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2.2.7 Wertaneignung mit Gruppendynamik

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Auch gruppendynamische und gruppentherapeutische Verfahren zeichnen diese Grundelemente als Prozessstufen nach. [1] Das bestärkt uns in der Annahme, dass die Stufen (a) bis (g) und (A) bis (G) aus allgemeinpsychologischen, vor allem aus unterschiedlichen Emotions‑ und Motivationstheorien gewonnenen Darstellung individueller Wertinteriorisation genau einander entsprechen, so dass die Annahme eines generalisierten „Wirkungsmechanismuses“ nahe liegt.

Gruppenprozesse haben an sich noch nichts mit Wertinteriorisation zutun. Allerdings sind sie fast immer davon begleitet. In der Regel ändern sich die Selbstkonzepte der Teilnehmer, ihre Selbstbewertungen, die Bewertung ihrer eigenen Aktivitäten, der gegenständlichen Bedingungen, unter denen der Gruppenprozess stattfindet sowie der anderen Gruppenmitglieder. Das führt fast zwangsläufig zu einer Änderung der personalen, der aktivitätsbezogenen, der fachlich-methodischen und der sozial-kommunikativen Kompetenzen. Insofern bilden die Aussagen zur Gruppendynamik einen dritten Zugang zur Interiorisationsproblematik. Der Zugang ist besonders attraktiv, weil reale Situationen von Kompetenzentwicklung sich ja nahezu immer in Gruppen vollziehen. Wir werden später darauf eingehen, dass sich auch beim E-Learning, insbesondere im Web 2.0, Gruppendynamiken herausbilden, die der hier im Mittelpunkt stehenden Schrittfolge zu parallelisieren sind.

Unabhängig von den im einzelnen verwendeten Methoden und Techniken - die je nach Stand der aktuellen psychologischen, soziologischen und philosophischen Erkenntnisse, nach der in konkreten Aufgaben gegebenen Zweckmäßigkeiten und nach persönlichen Präferenzen variieren - lassen sich bereits aus einer sehr allgemeinen Sicht auf sachliche Voraussetzungen, Selbstkonzepte, individuelle Werte und Wertveränderungen grundlegende Phasen bestimmen, die in gruppendynamischen Prozessen durchgehend wirksam werden. Die grundlegende Phasenabfolge umfasst Einzelphasen, die für jede Gruppensituation sinngemäß gelten.

Es ist kein Zufall, dass Kurt Lewin, einer der Väter der modernen Motivationspsychologie und gleichzeitig der modernen Willenspsychologie als Begründer der Gruppendynamik gilt. Ihn interessierte, wie emotionale Wertungen, wissensmäßig untermauert und willensmäßig umgesetzt, zu echten Beweggründen, zu Motiven des Menschen werden. Dies untersuchte er zuerst an einzelnen Individuen, dann, nach seiner Emigration in die USA, an und in Gruppen. Deren Dynamik ist getragen von den Werten und Bewertungen der Gruppenmitglieder untereinander, der Situation, der zu erreichenden Ziele sowie von ihren Selbstbewertungen. Insofern war die Interiorisation und Umwertung von Werten von Anfang an ein zentrales Moment seiner Arbeit.

Mit der Entwicklung der so genannten Encountergruppen (Begegnungsgruppen) und der Beschreibung ihrer Dynamik hat Carl Rogers, fußend auf einer tief humanistischen psychologischen Grundanschauung, einen Grundstein für jegliches Stärkenmanagement gelegt. Die Lösung von Gruppenspannungen, die Austragung von Konflikten der Gruppenmitglieder galten ihm als Möglichkeit zur Persönlichkeits- und Freiheitserweiterung jedes einzelnen. Hier knüpft der Gedanke eines dezidierten Stärkenmanagements [2] später an.

Rogers fasste die Phasen des Gruppenprozessen in Stufen zusammen, die bis heute, zuweilen anders systematisiert und benannt, als Modell dienen (Abb. 10).


