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Kapitel VII Skotenpack A. D. 180, Mai

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Die Gruppe, die durch den Wald hastete, bestand aus neun kräftigen Männern. Vor rund einer Stunde hatten sie die Sicherheit des Kastells – und unmittelbar darauf auch die des Hadrianwalles – hinter sich gelassen. Nicht dass sie viel darauf gegeben hätten, denn nach ihrer Meinung bedurfte es nur einer ausreichend starken Kriegsmacht, um den Wall zumindest an einer Stelle durchbrechen zu können. Aber sie wussten, dass die Caledonier und Picten sich nicht auf die Farbe von Scheiße einigen konnten, so zerstritten waren sie. Auch sie selbst, Söldner von der skotischen Nachbarinsel, hatten kein Interesse an brüderlichen oder friedlichen Beziehungen zu ihren britannischen Vettern.

Eirik, ihr Anführer, und seine acht Begleiter waren mehr gedungene Mörder denn bezahlte Söldner. Sie alle hatten die Macht Roms erlebt und sahen ihre einzige Überlebenschance darin, sich dem Stärkeren anzuschließen. Niemand von ihnen hatte auch nur einen Tag Hunger gelitten, seit er im Dienste Roms stand. Niemand musste fürchten, einen harten Winter nicht zu überleben. Stattdessen genossen sie die Annehmlichkeiten, die eine Großmacht bieten konnte. Freien Zugang zu Waffen und Lebensmitteln, Wein und Weibern. Als Gegenleistung erfüllten sie … Aufgaben. Alle in ihrer Gruppe hatten schon viele Männer gemordet, Frauen geschändet, und auch Kinder zählten zu ihren Opfern. In beiden Belangen.

Das Allerbeste war aber, dass sie dafür auch noch bezahlt wurden. Und die Römer zahlten gut. Jeder der Skoten trug einen wohl gefüllten Beutel Goldstücke mit sich und in ihren Unterkünften im Kastell lagen der Dinge mehr, die einem skrupellosen Mann zufielen, wenn er den Willen Roms zur Zufriedenheit ausführte.

Im Augenblick war Eiriks Trupp bestrebt, den Willen Roms, was hier in Britannia hieß: den Willen Magnus Lucius’, zu erfüllen. Der Praefectus Castrorum hatte sich in seinem Befehl an Centurio Trebius Servantus sehr vage und überaus vorsichtig ausgedrückt. Doch das wussten die Skoten selbstverständlich nicht. Sie hatten ihre Anweisungen vom Centurio bekommen, einem der engsten Vertrauten des Garnisonskommandeurs. Und seine Befehle hatten nichts an Deutlichkeit vermissen lassen.

Eirik schauderte, wenn er an den kantigen Centurio dachte. Nicht wegen dessen überwältigender körperlicher Präsenz, die einfachere Gemüter schon allein aufgrund ihrer Gewaltigkeit in die Knie gezwungen hatte. Auch nicht wegen dessen sprichwörtlicher Verschlagenheit und Geschick in taktischen Fragen, sondern wegen seines Gesichtes.

Genau in der Mitte der Stirn trug der Centurio ein Muttermal in Form eines Auges. Die Götter schienen sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, dem ungewöhnlichen Mal im Zentrum auch noch eine beinahe kreisförmige und haarige Erhebung hinzuzufügen, was den Eindruck eines dritten Auges fast perfekt machte. Und dieses dritte Auge war es, das Eirik jedes Mal, wenn er es sah, Schauder über die Haut schickte.

In seiner skotischen Heimat gab es viele Legenden und Schauermärchen. Und als Krieger verhöhnte er all jene, die auch nur ein Wort davon glaubten. Doch die Geschichte, die ihm im Kindesalter von einer alten Vettel bei flackerndem Feuerschein erzählt worden war, hatte ihn damals viele Monde lang schweißgebadet aus Albträumen hochfahren lassen. Ein Mann, so hatte sie mit zittriger Stimme erzählt, so stark und gewaltig, dass andere allein bei seinem Anblick das Fürchten bekämen, wäre sein, Eiriks, Tod. Doch nicht durch Kampf mit ihm solle Eirik sterben, sondern durch die Worte, die dieser Mann an ihn richten würde.

Eiriks Entgegnung, dass es bei den Skoten, den Caledoniern, ja selbst bei den Römern viele Männer geben dürfte, auf die diese Beschreibung passte, veranlasste die Alte, ihm für lange Minuten wortlos in die Augen zu blicken.

Er selbst und alle seine Freunde, die mit ihm der Vettel zugehört hatten, konnten während dieser Zeit kein Wort des Unglaubens von sich geben. In Stille gebannt, hatten sie Eirik und die Alte beobachtet und beinahe körperlich den Blick gespürt, der die beiden miteinander verband. Endlich, nach langen Minuten des Starrens, hatte die Alte geblinzelt und sich noch näher zu ihm herunter gebeugt. Noch heute stieg ihm der unangenehme Geruch ihres Atems – eine Mischung aus Met und Zwiebeln – hoch, wenn er an die Szene dachte.

»Achte auf einen Mann mit drei Augen, Eirik«, hatte sie geflüstert, sodass nur er es hören konnte.

Damals hatte er befreit aufgelacht. Denn von einem Menschen mit drei Augen hatte er noch nie in seinem Leben gehört. Götter, Dämonen und andere mystische Wesen, da gab es schon den einen oder anderen. Aber ein Mensch?

Und als er dann, nach vielen Jahren des Kampfes, schließlich dem Römer Centurio Trebius Servantus gegenüberstand und dessen Gesicht erblickte, ging er in die Knie. Vor seinen damaligen Begleitern – und dem Centurio – erklärte er, dass er freiwillig sein Knie gebeugt hätte, als Zeichen seines Respekts vor den Muskelbergen des Römers.

