Читать книгу Die Mächtigen, die Scheinmächtigen und die Ohnmächtigen - Werner Linn - Страница 10
Les trois Vallees (2)
ОглавлениеLennings Laune sollte bei einem solchen Wetter besser gewesen sein. Was ihn leicht beeinträchtigte, war die laute Musik, die aus dem Lautsprecher direkt über ihm kam. Eingezwängt in eine sehr große Gondel, Ski und Stöcke festhaltend, ohne dass überhaupt eine Chance bestand, umzufallen. Da die Kabine relativ besetzt war, wartete Lenning sehnlichst darauf, dass die großen Türen sich lautlos öffnen würden, und dass die Masse der Skifahrer sich aus der Jumbogondel in den wunderschönen Neuschnee ergießen würde, der letzte Nacht gefallen war. Eine Unterhaltung mit dem neben ihm stehenden John war unmöglich wegen der lauten Musik, die immer noch rhythmisch dröhnte.
Viele Abfahrten gab es hier und alle waren annähernd gleich schön, manche etwas steiler und manche gemütlicher. Obwohl diese „Jumbogondelbahn“ mit einer Fahrt durchweg über 140 Skifahrer bergauf brachte, verliefen sich die Leute jedoch in dem riesigen Areal. Dabei war die Schneequalität sehr gut. Allein die Höhe gewährleistete auch noch gute Schneeverhältnisse im Frühjahr. John kannte diese Abfahrt noch nicht und war fasziniert von dem Ausblick, der sich von der Gondel aus bot.
„Fast wie im Flugzeug“, schrie er Lenning ins Ohr.
Kurz darauf kam die Gondel abrupt in der Bergstation zum Stehen. Endlich oben angekommen, drängten sich die Skifahrer nach der Piste. Wie in solchen Lagen üblich, ist es so, dass die meisten sich zunächst aus der Gondel hinaus begeben, um sich dann irgendwo in der Nähe der Bergstation zu sammeln. So auch hier, wo die Gruppe, bestehend aus Lenning, John, Tom und heute auch Plummy, sich unweit der Bergstation fertig zur Abfahrt machte. Plummy wollte heute versuchen, anstatt wie ursprünglich geplant, im Skikurs systematisch Skifahren zu lernen, mit seinen Freunden zusammen abzufahren.
Lenning war das Gedränge etwas zu dicht und er fuhr ein Stück weiter ab, um dort auf die Freunde zu warten. Bald würden sie ihn da treffen müssen. Lenning hatte sich jedoch offensichtlich verrechnet, denn keiner seiner Freunde kam und er wartete und wartete bis schließlich fast alle Skifahrer abgefahren waren und die nächste Gondel schon in Sicht war.
Lenning war ärgerlich, denn man wollte gerade demnächst in einer Hütte einkehren und bei der Weitläufigkeit des Geländes war es fast ausgeschlossen, darauf zu hoffen, jemanden, der verloren gegangen war, rasch wieder zu finden. Schließlich entschloss sich Lenning zur Talstation der Gondel abzufahren, die eigentlich von der Lage her Mittelstation war, denn dorthin führte wiederum eine Anzahl von Liften. Lenning rechnete nun damit, bei der Station die Freunde zu treffen, denn was lag näher, als die gleiche Fahrt noch einmal zu machen und dann irgendwo die Verlorengegangenen wieder zu finden.
Lenning war überrascht, dass diesmal keine so gewaltige Menge an der Station wartete, sondern die Möglichkeit bestand, sofort durch die Sperre zu der Plattform zu gelangen, um in die schon wartende Gondel einzusteigen. Lenning beeilte sich besonders, denn er wollte einen Fensterplatz erreichen, von wo aus er die Piste überblicken konnte und er hoffte, zumindest auf diesem Wege, die verlorengegangenen Freunde wieder zu finden. Er sah also gespannt nach draußen, konnte jedoch keinen der Gesuchten erspähen. Er schaute nicht lange, dann schlossen sich die Türen und Lenning war noch angenehmer überrascht, als er feststellen konnte, dass nur eine Hand voll Leute in der riesigen Kabine, die vorher noch zum Bersten voll gewesen war, standen. Er versuchte, sich dieses Phänomen zu erklären und sinnierte über die Hütten, die jetzt zur Mittagszeit besonders voll sein mussten... Oder vielleicht war auch der Umstand ursächlich, dass er so schnell abgefahren war und die Masse vielleicht immer zusammen bei der Gondel gleichzeitig eintraf. Er stellte derartige Überlegungen an und musterte die mit ihm anwesenden Personen: Es waren drei junge Männer, offensichtlich Schüler, die mit ihren Snowboards beieinander standen und sich angeregt unterhielten. Ein älteres Paar stand in der Ecke und blickte wortlos staunend hinaus, wo sich der blaue Himmel mit den weißen Bergen zu treffen schien. Und schließlich erblickte er auf der anderen Seite der Gondel vorne rechts von ihm ein Mädchen, das offensichtlich ihn selbst schon eine Weile beobachtet hatte. Ihre Blicke trafen sich und Lenning überlegte, wo er diese Augen schon einmal gesehen hatte. Das Mädchen hatte eine Sonnebrille, die nach oben in die Haare geschoben war, und hatte das Gesicht mit einer sehr stark abdeckenden Sonnencreme eingeschmiert. Der Anzug war modisch hell mit Neonfarbmuster an den Seiten. Die Haarfarbe war dunkles Braun, wahrscheinlich mit Henna eingefärbt.
„Wenn nicht diese Verkleidung mit dem Skianzug wäre, käme ich drauf,“ dachte Lenning und grübelte darüber nach, wieso ihm diese Augen so bekannt vorkamen. Das Gesicht war durch die starke Auflage von Sonnencreme auch so entstellt und Lenning überlegte und wäre von selbst nie darauf gekommen, wäre diese junge Frau nicht auf ihn zugegangen; etwas ungelenk wirkte der Gang mit den schweren Skistiefeln, was auch wieder zur völligen Verfremdung ihrer Identität beitrug. Lenning kam zunächst gar nicht auf die Idee, dass das Mädchen seinetwegen durch die Gondel marschierte, Ski und Stöcke etwas schwerfällig über den Boden schleifend bzw. wiederholt heftig aufsetzend. Lenning überlegte sich auch, ob er für einen Bekannten oder eine Bekannte ohne weiteres erkennbar wäre, denn er hatte eine schwarze Jacke mit rot-weißen Streifen an den Armen an und auf dem Kopf eine weiße Leinenmütze. Zudem hatte Lenning eine sehr dunkle Sonnenbrille aufgesetzt und wenn er an Stellen vorüberkam, an denen er sein Spiegelbild betrachten konnte, staunte er immer über sich selbst, denn er hätte sich wahrscheinlich so nicht erkannt. Gerade dies geschah in dem Augenblick, als das Mädchen so nah vor ihm stand, dass er sich in den Brillengläsern in der in die Haare geschobenen verspiegelten Brille betrachten konnte. Wieder trafen sich ihre Blicke. Beide lächelten unwillkürlich und Lenning war nicht wenig überrascht, angesprochen zu werden.
„Monsieur Lenning?“
Lenning wusste in diesem Augenblick sofort, warum ihm die Augen der jungen Frau so bekannt vorgekommen waren.
„Madame Curzon?“
„Oh, sie haben mich erkannt?“ meinte sie auf deutsch mit deutlich französischem Akzent.
„Natürlich!“ schwindelte Lenning. „Ihre Augen sind so...“, er suchte nach einem Wort, „unique“.
Lenning sprach französisch, während die Untersuchungsrichterin zunächst sich des Deutschen bediente. Bei dieser Bemerkung errötete sie leicht, hielt aber Lennings Blick stand.
„Ich war mir zuerst nicht hundertprozentig sicher“, fuhr sie fort „Sie sahen ganz anders aus im Anzug mit Krawatte, ohne Kappe und ohne Sonnenbrille.“
Sie war offensichtlich sehr guter Laune und strahlte über das ganze Gesicht.
„Ihre Nase, Monsieur, ist wirklich „unique““, lachte jetzt Madame Curzon und auch Lenning stimmte in das Lachen ein. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Nase von der Stirn abwärts.
„Sie ist groß, aber einzigartig? Das glaube ich nicht!“ Er deutete auf sein Gesicht.
„Haben Sie eine Schönheitsoperation über sich ergehen lassen? Oder wurde die Nase sonst wie künstlich geformt?“ Madame Curzon erschien provokativ.
„Ja.“ meinte Lenning, „Ich hatte einen Unfall und das Nasenbein war gebrochen! Schließlich wurde die Nase so präpariert, dass sie zumindest wieder äußerlich gerade war.“
„Und jetzt ist die Nase ganz anders?“
„Etwas anders schon,“ gab Lenning zu bedenken. „Der Knick war vorher nicht da.“
„Aber genau der Knick ist das Einzigartige.“ Daran hatte die Untersuchungsrichterin ihn wiedererkannt.
Als sie ihm dies frank und frei erklärte, zuckte er zusammen und überlegte:
„Finden Sie das denn arg hässlich oder abstoßend?“
„Nein, genau das Gegenteil,“ erklärte Madame Curzon entrüstet. „Es gibt Ihnen so einen starken Ausdruck; Durchsetzungsvermögen, so würde ich es bezeichnen, was man hier äußerlich erkennen kann.“
Lenning fühlte sich geschmeichelt. „Seit wann sind Sie denn hier?“
„Ich bin heute den ersten Tag hier“, erklärte Madame Curzon. „Sie logieren in Val Thorens oder in einem anderen Tal?“ fragte sie.
„Ja, hier in Val Thorens!“
„Wohnen Sie hier in einem Hotel?“
Lenning schmunzelte.
„Wo denn sonst?“
„Sie könnten ja auch eine Ferienwohnung genommen haben.“
Lenning lachte „Nein, jeder hat sein eigenes Hotelzimmer.“
Madame Curzon lachte. „Ich habe auch nicht gedacht, dass Sie alle in einem Zimmer schlafen wie Landsknechte,“ fügte Sie hinzu.
Lenning wiegte den Kopf und meinte „Wo wohnen Sie denn?“
„Auch in Val Thorens.“, gab Madame Curzon zurück. „Wohnen Sie im Temple du Solei?“
„Nein,“ erwiderte Lenning. „In dem Hotel an der Hauptstraße, dort wo die Straße eine Kurve macht. Es ist eigentlich ein Appartementhaus, in dem ein kleineres elsässisches Hotel integriert ist. Aber jetzt verraten Sie mir doch endlich, wo Sie untergekommen sind. Es war sicher nicht leicht, noch ein Hotelzimmer gerade jetzt kurzfristig zu bekommen.“
„Ich habe auf jeden Fall noch ein Zimmer bekommen, glauben Sie es mir, nicht weit von Ihrem Hotel entfernt“
Lenning sah der Untersuchungsrichterin neugierig ins Gesicht, während sie in diesem Augenblick das Thema wechselte.
„Wo sind eigentlich Ihre Freunde? Fahren Sie ganz allein?“
Lenning war irgendwie von Madame Curzon fasziniert gewesen und hatte sogar vergessen, dass er seine Freunde verloren hatte. Er spürte, dass er ein schlechtes Gewissen bekam.
„Ich habe sie verloren,“ gestand er „und habe gehofft, sie irgendwie wiederzufinden, wenn ich schnell diese Hänge hier abfahre, es ist nämlich einer dabei, der nur sehr langsam vorankommt.“
„Dann wollen wir doch einmal auf die Suche gehen,“ schlug Madame Curzon vor.
Wenn diese junge Frau auch alleine zum Skifahren ging, nahm Lenning an, würde sie über hervorragendes Können verfügen und wahrscheinlich nur so über die Hänge hinabwedeln. Lenning hatte Angst, nicht mitzukommen, nicht mit der jungen Frau Schritt halten zu können.
Noch mehr hatte Lenning jedoch Angst davor, plötzlich wieder allein auf der Piste zu sein, denn er hasste es, ganz allein über die Pisten zu jagen.
„Beeilen Sie sich, sonst finden wir sie niemals!“ drängte ihn Madame Curzon.
„Da haben Sie Recht“, stellte Lenning fest und war ganz schnell fertig.
Lenning beeilte sich, kam jedoch nicht ganz so schnell zurecht mit der Bindung und musste wiederholt seine Sohle von Schnee befreien. Madame Curzon wartete, gestützt auf ihre Skistöcke, das Gesicht der Sonne zugewandt. Lenning beobachtete dies nicht ohne ein Gefühl der Zufriedenheit. Sie hätte genauso gut „Au revoir“ rufen können und wäre in den nächsten Sekunden am Hang verschwunden, dachte er bei sich selbst.
„Wohin wollen wir fahren?“ fragte Madame Curzon plötzlich wieder auf Deutsch.
„Wohin Sie wollen,“ entgegnete Lenning ebenfalls auf Deutsch und wurde danach sofort wieder mit der Realität konfrontiert.
„Wir werden Ihre Freunde suchen,“ meinte Madame Curzon. „Was denken Sie, wo sie abgefahren sind?“
Lenning war etwas verwirrt. „Ich habe keine Ahnung. Ich habe sie doch schon gesucht.“
„So schlage ich vor, wir fahren einmal bis ganz an den Ortsrand und dann noch einmal hier herauf, denn Sie haben wahrscheinlich Ihre Freunde auf diesem Hang verloren.“
Lenning überlegte „Haben Sie schon Mittagspause gemacht, Madame?“
„Eigentlich nicht,“ meinte sie. „Aber es ist durchaus gesund, die Mittagspause ausfallen zu lassen.“ Dabei strich sie mit der Hand über ihren Körper an der Stelle des Skianzugs, an der Lenning einen Ansatz von Bauch zu erkennen glaubte. Lenning überhörte bzw. übersah diese Geste und warf ein, dass wohl seine Freunde in eine Hütte gegangen sein mussten, denn man hatte sich dahingehend verständigt, nunmehr Mittagspause zu machen.
Madame Curzon schaute Lenning einen Moment lang an, so dass er augenblicklich seine Freunde wieder vergessen hatte.
„Non Maitre“, meinte sie ganz ernst. „Hier sind eine Vielzahl von Hütten und wir müssten alle Hütten absuchen. Um diese Zeit sind alle Hütten voll. Also würden wir bei der letzten ankommen, wenn Ihre Freunde schon längst wieder auf der Piste wären. Das hat keinen Zweck. Wir fahren besser durch und haben dafür eine größere Berechtigung zu einem besseren Abendessen.“ Madame Curzon sprach sehr bestimmt und Lenning war umso verwirrter.
„Sie haben mir noch nicht einmal gesagt, in welchem Hotel Sie logieren und wir haben Halbpension gebucht. Wenn es Ihnen möglich wäre, wäre es ein Vergnügen für mich, Sie einladen zu dürfen, zu einem sehr guten elsässischen Menü. Ich glaube bei den hiesigen Restaurants hat unsere Küche die meisten Sterne.“
Madame Curzon schaute Lenning wieder mit diesem Blick an, dem er zunächst ausweichen musste. Einen Augenblick später trafen sich wieder ihre Blicke und Madame Curzon war es diesmal, die ihren Blick senkte.
„Die Küche in unserem Hotel steht in der Qualität der Ihres Hotels nicht nach, Monsieur. Ich spreche vom Hotel „Rob Roy“.“
Wieder blickte sie Lenning in die Augen und dieser konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
„Dies ist allerdings etwas anderes,“ meinte er. „Dort haben Sie noch ein Zimmer bekommen?“
„Ja,“ lächelte sie „es ist ein kleineres Appartement. Waren Sie schon einmal in diesem Hotel?“ wollte die Untersuchungsrichterin wissen.
Lenning bejahte und setzte hinzu „Nachdem es neu aufgemacht hatte. Hier ist es sicher das Beste am Platz, aber unser elsässischer Freund gab uns Veranlassung, nur noch zu ihm zu gehen, seit er das Hotel gepachtet hat.“
„Fahren wir doch endlich los,“ sagte sie schließlich und glitt abwärts. In ihrem hellen Skianzug war sie etwas getarnt und Lenning, der von oben die Piste hinab blickte, hatte Probleme, ihr zu folgen. Sie fuhr einen sehr rasanten Stil und Lenning stellte fest, dass sie so rasant Ski wie Auto fuhr.
Er jagte ihr nach, konnte sie jedoch über weite Strecken zunächst nicht einmal einholen. Dann fiel das Gelände relativ steil ab, um zu einer Schwelle zu führen, wo es wiederum in einen Steilhang überging. Hier fuhr er unvorsichtigerweise sehr schnell und ereichte schließlich eine höhere Geschwindigkeit als Madame Curzon und jagte sogar an ihr vorbei, als es steil bergab ging; Lenning merkte, dass ihr Schwung nicht ausreichte, um über diese Schwelle zu kommen, so dass sie ein Stück zu steigen hatte. Lenning wartete auf dem Kamm der nächsten Schwelle, gestützt auf die Skistöcke, das Gesicht der Sonne zugewandt.