Abb. 9 Phasen des Gruppenprozesses

Grundlegend untersuchte Roy Lacoursiere die unterschiedlichen Theorien der Entwicklungsphasen (Stufen) von Gruppen durch Vergleich unterschiedlicher, erfolgreicher Theorienansätze der Gruppendynamik, des „Life Cycle of Groups“. Er kommt auf folgende fünf fundamentale Phasen, denen sich alle anderen Phasen subsummieren lassen:


Abb. 10 Entwicklungsphasen nach Roy Lacoursiere

Diese Phasen lösen sich nicht scharf ab, sondern überlappen sich; das Benannte bildet jedoch das Schwergewicht der jeweiligen Phase. Besonders wertvoll ist die Arbeit, weil sie nachweist, dass diese Phasen in allen auf echter Zusammenarbeit beruhenden Gruppen, nämlich Trainingsgruppen (Training Groups), Problemlösungsgruppen (Problem Solving Groups), Therapiegruppen (Therapy Groups), Begegnungsgruppen (Encounter Groups) und Realgruppen (Naturalistic Groups) auftreten. [3]

Wir folgen dieser generalisierten Einteilung und setzen sie mit einer anderen in Bezug, die besonders klar auf die Inhalte, den Interaktionsstil und die Gruppenstruktur der jeweiligen Phasen eingeht, was in Bezug auf Kompetenzlernen und Kompetenzentwicklung besonders interessant ist.

(α) Orientierungsphase 1 Die Teilnehmer zeigen in dieser Kennenlernphase noch große Hemmungen, Einblicke in ihre Gefühlswelt und Interaktionsmuster zu geben. Ihre Persönlichkeitsstruktur und ihre Sichtweise der Dinge soll und darf nicht in Frage gestellt werden. Konflikte werden in dieser Phase kaum wahrgenommen. Inhaltlich wird die Gedanken- und Gefühlslage der Teilnehmer reflektiert und individuell erfasst, eine Rückbesinnung auf bisherige Probleme und biografische Momente findet statt. Der Interaktionsstil ist reaktiv, auf Fragen des Leiters oder der Leiter antwortend. Es gibt noch keine Gruppenstruktur, sondern nur die Zweierbeziehungen zwischen Leiter und Teilnehmer.

(β) Orientierungsphase 2 Es werden in dieser Anwärmphase womöglich aufgetretene und wahrgenommene Konflikte von den Teilnehmern nicht beachtet, sondern schnellstmöglich beiseite gelegt. Die Teilnehmer fühlen sich noch nicht in der Lage, Verantwortung dafür zu übernehmen. Sie werden darauf hingelenkt, ihre Wahrnehmungen zu reflektieren, sie als wertend zu erleben. Die Leiter gewinnen durch Kurz - Checks Informationen über objektive und subjektive Probleme und Widersprüche im Unternehmen aus Sicht der Teilnehmer und der Trainingsgruppe, sowie Informationen über deren emotional – motivationalen Status. Thematisch geht es um die Organisation und die Zusammensetzung der Gruppe, den Ablauf künftiger Zusammenkünfte. Bei betrieblichen Trainings, vor allem in der Arbeitsumwelt, sind Sichten auf Unzulänglichkeiten, Probleme, Konflikte im Arbeitsprozess und in zwischenmenschlichen Beziehungen gefragt. Der Interaktionsstil ist fragend – antwortend, reaktiv und konventionell. Die Struktur ist durch ein Nebeneinander der Gruppenmitglieder ohne Binnengliederung und folgerichtig durch einen Starken Leiterbezug gekennzeichnet.

