Читать книгу Die Mächtigen, die Scheinmächtigen und die Ohnmächtigen - Werner Linn - Страница 5

In Hamburg

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Rechtsanwalt Lenning war an diesem 11. September spät ins Bett gegangen. Die Ereignisse des Tages hatten ihn belastet und sie waren auch nicht ganz spurlos an ihm vorübergegangen. Zeitweise plagten ihn regelrechte Alpträume. Einmal riss ihn jemand an seinem Bart (zu dieser Zeit trug Lenning gar keinen Vollbart) und schrie ihn an. Er verstand zunächst die Sprache nicht. Dann erschien ihm die Sprache orientalisch. Immer und immer wieder verlangte eine Gruppe von Uniformierten seinen Namen bzw. er solle eingestehen, dass er dieser jemand sei. Als Lenning erwachte, war er schweißgebadet. An Namen konnte er sich nicht erinnern. Nur noch an die hasserfüllten Blicke und an das grobe Reißen an dem zur Zeit nicht vorhandenen Bart. Lenning fuhr sich mit der rechten Handinnenfläche über das Kinn. Am nächsten Tag würden diese Stoppeln von einer sanften Rasur entfernt werden und die Haut würde wieder zart sein wie ein... Lenning riss die Hand vom Kinn und schlug sich mit der Innenfläche auf die Stirn. „Was hat Ellen damit gemeint?“ und was er sich als nächstes dachte, plagte ihn mehr als das Reißen am Bart. „Was hat Ellen mit „Hamburg“ gemeint?“

Lenning stand auf, ging zu der Kommode hinüber, auf der eine Kristallkaraffe Cognac stand und schenkte sich in den riesigen Cognacschwenker so viel ein, dass er sich sicher war, in dieser Nacht nicht mehr zur Kommode gehen zu müssen und kehrte in sein Bett zurück. Hildegard schlief fest. Er betrachtete die Schlafende mit einem gewissen Erstaunen. Die letzten Jahre mussten ihr sehr zugesetzt haben. Ihm war gar nicht bewusst geworden, dass sie in der allerletzten Zeit erheblich gealtert war. Er blickte zum Spiegel und sah sich selbst an.

„Na ja, jünger geworden bist Du auch nicht!“ sagte er zu sich selbst, „Aber so ganz ohne Bart und frisch rasiert?“ Er nippte nunmehr zum wiederholten Male an seinem Cognac und lief noch mal hinüber zur Kommode, denn der Cognac schmeckte anders als erwartet. Sicher hatte Hildegard mit ihrem Sparfimmel einen billigen Cognac in diese Karaffe gefüllt. Er stand kurz davor, sie aufzuwecken. Das war kein XO-Cognac. Er stellte das Glas zurück und löschte das Licht. „Was hat Ellen heute mit „Hamburg“ gemeint?“

Lenning war bis zu diesem Moment eigentlich davon ausgegangen, dass er Ellen von bestimmten Dingen, die er anlässlich einer Dienstreise im Sommer 2001 in Hamburg erlebt hatte, nichts erzählt hatte. Dies waren keine wirklichen Heimlichkeiten Ellen gegenüber – Ellen war zu empfindlich für wirklich aufregende Mitteilungen; sicher wäre sie nicht glücklich darüber gewesen, zu hören, dass Hildegard ihn auf dieser Reise begleitet hatte, die dort auch einen Termin hatte. Sicher hätte er Ellen diese Umstände auch nicht verschwiegen, wenn sie gefragt hätte. Allein aus dem Umstand, dass sie nicht fragte, schloss Lenning, dass Ellen grundsätzlich Bescheid wusste und auf Marginalien kam es keinem von ihnen an. Lenning hatte damals einen Gerichtstermin am Landgericht Hamburg. Dieser Termin war eine große und wichtige Angelegenheit und er war auch dem Mandanten persönlich freundschaftlich verbunden.

Nach längerer Zeit sollte er Rooy van Johnson wieder einmal sehen. Rooy war als Kind mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert und hatte sich dort eine recht ordentliche Position als Importkaufmann aufgebaut. Im laufenden Fall ging es um eine schwierige Wettbewerbsrechtssache und Rooy ließ es sich trotz seiner Herzkrankheit nicht nehmen, zu allen wichtigen Verhandlungen nach Europa zu kommen. Begleitet wurde er von einer Freundin, die kaum Rooys Traum von einer Frau sein konnte. Dennoch gewann Ruth, - so hieß diese ehemalige Krankenschwester – sehr in der Unterhaltung. Sie war witzig und recht gebildet. Rooy und Ruth kamen diesmal über Amsterdam nach Hamburg und wollten mit Lenning nach der Verhandlung im Watt spazieren gehen. Rooy kannte das Watt nicht und hatte von Ruth, einer gebürtigen Holländerin, doch einiges davon gehört. Sie schwärmte von Friesland und dachte dabei an die westfriesischen Inseln. Rooy hatte dies alles Lenning mitgeteilt und dieser versprach, ihn zu den nordfriesischen Inseln zu bringen und so war man in gespannter Erwartung, als Lenning mit Rooy und Ruth aus dem Gericht kamen.

Lenning hatte Hildegard und Freddy im Auto warten lassen, weil ein regulärer Parkplatz um diese Zeit nicht zu finden war. Am gleichen Tag wurde im Gerichtsgebäude gegenüber gegen die Oetker-Entführer verhandelt, sodass allein schon wegen dieses Spektakels Parkplätze Mangelware waren.

Als sich endlich alle begrüßt hatten, ging es gleich aus der Stadt. Rooy fuhr mit dem Leihwagen, einem nagelneuen blauen Opel Omega, immer hinter Lenning her und als dieser an einer Tankstelle abbog, folgte ihm auch Rooy hier. Zu groß war seine Angst, Lenning im Verkehr zu verlieren und dann keinen Kontakt über Mobiltelefon zu finden: Rooy´s Mobiltelefon war ebenso wie das von Ruth in Australien registriert und es bestanden trotz modernster Technik oftmals Probleme, mit diesen Geräten in Europa zu telefonieren. Rooy folgte auch Lenning auf die Toilette der Tankstelle, als dieser sich dorthin begeben musste.

„War nicht alles Scheißdreck?“ fragte Rooy mit niederländischem (Limburger) Akzent und einem gemischten Lächeln und meinte damit die Gerichtsverhandlung.

„Nein, es geht weiter, wir werden wohl zu einer Beweisaufnahme kommen und dann kannst Du wieder nach Europa zurückkehren.“

Rooy nahm die Sache humorvoll. „Jedesmal 13.000 Meilen einfach und dann so eine kurze Verhandlung, das ist doch...“

Lenning lachte. „Lieber Rooy, ich habe Dir gesagt, Du hättest gar nicht kommen müssen, aber wenn Du jetzt schon mal da bist, ist auch nicht schlecht, reisen ist Erfahrung sammeln.“

„Davon habe ich genug,“ lachte Rooy grimmig. „Hier möchte ich eine neue Erfahrung machen, vor Gericht.“

Die beiden kehrten zu den Fahrzeugen zurück, nachdem Lenning die Tankrechnung bezahlt hatte.

„Wie lang kennen wir uns jetzt schon Wolf?“ fragte Rooy. „Doch bestimmt 10 Jahre!“

„Nicht ganz 10 Jahre, Rooy, aber lange genug, um zu wissen, dass Du gern nach Europa kommst; ich werde Dich das nächste Mal in Australien besuchen“, versuchte Lenning einzulenken.

Rooy hatte Lenning in Hildegards Büro in Braunschweig kennengelernt. Er war damals von der dortigen niedersächsischen Anwaltskammer zu Lenning und Partner verwiesen worden, weil Lenning auch Wirtschaftsprüfer war und der damalige Fall nach Meinung Rooys besonderer Begabung durch den betreuenden Anwalt bedurfte, von dem man auch wirtschaftliches Fachwissen erwartete. Tatsächlich war der damalige Rechtsstreit in erster Instanz verloren gegangen, was wohl ausschließlich auf die Unfähigkeit des Landgerichts zurückzuführen war. Später wurde die Entscheidung vom Oberlandesgericht zwar korrigiert, aber Rooy war das nicht genug, er wollte einen weitergehenden Schadensersatzanspruch durchsetzen, wagte aber aus Mitleid mit dem damaligen Beklagten nicht den Gang vor das Gericht, bis der Anspruch schließlich verjährt war, worauf er vorher schon ständig von Lenning hingewiesen worden war.

Rooy hatte im Übrigen einen reizenden Charakter. Er war zutiefst antiklerikal gesinnt und dennoch gläubig. Er war Mann von Welt und dennoch bescheiden. Er war sehr, sehr sparsam und dennoch großzügig. Diese ganzen Widersprüche brachten ihn oft in Diskussionen in die Klemme. Auf der einen Seite rügte er einen Bischof, weil dieser immer Flugreisen erster Klasse buchte, während Rooy Flugreisen zweiter Klasse oder Businesstarif vorzog und den Differenzbetrag zur ersten Klasse den Armen des jeweiligen Landes spendete. Rooy hielt viel auf Anstand und Ehrlichkeit und verstand nicht, dass nicht alle seinen Idealen nacheiferten. Andererseits hatte er einen unglaublichen Hass auf alle Finanzämter dieser Welt. Und weil es ihm Freude machte, versuchte er so viel wie möglich an den Finanzämtern vorbeilaufen zu lassen, was ihm schließlich das ein oder andere mal auch erhebliche Nachteile brachte. Politisch war Rooy mehr oder weniger Realist. Hierin glich er Lenning, der auch zwischen rotem Filz und schwarzen Kassen, linken Sprüchen und rechten Parolen immer den Kontakt zum Boden bewahrte und allein schon deshalb mit den gegenwärtigen Zuständen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt unzufrieden war.