Oft hatte Eirik überlegt, den Römer einfach bei passender Gelegenheit zu töten. Doch die alte Vettel hatte gesagt, dass er durch dessen Worte den Tod fand. Und das ging über Eiriks Verstand. Wie kann ein Wort töten? Also verlegte er sich darauf, genau hinzuhören, wenn Trebius Servantus etwas zu ihm sagte.

Die unmittelbare Folge davon war, dass er aus dem wilden Haufen der Skoten aus Sicht der Römer herausragte und rasch zu deren Anführer wurde. Doch immer hing eine Spannung zwischen dem Centurio und dem Skoten in der Luft, wenn sie zusammentrafen. Und beide fühlten diese Spannung. Beide lauerten auf verräterische Worte oder Bewegungen. Und ebenfalls hatten beide immer wie zufällig eine Hand in der Nähe eines Schwertgriffes.

Der Skote schüttelte die Erinnerung ab und konzentrierte sich auf die Gegenwart.

Auf ein stummes Zeichen Eiriks mit der Faust hielten sie an und schnauften verhalten. Alles an ihnen drückte Gewalt aus und das war auch so beabsichtigt. Narben und alte Verwundungen wurden nicht durch Kleidung oder Gürtel verdeckt, sondern sollten jeden Gegner von der ständigen Kampfbereitschaft der Männer überzeugen. Die Waffen, die sie trugen, waren an den Schneiden blitzblank und bestialisch scharf geschliffen. Die Griffe und Stiele jedoch zeigten überdeutliche Gebrauchsspuren und makabre Markierungen, welche die Anzahl der damit Getöteten dokumentierten. Und keine einzige Kerbe war geprahlt. Die Hälfte der Truppe hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, diese Vertiefungen mit dem Blut der Opfer zu verzieren, andere trugen abgeschnittene Ohren an einer Schnur um den Hals. Einer hatte sich auf Zungen in gleicher Weise verlegt. Und Eiriks Körperschmuck bestand aus einem dichten Gürtel aus abgeschnittenen Penissen. Er machte sich sogar die Mühe, sie in Salz auszutrocknen, bevor er sie seinem Gürtel zufügte.

Zwischen Lederstücken, ein wenig Fell hier und da, zierten kohleschwarze Streifen und Ornamente ihre Haut. Sie wollten sich auch durch die Farbe ihrer Bemalung von den blauen Picten unterscheiden. Alle neun hatten sich ein drei Finger breites Band aus schwarzer Farbe auf Augenhöhe ins Gesicht gemalt. Das Weiß der Augen kontrastierte effektvoll mit dem finsteren Band und den eingebetteten Pupillen.

Mit gelassener Ruhe blieb Eirik nahe den letzten Bäumen des Waldstückes stehen, durch das sie gerade gekommen waren. Dahinter lag ein weites, längliches Tal und wiederum dahinter erhoben sich die nächsten bewaldeten Bergketten. Tausend tanzende Geister hoben sich als Nebelschwaden faserig aus den Bäumen. Wie ausgemergelte, mehrfach gebrochene Finger, die sich langsam dem Himmel entgegenreckten und ihn nie erreichen würden, da die aufgehende Sonne sie vorher auflösen würde.

Cullum, Eiriks bester Krieger, trat zu ihm und hob eine Hand zum gegenüberliegenden Wald. Sein ausgestreckter Finger schien einen der Nebelfinger aufzuspießen. Diese graue Säule stieg zu kompakt und gerade nach oben. Ihr fehlte die Zufälligkeit und die Männer erkannten dies augenblicklich.

»Das ist kein Nebel«, sagte Cullum überflüssigerweise.

Eirik nickte nur und spreizte die Finger einer Hand auseinander. Ohne ein Wort verteilten sich alle in einer weit gezogenen Linie, blieben aber an der Grenze zum freien Tal stehen.

Für einige Minuten standen sie still und beobachteten die Nebelfinger. Tatsächlich verhielt sich einer der grauen Schleier ungewöhnlich; er strebte kerzengerade nach oben. Anstatt sich aufzufasern und zu verschwinden, stieg er stetig auf. Auch seine Farbe war ein wenig schmutziger als die grauweißen Fahnen des Morgennebels.

Eirik hob beide Arme und spreizte jeweils drei Finger ab. Sofort folgten sechs seiner Männer dem Befehl und huschten in losen Dreiergruppen in das Tal hinein. Nur wenige Büsche und vereinzelte Felsbrocken dienten ihnen als Deckung. Aber diese nutzten sie konsequent und näherten sich rasch der Mitte des Tales, das von einem breiteren Bach, fast schon einem Flüsschen, durchzogen wurde, dessen eiskaltes Wasser munter plätschernd das Gefälle hinuntersprang.

In diesem Augenblick riss die Fahne des Lagerfeuers abrupt ab, denn nichts anderes konnte der ungewöhnliche Rauch gewesen sein.

»Man hat uns gesehen«, murmelte Cullum seinem Anführer zu und beobachtete, wie seine sechs Kameraden dies ebenfalls registriert und sich sofort in die kleinste Deckung geworfen hatten, die sie finden konnten.

»Vielleicht … vielleicht auch nicht«, antwortete Eirik und wie zu seiner Bestätigung trat eine Frau am gegenüberliegenden Waldrand zwischen den Bäumen hervor und schritt den Hang zum Bach hinab. Sie trug einen braunen langen Einteiler, der um ihre Hüften mit einem Seil zusammengebunden war. Ihr Haar hatte die gleiche Bräune wie der grobe Stoff. Der tönerne Krug, den sie trug, war nur um eine Schattierung dunkler. Ihre Schritte waren kräftig und zielstrebig. Zwar blickte sie sich um, aber jede ihrer Bewegungen drückte Sorglosigkeit aus. Ihr Weg war ein schmaler Pfad und erst jetzt fiel Eirik die dünne Spur niedergetretenen Grases auf, die vom jenseitigen Waldrand geradewegs zum Bach hinunter verlief.