(ζ) Unzufriedenheitsphase Die Gruppenmitglieder zeigen in dieser manifest werdenden Abhängigkeitsphase bereits ihre durch den Konflikt hervorgerufene Unzufriedensheitsgefühle. Die Akzeptanz hierfür liegt aber noch nicht vor. Den, als „negativ“ beschriebenen Emotionen, soll keine weitere Beachtung geschenkt werden. Stattdessen können, wo gegeben, einige der vielfältige Methoden von Persönlichkeitsinventaren, Einstellungsmessungen, analytischen Fragetechniken u.a. in den Gruppenprozess eingespeist werden. Gespräche über Einschätzungen von Selbstzuschreibungen und deren Darstellungen verdeutlichen den Teilnehmern ihre emotionale Lage. Thematisch geht es um die Unsicherheiten und Beängstigungen, die durch das Fehlen einer festen Struktur hervorgerufen werden, und die zunächst passiv verarbeitet werden durch Ausweichen auf Themen allgemeinen Interesses oder durch Besprechen allgemeiner Gruppenprobleme oder ganz vereinzelter individueller Probleme. Der Interaktionsstil ist konventionell – abwartend, von Ratlosigkeit und Unsicherheit geprägt, der Leiter steht unangefochten im Mittelpunkt. Strukturell zeigen sich stark wechselnde Gruppierungen, einseitig auf den Leiter oder eine Ersatzfigur konzentriert.

(δ) Lösungsphase 1 Die Unbeweglichkeit der Persönlichkeitsstruktur beginnt in dieser Aufschmelzphase leicht aufzuweichen. Vorhandene Gefühle werden allmählich als existent akzeptiert. Inhaltlich beginnen die Teilnehmer zu akzeptieren, dass Missstimmungen aus der Gruppe selbst hervorgehen und dass von den Leitern keine aktive Hilfe zu erwarten ist. Die Gruppe beginnt, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Der Interaktionsstil ist noch konventionell, wird aber zunehmend von kritischen und distanzierenden Seitenhieben auf den Leiter begleitet. Strukturell werden erste Ansätze einer Rangordnung der Gruppe unter Leistungsgesichtspunkten im „Hier und Jetzt“ sichtbar.

(ε) Lösungsphase 2 Oftmals begleitet durch Gefühlsausbrüche, öffnen sich die Teilnehmer in der nun folgenden Aktivierungsphase ihren Ungereimtheiten und Widersprüchen. Inhaltlich ist das vom Willen begleitet, mit Missstimmungen aktiv und zuweilen aggressiv aufzuräumen. Ein neues Verhältnis von Gruppe und Leiter wird aufgebaut, dieser wird oft in eine Außenseiterposition geschoben, an den Rand gedrängt. Dabei ist immer mit zu bedenken, dass es bei gruppendynamischen Prozessen niemals primär um im engeren Sinne kognitive, sondern stets um emotional - motivational wertende Vorgänge handelt, die Negativwertungen emotionell erlebbar und damit abbaubar machen und andererseits positive Zielwerte emotional neu und möglichst tief verankern. Die hochkochenden Affekte und Gefühle führen zu einer emotional-motivationalen Umwertung früherer Wertungen – von Sachproblemen, von Beziehungsproblemen, von individuellen Problemen - und zu einem Ausprobieren der Akzeptanz dieser Wertungen im Gruppenrahmen. Der Interaktionsstil ist häufig sehr kritisch – distanziert und distanzierend, aggressiv bis bösartig, insbesondere gegen den Leiter oder stellvertretend einen „Prügelknaben“ in der Gruppe. Strukturell verstärkt sich die Ausbildung einer Rangordnung unter dem Aspekt einer Leistungsfähigkeit im „Hier und Jetzt“, im direkten Umlernen von Emotionen und Einstellungen. Die Gruppe intensiviert die Binnenkontakte und schafft eine größere Distanz nach außen hin. Es bildet sich eine stabile Kerngruppe heraus. Aufschmelzphase und Aktivierungsphase entsprechen der Lösungsphase.