„Man kann die Mark nur einmal ausgeben!“ hatte schon Lennings Großvater festgestellt, um jeder unnötigen Verschuldung der Familienfirma entgegen zu wirken. Dass nachher viel mehr ausgegeben worden war, als dies Lennings Großvater lieb war, hatte wohl seine Ursache in den gespannten Familienverhältnissen damals: Lennings Großvater hatte eine jüngere Frau kennengelernt und mit Ihr eine Tochter gezeugt. Lange konnte dies verborgen bleiben, doch als es herauskam, war es Lennings Onkel, der seinem Vater die Daumenschrauben anlegte und so den wirtschaftlichen Zusammenbruch der dem Großvater abgepressten Teilbetriebe bewirkte. Lennings Großvater, der von sehr großer Gestalt war und ursprünglich ein unglaubliches Durchsetzungsvermögen besessen hatte, was ihm den Spitznamen Karl der Große eingebracht hatte, war in dieser Situation ganz einfach zu schwach, als man ihn, den Patriarchen, in rüder Art des Ehebruchs beschuldigte. Großvater Karl zog sich auch dann zurück in das Saarland, wo die junge Familie herstammte. Als er schließlich Mitte der siebziger Jahre unter zumindest nicht ganz geklärten Umständen den Tod fand und beerdigt wurde, war von der alten Familie nur Wolf Lenning anwesend...

Man muss nicht unbedingt den Pfennig so oft umdrehen, bis Kupferdraht daraus wird, aber irgendwie hat sich bei Lenning der Gedanke gesunden Wirtschaftens so festgesetzt, dass es ihm einfach wider den Strich ging, zuzuschauen, wie eine Verschuldungspolitik nach und nach die Zukunft künftiger Generationen kaputt zu machen drohte und deshalb wollte Lenning nicht länger abseits stehen und entschied, sich politisch zu betätigen.

Lenning war weit gereist und kannte die Erde von ihren schönen wie von ihren weniger schönen Seiten. Und so kam es, dass Rooy ein idealer Partner für Lenning auch auf politischem Gebiet wurde, denn Rooy kannte ebenfalls die Welt und besaß ebenfalls sehr gute Verbindungen. Beide dachten an eine internationale Volkspartei, die wirklich sich dem jeweiligen Volk verpflichtet sehen sollte und auf diese Weise gewährleisten musste, dass sich die Völker als gleichberechtigt partnerschaftlich gegenüberstehen. Der Markt, nicht der Krieg sollte die Verteilung regeln, sowohl im Inneren als auch nach außen, während die soziale Komponente von jedem Staat den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend für das Volk auszugestalten sein sollte. In diesen Überlegungen hatte Lenning vor einem Jahr Rooy in Melbourne in Australien besucht, wo ein laufender Prozess sehr enge Bezüge zu diesem Hamburger Rechtsstreit aufwies. Entgegen den Empfehlungen Lennings war in diesem Prozess ein Vergleich geschlossen worden, der Rooy zwar einen kleinen Teil seines Schaden wieder gut machen konnte; das Gros aber wollte sich Rooy in Hamburg holen und hier stand der Prozess derzeit nicht zum Besten. Grund hierfür war vor allen Dingen die lange Zeit des Zuwartens, mit der sich Rooy nicht nur in erheblichem Umfang in Beweisnot gebracht hatte, sondern die Möglichkeit, dass der Gegner Verjährung einwenden konnte, gewann exakt der Vorhersage Lennings entsprechend an Bedeutung und schließlich spielte es eine bedeutsame Rolle, dass Rooy entgegen seiner sonst so bescheidenen und sparsamen Art in diesem Prozess unglaublich uneinsichtig agierte und von Anfang an dem Deutschen Recht fremde astronomische Summen forderte. Auch wenn Lenning zunächst das Gefühl hatte, Rooy sei etwas verstimmt, muss dies eine Fehleinschätzung gewesen sein, denn Rooy war gleich wieder ganz der Alte und wollte unbedingt Lenning zum Abendessen einladen. Lenning jedoch hatte noch eine ganz wichtige Sache vor, konnte jedoch nicht den gesamten Hintergrund offenbaren. So musste er auch Hildegard zum Seelendoktor bringen, der inzwischen Chefarzt in Rendsburg war.

Darüber hinaus hatte Lenning eine Verabredung in Hamburg, an der ihm sehr viel gelegen war. Diese Verabredung war eigentlich der abenteuerlichste Punkt bei dieser „Dienstreise“ und Lenning sprach über dieses Thema noch nicht einmal sehr viel mit Hildegard. Hildegard wusste zwar in groben Zügen, um was es ging, aber den Hintergrund im Einzelnen hätte sie ohnehin nicht verstanden: Lenning besuchte in Hamburg dort lebende Kameraden aus der Zeit des kalten Krieges. Während dieser Zeit war die damalige Sowjetunion bekanntlich in Afghanistan eingefallen und die dortige Bevölkerung wehrte sich nach besten Kräften entsprechend ihrer Tradition. Sicher wäre sie der Roten Armee hoffnungslos unterlegen gewesen, hätten damals die USA nicht etwas für die Unterstützung dieser Freiheitskämpfer getan. Ebenfalls entsprechend guter Tradition setzten die USA damals nicht schwerpunktmäßig eigenes Personal ein, sondern warben Leute aus anderen Ländern für solche „Abenteuerreisen“ an.

Zweimal war Lenning dabei gewesen und hatte es nicht bereut. Das Maß an Lebenserfahrung, das er dort gewonnen hatte, wäre durch nichts zu ersetzen gewesen. Aber schon damals hatte Lenning das Gefühl, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging und er sah sich in diesem Gefühl bestätigt, wenn er nach dem Jahrtausendwechsel seine damaligen Kameraden nunmehr auch in Deutschland traf. Es gab immer interessantes Hintergrundwissen und die Gespräche an sich und das Wiedersehen mit alten Bekannten machten Lenning sehr viel Freude und ließ die Vergangenheit für ihn lebendig werden, damit er die Zukunft besser verstehen könne.

Und so fuhr Lenning abends von Rendsburg zurück nach Hamburg, während Rooy versprochen hatte, Hildegard in Rendsburg beim dortigen Kreiskrankenhaus abzuholen. Auf der Fahrt nach Hamburg telefonierte Lenning sehr viel. Wahrscheinlich telefonierte er den ganzen Weg, so dass die Gedanken für ihn zunächst verschwommen waren, als er vor sich die Ausfahrt Hamburg-Stellingen auftauchen sah. Automatisch zog er den Wagen nach rechts und bremste scharf ab. Fast wäre er doch durch den Elbtunnel gefahren, dachte er. „Man darf beim Fahren wirklich nicht zu viel abgelenkt sein!“

Im nächsten Augenblick schaltete die Ampel auf rot, aber Lenning hatte es noch bei gelb geschafft. Er fuhr auf das Hotel einer bekannten skandinavischen Kette zu. Das war der vereinbarte Treffpunkt und Lenning war nicht zu früh.

Er war gerade in den Hotelparkplatz eingebogen, als er eine Gruppe von elegant gekleideten Herren am Hoteleingang bemerkte. Ein Mann schien dem anderen ein Zeichen gegeben zu haben und alle bis auf ihn verschwanden im Foyer. Dieser Mann verließ den Hoteleingang und begab sich zum Parkplatz. Scheinbar zufällig führte ihn sein Weg zu dem Platz, an dem Lenning sein Fahrzeug abstellte. Lenning hatte wohl den Mann bemerkt, seinem Verhalten jedoch keine Bedeutung beigemessen. Als er ausstieg, kam der Mann auf ihn zu und erst als sich beide fast gegenüber standen, rief er aus:

„Wolf, bist Du es?“

„Ah, Omar, ich hätte Dich fast nicht wiedererkannt!“

Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. Ein unbefangener Beobachter hätte annehmen können, es handele sich um ein geschäftliches Treffen, denn beide waren mit Anzügen in dezenten Farben und Krawatten “geschäftsmäßig“ gekleidet. Dies war auch Lenning aufgefallen, denn er bemerkte Omar gegenüber:

,,Als ich Dich das letzte Mal gesehen habe, hattest du etwas anderes angehabt.“

Omar musterte Lenning von oben bis unten und entgegnete ihm im ungläubigem Ton:

,,Schon allein wegen der Kleidung hätte ich Dich auch nicht erkannt, Du warst nämlich damals immer anders angezogen.“

Omar dehnte die Wörter und blickte beiläufig zum Hoteleingang. Dort war in diesem Augenblick ein schwarzes Fahrzeug vorgefahren, dessen Fond zwei Männer, ebenfalls mit Anzug, entstiegen. Das Fahrzeug bewegte sich zum Parkplatz, passierte diesen jedoch ohne anzuhalten und verließ ihn wieder in Richtung Innenstadt.

Auch Lenning hatte das Fahrzeug und die Männer bemerkt und schaute Omar an. Ein kurzes Zucken in Omars Augen machte Lenning klar, dass er verstanden worden war. Lenning und Omar gingen zum Hoteleingang und verharrten dort noch einen Augenblick, ohne eigentlich zu wissen warum. Dann traten sie in das Foyer. Die Gruppe, mit der Omar vorher am Eingang gestanden hatte, hielt sich an der Bar auf, die linker Hand mit nordisch schlichter Sachlichkeit und verschiedenen Fähnchen neu eingerichtet worden war. Lenning und Omar schlenderten zu der Bar, während die Gruppe die beiden interessiert beobachtete. Während Lenning und Omar etwa fünfzig Jahre alt waren, waren vier Männer der Gruppe an der Bar deutlich jünger; nur einer schien auch in ihrem Alter zu sein. Er löste sich aus der Gruppe und kam schnellen Schrittes auf Omar und Lenning zu.

,,Wolf, wie geht es Dir?“ begrüßte er ihn auf Englisch.

