauhaariger Mann, der sich auf einen langen Stab stützte.

Túans kleiner Freund, der ihn womöglich hätte warnen können, schlief tief und fest in seiner Umhangfalte.

Der Mann musste mindestens sechseinhalb, eher schon sieben Fuß groß sein, in jedem Falle aber deutlich über dem normalen Maß eines Mannes, dachte Túan. Nur selten hatte Túan Krieger gesehen, die auch nur annähernd so groß waren wie der Alte. Im krassen Gegensatz dazu – zumindest empfand es Túan so – stand dessen Hagerkeit. Der verschlissene Mantel aus alter, weißer Schafswolle schlackerte an ihm herum wie an einer Vogelscheuche am Pfahl. Außer dem Stab schien der Alte nichts bei sich zu tragen, von einer brüchigen Kordel abgesehen, welche seine dürre Mitte umschlang. Die nur ansatzweise sichtbaren nackten Füße waren dreckig und versanken im weichen Moos des Waldbodens. Das Gesicht wurde durch zwei eisgraue Augen beherrscht, die eine unheimliche Kraft ausstrahlten, auch wenn die Haut darum – wie auch das gesamte Gesicht – wie Dutzende zerknitterte Blätter aussah. Die Nase des Alten war kerzengerade, mit kleinen, scheinbar belustigt sich bewegenden Flügeln. Seine Lippen öffneten sich nun zu einem schelmischen Grinsen, das überraschend weiße Zähne zeigte. Mit einer ruhigen Geste strich sich der Alte die Kapuze in den Nacken und braunes, von silbernen Fäden durchzogenes, schütteres Haar fiel in langen Strähnen herab.

»Mein Name ist Kennaigh …« Túan hatte den Eindruck, dass dies nicht der vollständige Name des Alten war.

»Ich bin das, was im Süden ein Weiser genannt wird.« Wieder lächelte Kennaigh verschmitzt. »Ich schlage vor, du begleitest mich zu meiner bescheidenen Behausung. Ich lade dich ein zu Speis und Trank, zu einem Ruhelager und … Frieden.«

Als wäre das sein Stichwort gewesen, schob der Wolfswelpe seine spitze Schnauze aus Túans Umhang und blickte ein wenig verschlafen auf den Alten.

Wieder hatte Túan das Gefühl, dass Kennaigh eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen.

»Mein Name ist Túan. Ich habe wirklich etwas gespürt, schon vor dem Wald. Und seit ich ihn betreten habe …«

Kennaigh lächelte und wies mit dem Stab in eine Richtung. »Das ist der Grund, warum ich mich dir gezeigt habe. Und der Grund, warum ich dich einlade, bei mir zu leben … und zu lernen … wenn du willst.«

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