„Sie hätten sich hier etwas brechen können,“ rief die Untersuchungsrichterin missbilligend und setzte ihre rasante Abfahrt sofort fort.
Lenning hatte alle Hände voll zu tun, um wieder Schritt zu halten. Schließlich erreichten sie in Rekordzeit den Dorfrand. Madame Curzons Gesicht war vor Kälte und dem starken Gegenwind erstarrt, die Sonnencremeauflage etwas verwischt. Sie schien auch zu schwitzen. Lenning war ebenfalls nass bis auf die Knochen. Als sie wieder an der Warteschlange standen, um die nächste Gondel zu erreichen, trafen sich erneut ihre Blicke. Diesmal versuchte jeder, dem Blick des anderen Stand zu halten und Lenning war sehr überrascht, als die Untersuchungsrichterin ihn beim Vornamen nannte.
„Wolf,“ sagte sie, „ich heiße Corinne. Wir wollen doch besser das abstandwahrende „Sie“ gegen das vertraulichere „Du“ eintauschen.“
Wolf Lennings Überraschung war so groß, dass ihm einen Moment der Mund offen stehen blieb. Er nickte und wollte ihr gerade darauf die Hand geben, als sie ihn mit beiden Armen umschlang und küsste. Wolf Lenning überlegte in diesem Augenblick, dass in romanischen Ländern das „erste Du“ in der Regel mit einem Kuss verbunden ist. Allerdings war ihm dabei nicht bewusst gewesen, welche Qualität eine solche „baise amicale“ haben konnte.
In diesem Augenblick spürte Wolf Lenning eine Spitze, die sich in seine linke Schulter zu bohren schien. Lenning blickte weg von Corinne und direkt in Johns Gesicht. John lachte.
„Wolf, the womanizer,“ lachte er und Lenning hörte ein Klatschen auf der Seite und sah die beiden anderen, wie sie in die Hände klatschten und ihn freundlichst ansahen.
Wolf Lenning war wirklich aus dem Tritt gekommen und wäre fast gestürzt, hätte ihn Corinne nicht gestützt. Dabei gewann er jedoch die Contenance wieder und begann: „May I introduce, Madame Corinne Curzon, Monsieur John Bullock?“
„Angenehm!“ John Bullock verbeugte sich und fragte Madame Curzon „Sind wir uns nicht schon irgendwo einmal begegnet?“
Corinne Curzon lächelte verschmitzt. „In der Tat sind wir uns schon begegnet, aber ich glaube, Sie meinen es ehrlich, wenn Sie zugeben, dass Sie sich nicht an mich erinnern können.“
John Bullock schaute Wolf Lenning fragend an und fragte auf Deutsch „Verdammt noch einmal, diese Frau habe ich schon einmal gesehen.“
Auch Lenning lachte jetzt und Madame Curzon tat erstaunt.
„Oh, Sie können etwas anderes außer Englisch, Monsieur Bullock?“
In diesem Augenblick setzte sich die Warteschlange wieder in Bewegung, denn die an der Gondel angekommenen Leute wollten einsteigen und schoben die sich unterhaltende Gruppe vor sich her.
„Und von uns beiden nehmt Ihr gar keine Notiz,“ schalt Tom und schob sich vor John Bullock. „Die Dame ist mir noch nicht vorgestellt worden! Willst Du die Vorstellung nicht übernehmen, Wolf?“
Wolf entschuldigte sich aufrichtig, denn er wollte Tom Hayworth nicht kränken.
„Vielleicht ist Deiner Aufmerksamkeit entgangen, dass wir eigentlich zu viert sind. Das hier ist Plummy und das hier Tom.“
Madame Curzon schüttelte beiden die Hände und musste lachen
„Komme ich Ihnen etwa auch bekannt vor?“ fragte sie Plummy. Hier wollte sich Plummy nach vorne drängen und meinte: „Sie kommen mir tatsächlich bekannt vor, Madame.“
„Wolf, the Womanizer,“ hörte er noch hinter sich Tom frotzeln und John bohrte indigniert bei Plummy nach, um wen es sich bei der Fremden wohl handeln könne. Mehr bekam Wolf jedoch nicht mit, denn inzwischen war die Gondel angekommen und man hörte die Stimmen nicht mehr.
Die Konversation wurde abrupt unterbrochen, als die Gruppe auseinandergerissen wurde. Tom, John und Plummy wollten zwar noch in die Gondel, doch Wolf und Corinne entschwebten schon ihren Blicken. Eine Unterhaltung in der Kabine war nicht möglich, denn die Musik war wieder einmal ohrenbetäubend laut eingestellt. Um die Geräuschkulisse zu überbrücken, hielt Wolf seinen Mund an Corinnes Ohr, während diese den ihren an seinem Ohr platzierte. Um sich noch enger und ungestörter unterhalten zu können, legte Wolf seinen Arm um Corinnes Schulter und Genick, während sie gleichzeitig ihren Arm um Wolfs Rücken schlang und mit der Hand unter der Achsel hindurch fassend sich fest hielt.
„Du kommst also zu uns essen?“ wollte Wolf schnell abklären.
„Einverstanden, wenn Du das nächste Mal meine Einladung im “Rob Roy“ annimmst.“
„Einverstanden,“ quittierte Wolf Lenning.
„Wann?“ wollte nun Corinne wissen.
„Ich würde vorschlagen, komm´ doch um 18:00 Uhr, ich warte im Foyer auf Dich.“
„Ich würde vorschlagen, Du kommst rüber und holst mich ab.“
Die Unterhaltung konnte allerdings nicht problemlos geführt werden, denn die Gondel schaukelte erheblich, weil der Wind zugenommen hatte. Einmal hielt die Gondel schließlich an.
„Ich glaube wir kommen heute gar nicht mehr zum Abendessen,“ meinte Wolf.
„Solange wir uns gegenseitig stützen, ist das ja nicht zu unbequem,“ raunte ihm Corinne ins Ohr, dass Wolf ein Kitzeln spürte.
„Aber bequem ist doch das hier nicht,“ stellte er fest.
„Den Umständen entsprechend, doch,“ wandte Corinne ein.
Schließlich ging es weiter und die Konversation wurde, wenn auch eingeschränkt, fortgeführt.
„Die anderen kommen uns noch nach?“
Corinne zeigte nach draußen, wo ein Schneesturm so stark blies, dass man vom blauen Himmel nichts mehr sehen konnte. Das Schneegestöber, das ausschließlich aus aufgewühltem Schnee bestand, traf sie voll ins Gesicht, als sie ausstiegen.
„Oh, da kennst Du die anderen schlecht. Die hält so ein „Lüfterl“ nicht ab,“ klärte Wolf Lenning sie auf.
„Ihr seid wohl alle ganz harte Jungs?“ meinte Corinne und lachte.
Sie verließen die Gondel, die inzwischen angekommen war.
„Aber mir macht es auch fast nichts aus.“ Sie faltete aus ihrem Kragen eine Kapuze heraus und zog den Schal hoch.
Sie beobachtete die Skifahrer, die sich langsam, dann immer schneller nach unten bewegten und nach wenigen Minuten waren sie ganz allein.
„Wie lange denkst Du, das wir noch warten müssen?“ fragte Wolf Lenning und Corinne zeigte nach dem sich schneller drehenden Rad der Gondelbahn.
„Das kann nicht sehr lange dauern.“ Sie schlang ihren Arm um seinen Hals.
„Deine roten Ohren gefallen mir nicht. Du bist morgen wahrscheinlich krank,“ stellte sie besorgt fest.
„Es hat ja nicht jeder solch eine Ausrüstung wie Du dabei.“
„Dafür hast Du jemanden dabei, der für Dich denkt.“
Corinne blickte ihn dabei sehr vorwurfsvoll, aber fürsorglich an.
„Und mich nachher pflegt,“ lachte Wolf und genoss ihre Fürsorge.
„Was bildest Du Dir eigentlich ein?“ Sie stieß ihn ein Stück von sich, um ihn sofort wieder zu sich hinzureißen und schon lagen sie sich küssend in den Armen. Dabei schlang Corinne ihren Schal, den sie weit herausgezogen hatte, um sie beide herum und sie versank mit ihm fast im Schneesturm. Beide fühlten in diesem Moment keine Kälte mehr.
Plötzlich merkten sie, dass sie gar nicht allein in dieser Schneewildnis waren. Sie hörten Johns Stimme und spürten einen unsanften Ruck.
„Die anderen warten schon da vorne.“
John konnte offensichtlich nicht gut genug bremsen und war mit beiden in der Weise zusammengestoßen, dass er mit seinen Skispitzen Corinnes und Wolfs Bindungen rammte.
„Sei froh, dass wir nicht in den Schnee gefallen sind,“ schimpfte Lenning.
„Oh, Ihr habt Euch schon gegenseitig gestützt,“ meinte John „Kommt, beeilt Euch, wir müssen hinunter. Es zieht langsam hier oben zu und es wird empfindlich kalt.“
„Wir haben die ganze Zeit auf Euch gewartet!“ bremste Wolf Lenning
„Und habt Euch dabei glänzend die Zeit vertrieben!“ konterte John Bullock
„Wer weiß, wie lang uns noch Wolf erhalten bleibt!“ gab Tom zu bedenken, der sich nun massiv in das Gespräch einmischte, doch eine richtige Unterhaltung kam wegen der Windstärke nicht mehr zu Stande und so fuhren sie ab, obwohl sie nicht einmal mehr in der Bergstation eingekehrt waren. Tatsächlich waren Wolken vor die Sonne gezogen und die Temperatur war rapide gefallen. Sie fuhren direkt zum Hotel, während Corinne sich winkend verabschiedete und um die Häuser herum weiter fuhr. Lenning blickte ihr noch nach und sie drehte sich wirklich noch einmal um und warf ihm einen Handkuss zu.
Tom, der das bemerkt hatte, meinte beim Ausziehen der Skistiefel im Keller zu John gewandt „Wolf wird uns nicht sehr lange hier erhalten bleiben, warte es ab.“
„Ja, warte es ab, heute Abend jedenfalls kommt SIE zu uns herüber. Weißt Du jetzt eigentlich, wer sie ist?“
„Keine Ahnung, aber sie kommt mir bekannt vor,“ meinte Tom und Plummy lachte. Er zwinkerte Plummy zu
„Ich weiß, wer sie ist!“
„Dann sag´ es uns doch endlich!“ fuhr ihn John an, doch Plummy meinte, sie sollen doch Lenning fragen und Lenning, der inzwischen die Skischuhe in den Spind gestellt hatte, war schon auf dem Weg nach oben.
„Bis später Jungs!“.
Lenning war sehr schnell in das Hotelzimmer gestürmt, denn Dax war den ganzen Tag allein dort geblieben und musste unbedingt schnellstens Gassi gehen. Da Lenning nicht mehr viel Zeit hatte, beeilte er sich, mit Dax eine Runde durch den Schnee zu stapfen, aber Dax traf eine ihm bekannte Retriverhündin, die ihn sichtlich interessierte und so vergaß Dax fast alles Übrige und Lenning kehrte mit ihm fast unverrichteter Dinge zurück.
Er zog sich schnell um, denn er wusste nicht, wie Corinne an diesem Abend gekleidet sein würde. Normalerweise hasste er es, die Skikleidung zum Abendessen auszuziehen, nur um im Anzug zu erscheinen. In diesem Fall jedoch war er so unsicher, dass er sich trotz des Zeitmangels umkleidete. Immerhin zog er zu dem Anzug die Fellstiefel und den Parka an, denn es hatte schon sehr fest geschneit, als er mit Dax nochmals draußen war. Als er nun weggehen wollte, bettelte Dax in einer für ihn nicht ganz üblichen Art und Weise, so dass Lenning annehmen musste, dem Hund sei es jetzt doch sehr dringend und so entschloss er sich, ihn mit hinüber zum Hotel „Rob Roy“ zu nehmen.
Als beide vor das Hotel traten, war es schon dunkel und der Schneefall inzwischen so stark, dass man kaum die Lichter der Straßenlaternen erkennen konnte. Dazu fegte ein solcher Wind durch das Tal, dass Lenning die Ausgangstür regelrecht aus der Hand gerissen wurde. Er zog die Kapuze über und ging, gegen den Wind gebeugt die Straße hinunter in Richtung Hotel „Rob Roy“. Bei Dax war es wirklich sehr dringend, denn schon wenige Meter nach dem Hoteleingang saß er am Straßenrand in der für solche Fälle typischen Haltung.
„Braver Hund,“ lobte ihn Lenning und war froh, dass wenigstens das erledigt war.
In nicht allzu weiter Entfernung hörte er das Dröhnen eines Motors und wusste, dass der Schneeräumdienst unterwegs war. Das Schneegestöber war so dicht, dass er das gelbe Rundumlicht erst in letzter Sekunde wahrnahm und Dax zu sich heranziehen konnte. Dax ging an diesem Abend an der Leine, denn Lenning wollte nicht riskieren, bei dem Schneegestöber länger als notwendig auf Dax wartend und pfeifend dazustehen.
Hätte Lenning nicht genau gewusst, wo das Hotel „Rob Roy“ gelegen war, er hätte es sicher nicht gefunden, denn die Lampen an der Hoteleinfahrt waren auch erst im letzten Augenblick aufgetaucht und Lenning hielt mit Dax nunmehr auf den Hoteleingang zu. Im Foyer war ein Kaminfeuer angezündet, Gäste waren keine zu sehen, denn die bereiteten sich auf das Abendessen vor und vom Personal waren offensichtlich alle zu anderen Arbeiten abgezogen worden. Selbst der Platz an der Rezeption schien verwaist. Lenning wartete einen Augenblick und schaute auf die Uhr. Er war pünktlich. Nun begab er sich zur Rezeption und fand dort einen Klingelknopf. Zunächst scheute er sich, gleich darauf zu drücken, dann jedoch wurde ihm die Zeit zu lang und er klingelte. Im ersten Moment geschah nichts, später klingelte Lenning ein zweites Mal und diesmal trat der gewünschte Erfolg ein: Eine junge Dame im hotelfarbenen Kostüm erschien und fragte nach seinem Begehren. Lenning bat die Dame, bei Madame Curzon anzuläuten, um ihr mitzuteilen, dass er an der Rezeption warte. Auf das Anläuten hin erfolgte keine Reaktion. Lenning war nervös geworden. Er bat um einen weiteren Versuch und die Dame, die offensichtlich irgendwo anderweitig beschäftigt war, kam seinem Wunsch auch diesmal nach; an ihrer Miene konnte man jedoch erkennen, dass sie nicht gewillt war, es ein drittes Mal zu versuchen. Als wiederum keine Reaktion erfolgte, meinte Sie, Lenning solle sich doch ein Stockwerk höher begeben, Zimmer 109 und mit einem deutlich abweisenden „Guten Abend“ verschwand die Concierge hinter der Tür.
Lenning begab sich mit Dax über die Treppen ins erste Obergeschoss. Er gab grundsätzlich Treppen vor einem Aufzug den Vorzug und meist war er auch schneller, denn der Aufzug war, was Lenning sofort erkannte, noch nicht im Erdgeschoss. Lenning stand einen Moment scheinbar ratlos vor der Tür und wollte gerade klopfen, als die Tür mit einem Ruck aufgerissen wurde. Corinne stand vor Wolf Lenning und wirkte nicht einmal erstaunt.
„Ich war noch nicht ganz fertig, weißt Du?“ sagte sie und es klang wie eine Entschuldigung.
Sie trug einen Teddymantel, den Lenning im ersten Moment fast für einen Pelz gehalten hätte. Auf dem Kopf hatte sie eine kleine Mütze aus dem gleichen Material und an den Füßen Fellstiefel.
„Die Kleidung ist richtig für das Wetter draußen,“ meinte er und sie fragte, ob er nicht noch einmal schnell hereinkommen wolle.
Noch bevor er antworten konnte, stieß Dax die Tür auf und stürmte in den Raum. Dax´ Vorwärtsdrang war so stark, dass Corinne die Tür regelrecht aus der Hand gerissen wurde. Dazu erschall ein Bellen und im nächsten Moment war Lenning klar, was das zu bedeuten hatte:
Eine schwarze Katze hatte sich, aus einem Sessel springend, dem offenen Kamin genähert, in dem ein behagliches Feuer flackerte. Dax, dem diese Bewegung aufgefallen war, wollte nachschauen und als die Katze sich mit einem Sprung zum Schreibtisch rettete und schließlich den Vorhang hinauf hetzte, wurde sein Jagdinstinkt aktiviert. Corinne rannte zum Vorhang und die Katze flüchtete in ihren Arm.
