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2.2.1 Wertverständnis

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Ehe wir auf die Frage antworten, was Werte „sind“, gilt es, mit einem weit verbreiteten Urteil, ja Vorurteil aufzuräumen. Die folgende Abbildung zeigt eine ziemlich typische Unternehmenssicht.


Abb. 2 Typische Unternehmenssicht von Werten

Werte sind hier ausschließlich in der oberen Etage der normativen Leitlinien, Visionen und Grundsätze angesiedelt. Sie erscheinen als etwas Hehres, Entrücktes, aber auch schnell Veränderbares. Also auch als etwas, worauf man in der „niedrigen“, alltäglichen Praxis nicht unbedingt zu achten braucht. Auch in unserem sonstigen Leben denken wir oft ausschließlich an hehre Ideale, wenn wir über Werte sprechen: Eine saubere Umwelt, gute Entlohnung, Rechtssicherheit, soziale Sicherheit, Arbeit, Gesundheit, Partnerschaft, Demokratie, Freizeit, Bildung, Freunde, Wohlstand usw.

Eine solche Sicht ist aus zwei Gründen problematisch. Die substantivierte Form zeigt schon an, dass man sich solche Werte gleichsam als „Gegenstände“, als etwas Objektives vorstellt. Um diese Frage wurde ein langer Kampf in der philosophischen Werttheorie geführt (Wertsubjektivismus contra Wertobjektivismus [1] ), heute besteht weitgehende Übereinstimmung, dass Werte immer eine Relation darstellen: Ein Subjekt, d.h. ein Mensch, eine Gruppe, ein Unternehmen oder eine Nation, bewertet ein Objekt, ein Ding, eine Eigenschaft, einen Sachverhalt oder eine Beziehung auf der Grundlage von früherem Wissen und früher angeeigneten Werten und anhand von sozial erarbeiteten Wertmaßstäben. [2] Produkte von so ablaufenden Wertungsprozessen sind Wertungsresultate – kurz: Werte.

Damit ist klar, dass Werte unser gesamtes Denken und Handeln durchdringen, dass es großer Anstrengungen bedarf, sie für bestimmte analytische, algorithmische Entscheidungsprozesse auszuschließen. Jeder Mensch wertet in nahezu jedem Augenblick seines Handelns. Er richtet sich, oft mehr ahnend als wissend, danach, welchen Genuss oder Nutzen, welches ethische Gefühl oder welche politische Bestärkung ihm sein Handeln zu vermitteln vermag. Ohne Werte wäre der Mensch nur ein wissensgesteuerter Automat.

Davon ausgehend können wir einige Essentials formulieren, welche die Bedeutung von Werten umreißen, und ihre große Bedeutung für unser Verständnis von Kompetenzen sichtbar machen. Es sind dies:

 Die allgemeinste Bestimmung von Werten Werte sind Bezeichnungen dafür, “was aus verschiedenen Gründen aus der Wirklichkeit hervorgehoben wird und als wünschenswert und notwendig für den auftritt, der die Wertung vornimmt, sei es ein Individuum, eine Gesellschaftsgruppe oder eine Institution, die einzelne Individuen oder Gruppen repräsentiert.” [3] Werte sind damit stets das geistig-symbolische Resultat von Wertungsprozessen (= Wertungen), also Wertungsresultate.

 Die Struktur von Werten Sie verknüpft das Beziehungsfeld Subjekt der Wertung, Objekt der Wertung, Grundlagen der Wertung (wozu auch alle Kenntnisse und bisherigen Werte gehören) und Maßstäbe der Wertung mit Prädikaten zu Wertaussagen. [4]


Abb. 3 Struktur der Werte

 Die Fülle von Werten Wir knüpfen hier an die Feststellung an, jeder Mensch werte in nahezu jedem Augenblick seines Handelns und stellen fest, dass zu dieser Fülle alle sprachlich gefassten oder sprachlich fassbaren Wertungsresultate gehören, die explizit Empfindungen, Gefühle, Wünsche, Vermutungen, Zweifel, Befürchtungen, Hoffnungen, Bedürfnisse, Interessen, Einstellungen, Meinungen, Haltungen, Ansichten, Überzeugungen, Vorurteile, Ablehnungen usw. enthalten. Sie können von einzelnen Menschen oder Menschengruppen (Individuen, Familien, Arbeitsgruppen, Gemeinschaften, Schichten, Klassen, Völker, Nationen, Staaten usw.) hervorgebracht werden und sich z.B. auf die Wertung von Genuss (hedonistische Werte), Nützlichkeit (utilitaristische Werte), Schönheit (ästhetische Werte), Moral (ethisch - moralische Werte), Politik (politisch - weltanschauliche Werte) usw. beziehen.

 Die grundlegende Funktion von Werten Sie besteht in der Ermöglichung von Handeln in einer unüberschaubaren, hochkomplexen, selbstorganisativen Welt. Die Zukunft ist objektiv offen. Von ihr sind unter keinen Umständen vollständige Kenntnisse zu gewinnen. Werte ermöglichen ein Handeln unter der daraus resultierenden prinzipiellen erkenntnismäßigen Unsicherheit. Sie “überbrücken” oder ersetzen fehlende Kenntnisse, schließen die Lücke zwischen Kenntnissen einerseits und dem Handeln andererseits. Sie haben zuweilen den Charakter extrapolativen Scheinwissens, abergläubischer Gewissheit. Das reicht bis zum Glauben als bewertetem Nichtwissen.

 Die systemische Erklärung von Werten Werte können besonders gut von den heute breit anerkannten Selbstorganisationstheorien, dem Konstruktivismus und der Synergetik, beschrieben werden. Die Synergetik fasst Werte als Ordnungsparameter (Ordner) individuellen und sozialen Handelns unter der dargelegten prinzipiellen kognitiven Unsicherheit. [5]

Kurzum: Es gibt kein kompetentes Handeln ohne Werte – Werte konstituieren kompetentes Handeln. Wenn wir verstehen, wie Werte angeeignet werden, verstehen wir, wie Kompetenzen angeeignet werden. Wenn wir verstehen, wie Kompetenzen angeeignet werden können wir beurteilen, welche netzvermittelten Lernmethoden sich zu diesem Zweck besser und welche sich weniger eignen. Das ist unser Ziel.

[1] Erpenbeck, J. (1984), S.305 ff

[2] Iwin,A.A. (1975).

[3] Baran,P.(1990), S.805

[4] Iwin, A.A. (1975)

[5] Haken, H.(1996), S.588

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