Читать книгу SPURLOS verschwinden innerhalb weniger Wochen in München und Umgebung vier wohlhabende, betagte Witwen - Werner Siegert - Страница 10

Fall Nummer vier: Auguste-Emilie Meissner

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In die beginnenden Ermittlungen platzte dann eine weitere Vermissten-Meldung, wieder eine reiche Witwe, wohnhaft im sogenannten Speck- und Villengürtel um München herum. Eine Auguste Emilie Meissner, 82, wird nach einer Dampferrundfahrt auf dem Starnberger See vermisst. Sie ist definitiv nicht von Bord gefallen, sondern wurde am Steg in Starnberg von zwei adretten, gut gekleideten jungen Männern in einem großen schwarzen BMW-SUV abgeholt. Das war insbesondere deshalb aufgefallen, weil dort keine PKW fahren dürfen.

Es gibt mehrere Zeugen, die sich noch eine Weile vor dem Eingang zum S-Bahnhof unterhalten hatten. Sie hatten wohl auch während der Dampferfahrt mit Frau Meissner interessante Gespräche geführt, insbesondere über das ehemalige Wiedemann-Sanatorium in Ambach, als man dort vorbei fuhr. Es gibt jede Menge Digitalfotos.

Aufmerksam auf das Verschwinden wurde das Kassen- und Stegpersonal erst, weil kurz darauf eine Frau aus dem Altersheim in Krailling äußerst beunruhigt anrief, dass Frau Meissner nicht wie vereinbart mit der S-Bahn zurückgekommen sei. Sie sollte in Stockdorf mit dem PKW abgeholt und zu einer Überraschungsfeier anlässlich ihres Geburtstages bei der Gaststätte Heide-Volm in Planegg eingeladen werden. Die Dampferfahrt war ein Geschenk mehrerer Heim-Insassinnen, um die sich Frau Meissner stets rührend gekümmert hatte. Die zwei adretten jungen Männer erwiesen sich jedenfalls nicht identisch mit den älteren Herren, die am S-Bahnhof Stockdorf vergeblich gewartet hatten.

Dass man die Vermisstenmeldung umgehend an die „Soko Witwen“ weitergeleitet habe, wäre doch nach allem, was inzwischen durch die Presse gegangen ist, Ehrensache gewesen.

Wer soll nun diesen Fall übernehmen? „Erst mal abwarten!“ lautete die Empfehlung von ganz oben. „Noch haben wir keine Todesopfer. Noch müssen wir insbesondere bei Frau Hudefarth davon ausgehen, dass sie sich mit jemanden nach Thailand oder ähnlich abgesetzt hat, um einer Anzeige wegen Steuerflucht zu entgehen. Wie sich herausgestellt hat, hatte Hermine Hudefarth erhebliche Beträge in Lichtenstein geparkt und nicht versteuert. Ihr Name tauchte auf der CD-R „Zumwinkel“ mit auf. Die anderen Fälle, auch da müsse man erst einmal abwarten. Also in aller Ruhe auf Sparflamme weiter ermitteln.

Mit dieser Ruhe war es noch am selben Abend vorbei. Dr. Hans-Herbert Hudefarth fand in seinem Briefkasten einen Erpresserbrief vor, mit zusammengeklebten Buchstaben, darunter sogar kyrillische.

Wenn du deine Mutter noch Mal widersehe möchtes, dan sende 1 Mio Euro per Western Union an Adrese xxxxxxxxxxxxxxxxx (hier unterdrückt) nach Ukraine. Nix Polizei, dann tot. Wir wisse fiel und sehe alles. Max Müller.“

Im Umschlag ein Foto von Hermine. Im Hintergrund der Hafen von Odessa.