„Fast hätte Dein Hund meine Katze erlegt,“ sagte sie und ein Vorwurf schien mitzuschwingen.
„Nein, Du hättest nur erklären müssen, dass eine Katze da ist und Dax hätte das sofort akzeptiert,“ verteidigte Wolf seinen Hund.
„Jetzt müssen wir aber los, denn wir haben ja noch eine Verabredung,“ drängte nunmehr Wolf.
Corinne tröstete noch etwas die Katze und Dax hatte sich inzwischen auch beruhigt.
„Für einen Kuss zum Empfang sollte doch eigentlich Zeit sein,“ forderte Corinne und legte beide Arme um Wolfs Nacken. „Du holst mich jetzt zum ersten Mal ab,“ fügte sie leicht grinsend hinzu „Bist Du aufgeregt, hast Du weiche Knie?“
Lenning schob sie etwas entrüstet von sich und meinte „Wie sieht es denn bei Dir aus? Du wirst das erste Mal von mir abgeholt. Hast Du leichte Magenbeschwerden? Bist nervös und weißt nicht, wo Du Dich kratzen sollst?“
Corinne zog ihn wieder an sich und meinte „Genauso ist das. Ich fühle mich wie ein Teenager.“
Lenning musste jetzt unwillkürlich auch lachen und presste sie fester an sich.
„Ja, so ähnlich scheint das auch zu sein. Komm...“
Seine Rede erstarb durch einen absolut schalldämpfenden Kuss.
Als die drei vor den Hoteleingang traten, hatten sich die Witterungsverhältnisse abermals geändert. Das Schneetreiben war nunmehr so dicht, dass man überhaupt nichts mehr sehen konnte. Dabei hatte sich die Windrichtung gedreht und wie ein Orkan fegte es nunmehr von der Seite über den offenen Platz. Dax wollte fast nicht mehr das Hotel verlassen und musste mit Mühe hinausgezogen werden. Corinne ihrerseits flog fast das Mützchen weg und Wolf bemerkte, dass ihr Mantel noch eine Kapuze besaß, die sie darüber zog.
„Findest Du überhaupt bei diesen Sichtverhältnissen den Weg?“ erkundigte sich Corinne.
„Eigentlich habe ich keine Bedenken, aber mach’ endlich, damit wir voran kommen.“
Mühsam bewegten sich die drei recht langsam ins Dunkle hinaus.
Der Situation, die an sich recht romantisch schien, fehlte die dazu notwendige Behaglichkeit. Lenning hörte wieder in nicht allzu großer Entfernung das Geräusch des Schneeräumers und wusste um die Gefahr. Geistesgegenwärtig zog er Corinne an die Seite, als plötzlich das Rundumlicht sichtbar wurde und fast gleichzeitig das Räumfahrzeug vorbeirasselte. Schließlich verschwand das Rundumlicht unmittelbar vor den dreien, um kurze Zeit später wieder aufzutauchen. Lenning war etwas erstaunt. Das Räumfahrzeug stand offensichtlich in der Einfahrt seines Hotels. Lenning nahm an, dass dort geräumt wurde und machten Corinne darauf aufmerksam.
„Da müssen wir daran vorbei.“
Corinne überlegte nicht lange und versuchte schräg an den gewaltigen, mit Ketten versehen Rädern vorbeizukommen, als plötzlich mit einem Gebrüll das Fahrzeug zurücksetzte. Mit einem Satz waren Lenning, Corinne und Dax in die Schneeverwehung gesprungen. Corinne, die am weitesten vorne war, hatte die höchste Stelle zu überwinden und sah nun aus wie ein Schneemann. Mütze, Kapuze, Gesicht und Mantel waren voll Schnee und sie prustete, als sie versuchte, sich wieder aufzurichten. Lenning und Dax hatten etwas mehr Glück gehabt und waren lediglich zwanzig bis dreißig Zentimeter eingesunken. Wolf half Corinne wieder auf die Beine und die drei wollten gerade durch die Eingangstür ins Foyer, als ihnen eine Gruppe entgegenkam.
„Um Gottes Willen! Wolf, dass seid ja Ihr!“ rief der erste in der Gruppe.
Lenning stellte geistesgegenwärtig vor „Madame...“, weiter kam er nicht.
„Bon soir, Madame Curzon,“ begrüßte John die junge Frau, die immer noch bemüht war den Schnee aus dem Ausschnitt bzw. Gesichtsbereich zu entfernen. Dabei erwiderte sie seinen Gruß. Tom und Plummy begrüßten“ Frau Untersuchungsrichterin“ und waren keineswegs erstaunt, wen sie vor sich hatten.
„Das war ein glatter Anschlag auf Euer Leben!“ erklärte John. „Wir haben das Ganze vom Foyer aus beobachtet. Der Schneeräumer hatte gerade gewartet, bis Ihr Euch unmittelbar daneben befandet und gab dann Gas und zog das Fahrzeug rückwärts heraus.“
Lenning überlegte einen Moment „Glaubst Du es war kein Zufall?“
„Ein Zufall? Ich bedanke mich. Den Kerl müsste man anzeigen. Stell’ Dir vor, die Schneeketten wären etwas verrutscht oder hätten beispielsweise ein Kleidungsstück von Euch oder auch nur den Hund erwischt. Es bestand absolute Lebensgefahr!“
Lenning überlegte „Konnte denn der Fahrer überhaupt damit rechnen, dass um diese Zeit noch Gäste auf der Straße unterwegs sein würden?“
John schaute Tom an und der entgegnete „Für mich schien es, als ob er genau den Moment abgewartete hätte, als Ihr Euch neben dem Fahrzeug befandet.“
Tatsächlich ging Lenning in dem Augenblick durch den Kopf, dass er auf dem Weg von dem anderen Hotel hierher dem Fahrzeug begegnet war. Wäre es möglich gewesen, dass die Fahrt absichtlich durchgeführt wurde?
Die Gruppe begab sich unmittelbar nach diesem Empfang in den Speisesaal im ersten Obergeschoss. Dabei hielt sich Corinne dicht an Wolf, als ob sie dokumentieren wollte, zu ihm zu gehören. Aus diesem Grund war es auch für John so schwierig, Wolfs Gehör für einen vertraulichen Dialog zu bekommen.
„Wolf, staunst Du nicht, dass wir wussten wer Deine Begleiterin ist?“
Lenning überlegte kurz. „Wahrscheinlich hat es Euch doch Plummy erzählt.“
„Nein, Du irrst Dich. Wir haben es alle erfahren. Rate einmal wie!“
„Du machst es spannend, John“, sagte Wolf etwas gelangweilt. „Tja, ich kann es mir einfach nicht vorstellen.“
John versuchte es nunmehr frontal.
„Die Frau Untersuchungsrichterin wurde am Telefon verlangt. Bei Dir.“ setzte er hinzu.
Lenning staunte nicht schlecht. „Wer hat sie denn verlangt. Woher hat derjenige die Telefonnummer?“
„Siehst Du, das ist das Problem. Bei dem Anrufer handelte es sich um jemanden, der französisch sprach und soviel ich verstanden habe, wollte er Deine Corinne sprechen. Und zwar dringend. Er hatte drüben bei ihr im Hotel angerufen und dort die Auskunft erhalten, er solle sich hierher wenden. Frau Curzon würde mit Herrn Lenning zu Abend essen... Das beunruhigt Dich, nicht wahr?“ meinte John triumphierend.
„Eigentlich beunruhigt es mich nicht so sehr, weil wir ja nicht wissen, wer es war. Aber Du hast recht, man hätte vorher mit dem Mädchen reden sollen.“
Die Unterhaltung wurde doch so offen geführt, dass es Corinne nicht entgehen konnte, dass man über sie sprach.
„Was gibt’s?“ meinte sie auf Deutsch.
„Für Dich hat jemand angerufen?“
Corinne war gar nicht überrascht. „Das muss mein Vater gewesen sein. Ich habe ihm die Nachricht hinterlassen, dass er hier bei uns anrufen soll, um nach Dir oder mir zu fragen, denn Du weißt ja, wie Väter sind. Sie machen sich immer Sorgen, auch wenn die Kinder noch so erwachsen sind,“ und sie lächelte entwaffnend. „Ich werde schnell einmal hinausgehen und ihn anrufen.“
Noch bevor die anderen irgendeinen Einwand erheben konnten, war Corinne zur Tür hinaus. Lenning ging ihr langsam nach. Er wollte einerseits nicht aufdringlich erscheinen, andererseits fühlte er sich doch dafür verantwortlich, dass hier in sorglosester Weise Informationen über Namen und Aufenthalte herausgegeben worden waren. Auch John war mit aus dem Raum getreten, allerdings nur um Wolf zurückzuhalten.
„Lass doch, es macht dem alten Herrn sicher nichts aus, mit wem sein Töchterchen diniert. Sag ihr nur, sie soll in Zukunft vorsichtiger sein, insbesondere mit dem Hinterlassen von Nachrichten, wo Du und wir uns aufhalten.“
Lenning nickte dankbar. „Ja, ich glaube es war kein allzu großes Versehen, Corinne hier nicht zur Vorsicht anzuhalten. Im übrigen glauben wir keinesfalls, dass hier oben in dieser Höhe irgendwelche Krabbeltiere oder ähnliches darauf warten, über uns eine Auskunft zu bekommen.“
John ging zurück, während Lenning weiter Corinne nachging, die er aus den Augen verloren hatte. „Wahrscheinlich wird sie bei einer Telefonzelle im Foyer zu finden sein,“ dachte er sich.
Als Wolf den Gang entlang schlenderte, kam ihm Corinne auch schon entgegen. Sie schien etwas nachdenklich.
„Wolf, stell Dir vor, mein Vater hat nicht versucht, hier anzurufen.“
Für Lenning war das tatsächlich etwas beunruhigend. „Wer kann es denn dann gewesen sein?“
Corinne schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Idee, wer mich hätte heute Abend anrufen sollen.“
Wolf schaute Corinne unvermittelt ins Gesicht. „Ich nehme nicht an, dass es Dein Ehemann gewesen sein kann.“
Corinne musste laut lachen. „Nein, und es kann auch kein Freund gewesen sein, denn es gibt niemanden, der sich hätte nach mir erkundigen können...Das ist es ja, was mich so stutzig macht. Dein Freund hat gesagt, eine männliche Stimme.“
Lenning bejahte. „Französisch sprechend! Das sind aber nicht viele Informationen. Jedenfalls können wir damit den Anrufer nicht identifizieren,“ meinte er.
„Ist es arg schlimm, dass ich die Nummer hinterlassen habe?“ Corinne blickte Wolf schuldbewusst an. „Ich habe das Gespräch mit John mitbekommen. Kann man Dir Vorwürfe machen?“
Lenning lachte. „Aber nein. Das ist alles nicht so tragisch.“
„Soll ich jetzt drüben anrufen und sagen, dass man die Nachricht nicht mehr an Anrufer weitergeben soll?“ Corinne stotterte dabei etwas.
„Nein, lass’ alles so wie es jetzt ist und das nächste Mal...“
„...bist Du bei mir.“ schloß Corinne triumphierend, ergriff Wolfs Hand und ging mit ihm schnellen Schritts in den Speisesaal, wo alle schon auf die beiden warteten.
„Na, was meint der alte Herr?“ fragte John, der nunmehr anfing die ganze Sache, lustig zu finden.
Corinne blickte Wolf an und dieser entgegnete: „Was so alte Herren eben tun, wenn die Töchter dinieren... neugierig sein.“
Und damit war das Thema abgeschlossen. Die Runde war in bester Stimmung. Pierre, der Wirt kam gleich zu Anfang und begrüßte den neuen Gast. Dabei sprach er französisch mit einem ausgeprägt elsässischen Akzent. Wolf meinte, Pierre mache das extra, damit er sich von dem schweizer Akzent Corinnes wohltuend unterscheide, aber wie vom Dialekt aufgestachelt sprach Corinne noch mehr schweizerisches Französisch und schließlich wendete sich Pierre an Lenning.
„Das ist ein steiler Zahn“, meinte er in elsässer Deutsch. „Oder wie sagt man in der Pfalz dazu?“
Lenning lachte: „Schon gut, schon gut.“
„Hat aber auch Haare auf den Zähnen,“ setzte Pierre fort.
„Woher weißt Du das, Pierre?“
„Das sieht man ihr sofort an. Das Mädchen ist nicht auf den Mund gefallen.“
„Mädchen?“ Lennings Blick glitt anerkennend über Corinnes gute Figur. Sie hatte unter den Teddyfuttermantel ein richtiges Abendkleid angezogen, das zwei Schlitze aufwies, die bis zum Oberschenkel gingen. Das Kleid war auf den ersten Blick oben geschlossen, bei näherem Hinsehen bemerkte man jedoch einen Schlitz, der vom Hals abwärts lief und in einem runden Dekolletee endete, das so platziert war, dass darunter zwischen ein wenig heller Haut dunkle Leere den zu gewagten Blick verschlingen musste. Corinne hatte sich die Haare gewaschen und wahrscheinlich aufgedreht, denn Lenning war nicht aufgefallen, dass ihr Haar Locken hatte. Geschminkt war sie sehr dezent, wobei etwas Kajal an den Augen, leichter Lidschatten und ein wenig Rouge an den Wangenknochen dominierten. Pierres Augen taxierten die junge Schweizerin.
„Warum meinst Du, sie sei kein Mädchen mehr? Wie lange geht bei Dir das Mädchenalter, Wolf?“ forschte er und sah Wolf an.
„Das ist individuell verschieden,“ wich Lenning aus. „Aber Du hast vor Dir eine ausgewachsene Untersuchungsrichterin der Genfer Kantonsjustiz.“
Pierre mimte den Erschrockenen. „Und was für..., sie stellt hier Untersuchungen an? Ich nehme an, sie betreffen mehr Dich, als unseren Betrieb hier.“
Alle lachten. Tom deutete Pierre an, er solle doch jetzt besser das Thema wechseln, denn in der Tat war Corinne leicht errötet und Lenning schien nervös zu werden.
Tom sprach es auch aus: „Sind wir doch froh, dass wenigstens eine schöne Frau unsere Runde ziert, denn sonst wären wir alle hier verknöcherte ältere Knaben.“
Während des Essens wurde viel erzählt und lustige Witze gemacht. Dax bekam von jedem einen Obolus ab und Pierre setzte dem ganzen noch eins drauf, indem er aus der Küche einige Leckereien für den Labrador brachte, die dieser mit großem Geschmatze verschlang. Der Wein floss in Strömen. Pierre hatte eine kleine elsässer Weinprobe zusammengestellt und schließlich wurde Corinne zu Ehren auch noch schweizer Wein verkostet.
„Hast Du keinen Pfälzer?“ fragte John Pierre und dieser blickte mit krausgezogener Stirn zu Lenning.
„Nein, wir haben hier nur gute Weine.“
Aber es war schon zu spät. Lenning hatte es gehört und kam herüber.
„Was höre ich da, Pierre? Du magst keinen Pfälzer Wein?“
Pierre blickte zu John und John meinte, er habe nur gesagt er habe keinen Pfälzer Wein, weil es sich um ein elsässisches Lokal und nicht um ein pfälzer Lokal handele.“
Lenning nickte. „Aber ich habe bestimmt noch im Auto ein, zwei Flaschen Lenningwein.“
„Lenningwein?“ Pierre wiederholte das Wort. „Was ist denn das?“
„Warte, ich hole ihn und dann kannst Du probieren.“
Lenning stand auf und wollte gerade den Raum verlassen, als sich zwei andere Gäste ebenfalls erhoben hatten und ihm auf den Fuß folgten: Corinne und Dax waren ebenso schnell aufgestanden, um bei Wolf Lenning zu bleiben.
Wolf meinte vor der Tür: „Na Ihr beiden. Geht ihr mit hinunter?“
„Warum nicht“, meinte Corinne und Dax wedelte mit dem Schwanz.