(φ) Produktivphase Emotionen, Emotionsänderungen und Unstimmigkeiten werden in dieser Arbeitsphase als Teil des Selbst akzeptiert und als weitgehend normal empfunden. Die Bereitschaft, Konflikte konstruktiv zu lösen geht einher mit dem Wunsch, aus Erfahrungen zu lernen. Die persönlichen Konstrukte werden teilweise aufgelöst, das heißt bisherige, tief interiorisierte emotional – motivationale Wertungen werden durch neue ersetzt. Inhaltlich führt dies entweder zu einer Bestätigung von bisherigen, oder aber zu einer neuen Setzung von Emotionen und Motiven, die im Gruppenkontakt akzeptiert und bestätigt werden. Sie werden damit tiefgreifend positiv besetzt verankert. In der Atmosphäre entstandener Sicherheit und Nähe können individuelle Schwierigkeiten und Konflikte von den Gruppenmitgliedern „bearbeitet“ und somit neue Einstellungen – emotional gegründete, geistig untermauerte, von der Situation und dem Umfeld abhängige Haltungen – gewonnen werden. Als Interaktionsstil greifen spekulative, hypothetisierende, in Bezug auf sich selbst oder andere Personen auch rationalisierend – psychologisierende Kommunikationsformen um sich. Die Gruppenstruktur ist gefestigt, ein sozialer Organismus mit großer emotional – motivationaler Aufgeschlossenheit untereinander. Eine stabile Rangordnung mit teilweise wechselnden Führungsfunktionen (Sachführung, Sympathieführung) hat sich herausgebildet.

(γ) Beendigungsphase Es ist in dieser Abschlussphase eine starke Zunahme der Selbst-Akzeptanz wahrzunehmen. Die Teilnehmer stehen zu ihren Gefühlen und lassen überdies auch neue Emotionen zu. Die Fähigkeit, vor allem aber der Wille und die Bereitschaft alte Wert- und Persönlichkeitsstrukturen, manchmal sogar auf humorvolle Weise, zu verändern ist vorhanden und wird wahrgenommen. Inhaltlich hat der Kern der Gruppe neue Handlungs- und Arbeitsmöglichkeiten erreicht, Außenkontakte werden vom neuen Niveau aus aktiviert. Gruppenthemen wie die Traditionen und der Zusammenhalt, die sich herausgebildet haben, werden abgeschlossen, an deren Stelle treten allgemeine Fragen der Selbstkonzeptänderung, der Bildung und Erziehung. Der Interaktionsstil wird sachlich – intellektuell und wo er Persönliches betrifft psychologisierend; er wird zunehmend konventionell. Strukturell hat sich die Binnengliederung der Rangordnung in der Gruppe quasi institutionalisiert. Der Leiter tritt, nun als Gleicher unter Gleichen, wieder stärker in den Vordergrund. Führungsfragen werden in neuer Qualität zum Thema.

An diesen sieben Phasen ist erkennbar, dass eine Veränderung der eigenen Emotionen und Motivationen in aller Regel sehr langsam vonstatten geht. Ohne zuvor aufgebautes Vertrauen in die Gruppenleitung, in die anderen Teilnehmer und nicht zuletzt natürlich auch in sich selbst wird ein solcher persönlicher Entwicklungsprozess nahezu ausgeschlossen.

Der generalisierbare gruppendynamische Ablauf lässt sich wiederum zusammenfassen (Abb. 11).

