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Judith Schwertfeger

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Am Abend des 9. März 2008 - zwei Tage später als geplant - kehrte Kommissar Maurice Elsterhorst von seiner 14tägigen Nil-Kreuzfahrt zurück.

Sehr leise schloss er seine Wohnungstür auf, obwohl er wusste, dass ihm das Hineinschleichen gar nichts nützen würde. Er wohnte im 2. Stock des Rückgebäudes in einem Schwabinger „Bienenkorbhaus“, so genannt, weil es insgesamt 30 Mietparteien beherbergte. Alle Appartements waren von den gegenüberliegenden Fenstern mühelos einsehbar. Außerdem führte eine Art Balkon von einem Haus zum anderen, und jeder konnte beobachten, wer da zum Aufzug ging oder zu Besuch kam. Wer je behauptete, in einem solchen Haus wohne man anonym und unpersönlich, der hat sich gründlich geirrt.

Obwohl er erst Licht machte, als er die schweren Vorhänge zugezogen hatte, sah er bereits die Gesichter der beiden alten Damen am Fenster des 2. Stockwerks gegenüber. Es stand zu befürchten, dass eine der beiden bald läuten würde, um ihm etwas Essbares zu bringen.

Ich habe ihnen einen Wurstsalat gemacht. Sie haben sicher nicht daran gedacht, für heute Abend etwas einzukaufen.“ Oder so ähnlich. Er würde sich bedanken und die milde Gabe umgehend in den Mülleimer werfen.

Elsterhorst schob den Koffer in den Flur, legte den Mantel irgendwo ab und sah sich um. Alles war an seinem Platz. Ja, es war schön, wieder daheim und – hoffentlich – endlich ungestört zu sein. Gerade wollte er sich in seinen Lieblingssessel fallen lassen, als es läutete.

„Der Wurstsalat!“ dachte er und rief:

„Ich bin unter der Dusche. Stellen Sie alles auf die Matte!“

Das Läuten hörte indes nicht auf und wurde bald von energischem Klopfen begleitet.

„Maurice! So mach’ doch auf! Ich bin es!“ rief eine Frauenstimme.

Rasch zog er seinen Morgenmantel über Jeans und Hemd und öffnete die Türe gerade so weit, wie es die Sicherheitskette zuließ.

Draußen stand eine Frau, sicher jünger als er und bestimmt noch jünger aussehend, als sie wirklich war. Ende 30 und aufgestylt wie eine 20jährige, war sein erster Eindruck.

„Was wollen Sie? Wer sind Sie überhaupt?“ fragte er unfreundlich.

„Maurice, ich bin’s, Judith. Was soll das? Erst schickst du mir ein Telegramm und dann lässt du mich vor der Tür stehen?“

„Judith?“ fragte er. „Judith Schwertfeger?“

„Ja, deine Judith Schwertfeger! Die du immer in die Schule begleitet hast!“

Erst da dämmerte es ihm. Natürlich kam ihm ihr Gesicht gleich irgendwie bekannt vor. Aber die Jahre, die Jahre! Man wird nicht jünger und erschreckenderweise schon ein bisschen dement? Judith, Judith, Judith rumorte es in seinem Kopf. Es dauerte eine Weile, bis sich aus Fetzen vager Erinnerungen wieder ein Szenarium zusammenfügte. Gerade noch bei der Sphinx und Kleopatra zu Hause, jetzt wieder unvermittelt zurück katapultiert in seine Schulzeit.

Er öffnete die Tür, die Frau stellte ihren Koffer ab und ging ohne Umschweife ins Wohnzimmer, während Elsterhorst seinen Bademantel in die Dusche warf. Sie ließ sich auf die Couch fallen und fragte: „Was ist passiert?“

Elsterhorst schüttelte den Kopf. „Das könnte ich Sie fragen!“

„Sie! Sie!“ empörte sich Judith. „Wir kennen uns, seit wir Kinder waren! Du schickst mir ein Telegramm, dass mit Maria, ich meine mit Mutter etwas passiert ist, und dann starrst du mich an wie eine Einbrecherin?“

„Judith“, erwiderte er, „ich habe deine Mutter seit fast 30 Jahren nicht mehr gesehen. Du müsstest dich doch erinnern, seit sie mir damals Hausverbot erteilte. Und ein Telegramm habe ich natürlich auch nicht geschickt. Ich wusste ja nicht einmal, wo du hingezogen warst und weiß erst recht nicht, wo du jetzt wohnst.“

„Ich bin 1984 nach London gegangen. Eine Brieffreundin hatte das vermittelt. Ich habe es mit ihr, mit Maria, also mit Muttern nicht mehr ausgehalten.“

„So schlimm?“ hakte Elsterhorst nach.