Sie begaben sich zum Aufzug und dann in das unterste Kellergeschoss, wo Lennings Fahrzeug geparkt war. Lenning war sehr eifrig, um nach dem Wein zu suchen und so war ihm entgangen, dass Corinne sich schon zweimal ganz nahe an ihn herangewagt hatte und als er wieder den Kopf aus dem Kofferraum zog, wo er den Wein bisher vergeblich gesucht hatte, war der Moment gekommen. Sanft aber bestimmt bog Corinne Lennings Kopf zu sich herüber und ihre Lippen trafen sich. Lenning legte den Arm um Corinne und schob dabei nicht nur aus Platznot sein rechtes Knie zwischen Corinnes Beine. Damit war sie fixiert und er zog sie mit einem sanften Druck zu sich heran. Erst als Dax zu bellen anfing, trennten sich die beiden. Dax hatte Alarm gegeben, weil sich jemand den beiden näherte. Noch einen Blick in den Kofferraum und Lenning hatte zwei Flaschen des besagten Weins mit „eigenem“, das heißt „Lenning“, Etikett gefunden. Er verschloss das Fahrzeug wieder und die drei kehrten zurück. Die Person, die sich ihnen genähert hatte, muss einen seitlichen Ausgang genommen haben, denn Lenning sah sie nicht mehr in der Tiefgarage. Er dachte sich nichts dabei, denn es war nicht ungewöhnlich, dass hier Gäste nach ihren Fahrzeugen suchten, um irgendetwas herauszuholen, gerade so wie es Lenning zuvor ergangen war.
„Komm, wir müssen uns beeilen,“ drängte Wolf Corinne, als sie zögerte in den Aufzug einzusteigen.
„Eine Gelegenheit muss es doch für uns geben, ein paar Zärtlichkeiten auszutauschen,“ begehrte sie fast beleidigt auf und legte beide Hände um Wolfs Genick.
Der Aufzug brauchte nicht lange und so wurde der Kuss unsanft unterbrochen, als sich die Tür öffnete und John und Tom davor standen.
„Wir wollten Euch schon suchen kommen, denn wir haben uns Gedanken gemacht.“
„Gedanken?“ Lenning blickt ihn etwas zornig an. „Was soll das, Tom? Lasst einen doch die Privatsphäre,“ und damit übergab er den beiden die Flaschen.
„Schaut das Ihr neue Gläser bekommt,“ ordnete er an und wollte gerade mit Corinne an den Tisch gehen, als Pierre von der Seite her an Corinne herantrat.
„Hier sind Sie ja. Am Telefon ist wieder der Anrufer,“ und er reichte Corinne ein schnurloses Telefon.
Corinne war etwas überrascht und man hörte zuerst keinen Ton, dann bestätigte sie laut und fast in militärischer Grundstellung, dass sie es sei, die nunmehr den Telefonhörer halte. Schließlich errötete sie so deutlich, dass Lenning in seiner ritterlichen Art die anderen bat, sich etwas zu entfernen, damit Corinne ungestört telefonieren könne. Lenning war sehr nervös geworden, als er Corinnes Verhalten, das er sich nicht erklären konnte, bemerkt hatte.
Es dauerte einige Zeit bis Corinne wieder in den Speisesaal kam. Sie schien eine ganz andere zu sein. Geistesabwesend setzte sie sich neben Lenning und war so einsilbig, dass dieser unwillkürlich den Arm um sie legte. Sie entwand sich dem Arm, ähnlich wie damals auf dem Parkplatz in Rolle und Lenning blickte in ihre glänzenden Augen, die mit Tränen gefüllt waren. Sie wandte sich um, stand auf und ging sehr schnellen Schritts nach draußen. Ihre Bewegung war so überraschend, dass Dax ihr unwillkürlich folgte. Lenning schaute verdutzt die anderen an, die plötzlich ganz still geworden waren und dann folgte auch er ihr hinaus. Corinne kam plötzlich wieder auf Wolf zu.
„Stimmt es wirklich, dass Ihr amerikanische Agenten seid?“ fragte sie Wolf, der auf diese Frage mit Bestürzung reagierte.
„Wie kommst Du denn darauf?“
„Antworte mir!“ sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
Lenning schob sie etwas in den angrenzenden Gang hinein, denn er stellte fest, dass einige Leute den beiden mehr Beachtung schenkten, als unbedingt erforderlich war.
„Corinne, Du weißt doch wer und was wir sind. Sag’ Du mir, wer Dich eben angerufen hat.“
Corinne blickte an die Decke, aber dennoch liefen die Tränen über beide Wangen. „Es war der Justizminister persönlich.
Lenning musste fast lachen: „Um diese Zeit und das glaubst Du?“
„Doch, ich kenne seine Stimme und ich kenne ihn. Er ist ein Bekannter der Familie.“ setzte sie hinzu.
„Sooo...“ dehnte Lenning. „Dann musst Du mir ja wohl mehr über Dich erzählen, als ich Dir über uns.“
Die beiden standen sich ganz nah gegenüber, ohne dass einer den anderen berührte.
„Dann sag’ mir wenigstens jetzt die Wahrheit,“ fuhr Corinne fort. „Habt Ihr mit dem Tod Razards zu tun?“
Lennings Antwort kam prompt. „Meines Wissens nicht. Wie kommst Du darauf?“
„Also wenigstens einmal die Wahrheit, sofort!“ Corinnes Mimik und Gestik spiegelte Verzweiflung wieder. „Sag wenigstens, ob einer von Euch ihn erschossen hat.“
Lenning hob die rechte Hand wie zum Schwur. „Meine liebe Corinne. Als wir kamen, war Razard schon tot und Du dort. Ich schwöre Dir, wir waren vorher die ganze Zeit im Auto gewesen.“
Corinne schien wieder etwas Mut zu fassen. „Das schwörst Du mir. Gibt es da irgendwelche Beweise?“
Lenning zögerte eine Weile. „Was für Beweise erwartest Du denn?“
„Ja, irgendjemand, der bestätigen kann, dass ihr die ganze Zeit auf der Autobahn, zwischen Basel und Genf wart.“
Lenning überlegte. „Ich glaube nicht, dass wir geblitzt worden sind, obwohl das der Fall sein könnte. Gerade bei den Tunnels oberhalb des Genfer Sees.“
Lenning sah wie Corinne mit ihrem geistigen Auge eine Notiz machte.
„Und dann...“ Wolf triumphierte. „... gibt es das Pickerl.“
Corinne schaute ihn fragend an. „Was, bitte sehr, ist ein Pickerl?“
„Entschuldige, ich habe vergessen, dass wir hier in der Schweiz sind. Hier heißt das Vignette.“ Lenning sah, dass Corinne immer noch nicht verstand.
„Diese Vignetten werden durchnummeriert und Du kannst anhand der Zahlungsweise genau feststellen, wann die Vignette verkauft wurde.“
Corinne schien erleichtert. „Stell Dir vor, in Genf bemühen sie sich um einen Haftbefehl gegen Euch. Dem könnt Ihr jetzt einiges entgegensetzen,“ meinte sie erleichtert und Wolf Lenning war es nun, der etwas schockiert drein schaute.
„Corinne, machst Du Witze?“
Corinne schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich vermute, dass man inzwischen mir unterstellt, dass ich mit Euch bzw. mit Dir unter einer Decke stecke und deshalb bekomme ich auch keine klaren Informationen mehr und kann möglicherweise auch mit einem Haftbefehl rechnen. Verdunkelungsgefahr, verstehst Du?“
Wolf Lenning überlegte einen Moment. „Das heißt, wenn wir zurückfahren, sollten wir die Schweiz meiden.“
Corinne zuckte die Schultern. „Wenn Ihr nicht etwas länger dort bleiben wollt, wäre es sicher vernünftig.“
Wolf Lenning überlegte, ob er gleich mit John darüber sprechen sollte oder das Ganze noch Zeit bis morgen hätte. Wenn der Justizminister tatsächlich ein Freund der Familie war, würde er ihr bestimmt eine solche Blamage ersparen, die Tochter als Gefangene aus dem Nachbarland mit einer Gruppe ihm nicht bekannter Ausländer zu holen. Außerdem dachte er an die diplomatischen Verwicklungen, die der Fall ohnehin schon für die Kantonsbehörden gebracht hatte. Wenn nunmehr Bundesorgane mit der Sache befasst waren, so konnte das nur so gedeutet werden, dass man diplomatische Verwicklungen vermeiden wollte und aus diesem Grund die Angelegenheit von Bern aus weiterverfolgte. Andererseits würde der Weg eines internationalen Haftbefehls, nach dem eine Auslieferung von Frankreich in die Schweiz möglich wäre, auch über Bern laufen. Lennings Erfahrung ging so weit, dass er sicher davon ausgehen konnte, dass ein Auslieferungsbegehren an die französische Republik mindestens eine Woche Laufzeit haben müsste, da es von Bern über Paris und von dort erst nach Savoyen gehen könnte. Der Anruf heute deutete darauf hin, dass der Justizminister wohl die Tochter der ihm freundschaftlich verbundenen Familie warnen und damit schonen wollte.
„Was hat der Justizminister Dir genau gesagt?“ wollte Lenning nun wissen.
„Er hat gesagt, Ihr seid amerikanische Agenten, die möglicherweise selbst Razard auf dem Gewissen haben.“
„Und weiter?“ Lenning war begierig zu hören, welche Maßnahmen getroffen werden sollten.
„Weiter, weiter?“ wiederholte Corinne. „Ist das denn gar nichts, dass Du dazu nichts zu sagen hättest?“
Lenning beruhigte sie: „Dazu nachher. Was hat er dann gesagt?“
„Er hat gesagt, dass ein Haftbefehl für Euch schon ausgestellt sei.“
„Und weiter?“
„Genügt Dir das immer noch nicht? Ich sollte mich sofort in Sicherheit bringen, da ich auch in Gefahr wäre.“
Lenning lachte: „Spürst Du die Gefahr?“
Da musste Corinne trotz Ihrer Tränen etwas lächeln. „Ja, ich spüre eine Gefahr, aber keine Lebensgefahr.“
„Nein, keine richtige Lebensgefahr?“
Corinnes Mimik hatte sich verwandelt wie das Wetter im April, wenn sich hinter Wolken und Regen mit Schnee vermischt, plötzlich die Sonne kurz zeigt.
„Also!“ Lenning legte jetzt wieder den Arm um sie und sie ließ ihn gewähren. „Was für Maßnahmen sollen jetzt noch getroffen werden?“
„Ich soll so schnell wie möglich nach Genf kommen und man will mich wieder mit dem Fall betrauen.“
„Wieso das?“
„Weil man mir Unrecht getan hätte,“ meinte sie etwas zögernd.
„Und was hast Du gesagt?“
„Nichts,“ erklärte sie. „Ich habe Zeit es mir zu überlegen.“
„Und was passiert, wenn Du nicht zurückkommst?“
Sie zuckte die Achseln: „Wolf, sag mir die ganze Wahrheit, denn es ist für mich lebenswichtig. Seid Ihr amerikanische Agenten?“
Lenning überlegte einen Moment. „Corinne, wir haben nachher noch genug Zeit, dann sprechen wir über alles. Aber bitte komm' noch hinein zum Nachtisch und dann begleite ich Dich in Dein Hotel.“
In diesem Augenblick kam Pierre wieder an den beiden vorbei und hielt Dax ein großes Stück Fleischwurst hin, das dieser sich sofort schnappte.
„Dein Hund hat noch Hunger,“ fand Pierre und Lenning nickte.
„Ihm schmeckt es hier.“
„Das ist mehr Appetit als Hunger!“ Pierre lachte.
Zum Nachtisch gab es Eis mit heißen Himbeeren und das ganze in Brandteigkugeln verpackt. Das Essen war wirklich hervorragend gewesen und Lenning ließ an seinem geistigen Auge nochmals die Gänge vorüberziehen. Die Zeit war unheimlich schnell vergangen, denn es war schon fast 23:00 Uhr, als Corinne, die sehr viel stiller als zu Anfang, klein und zusammengesunken neben Lenning saß und sich eigentlich nicht mehr an Gesprächen beteiligte, mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Goldkette am linken Handgelenk deutete und danach beide Hände wie zum Beten faltete.
Wolf Lenning hatte verstanden und erklärte seinen Freunden: „Gleich nach dem Nachtisch werden wir hinübergehen. Corinne ist etwas durcheinander und sehr ermüdet.“
„War das Väterchen so streng?“ Tom machte einen Witz, aber erkannte sofort, dass Witze nicht angebracht waren.
„Nicht böse sein, aber Ihr werdet Eure Gründe haben, warum Ihr so still geworden seid.“
„Ich bin doch nicht still geworden,“ antwortete Wolf Lenning, aber John nickte mit dem Kopf.
„Tom hat recht. Geht hinüber und tragt aus, was Ihr klären müsst. Derweilen halten wir hier schon die Stellung...“ und er zeigte mit dem Daumen nach oben.
Plummy, dem die Umstände auch sehr leid taten, reichte Wolf Lenning zum Abschied die Hand.
„Nicht traurig sein“, rief er. „Sonst wirst Du den Wein allein austrinken müssen.“
Er drückte Lenning die beiden Flaschen Lenningwein in die Hand. Dieser betrachtete sie, wusste aber keine Antwort.
„Wir trinken sie ein anderes Mal“, besann sich aber eines besseren. „Komm´, eine öffnen wir noch und die andere nehme ich mit.“
Da kam Pierre ganz schnell mit einem Korkenzieher und öffnete die Flasche. Neue Gläser wurden aufgestellt und die Flasche Wein auf die Gläser verteilt. Corinne betrachtete das Etikett der vollen Flasche, die ihr Wolf in die Hand gegeben hatte.
„Da steht ja Dein Name und Dein Wappen?“
Sie blickte ungläubig auf das Etikett. „Bist Du ein Winzer?“ fragte sie.
„Nein“, lachte da Pierre. „Der hat keinen anständigen Beruf. Der ist nicht so etwas Bodenständiges.“
Und fast tonlos hörten alle Corinne sagen: „Kein anständiger Beruf...“
„Hab ich etwas Falsches gesagt?“ Pierre schaute zu Corinne, die wieder eine Stufe trauriger blickte.
„Auf, jetzt probieren wir den Wein!“
Und alle probierten den Wein und fanden, dass er das beste an Getränken für heute Abend war, insbesondere der hohe Alkoholgehalt rief bei allen ungläubige Anerkennung hervor.
„Der ist fast so stark wie ein Sherry.“
Und Pierre meinte: „Fast hätte ich gedacht, das wäre ein Druckfehler, aber sein Alkoholgehalt ist wirklich beachtlich.“
„Über 14 %.“, erklärte John, der den Wein schon gekannt hatte.
Corinne leerte ihr Glas relativ flott. „Er ist sehr schwer“ sagte sie noch und schwieg dann wieder.
Lenning verabschiedete sich danach rasch von den anderen und ging mit Dax und Corinne hinaus. Sie zogen sich ihre Mäntel an und gingen ins Freie. Der Schneefall hatte jetzt aufgehört und die Nacht funkelte sternenklar. Es war bitterkalt. Wolf nahm Corinne bei der Hand und ließ Dax von der Leine los. Sie gingen noch ein Stückchen durch den Schnee und unterhielten sich dabei nicht. Ab und zu spürte Wolf, dass seine Hand fest gedrückt wurde und er erwiderte das Drücken mit einem ebenfalls festen Händedruck.
„Was mag in ihr nur vorgehen?“ dachte er und dann gab er sich gleich selbst die Antwort: „Sie überlegt, ob ich sie anlüge und jedes Mal wenn sie wieder zu dem Ergebnis kommt, dass ich es ehrlich mit ihr meine, drückt sie meine Hand.“
Kurze Zeit später kamen sie beim Hotel an. In der Vorhalle befand sich, wie vorher schon, niemand mehr. Sie gingen über die Treppe und wollten gerade das Appartement betreten, als Corinne plötzlich zu Wolf herumfuhr.
„Halt um Gottes Willen jetzt Deinen Hund fest an der Leine, damit Mimi erst in Sicherheit gebracht werden kann.“
Wolf Lenning lächelte. „Mimi, braucht keine Angst vor Dax zu haben. Dax würde so gern einmal Mimi am Hintern lecken.“
Corinne musste jetzt lachen. „Warum? Leckt er gern Katzen am Arsch?“ fragte sie.
„Ja,“ antwortete Wolf. „Es kommt immer einmal vor, dass es ihm eine Katze gestattet und dann freut er sich und kann gar nicht mehr aufhören.“
Corinne musste lachen. „Das werden wir ja sehen!“
Sie ging zunächst kurz allein hinein und winkte dann den beiden anderen, zu folgen.
„Corinne, ich liebe Dich“, rief Wolf und schloss sie in seine Arme.
Sie hatte wieder Tränen in den Augen. „Wolf, ich liebe Dich“, murmelte sie und küsste ihn.
Wolf wartete nach dem Kuss einen Moment und meinte dann, Corinne könne ja die Flasche Wein öffnen.
Corinne verstand diesmal sofort. Sie öffnete die Flasche und betrachtete wieder neugierig das Etikett.