,,Ahmad, mein Freund!“ erwiderte Lenning. „Seit wann bist Du in Deutschland?“

,,Schon seit sechs Jahren.“ antwortete Ahmad. ,,Du hast Dich nicht viel verändert.“, fuhr Ahmad fort. ,,Wie lang ist es denn eigentlich her?“

Lenning musste nicht lange überlegen. ,,Das war 1984, das sind also fast siebzehn Jahre!“

Achmed betrachtete Lenning von oben bis unten.

,,Wolf, du hast zugenommen!“ scherzte er.

,,Ahmad, Du bist auch nicht gerade schlanker geworden.“

Ahmad war ungefähr einen Meter und achtzig groß und hatte damit die Größe von Lenning. Allerdings war Ahmed deutlich fülliger. Omar war etwas kleiner, vielleicht einen Meter fünfundsiebzig groß und sehr schlank, weshalb er größer wirkte.

,,Bist Du mit Omar nach Deutschland gekommen?“ wollte Lenning wissen.

,,Nein, wir sind Anfang der neunziger Jahre in die USA gegangen, danach kam Ahmad 1998 nach Berlin, während ich bereits 1995 hierher nach Hamburg gekommen bin“, erklärte Omar.

Lenning schaute die beiden verwundert an und sagte:

,,Eigentlich ist es eine Schande, dass wir uns erst jetzt treffen. An mir lag es nicht, ich wusste ja schließlich nicht, dass ihr da seid.“

Omar lachte.

,,Und wir wussten nicht, wo Du wohnst, wir haben erst per Zufall erfahren, dass Du inzwischen auch Wirtschaftsprüfer bist und wo Deine Kanzlei liegt. Ich hatte einmal nachgeforscht und zwar in München, weil ich angenommen hatte, dass Du dort eine Kanzlei hast, Du bist doch Münchener?“

Omar sah Lenning gespannt an.

„In München geboren,“ verbesserte ihn Lenning. ,,Aber eine Kanzlei habe ich in München nie gehabt.“

,,Aber Du warst in München einmal beruflich tätig?“

Lenning wirkte erstaunt. „Wie kommst Du darauf?“

,,Dazu später!“ schaltete sich Ahmad ein.

„Schau´, wen wir Dir vorzustellen haben!“

Sie wandten sich nun den jungen Männern zu, die erwartungsvoll auf den Barhockern Platz genommen hatten und die ganze Begrüßungsszene lächelnd verfolgten. Drei der Männer hatten schwarze Haare und schienen nicht Europäer zu sein, während einer rotblond und mit Sommersprossen im Gesicht breit grinsend vom Barhocker glitt, auf Lenning zukam und sich mit schönstem irischen Akzent vorstellte:

,,Patrick O`Hara, aber meine Freunde sagen Plummy zu mir, weil ich so gerne Plumpudding esse.“

Er reichte Lenning die Hand, in die dieser einschlug. Lenning lachte und sagte

,,Meine Freunde nennen mich Wolf..., hocherfreut einen richtigen irischen Blockhead kennenzulernen. Ich mag die Iren!“

Ihre Augen trafen sich und man konnte erkennen, dass sich die beiden Männer trotz des Altersunterschieds – Plummy war zwischen zwanzig und dreißig – von Anfang an sympathisch waren.

Lenning wandte sich den übrigen zu. Der nächste rutschte von seinem Barhocker, eher schüchtern, von Gestalt höchstens einen Meter siebzig groß, schlank, dunkelhaarig und mit einer sehr großen Nase. Etwas linkisch kam er auf Lenning zu und gab ihm die Hand.

,,Hossein Ibrahim aus Saarbrücken“, sagte er in saarländischem Akzent. ,,Ich bin deutscher Staatsbürger, mein Vater ist Algerier, meine Mutter Deutsche.“

Lenning schmunzelte.

,,Das klingt ja fast wie eine Bewerbung. Was sind Ihre Spezialkenntnisse?“

Hossein lächelte schüchtern, blickte sich um und bevor er antworten konnte, unterbrach ihn Omar.

„Wir unterhalten uns nachher über Einzelheiten, darf ich Dir die beiden Letzten noch vorstellen?“ Beide waren inzwischen schon aufgestanden und gaben Lenning die Hand. Der erste war ein Saudi namens Sayed und der andere stammte aus den Emiraten und hieß Hussein. Lenning ließ sich die Namen nochmal durch den Kopf gehen; sein Namensgedächtnis war nicht das beste, auch wenn er die Jungs überall sofort wiedererkannt hätte.

,,Kommt, oben ist schon angerichtet“, rief Omar und schob Lenning zur Aufzugstür.

,,Wir nehmen lieber die Treppe“, sagte Lenning, der Aufzugfahren nicht liebte.

Scheinbar dies überhörend gab Omar keinen Platz, sondern schob Lenning durch die Tür und dicht hinter ihnen trat Ahmad ein und drückte die „1“, um in den ersten Stock zu gelangen. Die anderen werden wohl laufen, dachte Lenning und verstand. Die kurzen Augenblicke vom Erdgeschoss in den ersten Stock benutzte Omar um Lenning klar zu machen:

,,Verunsichere die Jungs nicht, sie stellen sich unheimlich viel unter Dir vor. Wir haben ihnen viel erzählt von damals und...“ er machte eine Pause „...sie lieben Dich, denn Du bist anders als viele Europäer, die sie kennen und erwarte nicht zu viel am Anfang. Mach „Smalltalk“ und überlass uns das andere!“

Lenning verstand. Hier waren Omar und Ahmad wieder in den ihnen eigenen Rollen: Sie hatten Leute angeworben, für was sollte Lenning bald klar werden.

Als der Aufzug oben ankam, standen die Jungs schon bereit und traten durch die Tür in den Speisesaal. Eine freundliche Kellnerin kam auf die Gruppe zu.

An Wolf Lenning gewandt fragte sie:

,,Mr. Lenning?“

Lenning war verblüfft, dass sie seinen Namen kannte und nickte.

,,Mr. Khabülam?“ Sie war sich offensichtlich nicht sicher, ob sie Omar oder Ahmad ansprechen sollte und ihre Augen blieben bei Omar hängen.

,,Ja!“ antwortete der Angesprochene.

,,Wir haben das Nebenzimmer für neun Personen für sie vorbereitet.“

Lenning zählte im Geiste nach, „vier Junge plus drei“ „Sieben!“ sagte er laut.

,,Nein!“ Omar unterbrach ihn. ,,Wir erwarten noch zwei Gäste.“

Lenning war erstaunt, sagte jedoch nichts und die Gruppe begab sich zu dem mit viel Gefühl und geschmackvoll eingerichteten Nebenzimmer, in dem regelrecht aufgetafelt worden zu sein schien. Jedenfalls stand neben dem Aperitifglas ein Rotweinglas, ein Weißweinglas und Besteck für mindestens drei Gänge. Omar geleitete Lenning zu einem Platz in der Mitte und zog den Stuhl vor, wortlos ließ sich Lenning nieder und auch die übrigen nahmen Platz. Für Lenning wurde die Angelegenheit jetzt regelrecht spannend. Auch fiel ihm auf, dass die beiden Plätze ihm gegenüber freigehalten waren. Wer würde dort erscheinen? Lenning glaubte, nicht lange warten zu müssen. Noch bevor die Kellnerin einen trockenen Sherry servieren wollte, traten zwei Männer in die Tür, bei deren Anblick Lenning nicht wusste, ob er sich freuen sollte oder ob Vorsicht geboten war. Offensichtlich kannte er die beiden.

Er ging auf die beiden Männer zu.

,,Hallo Terry, hallo Tom, seid Ihr es wirklich?!“

Der Größere von beiden trat auf ihn zu. Er war mindestens einen Meter neunzig groß und deutlich als Amerikaner zu erkennen. Lenning hatte ihn Tom genannt.

,,Du erinnerst Dich noch an Terry?“

Terry war etwa so groß wie Lenning und damit um circa zehn Zentimeter kleiner als Tom und trug wie Lenning einen Vollbart.

,,Sicher erinnere ich mich an Terry. Terry war damals für eine Ölgesellschaft tätig, stimmt´s?“

Terry nickte.

„Ja, wir hatten uns vor vielen Jahren in Hong Kong kennen gelernt. Später hatte ich einen Autohandel in Kalifornien.“

„Ah...“ meinte Lenning, „I remember.“

Wolf Lenning und Omar kosteten den inzwischen servierten Sherry und Ahmad brachte einen Toast aus:

„Auf das Gelingen, was immer es auch sei!“

„Möge es uns gelingen!“ rief Omar, der offensichtlich Wolf Lenning etwas sagen wollte.

Inzwischen wurde jedoch serviert, so dass ein Gespräch kaum möglich war. Es gab Caprese, Mozzarella mit Tomaten, gewürzt; auch wenn es nicht gerade ein skandinavisches Gericht war, das in diesem skandinavischen Lokal gereicht wurde, schien es für die Jahreszeit bestens geeignet.

Wolf Lenning beendete den Sherry und setzte das Glas auf ein Tablett, das die Kellnerin gerade in diesem Augenblick bereit hielt.

„Ich hätte gerne jetzt ein kühles Jever,“ bemerkte er, als eine andere Bedienung mit einer Weißweinflasche kam.

„Selbstverständlich!“ quittierte sie die Bestellung und entfernte sich.

Kurz nachdem die Vorspeise serviert war, räusperte sich Tom vernehmlich und schlug mit einem Messer an ein Glas, so dass alle Gespräche verstummten.