Die Anwendung gruppendynamischer Verfahren im Unternehmensbereich, teilweise aus neueren Psychotherapie- und Trainingsverfahren entlehnt, hat den Stellenwert von Selbsterfahrung und Emotionalität erheblich ausgeweitet. Viele neue, der humanistischen Psychologie verpflichtete Bewegungen, wie Gestalt- und Gesprächstherapie, Encountergruppen, Sensitivtrainings, Kommunikationstrainings, Aufstellungen usw. machen Selbsterfahrung und Emotionalität zum Zentrum ihres Vorgehens. Da aber nahezu jegliches Arbeiten in Unternehmen und Organisationen in Gruppen geschieht, die keineswegs konfliktfrei zusammenwirken und keineswegs repressionsfrei kommunizieren, sind die gruppendynamischen Erkenntnisse breit verallgemeinerbar. So ist es zu erklären, dass Autoren von einer gegenwärtigen Renaissance der Gruppendynamik sprechen. Im Sinne der vorstehenden beiden Abschnitte bieten konfliktäre Gruppenprozesse nicht mehr und nicht weniger als spezifische, sehr realitätsnahe Anlässe emotional –motivationaler Labilisierung, die zum Wertlernen und damit zum Kompetenzlernen führen. Deshalb lassen sich die bereits umrissenen allgemeinpsychologischen Mechanismen der Aneignung (Interiorisation) und Kommunikation (Exteriorisation) von Regeln, Werten und Normen in Form von Emotionen und Motiven unter den spezifischen Bedingungen einer echten Gruppendynamik diskutieren.


Abb. 11 Generalisierter, gruppendynamischer Ablauf

Wir können für jede der Phasen (α) - (γ), gestützt auf neuere Untersuchungen zur Gruppendynamik, kennzeichnen, welche Aspekte des Wert- und Kompetenzlernens, der Interiorisation darin wirksam werden. Dabei ist wichtig, im Auge zu behalten, dass diese Phasen Abstraktionen sind, dass sich die beschriebenen Stufen real „überlappen“ und dass jede Gruppe ihre eigene Entwicklungsgeschwindigkeit hat und sich „individuell“ entwickelt.

(α) In der Orientierungsphase 1, der Kennenlernphase herrschen bei den Gruppenmitgliedern Unsicherheit und Angst als grundlegende Emotionen vor. Sie versuchen, diese durch Sympathiewerbungen und durch Distanz zu mindern. Der Gruppenleiter sollte hier für eine möglichst lockere, ungefährliche Atmosphäre sorgen, inhaltliche Schwerpunkte setzen und thematische Erwartungen einbringen. In sich selbst formierenden, problemorientierten Gruppen kann es dabei schon sehr früh zu emotionalen Spannungszuständen kommen, die zunächst durch vertrauensbildende Schritte und Erkundungsprozesse aufgelockert werden sollten. Ohne solche Schritte bleiben die dissonanz- und labilitätserzeugenden Emotionen später möglicherweise unproduktiv und verhindern eine fundierte Kompetenzentwicklung.

(β) In der Orientierungsphase 2, der Anwärmphase versuchen die Gruppenmitglieder, Unsicherheit und Angst, Dissonanzen und Labilisierungen durch ein konventionelles, Spannungen vermeidendes aufeinander Zugehen zu verringern. Sie lernen einander vor allem von der positiven Seite her kennen, entwickeln einen gewissen Vertrauensvorschuss und sind neugierig aufeinander. Anstehende Probleme werden vor allem von ihren weniger problematischen Seiten her reflektiert und besprochen. Die entstehende „Wärme“ ist leicht flüchtig und sehr vorläufig, hat jedoch die wichtige Funktion, die Teilnehmer für spätere Wert- und Kompetenzänderungen zu öffnen.

(ζ) In der als Abhängigkeitsphase zu identifizierenden Unzufriedenheitsphase werden sich die Teilnehmer einer doppelten Abhängigkeit bewusst: zum einen empfinden sie sich vom Gruppenleiter oder von möglicherweise selbst und schnell wechselnden Führungspersonen abhängig, zum anderen erleben sie sich selbst abhängig von ihren eigenen Missempfindungen und negativen Emotionen, die in der aufgebauten Spannungssituation entstehen, ein Problem nicht lösen oder Konflikte in der Gruppe nicht abbauen zu können. Das führt zu einem starken Ich-Denken, zu dem intensiven Bestreben, den eigenen Platz in der Gruppe zu begreifen ohne ihn schon verändern zu können und zu wollen. Der dabei entstehende starke emotionale Spannungszustand und die entsprechende Labilisierung sind die Voraussetzung für kommende Auseinandersetzungen und Veränderungen der eigenen Position in der Gruppe sowie zu den zu lösenden Problemen.