„Warum steht da Dein Name?“ fragte sie wieder.
„Weil ich diesen Wein mehr oder weniger gemacht habe. Das heißt, ich habe den Weinbauern genau angewiesen, wie er ihn auszubauen habe. Das heißt, er ist komplett durchgegoren und ich habe mich auch dafür interessiert, wie lange die Trauben noch gehangen haben.“
„Ah ja,“ meinte Corinne gedehnt. „Du redest also allen Fachleuten in ihr Handwerk hinein. Sogar den Weinbauern.“
Lenning schmunzelte. „So kann man es natürlich auch ausdrücken.“
„Übrigens,“ begann Corinne nach dem ersten Schluck wieder. „...der Wein schmeckt hervorragend. Ich habe es drüben nur so gesagt, in Wirklichkeit war er wie ein Kuss von Dir.“
Lenning nahm einen Mund voll des recht starken Weines und setzte seine Lippen auf die Corinnes. Mit einem leichten Druck der Wangenmuskulatur spülte er den Wein aus seinem Mund in den Corinnes. Corinne schluckte, nahm ihrerseits einen Schluck aus dem Glas und beförderte diesen auf die gleiche Weise in Wolfs Mund. Dann schaute sie wieder Lenning in die Augen. Ihre Lider schienen etwas tiefer zu hängen als vorher, ihre Rede wurde leicht langsamer.
„Du wolltest mir etwas erzählen“, begann sie von neuem.
„Ja, Corinne, ich erzähl´ Dir jetzt die ganze Geschichte. Ich will nichts weglassen, aber muss begreiflicher Weise ein bisschen zusammenfassen, sonst sitzen wir morgen um die Zeit noch hier. Wenn Du Fragen hast, beantworte ich sie Dir alle ehrlich, verknüpfe das allerdings mit einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
Corinnes Augenlider hoben sich kaum merklich.
„Du lässt mich zuhören, wenn Du mit dem Justizminister sprichst.“
„Aber Du redest mir nicht hinein!“
Corinne schien in ihren Überlegungen noch ganz klar zu denken.
„Nein, ich verspreche Dir, nicht reinzureden, wenn Du das nicht willst.“
„Gut, dann sollst Du hören, was ich mit Onkel Guy bespreche.“
„Ist er wirklich Dein Onkel?“ wollte Lenning noch wissen.
„Nein, aber ich kenne ihn schon, seit ich denken kann und für mich war er immer Onkel Guy.“
Lenning dachte eine Sekunde nach und dann begann er. Er erzählte Corinne im Großen und Ganzen seine ganze Lebensgeschichte, wobei er besonders hervorhob, wie er nach seinem Grundwehrdienst von Alfa angeworben wurde und was für eine wundersame Entwicklung seine diesbezügliche Karriere noch hatte. Corinne hatte derweil in einem der großen Sessel Platz genommen und sich zurückgelegt. Sie hielt die Augen noch weiter geschlossen, aber Lenning spürte, dass sie nicht schlief. Ab und zu unterbrach sie ihn mit einer Frage oder einer Schlussfolgerung, die sie nun selbst ziehen konnte. Schließlich stand sie auf und ging zu dem niedergebrannten Kaminfeuer. Dort angekommen suchte sie nach Brennholz. Da keines mehr vorhanden war, trat sie auf den Balkon, während ihr Dax sofort hinaus folgte. Sie brachte drei große Stücke Kaminholz mit und legte nach.
„Glaubst Du, dass die Glut ausreicht, dass das noch anbrennt?“
„Schon, dieser Kamin hat einen sehr guten Zug, warte es nur ab. Und im übrigen willst Du wieder jemand anderem ins Handwerk hineinreden!“ Sie lächelte.
Wolf blickte etwas indigniert. „Ich wollte Dir nicht reinreden.“
„Du hast mir reingeredet,“ behauptete sie und zog die Lüftung etwas auf.
Die Glut zeigte Wolf Lenning sofort, dass Corinne recht haben musste. Sie schloss nun die Glastür, so dass der Zug von unten noch stärker die Glut entfachte und schließlich schlugen tatsächlich dicke Flammen empor. Es wurde merklich wärmer im Zimmer, nachdem Corinne wieder die Balkontür geschlossen hatte. Dann zog Corinne von der Couch die Überzugdecke, die ein sehr zotteliges weiches Aussehen hatte, herunter und breitete sie vor dem Kamin aus. Augenblicklich ließ sich Dax darauf nieder.
„Halt, das ist doch nicht für Dich,“ rief Corinne, aber es gelang ihr nur, Dax etwas zur Seite zu schieben.
Dax begann behaglich, erst seinen Hintern und dann seine Pfoten zu lecken. Corinne blickte zu Lenning fragend hin, der in einem Sessel Platz genommen hatte.
„Dein Hund lässt Dich nicht zu mir. Erzähl´ weiter.“
Lenning setzte die Erzählung vom Sessel aus fort, als plötzlich Mimi aus dem Schlafzimmer kam. Sie ging schnurstracks zum Bad. Im Bad, das hatte Lenning schon bemerkt, befand sich das Katzenklo und Mimi fühlte wohl, dass es notwendig war, sich dort hinzubegeben. Dax hatte auch Mimi wahrgenommen und sich langsam erhoben. Er war nicht mehr der Jüngste und schließlich gehörte die Katze zum Haus und konnte ihm gar nicht entwischen. So jedenfalls musste Dax gedacht haben, als er ins Bad trottete. Kurz darauf hörte man, dass er Wasser schlabberte.
„Hast Du Mimi draußen ein Wasser hingestellt?“ wollte Lenning wissen.
„Natürlich. Die Tiere brauchen doch bei dieser Raumtemperatur und der geringen Luftfeuchtigkeit ständig Wasser.“
Lenning war erstaunt, dass kein Ton mehr aus dem Bad kamen. Und als er plötzlich sehr schmatzende Geräusche vernahm, begab er sich vorsichtig hin, um durch die Badezimmertür zu spähen: Tatsächlich, dort lagen Hund und Katze auf dem Badvorleger und Dax schleckte genüsslich über den Katzenpo. Wolf deutete Corinne stumm an, zu kommen und als sie die beiden beobachtet hatten, legte Corinne sanft den Arm um Lennings Hals und schob ihn in Richtung Kamin.
„Willst Du Dich nicht zu mir an den Kamin legen?“ fragte sie.
„Soll ich Dir auch den Hintern lecken?“ fragte Lenning amüsiert und Corinne verstand den Witz.
„Wenn Du willst, er ist aber ganz frisch gewaschen.“
Die beiden lagen eine Zeit lang still ganz eng nebeneinander auf der flauschigen Decke vor dem Kamin und schauten in die Flammen.
„Bist Du fertig mit dem Erzählen?“ fragte Corinne.
„Eigentlich ja, Du weißt ja jetzt alles.“
„Fast alles,“ sagte Corinne. „Aber ich habe das Gefühl, alles zu wissen, was notwendig ist. Ich glaube Dir...“
Sie schauten sich in die Augen.
„Ja, Du kannst mir auch glauben,“ meinte Wolf. „Warum sollte ich Dich anlügen.“
„Ich weiß, dass Du mich nicht anlügst“, erklärte Corinne.
Und danach betrachteten sie sich gegenseitig.
„Du trägst heute Abend ein wunderschönes Kleid,“ begann Wolf und Corinne machte eine Handbewegung, als ob sie abwinken wollte.
„Das hab ich nur deinetwegen angezogen.“
„Warum?“ fragte Wolf ungläubig.
„Weil ich gespürt habe, dass es Dir gefallen würde.“
„Wie kannst Du das spüren, bevor ich es sehe?“ Wolf betrachtete sie neugierig.
„Weißt Du, ich habe die ganze Zeit mehr gespürt als gewusst. Schon als Du dort in Razards Büro kamst.“
„Was hast Du da gespürt?“ Lenning wurde neugierig.
„Ich habe gespürt, wie gefährlich Du mir wirst,“ gestand Corinne und sie lächelte nicht.
„Corinne, eine Frau mit Gespür,“ erwiderte Lenning etwas ironisch, aber Corinne verstand es keineswegs ironisch.
„Ja, ich habe wirklich ein sehr feines Gespür. Das kannst Du mir glauben.“
„Nun, was sagt Dir Dein Gespür noch? Erzähl Du über Dich!“
Corinne glaubte, bei ihr gäbe es nicht so viel zu erzählen. Sie war das Kind aus zweiter Ehe eines schweizerischen Privatbankiers und sozusagen das Nesthäkchen. Ihr Mutter war sehr musisch begabt und so vollzog sich die Ausbildung des Töchterchens, das von allen behütet und umsorgt aufwuchs, zunächst daheim unterrichtet wurde und später eine Privatschule besuchte. Das Universitätsstudium absolvierte sie teilweise an einer amerikanischen Eliteuniversität, teilweise in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Aufgrund von sehr guten Beziehungen trat sie sofort nach dem Studium in die Genfer Justiz ein und hatte dort von Anfang an gewisse Probleme, da sie keine richtigen Erfahrungen in der Mitarbeiterführung mitbrachte. Schließlich kam dieser für sie doch sehr aufregende 9. Januar, der ihr Leben entscheidend beeinflussen sollte. Wolf strich ihr über die Haare.
„Du hast wunderschöne Haare.“
„Du weißt genau, dass die Locken nicht echt sind.“
„Dennoch sind Deine Haare wunderschön. Auch die Locken, die Du gedreht hast.“
Corinne schmunzelte jetzt doch. „Das sind eigentlich keine Locken, das sind Wellen.“ verbesserte sie ihn
Corinne schaute wieder zu Wolf. Wolf und Corinne lagen jetzt Gesicht an Gesicht, jeweils auf einen Ellbogen aufgestützt und betrachteten sich gegenseitig. Wolf hatte schon vorhin die Anzugjacke abgelegt und sein weißes Hemd stand in einem eklatanten Kontrast zum schwarzen Kleid Corinnes. Während beide sich wieder zärtlich umarmten, kamen sie in eine kniende Stellung.
„Kniest Du vor mir, Wolf, oder knie ich vor Dir?“ fragte Corinne und Wolf lachte.
„Ist das nicht egal. Wir knien eben voreinander.“
Sie umarmten sich wieder und während dieser Umarmung kamen Wolfs Finger im Nacken von Corinne auf den Reißverschluss, den er ganz langsam nach unten zog. Er zog den Reißverschluss tiefer und tiefer und war selbst erstaunt, dass es gar kein Ende gab.
Wolfs Hand hatte fast das Ende des Reißverschlusses erreicht, als er das Gefühl bekam, fast stranguliert zu werden:
Corinne hatte nämlich damit begonnen, Lennings Krawattenknoten zu lockern und tat das in der ihr eigenen „kraftvollen Weise“. Vielleicht hatte sie auch zwischendrin die falsche Richtung beim Aufziehen des Knotens gewählt, jedenfalls war zunächst Wolfs Tatendrang stark gebremst. Zwar verharrte seine rechte Hand noch dort, wo der Reißverschluss geendet hatte, doch mit der linken fasste er sich unwillkürlich in den vorderen Teil des Kragens, um Luft zu bekommen. Als er Corinnes Lächeln erblickte, vergaß er fast, dass ihm beinahe die Luft ausgegangen war und streichelte ihr mit der linken Hand über die schönen Wangen, während er mit der rechten dort, wo der Reißverschluss geendet hatte, in das Kleidungsstück eindrang und die dort befindlichen nicht minderschönen Backen drückte. Er wollte etwas sagen, doch Corinne legte ihm den Finger auf den Mund.
„Pssst!“ zischte sie leise, während sie die Krawatte zu dem Sessel hinüberwarf und den obersten Hemdknopf öffnete.
Wolf hörte das Knacken des brennenden Holzes im Kamin und streckte sich auf der zotteligen Unterlage, wobei er zwangsläufig mit der rechten Hand unter dem Kleid Corinnes Taille zu fassen bekam. Er zog sie an sich und sie ließ ihn gewähren. Jetzt erst merkte Wolf Lenning, dass dezente Musik den Raum erfüllte. Corinne musste eine CD eingelegt haben, bevor sie zusammen vor den Kamin gezogen waren. Ihm kam es vor, als ob lauter Oldies gespielt würden, was ihm nicht ungelegen kam. Nicht dass er generell gegen aktuelle Hits eingestellt gewesen wäre, gab er doch bestimmten Liedern, meist einige Jahre älteren, den Vorzug.
Corinnes Lippen näherten sich wieder Wolfs Lippen und er verlor schon allein durch die nähere Geräuschkulisse, die Corinnes Umarmung seinen Ohren auferlegte, die Musik von außen und begann nach innen zu lauschen. Er spürte plötzlich Corinnes Atem am Ohr und es war ihm, als höre er ein leises Stöhnen. Ein leichter Biss in das Ohrläppchen weckte Wolf aus dem Beinahe-Vorschlaf auf und veranlasste ihn, seinerseits mit der Zunge Corinnes Ohr zu belagern.
Während dieser Zeit war es Corinne gelungen, sämtliche Knöpfe am weißen Hemd Lennings zu öffnen. Sie war dabei nicht sonderlich geschickt und kratzte einige Male mit ihren Fingernägeln an seiner Brust, zwar nicht schmerzhaft, doch im wahrsten Sinne des Wortes „eindrucksvoll“, so dass Lenning beim späteren Betrachten kleinerer Streifen auf der Haut auf die Idee kam, Corinne habe ihn nicht unabsichtlich ihre Anwesenheit fühlen lassen.
Währenddessen fuhr Wolf unter dem Kleid mit dem Arm von der Taille aufwärts, bis er plötzlich an eine so eigentlich unerwartete Textilie kam. Mit den Fingern am Rücken drüberstreichend merkte er, dass Corinnes sehr feiner BH am Rücken keinen Verschluss hatte. Darüber hinwegstreichend zog er das schwarze Kleid weiter nach oben und mit einem Ruck nahm Corinne den Kopf aus der durch den geöffneten Reißverschluss erheblich ausgedehnten Öffnung, gleichsam einem Kopf, der aus der Schlinge gezogen wird. Die Bewegung schien Wolf unglaublich anmutig und er wollte gerade nach dem Kleid greifen, um es hinüber zu legen, als Corinne es durch das ganze Zimmer segeln ließ. Wolf betrachtete den Flug des Kleides und war fasziniert von den aerodynamischen Eigenschaften, die er einem solchen Kleid gar nicht zugetraut hätte.
Dann glitt sein Blick zurück auf Corinne, die vor ihm ausgebreitet auf dem Zottelteppich lag. Die Flammen des Feuers tauchten den hellen Körper in ein bewegungsspendendes Licht, wobei der Kontrast zwischen der hellen Haut einerseits und den noch verbliebenen schwarzen Textilien andererseits so betont wurden, dass sich Wolf für einen Moment außer Gefecht gesetzt sah. Der schwarze Büstenhalter hatte trotz der dunklen Farbe eine Transparenz, die jeder Phantasie entgegen kam. Gleiches galt für den schwarzen Slip, der mehr zu enthüllen, als zu verbergen schien und dann stellten sich dem abwärtsgleitenden Blick Wolf Lennings die halterlosen dunklen Strümpfe mit Naht.
Hätte Wolf Lenning in diesem Augenblick seine Leica zur Hand gehabt, hätte er ein Bild geschossen, das Hamilton hätte verblassen lassen. Das lag zum einen sicher an der Schönheit des Models, andererseits aber auch an der genialen Beleuchtung, die mit jedem Flackern zu wechseln schien.
Corinne lag ganz ruhig, obwohl das Flackern die Illusion von Bewegungen aufkommen ließ. Wolf richtete sich unwillkürlich weiter auf, so, als ob er mit den Augen das Bild einfangen wollte, das der Kamera verwehrt bleiben würde. Seine Bewegung setzte sich in einer Bewegung Corinnes fort, die mit ihren langen hellen Armen nach Wolfs Gürtel fasste. Problemlos gelang es ihr, Gürtel und Hose zu öffnen und den Reißverschluss, der keineswegs so endlos, wie der an ihrem Kleid war, herunter zu ziehen. Danach ließ sie die Arme sinken und betrachtete das Ergebnis ihrer Arbeit. Wolf beugte sich vor, wobei er sich teilweise Corinnes Blick entzog, indem er ihr Blickfeld einschränkte.
„Wolf, je t´aime,“ flüsterte sie und richtete auch ihren Oberkörper leicht auf, während Wolf für einen Mann seines Alters nicht ungeschickt Corinnes Frontverschluss am Büstenhalter öffnete. Die Körbchen verharrten noch an ihrer Stelle, aber die helle Haut des Dekolletés hatte nun Verbindung mit der alerbasterfarbenen Haut ihres - Gott sei Dank - nicht allzu flachen Bauches. Wolf fuhr diese neue Verkehrsanbindung der weißen Fläche mit dem Finger nach und kam so vom Hals über das Dekolleté bis zum Nabel.