„Lasst uns die wichtigen Sachen später besprechen nach dem Essen. Das wichtigste aber noch zur Vorspeise: Über alles, worüber wir uns unterhalten, bewahren wir Stillschweigen, verstanden!“

Das “verstanden“ war mehr an die jungen Teilnehmer gerichtet, die andächtig nickten. Lenning war mehr als erstaunt. Ihm schien es, als sei er in ein konspiratives Treffen hineingeraten. Ahmad und Omar kannte er aus Afghanistan ebenso wie Tom. Tom und Lenning kannten sich schon seit Ende der siebziger Jahre, als sie eine Spezialausbildung in Südkalifornien absolvierten. Der Zufall wollte es, dass beide an einem „Abenteuerurlaub“ in Afghanistan teilgenommen hatten, wo sie Ahmad und Omar trafen. Als Lenning etwa ein Jahr später wieder einmal „Abenteuerurlaub“ in Afghanistan machte, war Tom nicht dabei und Ahmad und Omar erzählten Lenning einiges über Tom, was Lenning nicht für möglich gehalten hatte. Danach war sich Lenning sicher, nie mehr mit Tom, Ahmad und Omar gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Wieso es doch noch dazu kam, sollte Lenning noch erfahren.

Während des Essens unterhielt er sich hauptsächlich mit Tom. Ahmad und Omar sprachen wenig, während die jüngeren Anwesenden angeregt Erfahrungen austauschten.

Nach dem Nachtisch wurde Lenning von Ahmad und Omar angesprochen und in ein längeres Gespräche einbezogen, während Tom Hayworth in den mitgebrachten Papieren, die er aus einer Aktentasche genommen und vor sich gelegt hatte, blätterte. Schließlich klopfte er wieder mit einem Löffelchen an ein Glas und alle verstummten.

„Meine Herren,“ begann er, „wir leben in einer recht unruhigen Zeit! Eine Reihe von Anschlägen – ich erinnere nur an die Explosionen in Ostafrika und die Attacke auf den Kreuzer USS Cole – machen uns klar, dass die Zeiten noch unruhiger werden.“

Alle blickten ernst drein und Lenning, der sich eine Zigarre angezündet hatte, blies stumm Rauchringe vor sich in die Luft. Tom fuhr fort:

„Wir gehen davon aus, dass diese Anschläge der jüngeren Vergangenheit das Werk einer noch recht unbekannten Terroristengruppe, die sich „Al Qaeda“ nennt, sind. Über die Strukturen ist bisher wenig bekannt, aber es scheint, als ob es eine dezentral gesteuerte Organisation sei. Die Führungskader rekrutieren sich aus Männern, die wie Ahmad und Omar in Afghanistan die Sowjets bekämpft haben.“

Die beiden genannten machten erstaunte Gesichter, sagten jedoch nichts. Lenning blickte zuerst zu Omar und Ahmad, dann zu Tom und wandte ein:

„Nicht alle, die damals dabei waren, führen jetzt Anschläge aus. Denkt doch nur an die hier Anwesenden.“

Tom reagierte etwas indigniert.

„Das habe ich auch nicht ausdrücken wollen, aber lass mich doch weiter fortfahren.“ und zu den anderen gewandt erklärte er: „Gerade weil wir damals Kontakt zu allen wichtigen Führern der Mudschaheddin und Dschihadis hatten, sollte es uns möglich sein, hier zu helfen, künftigen Anschlägen entgegenzuwirken.“

Lenning war nicht weniger erstaunt als Ahmad und Omar, sagte jedoch nichts. Omar und Ahmad jedoch zeigten Entrüstung.

„Du, lieber Tom, hast damals eine für uns recht undurchsichtige Rolle gespielt“, warf Omar ein und Ahmad nickte. „Ich habe damals fast angenommen, Du hättest die Seiten gewechselt. Vielfach wurde behauptet, Du seiest ein Verräter und zu den Sowjets übergelaufen.“

Tom war entsetzt. Er schüttelte kräftig den Kopf und bat um Ruhe, denn auch die anderen hatten sich zu Toms Ausführungen geäußert.

„Du willst doch nicht allen Ernstes behaupten, unsere Verbündeten von damals seien jetzt unsere Gegner?!“ rief Wolf Lenning mit einiger Schärfe, um die anderen zu übertönen. Da schaltete sich Terry ein:

„Nein, was Tom ausdrücken möchte, ist, dass einige unserer damaligen Verbündeten inzwischen alle Ungläubigen bekämpfen und nicht nur die Russen, die im übrigen aus Afghanistan schon lange abgezogen sind.“

Omar schüttelte den Kopf. „Tom, ich sehe Dein damaliges Verhalten jetzt in einem ganz anderen Licht. Du hast wahrscheinlich die Mudschaheddin nur missbraucht, um den Sowjets eins auszuwischen. Wir aber haben für die Befreiung des afghanischen Volkes den Kopf hingehalten.“

Wieder schaltete sich Terry zur Unterstützung Toms ein und erklärte, dass das Ziel aller damals in Afghanistan kämpfenden Einheiten die Befreiung Afghanistans gewesen sei, nunmehr aber andere Verhältnisse eingetreten seien. Die Aufständischen von damals hätten nicht geschafft, Afghanistan den Frieden zu bringen. Stattdessen hat sich dort ein fanatisch religiöses Regime etabliert, das nicht minder gefährlich als die sowjetische Besatzungsmacht sei.

Die heftigen Reaktionen der Anwesenden machten Tom und Terry klar, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass Tom in dieser Weise im Stoff fortfahre.

Wolf Lenning schaltete sich nun ein. „Tom, erklär’ uns ganz einfach, auf was Du hinaus willst und Du wirst sehen, dass es sich hier nur um Missverständnisse handelt.“

Tom schob nervös den vor ihm liegenden Stapel Papier hin und her und blätterte in seinen Unterlagen.

„Nach uns vorliegenden Informationen drohen noch weit heftigere Anschläge als bisher und zumindest die Drahtzieher sind ehemalige Afghanistankämpfer. Um diesen Gefahren vorzubeugen, soll hier in Hamburg, wo nach unseren Erkenntnissen ein Kristallisationspunkt entstanden ist, zunächst möglichst viel aufgeklärt werden. Danach müssten wir mit der Gegenseite scheinbar zusammenarbeiten, um auf diesem Wege eigene Leute zu infiltrieren, das heißt, bei Al Quaida einzuschleusen.“

Verunsichert blickten sich Hossein und Sayed an, während Plummy Wolf Lenning ansprach und wissen wollte, ob ein solches Vorgehen dessen Unterstützung finden könne. Ahmad und Omar wandten sich danach ebenfalls an Wolf Lenning und erklärten, sie seien zwar gegen Anschläge dieser Art, möchten jedoch nicht dort eingesetzt werden, wo sie ehemaligen Kameraden aus Afghanistan gegenüberstehen würden.

Tom schien sichtlich aus dem Konzept gebracht. „Wir arbeiten doch schon seit Jahren zusammen und Ihr kennt alle die Afghanen, die hier in Hamburg sind. Denen wollen wir keinesfalls zu nahe zu treten. Aber gerade in diesen Kreisen würden mörderische Vorhaben geplant. Mindestens eines ziele auf New York und das könne doch nicht so ganz einfach von uns allen hier toleriert werden.“

Tom sah sich in der Runde um und Terry übernahm das Wort: „Liebe Freunde, wir sind der Freiheit verpflichtet und dazu gehört auch ein aktiver Schutz der Freiheit. Es kann nicht wahr sein, dass wir hier als Teil einer großen Organisation Informationen blockieren, die möglicherweise tausenden von Menschen das Leben retten könnten.“

Mit einem Blick auf Omar und Ahmad schaltete sich nun wieder Wolf Lenning ein. „Selbstverständlich wird eine Information nicht zurückgehalten, die geeignet wäre, großen Schaden von uns und unseren Verbündeten abzuhalten, aber gleichzeitig halte ich es für sehr gefährlich, hier Leute anzuwerben, die dadurch zu Verrätern an alten Freunden schuldig sind.“

„Bravo!“ rief an dieser Stelle Omar dazwischen. „Wir können uns nicht wie eine Wetterfahne drehen oder anders ausgedrückt, wie Tom die Fronten nach Belieben wechseln. Wir stehen loyal zu unserer Sache, aber wir werden niemals vergessen, was wir alten Freunden zu verdanken haben.“

Wolf zögerte. „Es ist richtig, wir werden keinesfalls unsere alten Kameraden verraten, aber andererseits können wir auch nicht hinnehmen, dass diese plötzlich die Front wechseln und uns bzw. unsere Freunde, die dazu beigetragen haben, dass die Sowjets Afghanistan verlassen mussten, einer ernstlichen und gar tödlichen Bedrohung ausgesetzt werden. Mit anderen Worten, liebe Freunde, wir stehen wie immer loyal zu unseren Idealen, verraten keine alten Freunde, lassen aber gleichzeitig nicht zu, dass alte Freunde neue Feinde werden.“

Mit dieser Formulierung konnte sich sowohl Ahmad als auch Omar einverstanden erklären und übersetzten das soeben Akzeptierte für die Jungen.

„Wenn Ihr irgendwelche Kommilitonen, Freunde oder Bekannte habt, die gegen uns und unsere Verbündeten etwas unternehmen wollen, lasst es uns wissen. Wir werden die nötigen Schritte einleiten, damit keinem ein Unrecht geschieht.“

Sayed und Hossein blickten sich wieder an und die beiden anderen Jungen sahen scheu zur Seite. Während Wolf Lenning dieses Verhalten nicht entgangen war, ging Tom zur Tagesordnung über.