(δ) In der Lösungsphase 1, zutreffend als Aufschmelzphase zu kennzeichnen, beginnt die eigentliche Auseinandersetzung um die besten Problemlösungen und um die Position im Beziehungsgefüge der Gruppe, zunächst verhalten und tastend, dann, in der Lösungsphase 2 in massiver Auseinandersetzung, in einer Form von Machtkampf, die manchmal als „Storming“ bezeichnet wird. Emotional beginnen hier die ersten wirklichen Veränderungen. Neues Gruppenverhalten wird tastend erprobt und durch Unterstützung bestätigt, oder aber durch Ablehnung korrigiert. Dieses Verhalten ist mit neuen Werthaltungen unterfüttert, bei Akzeptanz kommt es zu ersten Veränderungen der bisherigen Werte und Kompetenzen.

ε) In der oft von Auseinandersetzungen, Gefühlsausbrüchen und Aggressionen begleiteten Lösungsphase 2, der Aktivierungsphase, kommt es dann zum eigentlichen und massiven Umlernen von Emotionen und Motivationen. Die allgemeinpsychologischen Grundlagen dieses Umlernprozesses hatten wir unter Bezug auf Kognitions- und Motivationstheorien zu beschreiben versucht. Spezifisch ist hier, dass Dissonanzen und Labilisierungen vor allem durch Gruppenkonflikte und Gruppenauseinandersetzungen hervorgerufen werden. Folgerichtig haben gruppendynamische Theorienbildungen Konfliktentstehung und Konfliktverarbeitung in den Mittelpunkt gestellt. Dazu wird oft der bereits eingeführte Ansatz Schultz von Thuns herangezogen, der ein gutes Erklärungsmodell dafür bereitstellt, warum jede reale Kommunikation über ein sachliches Problem, eine Unternehmensaufgabe, eine Marktentscheidung, eine personalpolitische Maßnahme nicht nur auf der Inhaltebene abgehandelt werden kann, sondern stets auch auf der Beziehungsebene der Kommunizierenden angesiedelt ist. Es geht niemals nur um die Frage „Wie ist der Sachverhalt zu verstehen“ sondern stets auch um wertende Fragen: „Was ist das für einer, der da mit mir kommuniziert“, „Wen glaubt er eigentlich, vor sich zu haben“ oder „Was soll ich tun, denken und fühlen aufgrund seiner Meinung“. Das gesamte Spektrum vom Mitteln der Wertkommunikation, das wir an anderer Stelle dargelegt haben, kann im Rahmen der angeführten Fragen eine Rolle spielen. Es kann auch entsprechend in Kommunikationstrainings benutzt werden. Auch die führend von Paul Watzlawick entwickelte Kommunikationstheorie der „Palo-Alto-Schule“ formuliert neben der Grundregel 1: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ die Grundregel 2: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt“, womit Wert- und Kompetenzaspekte in jede Kommunikation eingeschlossen sind, was nichts anderes heißt als: Man kann nie kompetenzfrei kommunizieren. Besonders folgenreich und neuartig ist neben Regel 3, die den oft vergeblichen menschlichen Versuch kennzeichnet alles auf Kausalketten (Ursache- Wirkung) zu reduzieren, Watzlawicks Regel 4, die eine Unterscheidung von digitaler und analoger Kommunikation fordert. Entweder wir nennen klare, möglichst messbare Daten und Fakten (digitale Information) oder aber wir verwenden Bilder und Analogien, die Ähnlichkeiten und Bezüge zu einem bezeichneten Gegenstand haben (analoge Information). Letztere ist entwicklungsgeschichtlich älter und besitzt eine allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere verbal-digitale Sprache. Analoge Kommunikation ist immer mehrdeutig und, als Ausdrucksgeschehen, immer mit Wertaspekten behaftet. Zudem transportiert sie immer Aspekte der Ungleichheit oder Gleichheit der Kommunikationspartner, die nie vernachlässigt werden dürfen (Regel 5).