„Wolf, je t´aime,“ wiederholte Corinne, wobei die Stimmlage ruppiger wurde, als ob eine Erkältung ihren Kehlkopf rauer gemacht hätte.
„Ich Dich auch,“ erwiderte Wolf und setzte die Abwärtsbewegung mit Mittelfinger und Zeigefinger fort.
Corinnes Slip saß nicht so straff, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte. Beim nach unten Ziehen setzte er keinerlei Widerstand entgegen und Wolfs Finger kamen augenblicklich in einen dunkleren Bereich und Wolfs Fingerspitzen strichen durch ein sehr haariges Feld, bevor sie sanft von Corinnes Händen abgefangen und wieder nach oben geführt wurden.
„Trop vite, pas trop vite!“ Corinne flüsterte und in ihrem Flüstern lag ein Bitten, dem Wolf sich nicht entziehen konnte.
Er lehnte sich zurück und lag einen Moment auf dem Rücken, als Corinne sich ihrerseits aufsetzte und auf die Knie stützte. Beide Hände fingen ihren nach vorn vorgebeugten Oberkörper ab, die eine Hand links, die andere rechts von Wolfs Gesicht.
„Oh, oui, je t´aime,“ flüsterte sie und Wolf beobachtet ein Zittern, das durch ihren Körper lief.
In diesem Augenblick konnten die Körbchen ihres Büstenhalters die schwere Last nicht mehr halten und schwangen wie eine Flügeltür nach außen auf. Vor Wolfs Gesicht schwebten nun förmlich Corinnes Brüste, die auf Grund der Schwerkraft einen starken Drang nach unten zu ihm hatten und während wiederum ihre Lippen seinen Mund trafen, spürte er das weiche, in sanfter Deformation energieverzehrende Auftreffen.
Wolf legte seine Arme um Corinnes Rücken und presste sie fest an sich. Einen Augenblick verharrten sie so. Wolf strich mit den Händen über Corinnes Rücken bis er den Bereich des Gesäßes erreichte. Zu seiner Verwunderung musste er feststellen, dass das dort noch vor kurzem anwesende Kleidungsstück nicht mehr vorhanden war. Er bog sich leicht nach oben, um festzustellen, was vorgefallen war. Die Neugierde ließ ihn also selbst in diesem Moment nicht los und so konnte er feststellen, dass Corinnes Slip Verschlüsse an der Seite hatte, die er möglicherweise zuvor oder auch sie selbst geöffnet hatte, so dass bei der Drehbewegung das Kleidungsstück sich ganz einfach wie ein Schmetterling abgesetzt hatte. Corinnes Hinterteil war fast noch weißer als die übrige Haut. In ihrer vollständigen Nacktheit kam sie Wolf eben wegen der Helle der Haut noch zarter, noch fragiler und noch nackter vor.
Mit einem Ruck drehte Lenning sich und Corinne so, dass nunmehr Corinne auf dem Rücken zum Liegen kam, während er seinerseits sich mit den Händen abstemmte. Corinne fuhr mit ihren Händen über Wolfs Brust und machte jeweils an den kleinen Streifen, die sie mit ihren Fingernägeln gekratzt hatte, Halt. Dann kraulte sie ihn an den dort vorhandenen Haaren.
„Deine Haare regen mich auf,“ presste sie jetzt wieder auf Deutsch hervor.
„So ähnlich, wie mich Deine Haare aufregen,“ entgegnete er und kam zu der einzigen dunklen Stelle ihres Körpers, an der er vorhin so plötzlich und sanft abgefangen worden war.
Ein leichtes Kraulen an dieser Stelle wurde ihm wohl gestattet und weiter wollte Wolf in diesem Augenblick noch nicht gehen, denn er spürte, dass Corinne noch nicht so weit war. Sie würde ihn dort immer und immer wieder abfangen und damit bewirken, dass der Drang nach dem Neuen in Wolf nur noch stärker aufleben würde. Die Konfrontation wäre dann vorprogrammiert gewesen.
Lenning streichelte Corinnes Brüste, wobei er sanft in den V-förmigen Öffnungen zwischen Daumen und Zeigefinger beide Brüste durchgleiten ließ, um zwischen den Fingerspitzen die Spitzen der Brüste sanft haltend zu fangen.
Corinne begann schwerer zu atmen. Immer noch küsste sie abwechselnd Wolf im Gesicht, auf den Mund, auf die Stirn und auf die Brust, aber die Küsse wurden kürzer und ihre Bewegungen leicht heftiger.
Gerade als sich Lenning wieder legen wollte und das Abstützen mit den Ellbogen aufgab, zog sie rasch an Lennings Slip, so dass dieser zunächst in Höhe der Oberschenkel hängen blieb.
Währenddessen glitt Wolfs Hand an Corinnes Hüfte abwärts mit Tendenz zur Mitte. Was er zu spüren bekam, überraschte ihn zunächst tatsächlich:
Corinnes Haut war in diesem Bereich völlig nass. Damit hatte er tatsächlich nicht gerechnet und so bewegte er seine Hand vorwärts und drang von hinten kommend zu der Stelle vor, zu der ihm der Einlass von vorn verwehrt worden war. Einen nennenswerten Widerstand gab es in diesem Augenblick nicht mehr. Lediglich als Wolf mit dem Finger weiter vorfühlen wollte, spürte er einen leichten Widerstand und im nächsten Augenblick hatte Corinne mit einem Hüftschlag sich ganz aus der Umklammerung befreit und aufgerichtet. Sie schaute Wolf liebevoll an.
„Wie soll ich es Dir sagen?“ meinte sie und legte sich von neuem vor ihn, das obere Bein leicht abgewinkelt aufgesetzt.
Wolf verstand nicht ganz und war umso erstaunter, als er Corinnes rechte Hand um seinen Hoden fühlte. Einen Augenblick lang war ihm die Bewegung unangenehm, denn diese empfindsame Stelle wollte Lenning nicht in fremde Hände geben. Als er jedoch spürte, dass hier keine Angst begründet war, ließ er Corinnes Hand einen Moment dort, um sie dann sanft nach vorne zu ziehen und tatsächlich fasste Corinne nunmehr nach Wolfs Phallos. Beide lagen nun fast parallel zueinander und Corinne führte mit der Hand Wolfs Glied in Richtung ihrer Vagina. Wolf wusste zunächst nicht, wie er das Verhalten nunmehr deuten sollte und schob das Becken so vor, dass seine Eichel zwischen Corinnes Schamlippen zum Liegen kam, als diese sich plötzlich wieder eines Besseren besann und zurückzog. Lennings Hand glitt vor und streichelte zärtlich Corinnes Klitoris.
„Warum verhältst Du Dich so merkwürdig?“ dachte er und fragte „Was hast Du nur vor?“
Corinnes Augen hatten einen noch stärkeren Glanz als vorher angenommen und sie schob ihr Becken wieder in Richtung Wolf, so dass sich beide an der gleichen Stelle wieder trafen. Doch bevor Wolf mit seiner Hand nachhelfen konnte, hatte Corinne diese Hand mit der ihren gefasst und sagte fast in einem schulmeisterlichen Ton: „Die Hände brauchst Du jetzt nicht.“
Lenning schien nunmehr verstanden zu haben. Mit geschickten Bewegungen manövrierte er nunmehr sein erigiertes Glied in Richtung der jetzt geöffneten Scheide Corinnes. Corinne ihrerseits kam Wolf entgegen und tatsächlich gab es auf Grund der stark reduzierten Reibung in diesem Bereich so gut wie keinen Widerstand mehr. Mit einer letzten Anstrengung, zu der sich beide aufrafften, gelang ihnen ohne jede Zuhilfenahmen der Hände die Vereinigung aus der Seitenlage.
Lenning spürte dabei, wie ein Zittern durch Corinnes Körper lief. Das Zittern ging über in ein Beben und Wolf drehte Corinne und sich unwillkürlich so, dass Corinne wieder auf dem Rücken zum Liegen kam. Einen Augenblick schien sie sich zu wehren, aber im nächsten Augenblick spürte Wolf keinerlei Widerstand mehr und schob - in der Position oben angekommen - sich der ganzen Länge nach in Corinnes Inneres. Dabei wurde ihm erst bewusst, dass er zuvor noch keineswegs ganz dort angekommen war, wo beide es sich gewünscht hatten. Corinnes Körper verharrte einen Moment wie in einer Starre, um dann einem Beben Platz zu machen, das - wesentlich stärker als zuvor - Wolf zum Höhepunkt trieb. Explosionsartig verkrampften und entkrampften sich beide Körper, um danach wieder zur Seitenlage zu gelangen, indem wohl Lenning und Corinne instinktiv wieder zusammen wirkten. Corinnes Augen waren nun geschlossen. Lenning betrachtete sie, bewegte sich jedoch nicht. Kleinere Nachbeben, die Lenning immer weniger wahrnahm, führten schließlich dazu, dass Corinnes Körper ebenso schnell an Kraft verlor, wie Wolf selbst. Corinnes Atem, der zunächst ruckweise Luft ansaugte, um sie ebenso ruckweise wieder auszustoßen, ging plötzlich flacher. Schließlich verriet eine völlig regelmäßige Atmung, dass Corinne eingeschlafen war. Noch wenige Augenblicke und Wolf würde selbst vom Schlaf übermannt nicht einmal mehr das wunderschöne Bett aufsuchen, das er zuvor schon so lüstern betrachtet hatte.
Lenning wurde zunächst von einer nassen Zunge geweckt, die kräftig schmatzend erst die Ohren und das Genick überstrichen. Dann hörte er den Glockenschlag einer sicher nicht ganz billigen Standuhr. Schließlich wurde er der restlichen Glut gewahr, die nicht weit von ihnen noch dunkelrot schimmerte. Lenning überlegte, wo denn der Lichtschalter sein mochte, als Corinne plötzlich auch aufwachte. Mit dem Arm angelte sie nach einem Kabel und Lenning stellte fest, dass Corinne das Kabel von einer Stehlampe gefunden hatte, das unter ihnen durchlief. Lenning verfolgte das Kabel und fand sofort einen Schalter, nach dessen Betätigung der Blick frei war. Corinne sah zauberhaft aus. Ihre Gesichtszüge waren jetzt viel weicher als je zuvor und liebevoll streichelte sie Wolf, während sie sich beide erhoben.
„Wir gehen besser ins Bett,“ meinte sie, „es ist hier doch etwas zu hart.“ und sie zeigte auf das Zotteltuch, dass an einer Stelle kräftig verfärbt war.
Wolf wollte es sich genauer anschauen, doch Corinne zog das Tuch unmittelbar vor seinen Augen weg und nahm es mit ins Bad. Wolf dachte sich nicht sehr viel dabei, zumal in solchen Situation eben Flecken etwas ganz Normales sind. Schließlich musste er selbst noch einmal zur Toilette gehen und stellte fest, dass Corinne das Tuch in die Badewanne gelegt hatte und etwas Wasser eingelaufen war. Die Farbe des Wassers fiel Lenning erst auf, als er seine Blase fast vollständig entleert hatte: Das Wasser war blutig rot. Lenning prüfte mit einem Stückchen Toilettenpapier und stellte fest, dass auch etwas Blut an seinem Glied anhaftete. Auch jetzt war Lenning nicht übermäßig überrascht, denn es war ja nicht auszuschließen, dass Corinnes Tage eingesetzt hatten. Das jedenfalls würde, meinte er, das anfangs etwas zickige Verhalten erklären.
Noch während er auf die flauschige Decke in der Badewanne schaute, trat Corinne zwischen ihn und die Wanne. Sie beobachte argwöhnisch seinen Blick und fragte, ob da etwas besonderes zu sehen sei. Lenning verneinte und Corinne stieg in die Wanne, um sich abzuduschen. Dabei schob sie mit einem verstohlenen Blick zu Wolf die Flauschdecke nach hinten. Wolf folgte ihr in die Wanne, um sich auch frisch zu machen und Corinne wrang die Decke aus und verließ damit die Wanne. Wolf war etwas erstaunt über dieses Verhalten, maß ihm aber keine besondere Bedeutung bei. Als er wenig später wieder ins Schlafzimmer trat, lag Corinne zugedeckt bis zum Hals in dem breiten französischen Bett und erwartete ihn.
„Komm zu mir, mir ist kalt,“ bat sie und hob den Deckenzipfel hoch.
Wolf stieg schnell ins Bett und legte sich hinter Corinne. Corinne kuschelte sich an ihn, vermied jedoch jeden Kontakt mit seinem wieder erregierten Glied. Auf jeden Fall wich sie nachhaltig aus und Wolf respektierte es nach anfänglichem Zögern. Dabei berührte er sie leicht mit der Hand und auch hier zuckte sie zurück.
„Es brennt etwas,“ meinte sie entschuldigend und kurz darauf schlief sie in Wolfs Armen ein. Wolf liebkoste ihre Brüste und spürte ein sanftes Aufbäumen in ihrem Körper, bevor er auch selbst einschlief.
Wolf und Corinne wachten fast gleichzeitig auf. Corinne räkelte und streckte sich und Wolf suchte den körperlichen Kontakt zu ihr. Diesmal wich sie seiner eindringlichen Berührung nicht aus, verzog jedoch mehrmals das Gesicht schmerzhaft. Wolf, dem dies auffiel fragte, ob sie irgendwelche Beschwerden hatte, doch Corinne verneinte und drückte sich fester an Wolf. Wolf hatte noch gar nicht nach der Uhr geschaut, doch plötzlich kam ihm die Idee, wenigstens jetzt zu sehen, wie spät es war. Überrascht musste er feststellen, dass schon 10:00 Uhr vorbei war und möglicherweise auf das Frühstück verzichtet werden musste. Er wollte Corinne nicht aus ihrer schönsten Morgenstimmung reißen und verschwieg ihr deshalb, dass die Zeit schon soweit fortgeschritten war. Wenig später lagen beide eng nebeneinander auf dem Rücken. Corinnes Hände fassten Wolfs Hände und sie führte seine rechte Hand vor ihr Gesicht.
„Du hast schöne Hände.“ meinte sie.
Wolf war überrascht und fragte, was an Händen denn schön sein könne. Aber Corinne philosophierte über zu knochige und zu fette, zu kurze und zu lange Finger und Wolf glaubte, nunmehr vielleicht doch noch den Rest des Frühstücksbüffets retten zu müssen und fragte Corinne nach der Zeit. Diese meinte, dem Glücklichen schlage keine Stunde, doch Wolf bohrte etwas nach, indem er fragte, wie lange es denn Frühstück gebe und Corinne meinte bis 11:00 Uhr. Noch immer hielt sie die Uhr für keines Blickes wert. Wolf richtete sich plötzlich auf, kniete sich über Corinne und küsste sie liebevoll auf den Mund.
„Wenn wir beide nicht so beim Frühstücksbüffet erscheinen wollen, müssen wir uns jetzt anziehen, sonst wird es kein Frühstück mehr geben,“ meinte er und zeigte ihr seine Armbanduhr, die er vom Nachtisch herübergeangelt hatte.
Corinne schien etwas zu erschrecken, stellte dann jedoch fest, dass der Mensch nicht nur vom Frühstück allein lebe. Eile war für sie kein Gedanke mehr. Sie schien überaus glücklich. Um ihre Mundwinkel spielte ständig ein Lächeln und mit ihren Augen folgte sie jeder Bewegung Wolfs.
Wolf überlegte kurz. „Was ziehst Du denn jetzt an?“
Corinne musste lachen. Ihr war nicht entgangen, dass Wolf ja nur den Anzug vom letzten Abend hier hatte und nunmehr gezwungen war, beim Frühstück mit Anzug und Krawatte zu erscheinen.
„Eigentlich hätte ich schon meinen Skianzug angezogen,“ sagte sie. „Aber aus Solidarität mit Dir bin ich bereit, im Kleid von gestern Abend hinunter zu gehen. Wir gehen dann hinüber und holen Deinen Koffer, damit Du Dich auch entsprechend anziehen kannst.“
Wolf war tatsächlich über diesen Vorschlag erfreut. Ökonomischer wäre es sicher gewesen, wenn Corinne schon ihren Skianzug angezogen hätte und sie dann mit ihm zusammen in Wolfs Hotel gegangen wären, wo er sich kurzerhand umgezogen hätte, aber irgendwie kam er sich komisch vor, wenn er im Anzug und Corinne im Skidress beim Frühstück sitzen würden. Die anderen waren bestimmt schon lange auf der Piste und es war anzunehmen, dass man sich den ganzen Tag nicht mehr begegnen würde, zumal das Skigebiet eine ungeheure Ausdehnung hat.