Nur noch wenige Schritte trennten die Frau von dem hinter einem Grasbüschel liegenden Skoten. Sie bemerkte ihn erst, als dieser sich bewegte und mit drei, vier schnellen Schritten bei ihr war und sie brutal am Haar packte. Sie schrie vor Schmerz und Schrecken auf, der Krug fiel zu Boden und zerbrach in mehrere Stücke. Das Lachen des Skoten, der sie am Haar zerrte, hallte durch das Tal.

»Dieser Idiot«, sagte Eirik nur und rannte mit Cullum und dem dritten Skoten im Wald ebenfalls ins Freie und auf den Bach zu. Sie hatten das wild raufende Paar noch längst nicht erreicht, als aus Richtung der Rauchsäule ein Mann mit zwei älteren Jungen, fast schon Männern, aus dem Wald herausstürzte. Alle drei hielten einfache Jagdspeere in den Händen und brüllten aus vollen Kehlen.

Die drei hatten bisher nur den Skoten bemerkt, der die Frau – allem Anschein nach das Eheweib und Mutter der Speerträger – drangsalierte und nun versuchte, ihr den Stoff vom Leib zu reißen. Er war scheinbar so damit beschäftigt, dass er das Gebrüll in seinem Rücken entweder überhörte oder einfach ignorierte. Vielleicht verließ er sich auch auf seine Gefährten. Erst als ihn die drei Jäger fast erreicht hatten, stieß er die Frau in einem Bogen von sich und zog blitzschnell sein Schwert. Beide Bewegungen gingen fließend ineinander über und mit einem hässlichen Grinsen wandte er sich den Gegnern zu.

»Graigh ist doch kein Idiot. Er weiß, dass die Frau zuerst mir gehört«, grinste Eirik und verfiel in eine langsamere Gangart. Cullum und der andere Skote taten es ihm gleich. Ruhig schritten sie den Hang hinab, langsam ihre Schwerter und Messer ziehend. Nachdem das Angstgeschrei der Frau in ein Weinen gewechselt war und die Jäger ihr Gebrüll einstellten, da sie sich nun vier statt einem Gegner gegenübersahen, klang das Ziehen der Klingen in der morgendlichen Stille unnatürlich laut.

Cullum zog eine zweite Klinge und ließ beide Schneiden provozierend langsam aneinander entlang schleifen. Man sah es den Jägern förmlich an, wie ihnen eisige Schauder den Rücken hinunterliefen und sie sich gegenseitig in die Augen sahen. Es war ihnen klar, dass sie gegen vier professionelle Kämpfer keine Chance haben würden. Der ältere Mann rief seiner am Boden liegenden Frau irgendein Wort zu und sie griff sich eine der Tonscherben am Boden. Gleichzeitig bildeten er und seine Söhne einen engen Kreis um Graigh, der sich mit halb gebeugten Knien in Kampfstellung auf der Stelle drehte.

Eirik und seine beiden Begleiter blieben stehen und auch die immer noch in Deckung liegenden restlichen Skoten rührten sich nicht.

»Das wird interessant«, grinste Cullum und senkte beide Arme mit den Klingen.

»Du magst Graigh nicht«, sagte Eirik, ließ aber die Jäger und seinen Kämpfer nicht aus den Augen.

»Du hast Recht, er ist ein Arschloch. Nie weiß er, wann er seinen Verstand benutzen sollte anstelle seines Schwanzes.«

»Du glaubst, Graigh hat Verstand?« Eirik lachte hart, doch plötzlich rief der Jäger seinem Weib wieder ein kurzes Wort zu und dann ging alles blitzschnell.

Die Frau schleuderte die Tonscherbe mit aller Kraft und einer Zielgenauigkeit, welche die Skoten, Graigh allen voran, völlig überraschte. Die Scherbe traf ihn am Kopf und schnitt die Haut von der linken Augenbraue bis zum Haaransatz der Stirn auf. Blut strömte sofort hervor und blendete Graigh für einen Augenblick. Bevor er auch nur eine Hand erheben konnte, um das Blut wegzuwischen, traten alle drei Jäger im gleichen Augenblick auf ihn zu und rammten ihm die Speere in den Leib. Sie schrien dabei wild und behielten die Klingen in dessen Körper, ja sie machten noch einen weiteren Schritt auf den Aufgespießten zu, sodass die Spitzen ihrer Speere den Skoten durchdrangen und auf der anderen Seite wieder austraten. Sie brüllten immer noch, als sie mit einem Ruck die Schäfte drehten und dann aus dem Gegner herausrissen. Graigh knickte wie ein halb leerer Sack Kartoffeln haltlos in sich zusammen und blieb mit zuckenden Gliedern am Boden liegen.

Dies war das Signal für den Rest der Skotengruppe. Sie erhoben sich aus der Deckung und stürmten von allen Seiten auf die Jäger zu. Deren nur für Sekunden aufblitzender Triumph wandelte sich in blankes Entsetzen, als sie nun acht schwarz gestreifte Mörder auf sich zukommen sahen. Der Mann zerrte die Frau in ihre Mitte und die drei Speerträger bildeten einen kleinen Ring um sie, doch der Kampf währte nur kurz.

Innerhalb einer Minute waren die Speere unter der Wucht der erprobten Kämpfer zersplittert, die beiden jungen Männer fanden einen gnädigen, weil raschen Tod. Nur der Ehemann stand noch eine halbe Minute länger mit gespreizten Beinen über seiner am Boden liegenden Frau, sein Blut tropfte aus einem Armstumpf auf sie herab. Seine verbliebene Linke hielt sinnlos den klingenlosen Schaft seines Speeres und in seinen Augen mischte sich körperlicher Schmerz mit der Pein der Gewissheit, was nach seinem Tod mit seiner Frau geschehen würde.

Sein letzter Blick fiel nicht in ihre Augen, sondern auf das kurze Messer, das noch in seinem alten Gurt steckte, dann schnitt ein Axthieb durch seinen Hals und sein abgetrennter Kopf flog in hohem Bogen ins Gras.