(φ) In der Produktivphase, der eigentlichen Arbeitsphase, stehen Konflikt und Konfliktbewältigung im Mittelpunkt, und zwar sowohl intra- wie interpersoneller Konflikte. „Bei den Diskussionen ist meistens zu beobachten, dass Konflikte negativ geschildert werden. Sie sind unangenehm und man möchte sie vermeiden. Dabei wird übersehen, dass Konflikte wichtig sind, in allen Gruppen und Organisationen vorkommen und die Basis für jede Weiterentwicklung darstellen. D.h. Konflikte sind normal, überall vorhanden und können häufig positive Entwicklungen bewirken! So können sie die Betroffenen miteinander ins Gespräch bringen, das Verständnis für einander verbessern, bestehende Konfliktauslöser deutlich und bewältigbar werden lassen, neue Ideen anregen, Verhaltensgewohnheiten in Frage stellen und Entwicklungen ermöglichen.“ [4] Hier sind Wert- und Kompetenzänderungen aufgrund der emotional-motivationalen Spannungen unablösbar eingeschlossen. Das wird bei der mit starken Emotionen verbundenen Etablierung eines Rollensystems ebenso offensichtlich, wie bei der Herstellung einer entsprechenden „Hackordnung“. Vor allem bei soziometrischen Darstellungen der Gruppenstruktur und ihres emotionalen Beziehungsgeflechts wird es offen gelegt. Kontakt- und Distanzhaltung zu Kommunikationspartnern stellen Indizien für eine nonverbale Wertkommunikation dar. Generell sind alle Lernprozesse in Gruppen vom Wandel emotional – motivationaler Faktoren wie Identifikation, Aktivierung, Belohnung und Erfolgserwartung begleitet, wie es Banduras Theorie des sozialen Lernens abbildet. [5] Auf je eigene Weise thematisieren Eugene Gendlins „Focusing“ [6] , Fritz Perls „Gestalttherapie“ [7] sowie Ruth Cohns Modell der „Themenzentrierten Interaktion“ das emotional-motivationale Umlernen und damit grundlegende Aspekte der Kompetenzentwicklung. [8]

(γ) In der beendigenden Abschlussphase, in welcher Fähigkeit, Wille und Bereitschaft, alte Wert- und Persönlichkeitsstrukturen zu verändern, voll ausgeprägt sind und die Gruppe neue Handlungs- und Arbeitsmöglichkeiten erreicht hat, löst sich die starke emotionale Beteiligung ein wenig auf. Zugleich haben sich Formen des Zusammenarbeitens herausgebildet, die oft weiter existieren, selbst wenn sich die Gruppe formell aufgelöst hat. Wichtig ist hierbei der Übergang in neue Alltagssituationen, in denen die neu erworbenen Werte und Kompetenzen positiv bekräftigt und damit weiter stabilisiert werden. Der Transfer aus der Gruppen- in die Alltagssituation ist entscheidend dafür, ob die interiorisierten Werte bestehen bleiben oder anderen, wirkungsmächtigeren Platz machen.

[1] vgl. z.B. Rogers,C. (1974); Lacoursiere (1980), S.19ff; Höck,K., Ott, J., Vorwerg, M.(1981), S.25ff

[2] Harvard Businessmanager (Hrg.)(2005); Drucker, P. (2006)

[3] Lacoursiere,R.(1980)

[4] Wellhöfer, P. R. (2001), S.71

[5] Bandura, A. (1979); Besier, J. (2006)

[6] Gendlin, E. T., Wiltschko, J. (1999)

[7] Perls, F. F. (2002)

[8] Cohn, R. C. (2004); Arndt, E., Büttner, C., Cohn, R. C.(1994)

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