„In Hamburg soll eine Gruppe eingesickert sein, die den Al Qaeda-Führern, wo immer sie sich zur Zeit aufhalten sollten, treu ergeben ist. Diese Leute stellen grundsätzlich für uns alle eine Gefahr dar. Es sind nicht die Schlechtesten, die sich einem solchen subversiven Kampf ohne Rücksicht auf eigene Nachteile verschreiben. Unsere Aufgabe ist es, diese Leute für uns zu gewinnen, damit großer Schaden von uns und unseren Verbündeten abgewendet werden kann und im übrigen die Kämpfer auf richtigen Kurs gebracht werden. Wenn Ihr jemanden kennt, sprecht zuerst mit ihm, macht ihm klar, dass wir es waren, die überhaupt erst Afghanistan aus dem Würgegriff der Sowjets befreit haben. Dann klärt sie auf, dass wir auch in Zukunft alles tun werden, um den Völkern im Nahen und Mittleren Osten Freiheit und Wohlstand zu bringen. Und schließlich denkt an uns und bringt sie zu unserem nächsten Treffen mit. So ist am bestem sichergestellt, dass am Ende keinem etwas Schlechtes widerfahren wird.“

Im Anschluss diskutierten alle etwas friedlicher und auch entspannter sehr umfangreich die Möglichkeiten der Organisation. Erhebliche Mittel würden zur Verfügung gestellt, um eine Zelle aufzubauen, die in ersten Linie den Schutz von „Überläufern“ sicherstellen sollte. Erst in zweiter Linie sei an aktive Maßnahmen gedacht, die solche Menschen der Strafverfolgung zuführen würden, die unverbesserlich an verbrecherischen Zielen festhalten würden. Schließlich schien man sich in diesem Sinne einig zu werden, dass keiner zu einem Verrat oder zu einer Handlung gedrängt werden sollte, die er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könnte.

Tom schien glücklich, doch noch ein Einvernehmen mit allen erreicht zu haben und teilte mit, dass man am Ende des Abends angelangt sei.

„Gut,“ bemerkte Lenning, „ich möchte nämlich nach 21 Uhr in Sankt Peter Ording sein, dort werde ich erwartet.“

Enttäuscht blickte ihn Omar an.

„Ich habe gedacht, Du bleibst die Nacht über bei uns?“

Ebenfalls enttäuscht, aber mehr verwundert erklärte Tom. „Wenn er dageblieben wäre, wäre er doch sicher zu uns gekommen. Wir haben ein Haus in den Harburger Bergen gemietet und haben genug Platz, um alle hier Anwesenden zu beherbergen.“

Lenning schien es sehr zu bedauern, nicht mit in die Harburger Berge gehen zu können.

„Wir werden uns doch bald wieder sehen, dann wird auch sicher John dabei sein. Wo ist er eigentlich?“

Die Frage war an Tom gerichtet.

„Warum fragst Du?“ entgegnete er und zögerte etwas mit der Antwort.

„Er kann leider heute nicht hier sein, wird aber in den nächsten Tagen von einer Reise in die Staaten zurückkehren. Vielleicht ist er schon übermorgen in Hamburg.“

Wolf wirkte tatsächlich erfreut. „Ich möchte unbedingt auch John wiedersehen. Vielleicht komme ich nächste Woche wieder nach Hamburg.“

Ahmad und Omar freuten sich ebenso, dass Wolf wiederkommen würde und schüttelten ihm zum Abschied die Hände.

„Komm´ wieder, alter Freund, es gibt so viel zu berichten und heute sind gerade solche Gespräche zu kurz gekommen. Ich hoffe, wir haben es geschafft, den jungen Kameraden klar zu machen, dass wir damals freundschaftliche Bande knüpfen konnten, die auch den Frieden, soweit man überhaupt davon reden kann, überdauert haben. Wir haben uns immer gesagt, wenn wir uns einmal treffen wollen, dass wir dann auch junge Menschen dabeihaben, damit diese sehen, dass „Einsatz“ mehr ist als nur „ein Satz“.“

Wolf blickte versonnen in die Rauchwolke vor seinem Gericht, die noch von seiner Zigarre rührte und nickte. „Einsatz ist in der Tat mehr als nur ein Satz und das wollen wir uns immer vor Augen halten.“

Zu Tom gewandt fragte er etwas leiser, als sie den Raum verließen: „Ist diese Gruppe hier tatsächlich offiziell eine Zelle gegen islamische Terroristen in Hamburg?“

Tom musste schmunzeln. „Nein, offiziell hat die Gruppe den Auftrag, Globalisierungsgegner zu infiltrieren, um Szenarien wie in Seattle oder in Genua zu vermeiden.“

„Alles ganz harmlos,“ meinte Wolf und drückte seine Zigarre in einem am Ausgang stehenden Aschenbecher aus.

Tom nickte. „Scheinbar ganz harmlos. Die Bedrohung, von der ich aber gesprochen habe, ist sehr real. Wir rechnen mit einem schweren Anschlag an der amerikanischen Ostküste noch in diesem Jahr, wahrscheinlich wird es New York treffen.“

„Welche Rolle soll ich eigentlich bei dieser Gruppe spielen?“ fragte Wolf und Tom lächelte.

„Du sollst Überzeugungsarbeit leisten, denn Du warst damals dabei und hast gute Menschenkenntnis. Wie haben Dir die Jungen gefallen, die Dich heute so bewundert haben?“

Wolf schüttelte den Kopf. „So bewundert haben die uns als Afghanistankämpfer, aber ich glaube, sie haben Probleme, wenn es um derartig heikle Aufträge geht. Wie sollen die Jungen etwas ausspähen, wo sie doch noch gar nicht gefirmt sind?“

Ahmad, der das Letzte zugehört hatte, nickte zustimmend. „Im Grunde versteht Tom unter „gefirmt“ „amerikanisiert“ und das lassen diese jungen Leute nicht mehr so einfach mit sich machen. Sie werden gewiss beim Burger King oder McDonalds amerikanisches Fast-Food essen, aber damit gehören sie noch nicht der Gruppe von Menschen an, die im „American Way of Life“ das Höchste an menschlicher Kultur und Zivilisation erblicken.“

Tom wollte ärgerlich werden, doch Lenning beruhigte ihn. „Lass´ Ahmad, Du weißt, dass nicht alle überall einer Meinung sein können, aber in diesem Zusammenhang... Tom, Du weißt, dass dieses „Pfundsbaby“ noch unterwegs ist.“

Tom fiel fast sein Bündel Papier aus der Hand.

„Wie kommst Du denn jetzt darauf?“

„So höre! Ich habe von einem Freund gehört, dass das Baby unterwegs nach New York sei.“

„Das wissen wir doch schon lange,“ lächelte Tom gelangweilt.

„Nein, was Du zuletzt wusstest, war, dass das Baby in einem iranischen Hafen verladen wurde und danach vor der Küste von Südafrika geortet wurde.“

„Ja und?“ entgegnete Tom „Auch das ist mir nicht neu.“

„Dann höre! Der Freund, von dem ich spreche, hat mich wissen lassen, dass das Baby gerade vor sechs Wochen bezahlt worden sein soll!“

Tom sprang auf „Weiß das John?“

„Ich weiß nicht, ob John das weiß,“ entgegnete Lenning nun seinerseits gelangweilt.

„Kombiniere, die Restzahlung erfolgte nur nach Eingang der Lieferung.“

„Das denke ich auch!“ stellte Lenning fest. „Das bedeutet... das ist ja nicht vorzustellen! Und ich dachte, wir treffen uns heute aus diesem Grund und nicht etwa, um wegen irgendeiner Undercover-Aktion zu beraten. Aber ich bin auf jeden Fall froh, dass wir uns getroffen haben.“

„Gut, trotzdem sollten wir das andere nicht außer Acht lassen, denn das Feld dieser Leute ist sehr weit gefächert“. meinte Tom jetzt sichtlich gespannt auf das, was Lenning noch erzählen würde.

„Gut, schließen wir Deine Sache ab.“

Lenning war nicht drängend, aber er wusste welch großer Fehler oft darin lag, Wichtiges nicht von Unwichtigem zu trennen.

„Unsere jungen Kameraden, die ich hier noch nicht kenne, werden bei der nächsten Aktion sich unter die Globalisierungsgegner mischen und irgend etwas skandieren, dabei vielleicht nette Mädchen kennenlernen, vielleicht eine nette Reise unternehmen und dann darüber berichten. Das war doch alles, was Du noch sagen wolltest!“

Tom nickte müde.

„Nicht ganz alles, aber im Großen und Ganzen. Es kommt insbesondere auf eine ganz bestimmte Gruppe an, aber das können wir jetzt überspringen. Dazu bekommt ihr alle Einzelheiten später und dafür können wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Wolf, Du hast mit dieser Sache kaum etwas zu tun, es sei denn, es gibt für Dich etwas als Anwalt zu schaffen. Aber ich nehme an, Du kannst uns dann auch jemanden empfehlen.“

Es war sehr spät geworden, als sich die Herrenrunde aufzulösen begann. Den Anfang machte dabei Wilhelm Lenning, der wohl den weitesten Weg zurückzulegen hatte, denn er wollte ja nach St. Peter Ording, wo Hildegard und Freddy auf ihn warteten. Außerdem wollte er mit Rooy noch ein Fläschchen Wein trinken, bevor dieser wieder nach Australien zurückkehren würde.

„Du kommst doch sicher wieder nach Hamburg, um mit John zu sprechen?“ fragte Tom.

„Tom, frag´ doch Omar, was für eine Beobachtung wir vorhin gemacht haben.“ entgegnete Lenning.

Tom blickte Omar fragend an.

„Ja, da war so ein Fahrzeug. Hat eine Ehrenrunde über den Hotelparkplatz gedreht, zwei Männer sind ausgestiegen und dann ist es in Richtung Innenstadt verschwunden.“

Lenning nickte.

„Ja, weißt Du, es war so ein Fahrzeug, wie wir es früher auch gefahren haben.“

„Zu Gladiozeiten?“, ergänzte Tom fragend.

„Ja, oder bei der USMM1.“ (US Military Mission)

„Ah!“ dehnte Ahmad, der Omar fragend ansah. „Es saßen drei Personen drin, mehr kann ich dazu nicht sagen.“

„Dann wirst Du verstehen, dass ich heute nicht nach Harburg komme!“ Wilhelm Lenning schien sich hier sicher zu sein. „Ein andermal.“

Der Abschied war dank der fortgerückten Stunde entsprechend kurz und Lenning dachte angestrengt darüber nach, wann er John treffen könnte.

Auf dem Rückweg nach Braunschweig wird sich sicher eine Chance bieten, aber er wollte bewusst Hildegard und Freddy da raushalten.