Bevor die Frau das Messer aus dem Gürtel ziehen konnte, traf sie der harte Fußtritt Cullums, der den Blick ihres Mannes ebenfalls gesehen hatte und sofort verstand, was sie vorgehabt hatte.

»Keine Chance, Weib. Wir brauchen dich noch.« Mit einem weiteren Fußtritt schleuderte er das Messer in unerreichbare Distanz und packte sie dann am Genick. Mit erbarmungsloser Härte riss er sie auf die Beine und stieß sie Eirik entgegen.

Das erneut entfachte Lagerfeuer der toten Jäger wärmte nun die Skoten, die sich an der Beute ihrer Opfer gütlich taten. Ein Rehkitz hatten sie schon verspeist, ein größerer Bock würde ihrer aller Hunger stillen.

Die Frau saß mit geschundenen Gliedern, mehrfach vergewaltigt und mehr bewusstlos als schlafend an einen Baum gebunden in der Nähe. Ihr Kopf hing nach vorn, ihr wirres Haar bildete einen gnädigen Vorhang vor dem geschwollenen Gesicht, das übersät war von dunkelroten und bläulich schimmernden Flecken und Bissspuren an Wange und Hals. Ihr braunes Kleid lag zerrissen abseits und kündete von der Qual, die sie anfangs mit zähem Widerstand bekämpft, nach harten Schlägen aber rasch mit erschöpfter Teilnahmslosigkeit erlitten hatte.

Cullum hatte zwei der Männer beauftragt, die Leiche Graighs verschwinden zu lassen. Sie hatten ihn hastig in einem Erdloch verscharrt, um die Frau noch bei Bewusstsein für sich in Anspruch nehmen zu können. Doch Eirik allein hatte sie schon mehrfach mit aller Brutalität genommen, sodass der Rest der Truppe mehr eine halb tote Puppe, als eine Frau zu seinem Vergnügen bekam.

Nun saßen und lagen alle träge um das Feuer herum und nagten an den letzten inneren Fleischstücken des Bockes, die mehr roh als gebraten waren. Achtlos warf ein Mann seinen Knochen ins Feuer und das Fett zischte in der Glut. Funken stoben auf und gesellten sich zu den Glühwürmchen, die allenthalben durch die Büsche und Bäume flogen.

»Hey, du Schwachkopf, lass das bleiben! Ich will, dass vor Einbruch der Nacht das Feuer gelöscht wird«, sagte Cullum und Eirik beobachtete genau das Verhalten der Männer.

»Aber es wird kalt werden«, klagte der gleiche Mann.

»Dann wird es eben kalt. Besser in der Nacht ein wenig frösteln, als am Morgen als kalte Leiche zu erwachen.« Cullum musste gegen seine Absicht selbst über seinen Scherz lachen und der Haufen Männer fiel in das Lachen ein. Auch Eirik lachte kurz, brach dann aber abrupt ab.

»Löscht das Feuer mit Erdreich. Und achtet darauf, dass kein Blattwerk dazwischen kommt. Wir wollen doch nicht den gleichen Fehler wie dieses dumme Jägerpack machen, nicht wahr?«

Wieder lachten die anderen und befolgten den Befehl ihres Anführers, der sich langsam erhob und zu der Frau hinüberlief. Mit den Fußspitzen stieß er ihr in die Seite, aber sie reagierte nicht. Er wiederholte seinen Weckversuch und trat fester zu. Die Frau stöhnte und wäre zur Seite gefallen, hätten die Stricke sie nicht gehalten.

»Wasser«, kam es leise und brüchig zwischen ihren aufgeplatzten Lippen hervor.

»Das ist eine gute Idee, Frau.« Eirik drehte sich herum und deutete auf den Mann, der sich über die kommende Nachtkälte beschwert hatte. »Du, geh zum Bach und hol Wasser!«

Der Angesprochene griff sich einen leeren Lederschlauch und stapfte wortlos davon. Nach wenigen Minuten kam er mit prall gefülltem Schlauch zurück und wollte der Frau davon zu trinken geben.

»Lass das!« Schon wieder hörte er diese Worte und ratlos blickte er zu seinem Anführer. »Wasch die Schlampe!«, befahl Eirik und der Mann grinste verstehend.

Er schüttete sich Wasser in eine Handschale und schmierte damit auf der Haut der Frau herum. Als er nach der zweiten oder dritten Ladung Wasser nur mehr fummelte als wusch, traf ihn ein Fußtritt Eiriks und beförderte ihn ins Moos.

Ohne lange zu zögern, schnitt Eirik die Frau vom Stamm und schubste sie bäuchlings über einen großen, bemoosten Stein, auf dem er bei seiner Mahlzeit gesessen hatte. Unter dem Beifall seiner Männer schob er seinen Lederschurz beiseite und drang von hinten in die Frau ein. Jeden seiner Stöße begleiteten die Männer mit rhythmischem Klatschen und je schneller er ackerte, desto schneller wurde ihr Beifall und Gegröle.

Die Dämmerung senkte sich langsam über die Gruppe am Lagerfeuer und mit einem Mal waren alle Glühwürmchen verschwunden. Doch keinem der Skoten fiel dies auf. Warum auch? Sie hatten Besseres zu tun und ihre Begeisterung für die Schandtat steigerte sich, als Eirik mit der Frau fertig war und er den nächsten Mann herbeiwinkte.

Cullum beobachtete, wie sein Anführer sich gerade zum Bach aufmachen wollte, um sich zu waschen, als von einer Sekunde zur anderen das Gejohle der Männer erstarb. Misstrauisch drehte er sich herum und sah einen seiner Nachfolger immer noch in gleicher Stellung wie er zuvor in der Frau stecken. Doch mitten aus dessen Brust ragte ein kurzer Wurfspieß hervor und sein neuer Besitzer senkte ungläubig den Kopf, um das Ende des Schaftes zu betrachten. Noch bevor er langsam rückwärts umfiel, hatte Cullum begriffen und sich seine Waffen geschnappt.