Jetzt begann die Soko zu summen wie ein aufgestörtes Wespennest. Velmond erkannte sofort, dass der Erpresserbrief von einem Anfänger zusammengestümpert worden war. Leider hatte Dr. Hudefarth den Briefumschlag so oft mit seinen Händen betatscht, dass dabei ursprüngliche Fingerabdrücke überdeckt wurden. Der Brief war nicht frei gemacht, wurde also durch einen Boten oder den Täter selbst eingeworfen. Wenn er dadurch eine DNS-Probe im Speichel an der Briefmarke vermeiden wollte, so hatte er diese Vorsicht beim Verschließen des Umschlags offenbar vergessen. Hier würden die Labore fündig werden.

Was der Erpresser ebenfalls nicht bedacht hatte, war, dass hinter den aus Zeitschriften ausgeschnittenen Buchstaben Textbruchstücke lesbar waren, die mit etwas Mühe bestimmten Zeitschriften in Deutschland - also nicht in der Ukraine - zuzuordnen waren. Einige Buchstaben stammten aus bautechnischen Fachzeitschriften.

Dennoch wurde veranlasst, dass ein kleiner Betrag von 100 Euro per Western Union an den angegebenen Absender überwiesen wird, um den Abholer des Betrages in Odessa dingfest zu machen. Die Bank wurde entsprechend instruiert.

Immerhin kam nun das Motiv des „Widow-Napping“ klar zum Vorschein: Erpressung der Familien. Es konnte nur eine Frage kurzer Zeit sein, bis sich auch bei den drei anderen verschwundenen Witwen entsprechende Briefe im Kasten finden würden, eventuell jedoch auch E-Mails bei den Hinterbliebenen. Jetzt war man gewarnt, und auch Maurice Elsterhorst war entsprechend sensibilisiert.

Darüber durfte man jedoch nicht die Causa Nr. 1 aus dem Auge verlieren: Wo sind die alten Damen, sofern sie noch leben, oder ihre Leichen, so man sie bereits umgebracht hat? Es gibt nach wie vor keinerlei Hinweise auf Tod oder Leben. Fest steht nur, unterstützt durch die glasklare Analyse der Uta Möbius:

Alle Damen waren verwitwet, alle rund um die 80, alle lebten allein in großen, alten Villen in Bestlage. Alle waren - bis auf Frau Falke - vermögend. Bei ihr wusste man es noch nicht genau. Alle haben wahrscheinlich den oder die Täter persönlich gekannt.

Lothar Velmond erwirkt gegen das anfängliche Zögern seines Chefs einen Durchsuchungsbefehl im Haus der Auguste-Emilie Meissner. Zwar war nach dem Verbleib der alten Dame bereits kurz nach ihrem Verschwinden in der Villa geforscht worden, aber danach wurde das Objekt versiegelt. Jetzt kam Velmond mit Uta Möbius und dem Team der Spurensicherung in das prachtvolle Haus mit Seeblick.

Seine erste Regung, nachdem er die mit Skulpturen, Gemälden und kostbaren Möbeln ausgestattete Vorhalle betreten hatte, war tiefe Bewunderung. Wieviele Generationen und welche verdienstvollen Persönlichkeiten müssten zusammengewirkt haben, um diesen Grad solider Wohlhabenheit zu erreichen? Er überschlug sein Jahresgehalt und schätzte, dass es in der Villa Meissner nicht mal die Vermögenssteuer würde abdecken können. Hier hatte man das Bedürfnis, sofort weiße Butler-Handschuhe anziehen zu müssen, um den Dingen nicht zu nahe zu kommen - aber er hatte ja nur seine aus Latex.