Wolf musste noch Dax ausführen, während Corinne mit dem Kätzchen weniger Probleme hatte. Schließlich kamen beide mit einer Reisetasche aus Wolfs Hotel zurück und Wolf fing an, etwas zu drängen. Beide zogen sich rasch um und kamen schließlich zu einem Zeitpunkt auf die Piste, als die meisten zur Mittagspause in irgendwelche Hütten eingekehrt waren.
Abends begaben sich Wolf und Corinne zunächst in den Skikeller des Hotels „Rob Roy“. Dort stellten sie beide Paar Ski in dem zu Corinnes gehörenden Skischrank ab und gingen zu Fuß mit Dax, der in Corinnes Appartement geblieben war, zu Wolfs Hotel. Dort trafen sie mit den anderen zusammen, die gerade aus dem Skikeller kamen. Der Empfang war für beide sehr freundschaftlich, obwohl die Freunde, insbesondere Tom, sich ein wenig beleidigt gaben.
„Wir wollten doch zusammen Skifahren und jetzt sind wir total auseinandergerissen.“
Er erzählte Wolf, dass Plummy mit ihm und John zuerst nicht mehr Schritt halten konnte und schließlich doch wieder einen Skikurs gebucht hatte. John und Tom waren schließlich zusammen gefahren und hatten sich mit Plummy zur verabredeten Zeit beim Hotel getroffen. Sie hatten den ganzen Tag gehofft, Lenning irgendwo zu treffen, doch ihre Hoffnung hatte sich spätestens am Nachmittag zerschlagen, als sie erkennen mussten, dass es neblig wurde.
„Wann seid Ihr denn auf die Piste gekommen?“ wollte John wissen und Wolf schaute entschuldigend zu Corinne, die frei erklärte, dass man fast den ganzen Vormittag noch im Bett verbracht hatte.
„Was habe ich Dir denn gesagt.“ Tom schaute zu John. „Wolf haben wir für diesmal abzuschreiben.“
Wolf wollte etwas dazu sagen, doch John und Tom duldeten keine Widerrede. Sie wehrten mit einer sehr energischen Geste alle Rechtfertigungsversuche Lennings ab und schließlich gab Lenning es auf, die anderen überzeugen zu wollen.
„Weißt Du was, Wolf?“ fing schließlich John an. „Ihr beide kommt wieder zum Dinner, damit wir heute wenigstens gemeinsam zu Abend essen und Deinen guten Wein verkosten und dann sehen wir uns erst wieder morgen Abend.“
Lenning überlegte kurz. „Morgen fahren wir gemeinsam Ski und heute essen wir einmal nicht gemeinsam zu Abend.“
„Auch gut,“ fanden die anderen und man verabschiedete sich bis zum nächsten Tag.
Wolf und Corinne begaben sich zurück zum Hotel „Rob Roy“ und beide gingen früh zum Abendessen.
„Du glaubst nicht, wie hundemüde ich bin,“ jammerte Corinne.
Wolf lächelte. „Ich sehe es Dir an, Du hast richtige Ringe unter den Augen, mein Armes.“
Er gab ihr einen Kuss.
„Heute gehen wir früher ins Bett und morgen treffen wir die anderen.“
Das Abendessen war im First Class Hotel keineswegs besser, als in Pierre's Hotel und Corinne wäre fast beim Abendessen eingeschlafen. Immer wieder legte sie ihre Wange an Wolfs Schulter und schließlich musste Wolf feststellen, dass Corinne tatsächlich eingenickt sein musste. Nach dem Abendessen begaben sich beide noch kurz mit Dax ins Freie, um sich dann schnell in das Appartement zurückzuziehen. Im Kamin war von irgendeinem dienstbaren Geist schon ein Feuer angezündet worden und verbreitete mollige Wärme, als die drei verfroren eintraten. Dax wollte sich sofort vor den warmen Kamin legen, wurde jedoch wie magisch von Corinnes Kätzchen angezogen, das er dringend ablecken wollte. Diesmal jedoch entzog sich die kleine Katze seinen Zudringlichkeiten und nach einiger Zeit legte sich Dax auf die flauschige Decke, die jetzt über dem Sofa lag.
Wolf wollte ihn vom Sofa herunterjagen, doch Corinne meinte, auch der Hund sei heute so müde. Wolf überlegte noch, ein Bad zu nehmen, während Corinne eher für das Bett plädierte; da fand Wolf, ein heißes Bad nach diesem kalten Tag sei sicher für die Gesundheit das Beste. Schließlich willigte Corinne ein. Beide begaben sich ins Bad und Wolf stellte fest, dass in dieser Wanne ein Sprudelbad eingebaut war, das das Badevergnügen erst vollkommen werden ließ. Corinne war ganz überrascht, denn ihr war noch nicht aufgefallen, welche technische Einrichtung sich hinter den kleinen gummiüberzogenen Knöpfen verbarg. Sie tranken dazu einen Rotwein und Corinne hatte wahrscheinlich am heutigen Abend mehr zu sich genommen, als sie eigentlich vertragen konnte. Sie rutschte immer wieder in der großen Badewanne hinunter und stemmte sich deshalb mit den Zehenspitzen an Wolf ab. Dieser fühlte ein Kitzeln und wich aus.
„Wolf, halt doch still,“ bat sie und wischte sich die Augen.
Sie hatten einen recht scharfen Badezusatz und Corinnes Augen reagierten leicht allergisch. Nun war Corinne nicht mehr zu halten und Lenning folgte ihr ins Schlafzimmer. Corinne war tatsächlich inzwischen so müde, dass sie nach wenigen Minuten in enger Umarmung mit Wolf eingeschlafen war.
Wolf dachte über die Ereignisse der letzten zwei Tage nach. Für ihn war es durchaus nichts Ungewöhnliches, eine interessante Frau kennen zu lernen, die aus einer eher ihm Abneigung entgegenbringenden Rolle sich zum Positiven gewandelt hatte. Allerdings war für ihn völlig neu, dass aus einer solchen Begegnung ein so inniges Verhältnis werden konnte. Wolf Lenning konnte sich nicht erklären, wie es möglich war, dass er Corinne regelrecht ins Herz geschlossen hatte. Corinne sah sicher sehr gut aus, aber auch das vermochte nicht die tiefe Zuneigung zu erklären, die er gegenüber dieser nunmehr in seinen Armen sanft schlafenden jungen Frau empfand. Wie sollte das weiter gehen? Sie als Schweizerin, eingebettet offensichtlich in eine streng calvinistische Familie und er fest verankert in Deutschland. Allein die Entfernung musste zwangsläufig dazu führen, dass die Verbindung nur einen sehr losen Charakter annehmen würde. Sie würde sicher hier viele Verehrer haben, vielleicht war sie verlobt? Er fühlte sogar eine Eifersucht in sich aufsteigen, als er sich eingestehen musste, dass eine junge Frau diesen Alters unmöglich ohne festen Freund sein konnte.
Während ihm solche Gedanken durch den Kopf gingen, dachte er wieder an die blutige Decke in der Nacht zuvor. Corinne hatte offensichtlich nicht ihre Tage bekommen. Ihm war nämlich aufgefallen, dass sie keinerlei diesbezügliche Vorkehrungen getroffen hatte. Was hatte ihr merkwürdiges Verhalten in diesem Zusammenhang zu bedeuten? Er kam ganz plötzlich wieder auf andere Ideen, als das Telefon klingelte. Aus dem ersten Schlaf gerissen, schaute Corinne Wolf ins Gesicht, als dieser den Lichtschalter angeknipst hatte. Dann erst suchte sie nach dem Telefon und nahm den Hörer ab.
„Ja, ich habe schon geschlafen,“ hörte Wolf sie antworten.
„Nein, wie kommst Du darauf. Natürlich bin ich allein.“
Wolf spürte regelrecht einen Schmerz bei dieser Antwort und dachte, sie müsse sich jetzt mit ihrem Freund auseinandersetzen. Einen Augenblick lang wurde er in diesem Gefühl bestätigt, denn Corinne gab dem Anrufer durch die Leitung einen dicken Schmatzer und der so Geküsste, verabschiedete sich recht schwer.
„Natürlich telefonieren wir morgen früh wieder!“ sagte sie und endlich legte sie den Hörer auf.
Lenning war verunsichert, als er Corinne wieder in den Arm nehmen wollte, spürte er eine latente Abwehr. Corinne schien mit den Gedanken plötzlich woanders zu sein. Sie stand wieder auf und holte die Weinkaraffe, die vor dem Spiegel stand.
„Komm, Wolf, wir trinken noch einen Schluck Wein,“ schlug sie dann vorund es schien versöhnlich, als sie den Arm um Wolf legte.
Wolf getraute sich gar nicht, danach zu fragen, wer denn angerufen hatte und Corinne schien augenblicklich nicht über eine Antwort über die nicht gestellte Frage nachzudenken. Etwa eine Viertelstunde verstrich, ohne dass viel gesprochen wurde. Schließlich glaubten beide übereinstimmend, wieder ins Bett gehen zu müssen und Wolf legte sich zuerst auf den Rücken. Corinne nahm eine ähnliche Lage ein und knipste das Licht aus. Es dauerte sehr lange bis Wolf eingeschlafen war. Die verschiedensten Gedanken gingen ihm durch den Kopf: „Wäre es nicht vielleicht besser, morgen wieder zu Pierre ins Hotel zurückzukehren?“
Wolf schlief schließlich auf dem Rücken ein, was bei ihm nur sehr selten vorkam. Alpträume plagten ihn wieder einmal. Er träumte wieder von ihm feindselig gesonnenen Menschen, die in Fremdsprachen auf ihn einschrien. Im letzten Augenblick, bevor es zu Tätlichkeiten oder Übergriffen kam, erwachte er. Er war schweißgebadet und wusste im ersten Augenblick gar nicht, wo er sich befand. Schlaftrunken wollte er nach dem Lichtschalter suchen, doch in diesem Augenblick bemerkte er eine sanfte Berührung. Corinne war über ihn geglitten und saß nun auf ihm. Sie beugte sich zu seinem Kopf herunter und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund.
„Weißt Du, ich habe ihn halt furchtbar lieb,“ meinte sie und setzte ihren Kuss fort.
Lenning versuchte seinen Mund freizubekommen, um Corinne eine Frage zu stellen, aber Corinne gab ihn zunächst nicht frei. Als sie sich wieder aufrichtete, meinte sie zu Wolf erklärend:
„Er ist halt so viel älter als ich.“
Lenning entging dem nächsten, atemberaubenden Kuss, in dem er ganz schnell fragte, von wem sie denn überhaupt erzähle und Corinne suchte nach dem Lichtschalter.
„Von meinem Vater natürlich, von wem denn sonst.“
Lenning spürte so etwas wie Erleichterung.
„Liebst Du Deine Eltern nicht?“ sagte sie fast in einem schulmeisterlichen Ton.
„Mein Vater ist schon lange gestorben.“ meinte und Corinne reagierte wirklich anteilnahmsvoll: „War Dein Vater auch sehr viel älter als Du und Deine Mutter?“
„Nein, wie kommst Du darauf?“ Lenning ahnte was Corinne ihm sogleich erklärte.
Ihr Vater war fast 30 Jahre älter als ihre Mutter und behandelte diese und sie eher wie seine Kinder. Daraus entwickelte sich ein sehr kameradschaftliches Verhältnis zwischen Corinne und ihrer nur um 17 Jahre älteren Mutter, während sie in ihrem Vater sozusagen beide Elternteile erblickte. Corinne erzählte eine ganze Weile über ihren Vater und ihr Zuhause.
Aus ihrer Haltung heraus und insbesondere wieder den Maßstäben ihres Vaters entsprechend, war Corinne nicht in der Lage, einen festen Freund zu finden, der solchen harten Vorgaben genügen konnte. Und wenn Corinne einen Freund mit nach Hause gebracht hatte, war es auch der Vater gewesen, der fast eifersüchtig darüber wachte, dass sein Töchterlein nicht an den Falschen gerate. Corinne bestätigte Wolf gegenüber auch, dass ihr Vater sie streng in seinem calvinistischen Glauben so erzog, dass für sie ein Geschlechtsleben erst in der Ehe seinen Platz haben könne. Lenning interessierte diese Frage demnach auch brennend.
„Hast Du Dich denn nie fest verlobt oder gebunden oder...?“
„Nein, nein!“ unterbrach ihn Corinne. „Ich bin nicht verheiratet.“ Sie lächelte Lenning von der Seite an und hielt ihm, als er etwas sagen wollte, die Hand auf den Mund.
„Und verlobt bin und war ich auch nicht und damit lass mich jetzt in Ruhe!“
Lenning überlegte einen Moment, was das für ihn bedeuten konnte und meinte dann beruhigend: „Wir öffnen eine neue Flasche, diese hier ist schon zu Ende.“
Corinne hatte tatsächlich in der letzten halben Stunde das letzte Glas der Flasche allein geleert, während Wolf ihr interessiert zugehört hatte. Corinne folgte Wolf in das Wohnzimmer, als dieser die Flasche und den Korkenzieher holte. Sie stand ganz dicht hinter ihm, so als ob ihr keine seiner Bewegungen entgehen dürfte. Zunächst genoss Wolf Corinnes unmittelbare Nähe, dann jedoch fühlte er sich beobachtet.
Unwillkürlich ging er zum Tisch, um dort die Flasche zu öffnen. Corinne folgte ihm und beobachtete ihn, wie er sich auf dem Tisch zerstreut liegende Dinge anschaute. Ihm fielen eine Menge Medikamente auf, die auf der Seite lagen. Er betrachtete sie aufmerksam und stellte fest, dass es sich um Vitamine und Mineralpräparate handelte, außerdem war ein Kontrazeptivum dabei. Die Packung war nicht angebrochen. Lenning nahm die Packung und las, was in französischer Sprache darauf stand. Als er die Packung weggenommen hatte, stellte er fest, dass sich darunter dasselbe Präparat befunden hatte, bei dem vier Pillen fehlten. Zunächst dachte sich Lenning gar nichts dabei und das Gespräch über Corinnes Eltern wurde fortgesetzt.
„Dann hat also Dein Vater letztlich dafür gesorgt, dass Du bis heute noch nicht unter die Haube gekommen bist,“ sagte Wolf grinsend und Corinne widersprach.
„Nein, er hat absolut recht gehabt. Mit dieser Erziehung hat er verhindert, dass ich zu früh unter eine Haube gekommen wäre, die ich wahrscheinlich längst nicht mehr auf hätte.“
Lenning musste lachen: „Dann hältst Du es also im Ergebnis für besser, wenn ein Mädchen bis zu ihrem Lebensende Jungfrau bleibt, aus Angst davor, an den Falschen zu geraten? Denk an die Grabsteine, die in Bayern oftmals belegen „Hier ruht die Jungfrau...“.“
Corinne, die Lenning an der Hand genommen hatte, riss sich los und mit flammendem Blick schleuderte sie Lenning entgegen: „Glaubst Du vielleicht, ich bin noch Jungfrau?“
Lenning war augenblicklich das Lachen vergangen und er versuchte wieder, ihre Hand zu ergreifen.
„Warum bist Du auf einmal so zornig geworden? Habe ich Dich verletzt?“
Einen Moment lang wusste Corinne nicht, was sie sagen sollte.
„Schon gut,“ erwiderte sie schließlich beschwichtigend und ließ sich von Wolf auf die Schulter küssen. „Schon gut. Ich bin nur empfindlich, wenn sich jemand über meinen Vater lustig macht.“
Die letzten Worte kamen hervorgepresst und sie griff nach dem Pillenheftchen, das Wolf zuvor in der Hand hatte. Sie schaute darauf und meinte:
„Die für heute habe ich schon genommen,“ und damit legte sie das Heftchen wieder hin.
Wolf nahm es nun seinerseits in die Hand und schaute auf die aufgedruckten Wochentage.
„Was macht eigentlich eine Frau, die sich eine solche Packung kauft und nicht Französisch kann?“ meinte er schmunzelnd.
„Statt Mo, steht da Lun.“
Corinne lachte auch und meinte: „Das war die erste in dieser Packung.“
Und Wolf überlegte. „Das war der Todestag von Monsieur Razard.“
Und Corinne stutzte einen Moment. „Was ist daran so besonderes? Dort musste ich wieder damit anfangen.“
Wolf fiel die blutige Flauschdecke ein.
„Corinne...,“ fragte er, indem er sie fest mit den Augen fixierte „warum hast Du die Tagesdecke ausgewaschen?“
Corinne hielt seinem festen Blick nicht stand und sah zu Dax, der sich auf die beiden zubewegte.