***

Rechtsanwalt Lenning war wieder auf dem Rückweg von Braunschweig in die Pfalz. Er war allein mit Dax, dem Labrador. Hildegards Auto war bereits von Fritz und Bea in die Pfalz geholt worden und zum Abschied hatte Wilhelm Lenning zu Hildegard freundschaftlich gesagt:

„Du hast jetzt eine Zeit lang kein Fahrzeug. Wenn Du größere Einkäufe machen musst, warte halt, bis ich wieder da bin!“

Hildegard zuckte die Schultern und Tränen traten in ihre Augen. Sie schien erst jetzt die Bedeutung der Entziehung der Fahrerlaubnis erkannt zu haben. Nachdem Lenning die Stadt verlassen hatte und, in Gedanken versunken auf der Autobahn fuhr, kam ihm wieder der Gedanke:

„Was hat Ellen mit Hamburg gemeint?“

Von jenem Zusammentreffen in dem skandinavischen Hotel hatte er ihr - da war er sich sicher - kein Wort erzählt. Aber war es möglich, dass er vielleicht vom Zusammentreffen mit John etwas gesagt hatte!?

Lenning rief sich die Ereignisse der letzten Monate ins Gedächtnis zurück. Damals war er noch abends von Hamburg nach St. Peter Ording gefahren und hatte einen schönen Abend mit Rooy, Hildegard, Freddy und Rooys Freundin verbracht. Man hatte guten Wein getrunken, nachdem man sehr gut zu Abend gegessen hatte; Rooy hatte es sich nicht nehmen lassen, seine deutschen Freunde einzuladen. Er hatte ganz seine übliche, lustige Art behalten, obwohl es Lenning schien, als ob Rooy etwas zaghafter geworden wäre. Rooy war am nächsten Morgen mit den anderen an den Nordseestrand gegangen und seine Freundin hatte gesagt, das sei nicht ihr "Friesland", als Lenning erklärte, wie gern er die Nordfriesische Küste hatte. Schon nach kurzer Zeit wollte sie umdrehen, aber Rooy ging noch ein Stück mit den anderen, obwohl ihm der Wind den Atem nahm. Rooy atmete schwer. Lenning kannte dies von früher, denn Rooy war, seit er ihn kannte, schwer herzleidend. Nach kurzer Zeit willigte er dann ein, umzukehren und der Abend war weniger lustig, als der vorangegangene. Rooy war weniger zu Späßen aufgelegt und plante die Abreise für den nächsten Morgen ganz früh. Man verabschiedete sich schon deshalb abends, weil Lenning immer sagte, diese frühen Stunden am Tag seien seine beste Schlafenszeit. Tatsächlich verbrachte Lenning keine sehr ruhige Nacht, sondern wurde immer wieder durch Albträume aufgeschreckt und schließlich wollte er um jeden Preis am nächsten Morgen Rooy verabschieden. Man sieht sich ja nicht so oft, wenn der eine Freund in Australien und der andere in Europa wohnt, dachte Lenning. Aber vielleicht waren es auch andere Gedanken.

Natürlich hatte Lenning am nächsten Morgen verschlafen und so kam es, dass Lenning Rooy nicht mehr Lebewohl sagen konnte. Unangenehm berührt wischte Lenning düstere Gedanken beiseite.

Beim Frühstück wurde wenig geredet und man wollte so schnell wie möglich zurück nach Braunschweig. Lenning grübelte über verschiedene Sachen nach, insbesondere das Treffen vom vorgestrigen Abend ging ihm durch den Kopf. Spätestens als sie durch den Elbtunnel gefahren waren und sich den Harburger Bergen näherten, dachte er daran, am heutigen Tage noch John zu treffen. Die Fahrt nach Braunschweig war nicht zu lange und es wurden nur unwesentliche Gespräche geführt. Als die Reisenden in Braunschweig angekommen waren, eröffnete Lenning kurzer Hand den beiden verblüfften Mitreisenden, er müsse heute noch wegfahren. Ohne viel zu fragen, stiegen die beiden aus und nahmen ihre wenigen Gepäckstücke mit. Lenning versäumte es nicht, noch einmal schnell zur Toilette zu gehen und wenige Minuten später befand er sich mit Dax wieder auf der Autobahn Richtung Norden. Unterwegs wählte er die ihm überlassene Telefonnummer an. Tom meldete sich am Telefon.

„Hi Wolf!“ begrüßte Tom den Anrufer. „Wir waren sicher, dass Du uns anrufen würdest. Wann und wo wollen wir uns treffen?“

Lenning hatte sofort eine Idee. „Auf halbem Weg, in Dorfmark im Heidekrug.“

Tom brauchte nicht lange zu überlegen. „Wir sind in einer Stunde da, ok?“

„In Ordnung,“ quittierte Lenning.

Danach erledigte er noch einige Telefongespräche und als er die Autobahn in der Lüneburger Heide verließ, war er sicher, das Richtige getan zu haben. Er stellte das Fahrzeug an der nahegelegenen Kirche ab und schlenderte mit Dax zum Lokal. Dort studierte er erst die Speisekarte und trat dann ein. Hoffentlich gab es schon Abendessen dachte er, denn gegen 16.30 Uhr ist es üblicherweise zu spät zum Kaffeetrinken und zu früh zum Abendessen. Es war noch niemand da. Er suchte sich einen abseitsgelegenen Tisch in einer Ecke und bestellte ein Pils. Es dauerte nicht sehr lange und draußen hörte er in Englisch sprechende Stimmen. Vier leger gekleidete Herren traten ein. Ohne lang zu überlegen steuerten sie auf den Tisch in der Ecke, an dem Lenning saß, zu. Hände wurden geschüttelt, begleitet vom freundschaftlichen Lachen, Lenning begrüßte alle mit Handschlag, allen voran John.

„John, schon lange nicht gesehen!“

„Ja, an mir hat es nicht gelegen,“ erwiderte John.

„Naja, Du warst vorgestern nicht dabei!“

„Hallo Omar, guten Abend Ahmad!“ setzte Lenning die Begrüßung fort.

Und schließlich wurde als letzter Tom mit Handschlag begrüßt.

„Heute gibt es aber keinen extra alten Cognac und keine Zigarren aus Kuba,“ bemerkte Tom spitz.

„Nein, das kannst Du hier nicht erwarten,“ stimmte Lenning zu.

Die Runde unterhielt sich lebhaft, aber nicht unangenehm laut. Immerhin hatten sich John Bullock und Wolf Lenning über 15 Jahre nicht gesehen.

„Also,“ meinte John zu Wolf, „ich wäre gern vorgestern dabei gewesen, aber sicher hast ja Du auch den schwarzen Straßenkreuzer gesehen und deshalb war es besser, ich war nicht da.“

Wolf Lenning nickte.

„Und deshalb war es auch besser, dass ich nachher nicht mit raus in die Harburger Berge kam.“

John wiegte den Kopf bedächtig und schaute Wolf Lenning in die Augen.

„Du hast wirklich hier einen sechsten Sinn gehabt. An diesem Abend kam ich sogar in eine Personenkontrolle vor dem Haus.“

Ungläubig runzelte Lenning die Stirn.

„Personenkontrolle... durch die Polizei?“ fragte er.

„Genau das,“ erwiderte Tom, der sich in das Gespräch einschaltete. „Und Wolf hatte das alles geahnt.“

Lenning lächelte.

„Zumindest nicht ausgeschlossen, nachdem unser Treffen schon interessant genug für den Straßenkreuzer war.“

„Wolf hat den sechsten Sinn!“ stellte nunmehr Omar anerkennend fest und erhob sein Pilsglas:

„Lang möge er ihm erhalten bleiben!“ stimmten die anderen zu.

Lenning wehrte ab. „Ich beobachte sehr viel... und ich habe schon wirklich Leute getroffen, die den sechsten Sinn haben – ich habe ihn leider nicht.“

„Und was sagt Dein sechster Sinn zu heute Abend? Bleiben wir über Nacht hier?“ wollte Tom wissen.

Lenning überlegte kurz.

„Keine schlechte Idee. Jedenfalls können wir dann gut essen und trinken. Wir müssen allerdings fragen, ob Zimmer frei sind.“

Als die nächste Runde Pils serviert wurde, bat Lenning die Kellnerin, den Wirt zu fragen, ob noch Zimmer frei seien. Der Wirt ließ es sich nicht nehmen und kam selbst an den Tisch. Mit seinem lustig anmutenden österreichischen Akzent versuchte er die Frage englisch zu stellen, was nicht ganz verstanden wurde.

„Wie viele Zimmer wir brauchen...“, übersetzte Lenning in verständliches Englisch.

„Ja, jeder möchte doch sein eigenes Zimmer haben – nehm´ ich wenigstens an.“ erwiderte John und Lenning erklärte es dem Wirt.

„Ja, vier Zimmer haben wir noch,“ meinte dieser und die Reservierung erfolgte prompt.

Als sich der Wirt und die Kellnerin wieder entfernt hatten – das Essen war inzwischen bestellt – kam John zur Sache.

„Wolf, Du hast etwas von „Little Baby“ erzählt?“ forschte er. „Wie bist Du eigentlich auf dieses Thema gekommen?“

„Ein Gedankensprung war das nicht,“ erklärte Lenning.

„Wir waren doch...“

John überlegte kurz. „Damals, als wir noch häufiger Kontakt hatten, warst Du noch für eine andere Organisation tätig.“ Er blickte Lenning fragend an.

Lenning zuckte mit keiner Wimper.

„Jedenfalls hat man das über Dich gesagt.“

Auch Toms fragender Blick führte bei Lenning zu keiner Gemütsbewegung.

„Könnte es dann nicht sein, dass Du Informationen hast, die unserer gemeinsamen Organisation nicht zur Verfügung stehen?“

Immer noch hielt Lenning Toms und Johns fragenden Blicken stand.