„Maurice, du erinnerst dich doch, dass Achim Schwertfeger, also mein Vater meine ich, bei einem Autounfall ums Leben kam. Maria gab sich die Schuld, obwohl sie keine hatte. Ein Jahr lang sprach sie kaum ein Wort. Ach, Maurice! In dieser Zeit warst du mein einziger Trost. Du brachtest mich zur Schule und manchmal nahmst du mich auch mit zu deinen Eltern. Dann geriet sie in diese Lebenshilfegruppe – und von da an wurde alles noch viel schlimmer. Sie musste sogar ihren Mädchennamen Hüttner wieder annehmen. Denn mit dem Schwertfeger hatte sie ja in Geschlechtsgemeinschaft gelebt! Jede Erinnerung daran sollte getilgt werden.“

Elsterhorst warf einen misstrauischen Blick auf diese Judith, seine frühere Kinderfreundin. Er hasste solche Bekenntnisse. Sie verlangten ihm etwas ab, was er zu geben nicht bereit war. Zudem hatte Judith inzwischen nicht nur ihre bunte Jacke ausgezogen, sondern auch ihre Schuhe, und die Füße auf seine weiße Couch gelegt.

„Sie brennen“, erklärte sie und massierte einen Fuß. „Dieser Gregor! Dieser Sektenbruder! Ich durfte nicht einmal mehr Judith heißen. Das sei kein christlicher Name. Also nannte mich Mutter Juliane. Meinen kleinen Hund ließ sie einschläfern. Hunde gelten in dieser Sekte als unheilig. Und dann, als ich 14 war, durfte ich mit keinem Mann mehr allein sein, nicht einmal mehr auf offener Straße. Maurice, ich glaube, ich hasse sie, genau wie diesen Gregor!“

„Was ist mit diesem Telegramm?“ insistierte Gregor. „Ich schicke keine Telegramme, höchstens E-Mails. Und ich hatte auch keine Adresse.“

Judith kramte in ihrer geflochtenen Tasche und zog schließlich das schon ziemlich zerknitterte Telegramm heraus.

Elsterhorst las:

An Judith Schwertfeger Universal Translaters Office Ltd

Komme sofort - stop - Deine Mutter ist verschwunden. Maurice Elsterhorst

„Was ist das für ein Büro?“

„Ich arbeite dort.“

„Wer wusste davon?“

„Mutter natürlich. Ich hatte ihr irgendwann die Adresse mitgeteilt. Warum auch immer.“

„Das Telegramm ist jedenfalls nicht von mir.“ erklärte Elsterhorst mit Nachdruck.

„Hilfst du mir?“ bat Judith.

„Es wird mir nichts anderes übrig bleiben“, antwortete Elsterhorst betont unwillig. „Ich bin nämlich Kriminalkommissar.“

„Das ist ja, das ist .... ich kann es kaum glauben!“ rief Judith. Sie war aufgesprungen und Elsterhorst fürchtete, sie wolle ihm um den Hals fallen. Er wandte sich schnell ab und fragte, ob sie etwas trinken wolle.

„Gehen wir zu unserem Haus?“ fragte Judith. „Jetzt gleich?“

„Nein, ich mache das über meine Dienststelle. Morgen früh!“

„Könnte ich vielleicht ....“ begann Judith und warf einen Blick auf die Couch.

„Mitkommen?“ fragte Elsterhorst. „Nein, aber ich rufe dich an. Ein paar Straßen weiter ist eine Pension. Ich werde dir ein Zimmer bestellen.“

Er griff nach dem Telefon. Judith blickte enttäuscht.

Elsterhorst brachte sie zu der Pension und notierte sich die Durchwahl zu ihrem Zimmer. Als er wieder nach Hause kam, sah er, dass sie nicht nur ihre Jacke vergessen hatte, sondern auch ein zerknülltes Taschentuch. Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Eigentlich wäre es doch ganz schön gewesen, noch ein bisschen mit ihr zu plaudern. Dachte er. Oder? Mal wieder stand er sich selbst im Weg.

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