„Weil sie verunreinigt war.“
„Mit was war sie denn verunreinigt, Corinne? Ich habe doch gesehen, dass die Decke blutig war und nicht nur die Decke,“ fügte er hinzu.
Corinne, die sich nunmehr in die Enge getrieben sah, verließ plötzlich das Wohnzimmer und verschwand ins Schlafzimmer. Einen Moment lang überlegte Wolf, ob denn das möglich sein könne, was ihm nunmehr wie Schuppen von den Augen fiel. Theoretisch hätte es sich um eine, aus welchen Gründen auch immer, ausgelöste Zwischenblutung handeln können. Theoretisch hätte es sich auch um irgendeine Verletzung handeln können, die sich Corinne bei der Heftigkeit des Liebesspiels zugezogen hatte. Theoretisch hätte es auch eine Verletzung Wolfs gewesen sein können, doch hier setzte die kritische Vernunft wieder ein. Dann hätte diese Verletzung nicht so schnell und vor allem schmerzlos wieder verschwinden können. Ihm ging die Unterhaltung der letzten halben Stunde noch einmal durch den Kopf. Also kann es doch nur so gewesen sein, dass die Erziehung durch den strengen Vater Corinne tatsächlich nachhaltig von jeder tieferen Begegnung mit dem anderen Geschlecht abgehalten hatte. Tatsächlich könnte es dann auch so gewesen sein, dass Corinne wegen ihrer Beziehung zu Wolf ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Vater entwickelt hätte und das wiederum könnte ihre Antworten vorhin am Telefon erklären. Inzwischen war Wolf Corinne ins Schlafzimmer gefolgt. Sie lag auf der Decke und weinte bitterlich. Wolf setzte sich auf die Bettkante und wollte Corinne in den Arm nehmen, doch Corinne dreht sich auf die andere Seite. Wolf wechselte nun ebenfalls die Seite und diesmal konnte ihm Corinne nicht entwischen. Mit einem schnellen Griff zog er sie an sich und wischte ihr die Tränen aus den Augen.
„Eine Frage, Corinne! War das vorhin wirklich Dein Vater am Telefon?“
Corinne nickte unter Tränen und beim Ausatmen flogen Wolf Tränen und Spucke ins Gesicht. Er machte sich nichts daraus, sondern küsste Corinne auf die feuchten Augen.
„Du machst Dir Gedanken, weil Du Deinen Vater angelogen hast.“
Corinne nickte und der Tränenfluss verstärkte sich.
„Warum hast Du Deinen Vater angelogen?“ wollte Wolf wissen.
Corinne zuckte die Achseln.
„Zu jung bist Du ja dafür nicht,“ lächelte Wolf Lenning und hatte damit aber genau das Falsche getroffen.
Corinne sprang aus dem Bett und rannte in die Toilette. Wolf folgte ihr so schnell, dass es ihr nicht mehr möglich war, die Toilettentür von innen zu verriegeln.
„Corinne, benimm Dich jetzt nicht wie ein kleines Kind!“ rief Lenning und umfasste von hinten ihren Oberkörper.
Als er sie sanft hochheben wollte, strampelte sie mit den Beinen, so dass beide fast zu Fall gekommen wären. Schließlich jedoch schaffte es Wolf, sie zurück zum Bett zu tragen und sanft darauf abzulegen.
„Corinne, werde jetzt wieder vernünftig!“ meinte er mit aller Härte. „Hast Du geglaubt, ich merkte nicht, dass Du Jungfrau warst?“
In diesem Augenblick war Corinne geschockt. Sie wiederholte das Wort „Virgine!“, danach brach sie wieder in Tränen aus.
„Habe ich recht oder nicht?“ Wolf hielt ihren Kopf nunmehr fest und setzte nach. „Glaubst Du, dass das eine Schande ist?“
Einen Augenblick lang schaute sie ihn an und schüttelte den Kopf.
„Besser, als zu früh den Falschen abbekommen zu haben,“ wiederholte Wolf den Sinn ihrer eigenen Worte.
Corinne hörte aufmerksam zu.
„Für mich ist das von ganz besonderem Wert,“ erklärte er ihr. „Ich habe schon befürchtet, Du hättest einen festen Freund, wärst vielleicht verlobt oder gar verheiratet. Wenn ich nun feststelle, dass Du noch keine intime Beziehung zu einem anderen Mann gehabt hast, dann freut mich das in unglaublicher Weise. Warum hast Du heute Deinen Vater angelogen? Du hättest ihm doch von mir erzählen können.“
„Das hätte ich nicht!“ bestand Corinne darauf.
„Dann mach’ ich Dir einen Vorschlag. Wir haben vom Justizminister gehört, dass ein Haftbefehl gegen uns herausgehen soll. Was liegt dann näher, als dass ich meine Freunde in Sicherheit bringe und mit Dir zu Deinem Vater gehe, der dann seinen Freund, dem Justizminister, alles erklären könnte.“
Corinne war einen Moment erstaunt. „Das wäre die einzige Lösung, Dich mit meinem Vater bekannt zu machen.“
Sie dachte nach. Man sah es ihrem Gesicht an, dass zwei Welten miteinander im Streit lagen. Hier die für sie seit frühester Kindheit an die Strenge des Vaters, des calvinistischen Maßhaltens gewöhnte und dort die sinnenfrohe Welt, in die sie von diesem deutschen Katholiken entführt worden war. Wie könnte sie diese beiden vereinen?
Die Zeit in den drei Tälern verlief nun tatsächlich eher so, wie Tom es kommen gesehen hatte. Wolf und Corinne kamen nicht frühzeitig genug aus dem Bett und sagten auch für die nächste Zeit nicht fest zu, mit den anderen frühmorgens auf die Piste zu gehen. Stattdessen zogen sie sich etwas mehr zurück und widmeten sich gegenseitig in einer Weise, die weder Wolf noch Corinne vorher gekannt zu haben schienen. Schließlich kam der letzte Tag des Kurzurlaubes. An diesem Tag schafften es Wolf und Corinne tatsächlich, noch vor den anderen auf der Piste zu sein und mit triumphierendem Blick erklärte Wolf, dass er es war, der heute auf die anderen gewartet hatte. Den Tag über fuhren sie mit den anderen, die sich aufrichtig über ihre Gesellschaft freuten. Erstaunlicherweise konnte heute auch Plummy mithalten und schließlich fand man sich zum Abendessen bei Pierre ein. Pierre hatte Wolf und Corinne zu diesem Abschiedsessen gelockt, indem er meinte, ein ganz großes Geheimnis warte auf die Runde, wenn man den letzten Abend in seinem Lokal verbringen wollte. Lenning und John hatten sich zunächst ausführlich über die Heimreise unterhalten. Lenning erzählte John von dem drohenden Haftbefehl in der Schweiz und John Bullock, der regelrecht erschrocken war, hörte gespannt Wolf Lennings Vorschlag an.
„Ihr drei fahrt mit Corinnes Auto nach Karlsruhe. Dort lasst Ihr das Fahrzeug an der Stelle stehen, wo wir uns getroffen haben und wo jetzt Euer Fahrzeug steht. Ihr fahrt dann mit Eurem Fahrzeug weiter und ich komme mit Corinne nach. Inzwischen kläre ich in Genf alles Erforderliche betreffs der Formalitäten und Corinne fährt dann von Karlsruhe aus mit ihrem Auto zurück nach Genf.“
John stimmte sofort zu. „Deine Idee ist wirklich fast genial. Was passiert jedoch, wenn wir beim Grenzübertritt Probleme bekommen?“
„Die bekommt Ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, weil dieses Auto überhaupt nicht kontrolliert wird. Bestenfalls wird man unser Auto kontrollieren und dann müssen wir eben den Onkel Justizminister bemühen.“ Lenning lachte.
John erklärte kurz Tom die Umstände und Tom fing an zu lachen.
„Das hat Wolf wieder perfekt gedreht. Wir nehmen den kleinen Clio und er fährt in der Luxuslimousine mit der Prinzessin heim.“
Der gute Tom scherzte jedoch nur und meinte es auf keinen Fall böse. Schließlich trennte sich die Gruppe sehr spät, nachdem man sich für den nächsten Morgen pünktlich für 10:30 Uhr verabredet hatte. Wolf kam mit Corinne in ihrem Clio zu dem Hotel der anderen gefahren und es wurde schnell eingeladen. Danach starteten die drei Gefährten, während Corinne, Wolf und die Tiere noch eine zeitlang blieben.
„Sollen wir noch einen Tag dranhängen?“ fragte Lenning.
Corinne fiel ihm sofort um den Hals. „Du hast meine innersten Gedanken erraten. Lass uns noch einen Tag oder zwei allein hier bleiben.“
Wolf meinte, er müsse erst noch telefonieren, bevor er das zusagen könnte und Corinne schaute glücklich in die Wintersonne.
Tatsächlich konnte Lenning erreichen, dass seine Sozien für ihn Termine wahrnahmen, während er noch mindestens einen Tag länger bleiben konnte. Ohnehin musste das Zimmer am Tag darauf geräumt sein, so dass auch Corinne mit süßestem Zureden nicht bewirken konnte, dass der Urlaub weiter ausgedehnt worden wäre.
Am nächsten Tag verließen die beiden mit ihren Tieren die drei Täler und fuhren nach Genf. An der Grenze gab es keinerlei Probleme. Corinne dirigierte Wolf zur Wohnung ihrer Eltern. Das Haus lag an einem Hang, der zur Seeseite hingeneigt war. Lenning fuhr auf Corinnes Empfehlung direkt vor das große Hoftor und Corinne stieg aus. Auf ihr Läuten hin, sagte sie etwas, das Lenning nicht verstehen konnte. Das Tor wurde geöffnet und Corinne stieg wieder in das Auto ein.
„Vati ist hier.“ sagte sie und war sehr aufgeregt. „Bitte reg´ ihn nicht auf, Du weißt, er ist schwer herzkrank und streng calvinistisch.“
Lenning musste lachen. „Sind beides keine guten Eigenschaften,“ schmunzelte er und streichelte beruhigend über Corinnes Wange.
Kaum war das Fahrzeug durch den parkähnlichen Garten vor das große Haus gerollt, als eine Dame, wohl nicht viel älter als Lenning selbst, deren Ähnlichkeit mit Corinne niemand entgehen konnte, ihnen entgegen kam. Wieder sprang Corinne aus dem Fahrzeug, umarmte ihre Mutter und stellte Wolf vor.
„Das ist Rechtsanwalt Wolf Lenning aus Deutschland.“
Corinnes Mutter trat auf Lenning zu und reichte ihm die Hand.
„Willkommen in Nyon!“ sagte sie auf deutsch fast ohne französischen Akzent und fuhr fort: „Sie sind es also, der uns doch einige Aufregungen in letzter Zeit bereitet hat.“
Eine ernste Kritik schwang mit, als Frau Curzon dies Lenning gegenüber sagte, dennoch schien ihre Grundstimmung Lenning gegenüber freundlich und sympathisch.
„Treten Sie näher, Herr Lenning.“
„Ah, da ist ja schon Vati.“
Corinne lief auf einen älteren grauhaarigen Herren, der von der Eingangstür der Veranda gekommen war, zu, umarmte und küsste ihn herzlich.
„Vati, ich stell Dir hier Rechtsanwalt Lenning vor.“
Herr Curzon kam auf Wolf Lenning, jedenfalls für sein Alter, schnellen Schritts zu und streckte ihm die Hand entgegen.
„Willkommen, Herr Lenning, wir haben schon einiges von ihnen gehört...“ und damit übergab er Lenning ein Thermodruckpapier, das wohl eben aus dem Fax gekommen sein musste, denn es schien noch warm zu sein.
„Lesen Sie ruhig, Herr Lenning. Der Haftbefehl gegen Sie ist aufgehoben worden.“
Lenning lachte. „Woher wissen Sie...?“
„Aber Herr Lenning! Machen Sie sich doch keine Illusionen! Die gesamte Kantonspolizei hat Sie zeitweise gesucht und schließlich habe ich von meiner Tochter erfahren, wo Sie sich befinden und was es alles auf sich hat, das heißt, die Hintergründe sind mir inzwischen ebenso bekannt und ich gehe davon aus, dass Sie mit dem Mord an Monsieur Razard nichts zu tun haben.“
„Ebenso wie meine Freunde,“ fügte Lenning hinzu.
Corinne wollte etwas sagen, wurde jedoch von ihrem Vater unterbrochen.
„Wo hast Du denn Deinen geliebten Clio gelassen, Corinne?“
Herr Curzon lachte seiner Tochter ins Gesicht.
„Der Clio,...“
„Du brauchst mir nichts erklären, Corinne,“ half ihr Herr Curzon. „Der Clio ist in Deutschland.“
„Woher weißt Du das? Das habe ich ihm nicht gesagt,“ erklärte sie zu Wolf Lenning gewandt.
„Weißt Du, mein Kind, ich habe mindestens so gute Beziehungen wie Herr Lenning und daher weiß ich, dass Herr Hayworth und Herr Bullock mit noch einem jungen Iren bis nach Baden gefahren sind.“
Jetzt war sogar Lenning am Staunen. „Monsieur Curzon, darf ich fragen, wie Sie zu dieser Erkenntnis kommen?“
„Nein,“ sagte er ganz einfach. „Kommen Sie herein, dass verspätete Mittagessen ist schon fertig. Bleiben Sie diese Nacht hier?“
Er schaute zuerst auf Lenning, dann auf Corinne. „Bevor Sie uns Corinne für kurze Zeit wieder entführen!“ ergänzte er die Einladung und Lenning meinte, er müsse zuerst noch telefonieren, bevor er eine solche großzügige Einladung annehmen könne.
Wenig später konnte er am Telefon in Erfahrung bringen, dass einige Termine ausgefallen waren, so dass er einen weiteren Tag seinem Büro fernbleiben konnte. Als er dies Herrn Curzon mitteilte, meinte der:
„Welches arme Schwein muss denn dann Ihre Arbeit daheim erledigen?“ und zu Corinne gewandt sagte er: „Es freut mich, dass Du wieder daheim bist. Es freut mich vor allen Dingen, dass Du mir Herrn Lenning vorgestellt hast.“
Wolf Lenning war ebenso überrascht wie Corinne.
„Wenn Du schon einmal Deinen Papa angelogen hast, befürchtete ich, Du würdest konsequent weiter lügen.“
Corinne wurde rot. Die Tränen standen ihr in den Augen.
„Aber Vati, wie kommst Du darauf?“
„Schon gut, schon gut mein Kleines“ und zu Lenning gewandt sagte er: „Seien Sie mir willkommen. Wer bei meiner Tochter willkommen ist, ist es auch bei mir daheim.“
Damit bot er Lenning ein Glas Cognac an und alle zogen sich in die Bibliothek zurück. Corinnes Vater erklärte Wolf Lenning, dass hinter den Kulissen eine ganze Menge in den letzten Tagen abgegangen sei. Man hatte tatsächlich zunächst einen Anfangsverdacht gegen Lenning und John Bullock gehabt, diesen jedoch nach einigen diplomatischen Verwicklungen mit den US-Bundesbehörden wieder aufgegeben. Nicht ganz unbeteiligt war daran natürlich Monsieur Curzon, der beste Beziehungen zu verschiedenen Bundesräten in Bern hatte. Schließlich ging die ganze Familie abends noch mit Lenning und Dax am Seeufer spazieren. Man unterhielt sich über alle möglichen Sachen, nur nicht mehr über das Hochaktuelle.
Als am nächsten Morgen Wolf Lenning und Corinne sich von den Eheleuten Curzon verabschiedeten, hatte Lenning das Gefühl, dass allen drei Curzons Tränen in den Augen stünden. Insbesondere Monsieur Curzon wartete nicht mehr lange am Tor, sondern ging sofort wieder ins Haus, während Corinnes Mutter den beiden noch nachsah.
Sie fuhren sehr rasch über die Autobahn nach Karlsruhe, wo Corinne in den dort abgestellten Clio umstieg. Der Abschied war herzzerreißend. Insbesondere Corinne machte einen Eindruck, als ob sie nicht mehr die lange Autofahrt bis Genf durchstehen konnte. So kam es, dass Wolf und Corinne beschlossen, noch eine Nacht dranzuhängen, da es ohnehin schon spät am Nachmittag war und man bezog ein nettes Hotel im Schwarzwald. An diesem Abend wurde nochmals Abschied gefeiert und am nächsten Morgen fuhr Corinne nach Süden, während Lenning auf das andere Rheinufer wechselte, um endlich wieder heimzukommen in die Pfalz.