Geistesgegenwärtig traten Eirik und ein anderer Mann das ohnehin schwache Feuer aus und schoben hastig Erdreich darüber. Selbst das spärliche Licht der Glut sollte nicht dazu dienen, sie ein leichtes Ziel abgeben zu lassen. Eirik drückte sich rasch zwei Schritte beiseite, sodass ihm ein dicker Stamm als Rückendeckung und ein Mann vor ihm – ohne dass dieser es bemerkte – als Schutzschild nach vorne diente. Cullum verzog anerkennend und gleichzeitig verächtlich den Mund.

Aber mich benutzt du nicht als Deckung.

Die anderen verlegten sich darauf, in Bewegung zu bleiben, wobei sie angestrengt in die Dämmerung blickten. Erst danach registrierten sie in der plötzlichen Stille die absolute Ruhe des Waldes. Cullum sah von einem seiner Kameraden zum anderen und konnte trotz des schlechten Lichtes erkennen, dass sie nicht wussten, wo der oder die Gegner sein könnten. Auch er spitzte die Ohren, doch kein Blatt rauschte, kein Vogel zwitscherte, nicht der geringste Windhauch flüsterte.

In unbestimmter Entfernung hörten sie plötzlich ein kurzes, trockenes Schnalzen und Cullum wollte gerade etwas sagen, als der Mann neben ihm ein ersticktes Gurgeln von sich gab. Ein gefiederter Pfeil steckte in seinem linken Auge und war am hinteren Schädel wieder herausgedrungen. Blut und Hirnmasse hingen an der Pfeilspitze und tropften langsam auf den Waldboden. Cullum sah mit Entsetzen, wie sich ein zweiter Tropfen bildete. Doch bevor auch dieser ins Moos fallen konnte, knickten dem Mann die Füße weg und er brach endlich zusammen.

Ohne auf ihren toten Kameraden zu achten, wechselten die anderen eilig ihre Positionen und versuchten den Ausgangspunkt des Schusses zu finden. Doch ihre eigenen Schritte überdeckten die leisen Bewegungen des Schützen.

Einem erneuten, dieses Mal näherem Schnalzen folgte der Aufschrei eines weiteren Mannes, dem ein Pfeil in die linke Schulter gefahren war, und der nun versuchte, diesen abzubrechen. Das war ein Fehler, denn er blieb dabei stehen und ein zweiter Pfeil, nur wenige Zentimeter neben dem ersten, bohrte sich mitten in sein Herz.

Jetzt erst besannen sich die Skoten auf ihre Kriegskunst und warfen sich zu Boden, hinter Büsche oder umgestürzte Stämme in Deckung.

»Was meinst du, Eirik, wie viele sind es?«, keuchte Cullum zwischen wütend verzogenen Lippen hervor und verfluchte die zunehmende Dunkelheit. Er hatte noch nie Gefallen am Zwielicht gefunden. Eine schwarze Nacht war ihm immer lieber gewesen als ein heller Tag. Konnte er doch die Nacht als Schutz für seine Vorlieben und Tätigkeiten besser nutzen als gelben Sonnenschein. Cullum ahnte, dass dieses Mal die Nacht womöglich nicht sein Freund sein würde. Ihre Gegner hatten bereits drei seiner Kameraden getötet und sie wussten noch nicht einmal, wie viele es waren, geschweige denn, wo diese sich befanden. Wie zur Bestätigung wurde einer der am Boden liegenden Männer von einem langen Speer mitten ins Rückgrat getroffen und blieb tot liegen.

Nummer vier!

»Aarrrh!«, schrie Eirik in die Düsternis des Waldes. »Du feiger Hund, komm heraus und kämpfe mit mir!«

Zu ihrer Überraschung erschall eine tiefe Stimme und Cullum erschrak darüber, wie nahe sie ihnen sein musste. »Du nennst mich einen Feigling? Vergewaltiger einer wehrlosen Frau.«

Cullum, Eirik und die beiden letzten verbliebenen Skoten suchten die Stelle, aus der die Stimme zu kommen schien, doch nur wenige Wimpernschläge später kam ein Pfeil aus einer anderen Richtung und blieb eine Handbreit vor einem Mann zitternd in einem Baumstamm stecken. Mit vor Schreck geweiteten Augen warf dieser sich nieder.

»Ein Waldgeist! Ein Dämon!«, rief er und nestelte an seinem Gürtel herum. Sein zweites Langmesser hatte sich verfangen und wollte einfach nicht in seine Hand.

»Blödsinn! Das ist ein Mensch. Steh auf und kämpfe, du Feigling!«, sagte sein Kamerad und bückte sich zu ihm hinunter. Als er sich wieder aufrichtete, sah Cullum zwischen zwei Bäumen eine Gestalt stehen, mit aufgezogenem Pfeil in einem überlangen Bogen. Noch bevor er einen Warnruf ausstoßen konnte, traf der Pfeil den Mann mitten in die Stirn und er brach über seinem zitternden Kumpan zusammen.

»Da waren es ihrer nur noch drei!«, erklang die dunkle Stimme, die längst nicht mehr zwischen den beiden Stämmen erklang, von wo aus ihr Besitzer geschossen hatte.

Mit einem Mal sprang der Zitternde auf die Beine und rannte aus dem Wald in Richtung Bach davon, alle seine Waffen liegen lassend, bis auf das Messer, das er vergeblich hatte ziehen wollen.

Cullum sah Eirik in die Augen und im gleichen Augenblick entdeckte er den Bogenschützen hinter seinem Anführer, der aus dem Dunkel des Waldes trat. Der Bogenschütze war nicht im Entferntesten das, was er erwartet hatte.