„Lasst mich doch einmal ausreden!“ begann Lenning. „Ihr wisst genau, wie ich auch, dass „Little Baby“ einen weiten Weg genommen hat...!“

John nickte. „Ja aus den Steppen Kasachstans in die Weiten des Indischen Ozeans.“

Lenning nickte. „Und mehr weißt Du nicht?“ fragte er erst John und blickte dann Tom an.

Tom wich Lennings Blick aus.

„Also wisst Ihr doch mehr“, lächelte Lenning. „Und Ihr sagt, ich würde Informationen von anderer Seite beziehen?“

In diesem Augenblick trat die Kellnerin an den Tisch und Lenning bestellte noch ein Pils. Die anderen, die sicher auch Durst hatten, vergaßen die Bestellung und erst als die Kellnerin ausdrücklich fragte, ob noch jemand etwas bekomme, nickten sie und reichten ihr die leeren Gläser.

„Oh, Ihr Kleinmütigen!“ begann Lenning, seinerseits in die Offensive zu gehen. „Legen wir doch alle einmal die Karten offen auf den Tisch. Wir haben uns ja lange nicht gesehen.“

„Ja.“ hakte hier Tom ein. „Du hast Dich in eine mehr oder weniger amerika-kritische Richtung entwickelt.“

Lenning zuckte die Schultern. „Ich bin ein kritischer Mensch und entwickle mich nicht in eine kritische Richtung.“

John nickte. „Ja, Du kennst doch Tom. Amerika hat viele gute Seiten...“

Er erwartete einen Einwand von Lenning, der nicht kam.

„Amerika ist für mich zunächst ein geographischer Begriff, die USA sind ein politischer Begriff und eine Wertung kann nur zu einzelnen Themen erfolgen!“

„Hier spricht wieder der Jurist aus Dir.“

Wolf lachte und fixierte John mit den Augen: „Wir haben inzwischen einige Kompetenzen dazu- und einige weggenommen bekommen, während Du Dich eigentlich ganz ausgeklinkt hast.“

John nickte.

„Und wie kommst Du dann darauf, dass ich Informationen von einer anderen Seite bekommen würde?“

„Ganz einfach, Du hattest uns immer etwas voraus, was die Russen anging.“

Lenning lachte. „Das weißt Du noch? Und jetzt denkst Du, ich hätte Informationen von dieser Seite bekommen?“

John und Tom nickten und Lenning zuckte mit den Schultern. „Schon möglich, man hat auch und gerade heute überall Freunde. „Globalisierung“ nennt man das, glaube ich.“

„Wolf, Du bist ein Fuchs“, meinte John. „Spann´ uns nicht auf die Folter; fahr´ fort!“

„Also...“

Inzwischen wurden die Biere serviert und Lenning nahm einen kräftigen Schluck, bekam aber mehr Schaum, als Flüssigkeit. Als sich die Kellnerin entfernt hatte, begann er von Neuem.

„Wie Ihr wisst, haben die Russen auch ein vitales Interesse daran, zu verhindern, dass Nuklearsprengköpfe in falsche Hände kommen. Und von denen gibst es eine ganze Menge, denkt nur an die GUS-Staaten, die heute das Erbe der Sowjetunion verwalten. Hat einer übrigens eine Ahnung, warum die Ukraine auf Nuklearwaffen verzichtet hat?“

Alle schüttelten den Kopf. „Was hat das mit „Little Baby“ zu tun?“ wandte Tom ein.

„Eigentlich schon etwas, denn nach einer regulären Verteilung wären einige Gefechtsköpfe an die Ukraine gegangen. Stattdessen hat Kasachstan sehr viel mehr erhalten.“

Die anderen nickten andächtig.

„Seht Ihr und jetzt erklärt mir, wozu ein Land wie Kasachstan Nuklearwaffen benötigen könnte!“

Er blickte in die Runde und stieß nur auf Verständnislosigkeit.

„Kasachstan ist riesengroß und hat keine seine Existenz irgendwie bedrohende Nachbarn. Also könnte man daraus schließen, dass die Gefechtsköpfe überflüssig sind.“

Alle stimmten zu.

„Was läge dann näher, als die Gefechtsköpfe zu Geld zu machen? Insbesondere, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Regierung um ein absolut korruptes Regime handelt.“

Alle nickten und schienen zuzustimmen.

„Wenn jetzt hier irgendeine Bande, nennen wir sie einfach einmal „Ostmafia“, gegen harte Devisen Sprengköpfe anbietet, dann könnte sich hier eine Gefahr für den ganzen Globus entwickeln. Und...“

„Aber das wissen wir doch alles. Das ist eigentlich ganz allgemein bekannt,“ wandte Tom ein.

„Lass´ ihn doch mal ausreden!“ unterbrach ihn John.

„Danke, John!“ Wolf lachte ihn freundlich an. „Offensichtlich ist nicht alles bekannt. Das ist keine Philosophie, sondern das ist ein Erklärungsversuch für Wissen, das Ihr offensichtlich doch nicht aus einer plausiblen Quelle habt. Wenn also plötzlich auf dem Markt Gefechtsköpfe auftauchen, hat der russische Geheimdienst sicher ein Interesse daran, den Weg zu verfolgen.“

„Genauso wie wir,“ schloss sich John an.

„Und wichtig ist für den FSB, auch hier engen Kontakt zu uns zu halten, denn Wissen besteht hier in der Regel aus Mosaiksteinchen und je mehr man von ihnen hat, desto klarer wird das Bild.“

Keiner hatte einen Einwand. Es war ganz still und man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

„Also, jetzt zählt einmal zwei und zwei zusammen. Eine organisierte kriminelle Gruppe bietet Waffen und waffenfähiges Material an, während eine politisch-militärische Gruppe als Nachfrager auftritt. Was denkt Ihr, an welche von beiden Gruppen man leichter rankommt?“

„Natürlich an die organisiert kriminelle Gruppe! Du machst es aber spannend!“

John konnte es kaum noch erwarten.

„Also, an dieser ist der FSB, während unsere Augen und Ohren - mehr auf der anderen Seite - es wesentlich schwerer haben.“

Alle nickten wieder beifällig.

„Also, stellt Euch vor: Uns konnte es immerhin gelingen, gestützt auf Satellitenaufklärung, den Weg von „Little Baby“ ein Stück zu verfolgen, bis wir plötzlich glaubten, es in East Durban zu haben!“

„Ja!“, lachte Lenning. „Das war nur Glaube und schließlich ist „Little Baby“ wieder von dort auf hohe See gelangt.“

„Um dann endgültig zu verschwinden!“ ergänzte John. „Wie kann das geschehen sein, Wolf?“

„Ganz einfach, es ist so abgeschirmt worden, dass keinerlei Strahlung mehr nach außen dringen konnte.“

„Und wer verfügt über solche Mittel?“

„Terroristen bestimmt nicht. Also, entweder eine diesen helfende staatliche Macht oder wieder die kriminelle Gruppe.“

Lenning nickte. „Entweder hat das gute Stück den Besitzer gewechselt und müsste dann erneut am Markt erscheinen, was bis jetzt nicht geschehen ist oder es ist eine staatliche Stelle, die hier mit Terroristen kooperiert.“

„Hast Du weitergehende Informationen?“ wollte John wissen.

Lenning wiegte den Kopf. „Wir sind ja ein Team und als solches sollten wir wirklich Informationen austauschen, also will ich Euch nicht vorenthalten, dass mir mitgeteilt wurde, „Little Baby“ sei bereits in New York angekommen.“

Tom sprang auf und wollte etwas ausrufen, aber John zog ihn mit der linken Hand auf seinen Platz zurück, während er die rechte auf Lennings linken Unterarm legte.

„Das ist aber von ganz großer Bedeutung für uns alle. Und Du hast auch eine gewisse Verantwortung, also drück´ Dich klar aus!“

Lenning schien die Kritik nicht zu bemerken, die in Johns Worten lag und fuhr fort: „Es gibt noch erhebliche Zweifel daran, ob sich „Little Baby“ wirklich schon in New York befindet und außerdem habe ich gehört, dass eine erhebliche Finanztransaktion ausstehe, bei der es sich dem Anschein nach um Geldwäsche handeln dürfte. Kurioser Weise jedoch ist bei dieser Transaktion niemand beteiligt, der in irgendeiner Art bisher mit Geldwäsche in Zusammenhang gebracht werden könnte. Also gibt es gerade beim FSB Leute, die fest davon überzeugt sind, es handle sich um die letzte Rate für „Little Baby“, das heißt, die Abschlussrate, gegen deren Zahlung die Zünder bzw. Zündcodes geliefert werden.“

John musste wieder Tom beruhigen, der emotional etwas aufgebracht schien und wandte sich mit einer ruckartigen Drehung des Oberkörpers Lenning zu,

„Wolf, schau´, genau hier kreuzen sich unsere Informationen. Das war einer der Gründe, warum wir an diesem Treffen so interessiert waren. Auch wir haben von dieser, wie Du sagst, merkwürdigen Transaktion Wind bekommen und dachten, Du könntest uns vielleicht behilflich sein. Immerhin bist Du Wirtschaftsprüfer und könntest Kontakt zu Finanzkreisen haben, die vielleicht eine ganz andere plausible Erklärung für derartige Vorkommnisse haben. Weißt Du, in wie viel Tranchen diese Transaktionen ablaufen soll?“

Lenning zuckte wiederum die Achseln und meinte: „Man spricht von zwei Tranchen, allerdings handelt es sich hierbei mehr um ein Gerücht, als um gesicherte Erkenntnisse.“

„Aber auch wir gehen von zwei Tranchen aus“, brachte sich nun Tom wieder in das Gespräch. „Und wir wissen definitiv, dass die eine Tranche bereits abrufbereit bei der Paris Bas liegt.“

Lenning war seinerseits jetzt überrascht und fragte, ob man sich sicher sei, dass es gerade diese Bank sei. „Wisst Ihr denn, um welche Zweigstelle es sich hier handeln soll?“

„Wir nehmen an, dass dies Sache des Headoffice ist.“

Lenning tat überrascht. „Wir glauben vielmehr, es geht hier um die Zürich Branch, also um die Schweizer Abteilung der Paris Bas.“

„Wir haben gar nicht gewusst, dass es in Zürich eine Zweigstelle der Bangue de Paris et des PaysBas gibt.“ wandte Tom ein, wurde jedoch sofort von John unterbrochen.

