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2.1.2 Wissensvermittlung
ОглавлениеWissen im engeren Sinne kann prinzipiell – wenngleich pädagogisch zuweilen wenig vorteilhaft – instruktional in Form von Information oder kognitivistisch in Form von (lösbaren) Aufgaben und Problemen weitergegeben werden. Der fachlich-sachliche Input ist hier durchaus ein Maß für das Ergebnis, wenn man darunter die Menge reproduzierter und abfragbarer Kenntnisse versteht. Eine mathematische Ableitung, eine physikalische Theorie, eine chemische Formel kann man emotionslos lernen. Wie weit in das Verständnis der Grundbegrifflichkeiten dieser und anderer Wissenschaften bereits Erfahrungen, also lebensgeschichtlich erworbenes und bewertetes Wissen im weiteren Sinne eingeht, sei hier nicht erörtert.
Allein eine konstruktivistische, also selbstorganisationstheoretisch fundierte Form des Lehr-Lernens, die den Wissenserwerb als kenntis- und wertgesteuerten, zieloffenen Prozess beschreibt, kann die Vermittlung auch von Wissen im weiteren Sinne erfassen. Sie ist damit auch in der Lage, die Vermittlung von Kompetenzen, als Selbstorganisationsdispositionen, zu erfassen. Wir gehen später im Zusammenhang des E-Learning auf diese Grundtypen von Lerntheorien ausführlicher ein, und stellen hier nur kurz die zentralen lerntheoretischen Modelle nebeneinander [1]:
Lerntheoretisches Modell | Kernelemente |
Instruktionales Lernen: anleiten, unterweisen | Passives, rezipierendes Lernen, kann auch Reiz-Reaktions-Lernen sein. Beispiel: Vokabeln pauken anstatt Verständnis der Wortbildungen eine Fremdsprache. |
Kognitivistisches Lernen: wahrnehmen, denken, erkennen | Informationsorientiertes Lernen, bei dem die Lerninhalte selbstständig verarbeitet werden und nicht durch „Richtig/Falsch“ – Meldungen konditioniert werden. Die Auswahl der Lernumgebung bzw. der Lernmedien richtet sich nach den individuellen Wahrnehmungs-, Verstehens- und Verarbeitungsmustern der Zielgruppe. |
Konstruktivistisches bzw. selbstorganisatives Lernen: Wissen selbst konstruieren, Ziele selbst finden | Aktives, selbst gesteuertes und organisiertes Lernen im problemorientierten, situativen, dissonanten Kontext; oft als sozialer Prozess. Das Wissen wird nicht wie beim kognitionspsychologischen Ansatz transportiert, sondern der Lernende konstruiert und organisiert seinen Wissenserwerb selbst. Hinzu kommt der Anspruch, neues Wissen in multiplen Kontexten und unter vielfältigen Perspektiven zu erwerben und anzuwenden |
Tab. 1 Kernelemente lerntheoretischer Modelle
Wie Wissen pädagogisch vernünftig weitergegeben werden kann ist Gegenstand einer ganzen Disziplin, der Didaktik, die allerdings ebenso Wertvermittlungsprozesse beschreibt und operationalisiert. [2] Für unsere Fragestellung hier ist jedoch entscheidend, dass Emotionen und Motivationen, also verinnerlichte Werte, nicht Gegenstand, sondern nur Vehikel bei der Vermittlung von Wissen im engeren Sinne sind. Sie kommen erst beim konstruktivistisch - selbstorganisationstheoretischen Lernen ins Spiel.
Greifen wir ein beliebiges Beispiel aus dem Blended-Learning- Learning Programm einer Bank heraus. In einem spezifischen Programm für Bankmitarbeiter lauten die ersten beiden Schritte:
1. „Wissensvermittlung: Fachinhalte werden mit Hilfe [des Programms] vom Lerner erarbeitet, zum Beispiel Lesen der Lernhefte, Bearbeiten der Fallstudien, Üben mit den Fragen aus ‚Test it’.
2. Wissenskontrolle: Abgeben der „Superbuttons“ bzw. Weiterleitung der Lerndaten an den Ausbilder / Trainer. Hiermit wird gewährleistet, dass alle Lerner auf einen einheitlichen Wissensstand zurückgreifen können.“ [3]
Hier ist tatsächlich Wissen im engeren Sinne gefragt! Erst in weiteren Schritten der Wissensanwendung und Wissensvertiefung kommen dann Kompetenzen wie Selbstsicherheit, Selbständigkeit und Eigeninitiative ins Spiel.
Dabei reden wir keinesfalls der Ablösung von Wissensvermittlung durch Kompetenzvermittlung das Wort. Es gibt weite Bereiche, wo die schnelle, effektive Weitergabe von Sachwissen höchste Priorität genießt, wie etwa beim Wechsel einer Softwareversion, bei Einführung neuer Technik, bei Inkrafttreten neuer juristischer Regelungen, bei Erarbeitung von neuen Erkenntnissen, die man für die eigene Arbeit benötigt. Hier zählt vor allem die Kürze und Präzision der Weitergabe, die ja auch eine wirtschaftliche Dimension besitzt, die mnemotechnisch nachhaltige Gestaltung des Weitergabeprozesses, die Anbindung des dargebotenen Stoffes an die eigenen Emotionen. Wir glauben, dass mit der anwachsenden Flut des Wissens im engeren Sinne derartige Vermittlungsformen sogar noch zunehmen werden. Weniger in Formen von Seminaren und Weiterbildungsveranstaltungen als in solchen des – oft netzgestützten – Selbststudiums, des Besuchs von Messen und Fachveranstaltungen, des kollegialen Fachgesprächs, der Beteiligung an Projekten, die neue Sachkenntnisse erfordern. [4]
Benutzt man hingegen einen weiten Wissensbegriff, sind Kompetenzen natürlich ein Teil des Wissens und man muss ihre Besonderheiten von anderen Wissensformen abheben. Dabei ist klar, dass das Wissen im engeren Sinne eine Grundlage der Kompetenzen bildet. Es gibt Wissen im engeren Sinne ohne Kompetenzen und ihre Wertekerne, es gibt aber keine Kompetenzen und Werte ohne Wissen im engeren Sinne. Darüber hinaus schließen Kompetenzen aber Werte und Erfahrungen ein, die sich nur teilweise oder überhaupt nicht auf Wissen im engeren Sinne, auf explizites Sach- und Methodenwissen gründen und statt dessen zu verdeutlichendes Wissen oder deutende Werte einbeziehen. Das geht hin bis zum Glauben als bewertetem Nichtwissen. Wissensmanagement wird in diesem Falle weitgehend zum Kompetenzmanagement. [5] Kompetenzmanagement erfordert Wertvermittlung.
Aber was sind Werte? Und wie werden sie vermittelt? Ohne das zu begreifen, kann es unserer Ansicht nach keine praktikable Darstellung von Kompetenzentwicklung und Kompetenzmanagement geben, kann Kompetenzentwicklung im Netz nicht verstanden und beschrieben werden.
[1] Mair, D. (2005).
[2] Kahlert, J. (2005)
[3] Graf, J. (2006), S.51
[4] Erpenbeck, J., Heyse, V. (2007)
[5] Probst, G. J., Deussen, A., Eppler, M., Raub, S. P. (2000)