Kein Picte, kein Caledonier oder Epidier, dachte er und lag dabei falsch. Aber in der Dunkelheit konnte er auch die Runen auf der Haut des Mannes nicht erkennen. In der Sekunde, als er den ersten kurzen Wurfspieß in der Brust seines Kampfgenossen gesehen hatte, hatte er sogar an Verrat und römische Soldaten gedacht. Doch das hier war völlig unerwartet.

Der Bogenschütze war ein Druide.

Doch Druiden kämpfen nicht. Sie sind Weise, Heiler und Priester, dachte er verwirrt.

Aber der Druide, der nun auf die beiden letzten Skoten mit festem Schritt zukam, war eindeutig ein Kämpfer. Er ließ gerade achtlos seinen Bogen fallen und Cullum bemerkte, dass sein Köcher auf dem Rücken leer schien und er nun deswegen seinen weißen Umhang beiseiteschob und gleichzeitig zwei römische Kurzschwerter zog. Alleine, wie der Druide die Schwerter leicht schräg von sich hielt, verriet den geübten Schwertkämpfer.

Cullum sah, dass Eirik scheinbar immer noch wie erstarrt ihrem Gegner den Rücken zukehrte.

Du bist wirklich ein eiskalter Hund, dachte Cullum und bewunderte die Kaltblütigkeit, mit der sein Anführer den Tod seiner Krieger mit Nichtbeachtung strafte und sich nur darauf zu konzentrieren schien, seine eigenen Chancen zu verbessern.

Aber wie konntest du wissen, dass unser Feind weder weitere Speere noch Pfeile hat? Vielleicht hättest du dich auch blitzschnell geduckt, wenn deine Ohren das Spannen des Bogens vernommen hätten und der dir zugedachte Pfeil mich getroffen hätte.

Er beobachtete, wie Eiriks Hände sich um den Stiel seiner Streitaxt krümmten, die er vor seinem Körper verbarg, und nur darauf wartete, dass ihr Feind in seine Reichweite kam.

Cullum überlegte kurz und traf eine Entscheidung.

Anstatt Eirik bessere Chancen im Kampf zu verschaffen, hielt er die Idee, seinen Anführer als Garantie für den eigenen Rückzug, für sein eigenes Überleben zu benutzen, für Erfolg versprechender. Den Unglauben in Eiriks Augen nahm er als letzten Eindruck mit in die nun endgültig hereingebrochene Nacht, als er herumwirbelte und mit wenigen Sprüngen in der Finsternis verschwand.

»Mistkerl!«, rief Eirik dem fliehenden Cullum nach und warf sich gleichzeitig dabei herum. Der Druide dagegen stand völlig ruhig in kurzer Entfernung und schien den Schritten Cullums nachzulauschen. Sicher rechnete er damit, dass der ihn womöglich im Wald umrunden und aus der Finsternis angreifen könnte. Doch beide hörten sie, wie sich die Sprünge Cullums rasch in einer Richtung entfernten.

»So bist du nun allein, Vergewaltiger!«, hörte Eirik den Druiden gelassen sagen und konnte dessen tiefe Verachtung in der Stimme erkennen. »Acht Krieger gegen einen einfachen Jäger, seine Frau und seine beiden Söhne.«

Er verriet damit, dass er die Leichen gefunden hatte und erst in der Dämmerung auf sie gestoßen war, und die Morde und zumindest den Anfang der Vergewaltigungen nicht mitbekommen haben konnte.

»Wer bist du, Druide? Sag mir deinen Namen!«

Beide standen etwa fünf Schritte voneinander entfernt und jeder behielt die Waffen des anderen im Blick und ließ sich weder durch Worte noch durch die Augen seines Gegners davon ablenken.

»Warum sollte ich dir meinen Namen verraten? Ich bin kein berühmter Mann, also was kümmert es dich? Auf deinem Weg in den Abgrund des Schattenreiches benötigst du diese Information nicht. Du glaubst doch an den Orcus, den Herrn der Unterwelt, oder? Römersklave!«

Das letzte Wort spuckte er förmlich heraus. Eirik war nun völlig verwirrt. Sein Gegner benutzte römische Schwerter, sprach selbst Latein und beschimpfte ihn im gleichen Augenblick als Römersklave. Vielleicht war er doch ein Picte?

»Du besitzt römische Schwerter … im Grunde zeigst du damit, dass dir bewusst ist, dass das römische Imperium deinen tätowierten und bemalten Halbaffen hundertfach überlegen ist.«

Die grenzenlose Wut, die nun aus den Worten des Druiden klang, machte Eirik klar, dass hinter diesem Mann weit mehr steckte als Heilkunst und priesterliche Tätigkeiten.

»Nein, es zeigt einfach, dass mir jedes Mittel recht ist, Abschaum wie dich ins Jenseits zu befördern.«

Beim letzten Wort schritt der Druide entschlossen auf Eirik zu und stach blitzschnell mit einer Schwertspitze in Richtung Eiriks Herz. Mit dem zweiten machte er einen fürchterlichen Hieb, den Eirik nur mit beidhändig geführter Axt abblocken konnte. Somit war es dem Skoten nicht möglich zu verhindern, dass ihm das erste Schwert einen tiefen Stich in den linken Oberarm versetzte. Es schmerzte und Eirik fluchte, aber die Wunde war nicht lebensbedrohlich. Leider konnte er damit die Axt nur noch mit einer Hand führen.

Eirik hatte keine Zeit mehr, die schwere Streitaxt gegen ein leichteres Schwert zu tauschen. Denn noch bevor er die Axt zu einem eigenen Schlag erheben konnte, fuhr ihm das rechts geführte Schwert des Druiden von unten in die Gedärme. Eirik brüllte auf und der Stahl in seinem Leib schickte eine Flutwelle von Schmerz durch seinen Körper. Ohne auch nur im Streich innezuhalten, drehte der Druide das Schwert im Bauch und Eirik fühlte, wie jede Faser seines Körpers lichterloh vor Pein aufflammte und beinahe sein Herz zum Stillstand gebracht hätte. Dann stieß der Druide den linken Schwertknauf mit aller Wucht gegen seine kraftlose Hand. Die Axt entfiel ihm und als wäre sie sein letzter Halt gewesen, den er nun verloren hatte, stürzte Eirik zu Boden. Seine flatternden Hände versuchten die Därme am Herausgleiten aus der tiefen Wunde zu hindern und konnten die Flut doch nicht bändigen.

