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Der dritte Fall: Anna-Luise Falke

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Heinz Baumann war ein geselliger Mensch. Außerdem glaubte er, dass es den Menschen gut täte, Freundschaften bis ins hohe Alter zu pflegen. Also kramte er nach zweijähriger Pause sein Verzeichnis der ehemaligen Schüler und Lehrer der Opel-Realschule in München aus der Schublade und verfasste wohl formulierte Einladungen für ein Ehemaligen-Treffen. Da sein Schulabschluss inzwischen fast 50 Jahre zurück lag, musste er damit rechnen, dass viele Adressen oder Telefonnummern nicht mehr stimmten. Aber noch immer war es ihm gelungen, herauszufinden, wo die Leute hingezogen waren, ob sie überhaupt noch lebten und wann sie wo und woran sie verstorben waren.

Frau Falke musste inzwischen fast 80 sein. So wunderte er sich nicht, dass sie auf das UAwg am Ende seines Briefes nicht reagiert hatte.

Er versuchte es noch einmal per Telefon. Kein Anschluss unter dieser Nummer! ließ eine Automatenstimme vom Amt vernehmen.

Er befragte einige ihrer Kolleginnen, die früher mit ihr befreundet gewesen waren, und erhielt stets dieselbe Antwort: Nein, mit Frau Falke hatten sie schon seit längerem keinen Kontakt mehr. Er wollte sich indes damit nicht zufriedengeben und rief bei verschiedenen Altersresidenzen und Heimen an. Ohne Ergebnis.

Schließlich entschloss er sich, zu der früheren Adresse zu fahren und sich bei den Nachbarn zu erkundigen. Die Kühlmannstraße ist eine kleine Seitengasse in Laim, eine Münchner Stadtviertel. Von der Nummer 7 war nichts zu sehen außer einer zwei Meter hohen Thujenhecke, hinter der das Haus verborgen lag.

Am Gartentor war ein grüner Briefkasten befestigt, so groß wie ein kleiner Schrank und mit einem Nummernschloss gesichert wie ein Tresor. Eine Möglichkeit zu läuten gab es nicht. Nur eine kleine Messingplatte wies auf den fast unleserlich gewordenen Namen hin: Falke.

Heinz Baumann ließ sich nicht so leicht entmutigen. Er ging zurück zu seinem Auto und kam mit einer langen Rohrzange wieder, mit Hilfe derer er den Inhalt des Briefkastens vorsichtig herausziehen konnte: Keine Zeitungen, aber viel Reklame und etliche Briefe, darunter seine Einladung, die er vor vier Wochen abgeschickt hatte. Vorher hatte er sich sorgsam umgesehen, dass es keine Zeugen für seine Indiskretion geben würde.

Sorgfältig stopfte er alles wieder in den Kasten und machte sich auf den Weg zum Nachbarhaus. Überall hohe Hecken, aber immerhin Namensschilder und Klingeln. Im ersten Haus öffnete niemand. Beim zweiten erschien eine Frau am Fenster, das sie aber sofort wieder schloss. Dann hatte er Glück. Eine junge Frau verließ gerade das Haus. Er fragte sie ohne lange Einleitung:

„Wissen Sie, ob Frau Falke noch hier wohnt?“

„Keine Ahnung.“ Damit ging sie ungerührt ihrer Wege.

Aus dem nächsten Tor kam eine alte Frau, die offenbar neugierig mitgehört hatte.

„Die Falke? Die macht sowieso nicht auf.“

Wie sollte sie auch, dachte Baumann, wenn es keine Klingel gibt, mit der man sich bemerkbar machen könnte.

„Ist was mit ihr?“ mischte sich nun eine dritte ein.

Niemand hatte seit längerer Zeit Frau Falke gesehen oder gehört. Niemand hatte in letzter Zeit Kontakt zu ihr gehabt.

„Sie war immer schon sehr eigenartig.“

Als Baumann sich wieder dem Haus Nr. 7 zuwandte, liefen immerhin fünf Frauen voller Neugier und Erwartung hinter ihm her.

Baumann riss mit seiner Zange ein Loch in die Hecke, wo sie bereits etwas schütter war, und schlüpfte hindurch in einen Garten, der sicher einmal sehr schön gewesen war, wie gemacht für Sommerfeste und Grillpartys. An der Rückseite des Hauses entdeckte er ein Fenster, das nur angekippt war. Es ließ sich mit einiger Mühe von außen öffnen. Baumann stieg ein.

Inzwischen hatten auch die Frauen das Loch in der Hecke genutzt und schauten durch die Fenster. Ihre seit langem ungestillte Neugier zeichnete ihre Gesichter.

Der untere Raum des Hauses, von dem eine enge Treppe nach oben führte, sah aus wie ein Konzertsaal. Ein riesiger Flügel nahm die Mitte ein. Stühle waren in Reihen angeordnet. Notenhefte und verdorrte Blumensträuße lagen auf kleinen Tischen. Drei Fotos standen auf dem Flügel. Das eine zeigte Frau Falke als junge Frau mit einem Mann in Uniform. Sie hielten sich umschlungen und sahen einander an. Auf dem nächsten stand sie wiederum neben einem jungen Mann: Da war sie jedoch schon wesentlich älter. Dann erblickte Baumann das Foto vom letzten Klassentreffen.

„Hatte Frau Falke einen Sohn?“ fragte er die vor dem Fenster stehenden Frauen. Sie sahen sich an. Wer war dieser Mann und wieso wollte er das wissen.

„Kann sein.“ sagte die Älteste. „Eine Zeitlang hat ein junger Mann bei ihr gewohnt. Könnte ihr Sohn gewesen sein. Hajo hieß er.“

Baumann stieg nach oben. Seltsamerweise war dort die Küche. Der Stecker des Kühlschranks war rausgezogen. Er nahm ein Taschentuch und öffnete die Tür. Verdorbene, verschimmelte Lebensmittel und eine Anzahl von Tupper-Dosen füllten die Fächer.

Das Schlafzimmer schien unberührt. Alle Schränke waren gefüllt mit Kleidern, die der Mode von vor 30 oder 40 Jahren entsprachen.

Baumann verließ die Wohnung durch die unverschlossene Haustür.

„Und?“ fragte ein Chor von fünf aufgeregten Frauenstimmen.

„Ich werde die Polizei verständigen!“ kündigte Baumann an.

„Liegt sie da oben?“ „Ist sie tot?“

Er sah die Enttäuschung in den Augen der Frauen, als er kurz und knapp zur Antwort gab: „Nein!“

Dann nahm er sein Handy aus der Tasche und wählte die entsprechende Nummer.

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