Wieso lebt eine solche Dame allein? Gibt es keine Dienstboten? Keine Köchin? Keine Putzfrau? Keine Kinder? Keine Enkel? Wie kann man überhaupt allein in einer solchen Villa mit ungezählten Zimmern und Kammern, mit Erkern und Sitzgruppen, mit Balkonen und einer weiten Terrasse und einem gepflegten kleinen Park leben? Es musste einen Gärtner geben! Wieviele Zimmer kann eine einzelne Person nutzen? Velmond träumte sich den Tag der alten Dame zusammen:

Gegen 8 Uhr sich erheben aus einem breiten Bett mit kostbarster Bettwäsche, hinaustreten auf den Balkon, um den See und die Natur zu begrüßen, vielleicht einige Freiübungen, ein Sonnengruß mit ausgestreckten Armen. Ob solche Damen beten? Gibt es einen Hausaltar? Dann ins Bad schlendern, um ein Duschbad in der Luxuskabine mit zehn verschiedenen Strahlern zu genießen, anschließend Make-up, hinüber gleiten in die Ankleide. Sorgsame bequeme, aber beeindruckende Kleidung auswählen und anziehen. Die geschwungene Treppe hinabschweben ins Foyer, dann in die Alessi-Küche. Dort wird der Tee zubereitet, dazu ein, zwei Scheiben Toast, Konfitüre, etwas Obst. Orangen werden automatisch zu Saft gepresst. Bei sommerlichem Wetter mit dem Tablett auf die Terrasse. Eventuell Telefonate (Telefonliste anfordern!). Die Zeitung selber(?) aus dem Briefkasten holen.

Velmond wurde bei seinen Träumen geradezu von Langeweile ereilt. Wie erträumenswert wäre so ein Leben? Für ihn ein Graus! Gut: Anschließend käme vielleicht die Physiotherapeutin. Man geht zusammen in den Fitnessraum (Fingerabdrücke?), oder es kommt eine Freundin, oder der Psychiater, der Rechtsanwalt, der Finanzberater, der Bankdirektor: Man empfängt ab 11 Uhr. (Es sind jede Menge Nachforschungen nach solchen Gesprächspartnern anzustellen.) Wichtig: Welchen Hausarzt, welchen Gynäkologen hat sie gehabt? (Gesprächstermine vereinbaren). Auch an das Undenkbare denken - aber die Spurensicherung schöpft Verdacht: Es gibt einen Geliebten!? Einen Gigolo? Fingerabdrücke im Bad, im Schlafzimmer, und Rasierutensilien. Es werden Haare sichergestellt für DNS-Analysen.

Aufschlussreich ebenso die hallenähnliche, voll bis an die Decke weiß geflieste Garage für vier Fahrzeuge. Nur ein VW-Golf älteren Baujahres steht noch darin. Dafür kann man viele relativ frische Reifenspuren feststellen. Die Garage war übrigens nicht verschlossen. Ebenso nicht das Tor zur Garagenauffahrt.

Wo bleibt die Verwandtschaft? Wo lebt sie? Ein Sohn in Locarno. Eine Tochter in Neuseeland. Die Schwieger-Familie? „Ach Velmond“, sagt er zu sich selbst, „es gibt wahnsinnig viel zu tun. Wieso kann eine solche Dame einfach nur verschwinden, entschweben? Augustes Himmelfahrt? Hudefarth und Meissner - der reine Wahn! Mögen bitte beide Damen wieder auftauchen oder sich aus irgendeinem Millionärsparadies melden!“

Der Bericht der Meissner-Spurensicherung, der zwei Tage später mit DNS-Analyse auf seinem Tisch liegt, lässt seine Hoffnungen platzen, führt jedoch zu einer ungeheuren Dramatisierung:

Fingerabdrücke aus der Garage, an Gartengeräten und aus dem Bad sowie im Schlafzimmer der Meissnerin beweisen eindeutig, dass es sich beim Gärtner, beim Chauffeur und - quelle delicatesse - beim Liebhaber um ein und dieselbe Person handelt, und zwar, wie die inzwischen eiligst herbeizitierte, nervlich total gestresste Putzfrau zu berichten weiß, um einen Studenten aus Russland oder der Ukraine, Vladimir Sonstwas, den Nachnamen hätte sie nie verstanden. Vladimir sei ein rechtes Mannsbild gewesen, kräftig, stets hilfsbereit, sehr nett. Frau Meissner habe immer wieder betont, er stamme aus uraltem Adel. Daher sei der größte Teil seiner Familie nach irgendeiner Revolution entweder umgekommen oder nach Frankreich geflohen. Der Vladi habe noch einen Bruder, der ebenfalls an der Technischen Hochschule in München studiert, irgendwas mit Architektur oder Bautechnik. Sie wisse nun auch nicht, weshalb Frau Meissner, eine sonst so korrekte und äußerst angesehene Dame, völlig überraschend, sozusagen Hals über Kopf, mit dem Vladimir verreist sei. Vor ungefähr zehn Tagen. Da habe sie vergeblich geläutet, immer donnerstags habe sie ja eine Etage durchgeputzt, und immer die Balkone und Terrassen.

Sie habe sich nur gewundert, dass die Toreinfahrt offen stand und die Garage. Der bullige BMW sei weg gewesen und der Sportwagen, so ein Porsche. Sie verstehe von Autos nichts. Das sei schon sehr ungewöhnlich gewesen; denn sonst habe Frau Meissner sehr darauf geachtet, dass alles mehrfach abgeschlossen ist und die Alarmanlagen eingeschaltet sind. Es gäbe ja auch eine Video-Überwachung sämtlicher Zugänge. Die habe der Russe, also der Vladimir, installiert.

Auf dem Girokonto der Frau Meissner sei jeden Monat ein Betrag von 7000 Euro eingegangen, überwiesen von einer Bank in Monaco, berichtete der Sparkassen-Direktor. Ihr vermutlich beträchtliches Vermögen, soweit es in Geld, Wertpapieren, vermutlich auch in Gold oder so, habe sie wohl in Monaco, in Liechtenstein und in der Schweiz verwalten lassen. Näheres wisse wohl nur das Finanzamt, vorausgesetzt, dass dort alles ordnungsgemäß deklariert worden sei. Selber habe Frau Meissner eher bescheiden gelebt, nie protzig, großzügig in der Unterstützung von caritativen Initiativen. Es sei eben ein himmelweiter Unterschied zwischen Neureich und altem Adel.

Verheiratet? Nein, verheiratet sei die Dame seines Wissens nach nicht gewesen. Vielleicht geschieden? Jedenfalls nicht wieder verheiratet. Dazu wohl zu scheu, zu verschlossen. Kinder? Davon wisse man hier nichts. Ein Sohn? Eine Tochter? Vielleicht gäbe es ja ein Vorleben, von dem man hier in Starnberg nichts wisse.

In der „Soko Witwen“ summte es wie in einem Bienenkorb. Vladimir und Aleksandr Romanow waren in der TU München immatrikuliert, beide mit Fachrichtung Beton-Bau. Wohnhaft sei Aleksandr wo gewesen? Bei Hermine Hudefarth!

Jetzt gingen auch bei den oberen Chefs die roten Lampen an. Wäre es möglich, dass Vladimir und Aleksandr Frau Meissner am Steg abgeholt und mit hoher Geschwindigkeit nach Liechtenstein oder Monaco abgebraust seien, um dort durch Frau Meissner höchstselbst die Konten zu plündern, die Dame umzubringen und dann in Richtung Ukraine abzudüsen?

Dieser Verdacht bestätigte sich – leider. Hätte man dem Durchsuchungs-Antrag von Velmond umgehend zugestimmt, wäre zumindest der Vorsprung der beiden wesentlich geringer ausgefallen. So müsste man davon ausgehen, dass die beiden Ganoven längst irgendwo mit ihrer Beute untergetaucht sind.

Übrigens – der DNS-Abgleich mit den Spuren auf dem Erpresserkuvert und Spuren in der Starnberger Luxusgarage deutet auf das räuberische Duo.

SPURLOS verschwinden innerhalb weniger Wochen in München und Umgebung vier wohlhabende, betagte Witwen

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