»Du bist zwar kein Römer«, drang die Stimme des Druiden nah an seine Ohren, »aber einer ihrer Speichellecker.«

Sein Gegner musste ganz dicht bei ihm sein, aber Eiriks Augen konnten immer nur seine Därme betrachten, die aus ihm herausquollen.

»Du bist eine Schande für dein Volk«, fuhr die Stimme gnadenlos fort und Eirik fühlte plötzlich keinen Schmerz mehr, sondern nur noch Dunkelheit, die auf ihn hereinstürzte. Seine Hände rutschten auf der nassen Masse aus Blut, Darm und dessen stinkendem Inhalt ab und patschten auf den Boden. Eirik machte einen schwachen Atemzug. Die letzten Worte, die er vernahm und die sein Verstand noch verarbeiten konnte, waren von Enttäuschung und Verachtung gefärbt.

»Und deine britannischen Vettern sind im Grunde meine Brüder. Du jedoch bist nichts als dreckiges Skotenpack!«

Die Frau erwachte schreiend und mit zuckenden Gliedern. Kein Seil, keine Fessel hinderte sie daran sich aufzuführen wie eine Furie. Mehr als eine Minute wehrte sie unsichtbare Gegner ab, bis ihr gequälter Verstand endlich registrierte, dass sie gegen Geister kämpfte. Ihre fahrigen Bewegungen verlangsamten sich und ihre Hände näherten sich dem wirren Vorhang aus zerzausten Haaren. Zögernd steckte sie die Finger in die Strähnen und schob sie so langsam auseinander, als würden sie in zähem Schleim stecken. Nicht weit von ihren Füßen entfernt stand eine Schale mit Wasser, zu der sie augenblicklich stürzte und in gierigen Schlucken das Nass trank. Sie verschüttete in ihrer Hast mehr, als ihre trockene Kehle erreichen konnte, aber sie hielt nicht inne, bis die letzten Tropfen entweder verloren oder von ihr aufgeleckt waren. Ruhiger werdend ließ sie die Schale ins Moos sinken und begann stumm zu weinen. So saß sie eine lange Weile halb zusammengesunken da und gab sich ihrer Trauer hin. Als sie keine Tränen mehr zu vergießen hatte, hob sie den Kopf und blinzelte durch das verfilzte Haar.

Zwischen geschwollenen Augenwülsten sah sie einige Meter weiter eine Gestalt an einem Lagerfeuer sitzen, dessen leises Knistern sie erst jetzt bewusst wahrnahm. Noch bevor sie erschrocken davonstürzen konnte, hörte sie eine tiefe, aber beruhigende Stimme sagen: »Hab keine Angst vor mir, Weib. Ich habe deine Peiniger alle getötet.«

Die Gestalt rührte sich dabei keinen Fingerbreit und zögerte einige Lidschläge lang, als schien sie zu überlegen, ob sie sagen konnte, was ihr noch auf dem Herzen lag. »Nein, das ist nicht ganz richtig. Einer zog es vor, sich der gerechten Strafe durch Flucht zu entziehen.«

Noch immer bewegte sich der Mann nicht.

Die Frau richtete den Oberkörper ein wenig auf, blieb jedoch sitzen und ihre Finger schoben nun endgültig die Haare vor den Augen beiseite. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte sie noch mehr in Verwirrung. Anstelle eines Kriegers saß da ein scheinbar sehr großer Mann, in eine verschmutzte Kutte gehüllt. Die Kapuze verdeckte den Kopf und von seinem Gesicht waren nur die Spitze der Nase und das Kinn zu sehen. Als er mit einem langen Ast im Feuer herumstocherte, die Glut ein wenig heller aufloderte und das Feuer neuen Sauerstoff erhielt, offenbarte der gelbrote Schein einen kräftigen Arm, der mit allerlei Zeichen geschmückt war.

Mit erstaunlich fester Stimme sprach die Frau und ignorierte dabei ihre aufgeplatzten Lippen.

»Ich danke dir … Druide.« Für zwei, drei kurze Wimpernschläge wartete sie darauf, ob er ihr widersprach. »Ich habe dir mein Leben zu verdanken.«

Wieder hielt sie inne, aber er sagte nichts und bewegte sich auch nicht. Stumm starrte er ins Feuer.

»Wie kommt es, dass du in der Lage warst, ganz allein die Skoten zu besiegen?«

Er schien über ihre Frage nachzudenken, und es verging eine ganze Weile, in der sie sich fragte, ob er ihre Frage verstanden oder überhaupt gehört hatte, so angestrengt verharrte sein Blick auf dem Feuer. Gerade, als sie ihn erneut ansprechen wollte, bewegte er sich und stocherte wieder mit dem Ast in der Glut. Schließlich legte er ihn beiseite und warf einige kleinere Äste in das beinahe heruntergebrannte Feuer. Als er damit fertig war, hob er beide Hände und streifte die Kapuze in den Nacken. Sein Kopf wandte sich ihrem zu.

Ihre anfängliche Verwirrung war der Neugier gewichen und den Schmerz um den Verlust ihrer Familie drängte sie vorerst in den Hintergrund. Die Zeit des Trauerns würde noch kommen. Jetzt aber nahmen sie die Augen des Druiden so gefangen, schlugen sie in einen Bann, der weder Zwang, noch Bedrohung oder Gefahr ausdrückte, sondern etwas völlig Unerwartetes.

Zorn, unendlicher Zorn.