„Natürlich hast Du nicht daran gedacht, aber selbstverständlich gibt es in Zürich eine Niederlassung der Paris Bas. Aber bewegt diese solche Summen?“

Lenning war unsicher geworden.

„Für diese Größenordnung ist wahrscheinlich die Zweigstelle nicht geeignet. Also nehmen wir mal an, Paris wäre zuständig, dann könnte das bei der halbstaatlichen Bank nicht ohne staatliche Zustimmung gehen.“

„Meinst Du?“ fragte Lenning überrascht.

„Ja, es könnte aber auch genauso gut sein, dass die staatlichen Stellen in diesem Fall mit anderen staatlichen Stellen zusammenarbeiten, die an „Little Baby“ ein irgendwie geartetes Interesse haben könnten. Denke doch nur daran, dass wir gerade vorhin gesagt haben, das Verschwinden von „Little Baby“ sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf irgendeine Zusammenarbeit zwischen Terroristen und einer staatlichen Stelle zurückzuführen.“

„Aber um Gottes Willen, Wolf, Du willst doch damit nicht sagen, die französische Regierung kooperiere mit Terroristen?“

„Nein, auf keinen Fall, John. Eher würde ich daran denken, dass die französische Regierung mit einer anderen Regierung zusammenarbeitet, die ihrerseits Kontakt zu Terroristen und darüber hinaus ein Interesse daran hat, den USA eins auszuwischen.“

„Hast Du hierzu irgendwelche Erkenntnisse oder ist es nur eine bloße Möglichkeit, die Du hier aufzeigen willst?“

John wirkte in diesem Augenblick sehr, sehr sachlich und schwieg.

„John, Du weißt, dass wir immer sehr gut zusammengearbeitet haben. Aber wir haben uns sehr lange nicht gesehen und ich weiß wirklich nicht, ob Du noch der bist, dem ich damals vertraut habe. Also gib mir ein wenig Zeit, bei unserem nächsten Zusammentreffen können wir uns noch eingehender unterhalten. Heute und morgen wird sich hier sowieso nichts tun.“

John ließ jedoch nicht locker. „Wolf, geh´ davon aus, dass ich immer noch derselbe bin, dem Du seinerzeit volles Vertrauen geschenkt hast. Geh´ weiterhin davon aus, dass auch ich die USA heute kritischer sehe, als damals. Und schließlich glaube mir, wenn Du mir oder Tom etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtest, bleibt es bei uns und wird nicht weitergereicht, egal, um wen oder was es sich handelt.“

„Gut, John, ich glaube Dir, das weißt Du ja. Aber sage mir doch bitte einmal, wieweit Dein Wissen in dieser Sache geht, damit ich überhaupt abschätzen kann, was Dir noch fehlt.“

„Gut, bis jetzt hast Du die ganze Zeit geredet und uns gar keine Gelegenheit gegeben, vor Dir etwas auszubreiten. Hör´ also zu!“

Lenning schloss für einen Moment die Augen, um dann den Blick für einen Augenblick an die Decke zu richten und ihn dann wieder zu senken. Schließlich hatte man ja ihn gedrängt, Erklärungen abzugeben und zu erzählen. Er hatte sich ja selbst eher zurückgehalten.

John berichtete in kurzen Sätzen, dass die Gruppe, der er und Tom angehörten, und die auch einmal engen Kontakt zu Lenning gehalten hatte, aus dem Informationsfluss teilweise ausgeklinkt worden war, was wohl mit dem Regierungswechsel in Washington zu tun hatte. Später war man allerdings auf das Fachwissen dieser Leute angewiesen und hatte ihre Kompetenzen und damit auch die Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen wieder erheblich ausgeweitet. Ein gewisses Misstrauen war jedoch geblieben und zwar auf beiden Seiten. John war wohl der kritischere, während Tom oftmals so emotional reagierte, dass sich das schließlich in seiner Personalakte niedergeschlagen hatte und er einer anderen Abteilung zugeordnet worden war. Für Tom war ein jüngerer, sicher sehr viel intelligenterer Mitarbeiter in das Team gekommen, der bis jetzt Lenning gegenüber überhaupt nicht erwähnt worden war.

„Sein Name...“ meinte John, „...spielt hier überhaupt keine Rolle.“

Lenning horchte auf. Mit diesem Mitarbeiter verstand sich John offensichtlich nicht so gut. Jedenfalls nichts so gut, wie mit Tom und obwohl sie dienstlich nur noch gelegentlich miteinander zu tun hatten, waren Tom und John privat weiter befreundet. Lenning staunte daher, als John ihn wissen ließ, dass er und Tom in Zukunft sich häufiger treffen sollten, um diese persönlichen Beziehungen, die lange Zeit auch dienstlich erfolgreich waren, nicht einschlafen zu lassen. John betonte dabei ausdrücklich, dass Tom über einen viel geringeren Informationspool verfügen konnte, sodass ihm seitens seiner vorgesetzten Stelle sogar wiederholt angeraten worden war, nicht zu eng mit Tom zu kooperieren, da man die „Abteilungen“ nicht „informationell verschmelzen“ lassen wollte. Tom seinerseits war nicht wenig überrascht, zu hören, dass John dies alles Lenning offenbarte.

„Also, lass´ mich raten“, schloss Lenning hieran an. „Tom hat sozusagen nichts mehr mit den Kräften zu tun, die sich für „Little Baby“ interessieren.“

Diesmal schwieg Tom, während John Lenning erklärte, dass jede Dienststelle Informationen, die „Little Baby“ betrafen, zu sammeln hätte und so gesehen Tom auch noch dienstliches Interesse an „Little Baby“ haben müsse, aber direkt sei Tom hier nicht involviert. Er verfüge deshalb auch nicht originär über die einschlägigen Informationen, wie zum Beispiel, dass ein einflussreicher arabischer Geschäftsmann in London erhebliche liquide Mittel zusammenziehe und so eine größere Transaktion vorbereite. Weitere kritische Vorbereitungen für größere Finanztransaktionen liefen auch in Deutschland und der Schweiz, erklärte John.

„...und schließlich haben wir Zusammenhänge mit Geldgeschäften in Indonesien und Hongkong festgestellt.“

„Und worin besteht der Zusammenhang?“ wollte Lenning wissen.

„Das ist recht kompliziert. Die Zusammenhänge sehe ich hier in den beteiligten Personen und den zu Grunde liegenden Dokumenten. Es soll sich um Tauschgeschäfte handeln zwischen chinesischen Ausrüstungsgegenständen und indonesischem Öl.“

„Ah!“ meinte Lenning. „Das ist ja interessant. Irgendwann war ich auch einmal bei derartigen Geschäften als Anwalt gefragt. Doch fahr´ fort!“

„Ja, das war´s schon.“ meinte John. „Wir gehen davon aus, dass diese Transaktionen in erster Linie ein Ziel haben: Die Zahlung für „Little Baby“ soll auf diese Weise so verschleiert werden, dass Spuren nicht mehr nachvollziehbar sein werden. Und Deine Informationen ergänzen unsere in recht vernünftiger und eindrucksvoller Weise. Wir bleiben in Kontakt.“

Nach etwa einer halben Stunde belangloser Unterhaltung begab sich die Runde zur Nachtruhe. Gerade als Lenning das Licht auslöschen wollte, schlug Dax an und sprang zur Tür. An der Tür war John, der offensichtlich noch etwas von Lenning wissen wollte.

„Komm´ herein, John, wir trinken noch einen Schluck Rotwein zusammen!“ lud ihn

Lenning ein, denn offensichtlich war auch er interessiert an einigen letzten Informationen.

John folgte der Einladung und nahm auf dem Stuhl gegenüber dem Bett Platz.

„Du solltest mit Tom behutsamer umgehen. Es schmerzt ihn, von unserer Gruppe abgezogen worden zu sein und außerdem empfindet er es als Degradierung, sich nunmehr mit Globalisierungsgegnern auseinandersetzen zu müssen. Er ist weit kritischer, als Du es ihm anmerken kannst, aber er ist ein echter Patriot.“

Lenning lachte. „Ich wollte ihn gar nicht angehen. Er hat doch immer mich angegriffen.“

„Ja, das ist so seine Art. Vergiss´ nicht, dass er bei der Air Force nie über den Mastersergeant hinausgekommen ist. Aber Du kannst ihm voll vertrauen. Er reagiert nur oft sehr merkwürdig und nachher tut es ihm leid.“

Lenning war an etwas anderem interessiert.

„John, Du weißt noch etwas, was Du mir sagen willst!“

„Richtig, deshalb bin ich da. Stell´ Dir vor, die Chase Manhattan Bank hat ein Akkreditiv eröffnet, das wir eigentlich von der Paris Bas erwartet haben.“

„Also spielt die Banque des Paris et des Pays Bas keine Rolle mehr in diesem Spiel?!“

„Nein,“ meinte John, „dieses Akkreditiv wurde von der Chase und nicht von der Paris Bas eröffnet, aber ich ließ alle in dem Glauben, weil ich dachte, erstens spielt es sowieso keine Rolle und zweitens sollte niemand wissen, dass hierüber gesprochen wurde und Du weißt, die Wände haben manchmal Ohren.“

„Also, das lässt die Sache in einem ganz anderen Licht erscheinen.“

Kurz darauf verabschiedeten sie sich und das Licht wurde gelöscht.


Die Mächtigen, die Scheinmächtigen und die Ohnmächtigen

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