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Soko Witwen

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Innerhalb eines halben Jahres drei spurlos verschwundene alte Frauen, Witwen, vermögende Witwen. Verzweifelte Suchanzeigen bei der Polizei. Nie hatte es so etwas gegeben. Einzelfälle - ja. Tötungsdelikte - ja. Aber da hatte man wenigstens eine Leiche. Man konnte die Fälle einordnen und der Mordkommission zuweisen. Man konnte am Fundort wertvolle Informationen sammeln und bei den Toten den ungefähren Zeitpunkt ihres Hinscheidens ermitteln. Es gab Blut- und Fußspuren, Reifenabdrücke, eventuell Zigarettenkippen, einen abgerissenen Knopf, ausgerissene Haare, Hautreste unter Fingernägeln. Jedenfalls etwas für eine DNS-Analyse.

Die speziell eingerichtete „Soko Witwen“ aber tappte im Dunkeln. Im Fall der Hermine-Adele Hudefarth konnte man auch bei der zweiten, äußerst akribischen Untersuchung des Hauses, des Geräteschuppens und des Gartens keinerlei Spuren gewinnen. Bis auf den Puder von Latexhandschuhen am Knauf der Haustür und der Gartentür. Immerhin hatte die alte Dame einige Tage zuvor 50.000 Euro von ihrem Festgeldkonto abgehoben. Sie war persönlich bei der Bank und hatte - wie immer korrekt - ihren Finanzbedarf Tage vorher angemeldet. Dieses Geld war nicht auffindbar, auch nicht in irgendwelchen Matratzen, Schrank- oder Schubfächern. Die Geldscheine zwischen der Seidenwäsche, 20.000 Euro, die „Eiserne Reserve“, wie sich die Dame auszudrücken pflegte, waren peu-à-peu zwischen Höschen, Hemdchen und Spitzen-Nachtwäsche hinausgeschmuggelt worden. Geld stinkt nicht! Aber da war sich Else-Marie nicht gar so sicher. Für den Fall, dass die Kripo doch mal alle Fächer ausräumt und vielleicht einen Spürhund nachschnuppern ließ, hatte sie reichlich Campher-Mottenkugeln ausgestreut.

Der Spürhund „Oskar“ kam auch, nahm an einem von Hermines Schals Witterung auf, schnüffelte sich durch Haus und Hof, um schließlich wie der Suchhund von Windows die Beamten und Anwärter verlegen und schwanzwedelnd von unten anzublinzeln. Hermine hatte sich in Luft und Campherschwaden aufgelöst.

Der Fall der frommen Maria Solemnis Hüttner - „heißt nicht auch eine Freundin von Beethoven so?“ mutmaßte ein Polizeischüler, „Solemnis habe ich schon mal gehört!“ - war ebenso verzwickt. Der Hinweis auf Beethoven half jedenfalls überhaupt nicht weiter. Immerhin war ihr Verschwinden ziemlich zeitgleich, also nur mit einem oder zwei Tagen Verzögerung, bemerkt worden. Und: Maria Solemnis hatte sich auf eine längere Abwesenheit eingerichtet. Sie hatte ebenfalls eine für die Lebenshilfegruppe unvorstellbare Summe von 70.000 Euro von ihrem Konto abgehoben.

Wieviele voyeristische Instinkte wurden bei den Beamtinnen und Beamten befriedigt, wenn sie geradezu verpflichtet waren, nicht nur in alle Schränke, Kommoden und Nachttische, sondern auch in alle Schächtelchen und Döschen hineinzuschnuppern? Ja sogar die Briefsachen, die Schuhschachteln mit Fotos, die Fotoalben, die Bücher, natürlich auch die Leitz-Ordner wurden liebevoll und neugierig gefilzt.

Hier gab es jede Menge Fingerabdrücke, nämlich die von Maria selbst, von Klara, von Anna Weidner und ihrem Mann Emil, Nutellaspuren von Alma. Maria Solemnis pflegte, wie man so sagt, ein offenes Haus. Die Fülle der Fingerabdrücke und DNS-Spuren erwies sich als ebenso wenig aussagekräftig, als hätte man gar keine gefunden.

Gab es Familienangehörige? Bislang hatte man vergeblich versucht, mit der Tochter Judith Verbindung aufzunehmen. An der Adresse, die man auf einem verblichenen Briefumschlag gefunden hatte sowie in Marias Geburtstagsverzeichnis, war sie jedenfalls nicht mehr erreichbar.

Wenn ihr auch der Fall zugeschoben worden war, vermutete die Kripo, dass die Dame sich aus fiskalischen Gründen abgesetzt hatte. Dafür sprach, dass das Feuerchen im Garten unter anderem mit zerknüllten Bankauszügen angefacht worden war. Die Brandstifterin allerdings war schnell dingfest gemacht: Klara. Sie wollte nicht, dass das Image einer mildtätigen Dame beschädigt würde, wenn irgendjemand feststellen sollte, dass sie eine verkappte Millionärin war. Nur hatte Klara mit ihrer Zündelei genau das Gegenteil erreicht: Im nachtfeuchten Gras hatten einige Auszüge nicht Feuer gefangen. Mit sehr imponierenden Zahlen.

Der Fall der Anna-Luise Falke lag nun wieder ganz anders. Die Schnittmenge mit den anderen Fällen der spurlos Verschwundenen war klein: Alle waren Witwen, alle lebten allein und in beträchtlichem Wohlstand.

Wenn auch Herr Baumann diesen weiteren Fall einer mutmaßlich spurlos verschwundenen alten Dame aufdeckte, musste er sich erst einmal wegen seines Einbruchs rechtfertigen, der ganz sicher noch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen würde: Gewaltsames Eindringen in eine fremde Wohnung, Hausfriedensbruch, Stören der Privatheit, Zerstörung eines Teils der Hecke. Das konnte man nicht unter den Tisch kehren, Mitschülerin hin, Mitschülerin her. Allerdings hätte sich nach der Beschreibung von Person und Haus auch niemand gewundert, wenn im Wohnzimmer, Keller oder Dachgeschoss eine Art Mumie gefunden worden wäre. Eine vertrocknete Frau Falke.

Für die Spurensicherung gab es wenig zu tun. Bis auf die Fingerabdrücke von Heinz Baumann und solchen der neugierigen Nachbarinnen - alle mussten in die Ettstraße ins Präsidium - wurde nichts Verwertbares gefunden. „Was man nicht findet, ist weg! Also beseitigt worden.“ Verschwunden waren sämtliche Unterlagen und Akten, die irgendetwas mit Geld, mit Finanzen, mit der sicher mal arrangierten Altersversorgung zu tun hatten. In einer geblümten Zuckerdose fanden sich DM-Münzen und ein alter 5-Mark-Schein. Matratzen und Wäscheschrank? Fehlanzeige! In einem Kissen knisterte etwas. Es wurde vorsichtig aufgetrennt: Zum Vorschein kamen Milliarden und Billionen - Inflationsgeld aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Hauptkommissar Ludwig Metzner fand noch etwas heraus - beziehungsweise er fand eben nichts dergleichen: In allen drei Fällen fehlten die Handtaschen. Es gab ausgemusterte oder putzige Theatertäschchen, Einkaufstaschen, ALDI- und Dallmeyer-Tüten, aber keine aktiven, im Alltag genutzten Handtaschen. „Eine Frau ohne Handtasche gibt es nicht!!!“ konstatierte er. Mit drei Ausrufungszeiten.

Und noch etwas fehlte: Es fehlten die Leichen.

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