Das Feuer in seinen Augen schlug die echten Flammen des neue Nahrung verzehrenden Lagerfeuers um Längen. Das, was da in diesen beiden Augen loderte, war eine Kraft, die alles verschlingen konnte, was sich ihr in den Weg stellte. Gleichzeitig erkannte sie, dass der Zorn nicht ihr galt.

Die Frau brauchte keine Erklärung von ihm, wie er es geschafft hatte, acht Männer zu vernichten und in die Flucht zu schlagen.

Plötzlich war sie sich ihrer Nacktheit bewusst und schlug im Reflex die Arme vor ihre von Flecken übersäten Brüste. Doch kaum hatte sie dies getan, ließ sie die Hände wieder sinken und trat aus der Dunkelheit näher an das Feuer heran. Im Lichtschein erkannte sie, dass ihr Körper gewaschen worden war. Auf Kratzern und kleinen Schnittwunden klebte eine hellgrüne Paste. Die Stellen, welche bunte Flecken zierten, waren hauchdünn mit der gleichen Paste bestrichen worden. Ihre Finger tasteten zaghaft in ihr Gesicht und fühlten auf den geschwollenen Lidern und an einer Stelle auf der Stirn gleichermaßen die trocken gewordene Kruste der Paste. Sie setzte sich am Feuer nieder.

»Die Heilpaste wird abfallen und die Wunden darunter geschlossen sein. Die Schwellungen dürften schon morgen soweit abgenommen haben, dass du wieder ungehindert sehen kannst. Die Blutergüsse werden noch eine Weile deinen Körper zieren. Auf dein Kleid musst du noch ein wenig warten, bis es trocken ist.«

Er deutete auf eine Astgabel, an dem ihr Kleid zum Trocknen hing. Alle Risse waren mit sichtlichem Geschick geflickt worden und ihre Sandalen standen neben dem Gestell.

»Du hast scheinbar viele Talente, Druide. Ich habe noch nie von einem Weisen gehört, der waschen und flicken … oder kämpfen kann.«

Endlich bedachte er sie mit einem verhaltenen Lächeln und der Zorn verschwand aus seinem Blick.

»Ich gebe zu, dass ich mich mit vielen … Dingen beschäftige, manchen mit gutem Erfolg, manchen mit weniger.« Sein Lächeln verschwand und Traurigkeit färbte seine Stimme. »Es tut mir leid, dass ich nicht eher in dieses Tal kam …«

»Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, dass du mir das Leben gerettet hast. Oder dass du dieses Pack geschlagen hast.« Sie schüttelte den Kopf und plötzlich schossen ihr erneut Tränen aus den Augen. »Aber meine Söhne … und mein Mann … sie sind verloren.«

Er ließ sie weinen, bis die Tränen nach langer Zeit endlich versiegten, stand schließlich auf und trat ruhig an das Gestell am Feuer. Er tastete den groben Stoff ab und reichte ihr das Kleid.

»Es ist zwar noch nicht völlig trocken, aber besser als gar nichts für die Nacht.«

Sie nahm es entgegen und schlüpfte hinein. Auch die Sandalen zog sie sich über und stopfte Moos und Gras zwischen die Riemen.

Als sie damit fertig war und beide wieder am Feuer saßen, reichte er ihr stumm ein Stück Wild und etwas Brot. Sie kaute zuerst zaghaft, dann mit zunehmendem Appetit. Ein paar Mal verzog sie schmerzverzerrt die Lippen, aber sie aß weiter, bis ein fein säuberlich abgenagter Knochen im Feuer landete und sie mit ein paar Schlucken Wasser nachspülte.

Dann blickte sie ein wenig ratlos um sich.

»Was soll ich nun tun? Wir waren weitab von unserem Stamm hier auf der Jagd. Der Weg zurück ist weit. Und du wirst andere … Dinge zu erledigen haben, als mich irgendwohin zu bringen.«

Ihre Nüchternheit und die dahinter verborgene Kraft zeugten von einem starken Charakter. Der Druide beendete den inneren Kampf, den er seit Stunden focht, und rückte einen halben Schritt auf die Frau zu. Dass sie nicht zurückwich, sondern ihm offen entgegenblickte, erfreute und ermutigte ihn.

»Ich kann dein Leid in … großem Maße lindern, Weib. Doch es ist nicht leicht zu verstehen. Wenn du mir vertraust, kann dein Leben … beinahe … so weitergehen, als wäre dieser Tag nie geschehen.«

»Wie nur? Meine Familie ist tot, ich geschändet. Vielleicht werde ich ein Kind von diesem Pack bekommen. Wie sollte da mein Leben glücklich weitergehen?« Jetzt wuchs in ihren Augen die Wut.

»Gegen die Schandtat kann ich nichts mehr tun. Die meisten der Mörder und Vergewaltiger haben ihre gerechte Strafe erhalten. Doch dein Mann, deine Söhne …«

»… liegen dort im Tal. Willst du mir helfen, sie zu Grabe zu tragen? Soll das deine Linderung sein?« Ihre Stimme war eine Mischung aus Frustration, Zynismus und Angst.

»Nein, ich werde sie nicht begraben.« Er legte ihr seine riesige Linke auf die Schulter und mit der Rechten hob er ihr niedergesunkenes Kinn nach oben, sodass sich ihre beiden Augenpaare auf gleicher Höhe befanden.

»Ich kann ihnen das Leben wiedergeben, Weib.«

Unglauben, gepaart mit neuer Wut, schlug ihm entgegen.

»Du lügst! Wie soll das gehen? Du treibst ein Spiel mit mir …« Wütend schlug sie seine Hand von ihrer Schulter und stand bebend auf.

»Beruhige dich, Weib.«

»Nenn mich nicht immer Weib, mein Name ist Eiylenn!«

»Gut, Eiylenn. Ich schwöre dir bei den Göttern des Waldes und aller Berge in Breith: Ich kann ihnen das Leben wiedergeben!«

Druide der Spiegelkrieger

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