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Die Äolsharfe

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„Schon wieder eine Tote auf einem Friedhof!“ rief Kriminal-Assistentin Uta Möbius durchs Kommissariat.

„Da gehört sie auch hin!“ lästerte einer ihrer männlichen Kollegen.

„Aber über der Erde und nicht drunter und diesmal nicht bei St. Agatha! Sondern beim Hochadel in der Starnberger Golf-Region! Eine Millionärswitwe ist tot am Grab ihres Gatten gefunden worden!“

Hauptkommissar Lothar Velmond atmete auf. Das ist nicht seine Klientel. Da sollte mal der Kollege Elsterhorst mit seinem Hund hinausfahren. Der bekäme gleich mal was anderes zu schnuppern als nur Stadtluft. Und er müsste sich nicht weiterhin das Gemecker anhören, dass er immer die Fälle in schönen Gegenden an sich reißen würde.

Der Friedhof liegt äußerst idyllisch rund um ein kleines Kirchlein oben auf einer Anhöhe mit einem herrlichen Blick auf den See, das Alpenvorland und die verschneiten Berge. Wer sich hier eine Grabstätte leisten kann, der muss schon was Besonderes sein. Wäre Hauptkommissar Maurice Elsterhorst daran interessiert gewesen, hätte er auf den efeu-umrahmten verwitterten Grabtäfelchen die Namen von Bourbonen-Herzögen und Königen beider Sizilien lesen können. Auch Nobelpreisträger haben dort ihre ewige Ruhe gefunden, wie man zu sagen pflegt, nur gestört vom Klacken der Golfschläger. Golf ist ja so gesund. Auch die Toten sind so in angemessener Gesellschaft.

Heute allerdings war es nichts mit der Idylle. Mit rotweißen Signalbändern war der Zugang weiträumig gesperrt. Zahlreiche Polizeifahrzeuge sowie ein Leichenwagen versperrten die Zufahrt und verdarben wahrscheinlich auch manch einem den Appetit in der nahen Gastronomie. Ein Wanderer hatte die Tote gefunden. Das Gartentürlein habe offen gestanden. Sonst wäre er wahrscheinlich achtlos vorüber gegangen. Oben habe er die Frau tiefgebeugt vor einem sehr illustren Grabstein wahrgenommen, wollte ihre Trauer und Andacht gar nicht stören, hielt sich diskret von ihr entfernt, bis ihm doch etwas eigenartig vorkam. Nämlich dass sich die Trauernde die ganze Zeit überhaupt nicht bewegt habe. Erst dann habe er sich näher herangetraut, habe die Frau mehrmals angesprochen, bis er gemerkt habe, dass sie tot sein musste, sich auf ihrer Kleidung bereits Blätter verfangen hatten und ihre kostbare Handtasche verschmutzt etwas abseits lag. Dann habe er sofort die Polizei angerufen.

Der Pathologe war bereits vor Ort, als Elsterhorst eintraf und sich über das Hundeverbot auf dem Friedhof hinwegsetzte. Rinaldo schleckerte erst mal wieder ein Weihwasserschälchen leer, ehe ihn sein Herrchen zurückreißen konnte.

Todeszeitpunkt ca. 19 bis 21 Uhr am Vorabend. Todesursache unbekannt. Keine äußeren Einwirkungen erkennbar. Vermutlich wurde sie von Trauer übermannt und erlitt einen Herzstillstand. Prima, dachte Elsterhorst, dann wäre die Sache ja erledigt, er könne sich noch auf die Terrasse setzen und sich mit Rinaldo ein Schnitzel teilen, ehe er sich mit dem Taxi zurück zum Starnberger S-Bahnhof-Nord bringen ließe. Rinaldo wollte indes so schnell noch nicht vom kleinen Gottesacker trennen. Aufgeregt stöberte er noch eine Plastiktüte von einem Gartenmarkt auf, die der Wind an den Zaun verweht hatte. Elsterhorst ergriff sie und entsorgte sie in dem Behälter für nicht kompostierbare Gegenstände, ausgebrannte Grablichter und Reste von Silvesterfeuerwerk. Ordnung muss schließlich sein.

Im Kommissariat zurück bestaunte er die wenigen Fotos, die er am Tatort routinemäßig mit seiner alten Digitalkamera gemacht hatte, insbesondere wegen des ausgefallenen Grabsteins und weil er sich das Abschreiben des Namens sparen konnte. Das müsste ja ein ganz berühmter Mann sein, der sich nicht nur dort eine Grabstelle sichern konnte, sondern auch noch ein absolut aus der Friedhofsordnung fallendes Denkmal gesetzt bekam.

Mannomann, muss der Kohle gehabt haben!“ war die einheitliche Meinung der Kollegen. Eingetippt in das Personen-Suchregister brachte die Auflösung. V.R. (der Namen wird aus Datenschutzgründen nicht abgedruckt) war Immobilienmakler. Als man sich genügend entrüstet hatte, Neid nicht ganz ausgeschlossen, und sich wieder der Routinearbeit widmen wollte, kam der Bescheid: „Es war Mord! Die Frau ist erstickt worden, und zwar wahrscheinlich mit einer Plastiktüte mit Resten von Blumenerde!“

Das Wort, das Elsterhorst entschlüpfte, darf hier nicht abgedruckt werden. Jedoch entbot sich Lothar Velmond, schnell zusammen mit Frau Möbius mit seinem eigenen Peugeot zu dem ihm gut bekannten Friedhof zu fahren, um die entsorgte Plastiktüte zu bergen und vielleicht doch noch einige Spuren zu entdecken.

Was Elsterhorst nicht genügend gewürdigt hatte: Der Stein hat die Form einer Flamme. Mittendrin eine große Öffnung, in der sich eine Art Harfe im Wind bewegt und zarte singende Geräusche erzeugt - eine Äolsharfe. Beim näheren Hinsehen war zu erkennen, dass an dem hellbeigen Stein schon mal andere Buchstaben angebracht waren. Auf der Rückseite war nahe dem Boden „May Tone“ eingemeißelt. „Mein Ton?“ Eigentlich müsste es dann „My Sound“ heißen, meinte Frau Möbius. Eher wäre es ein Hinweis auf den Bildhauer oder Steinmetz. Die Plastiktüte war noch vorhanden. Schuhabdrücke fanden sich so zahlreich, dass sie keinen Aussagewert mehr haben konnten.

Im Kommissariat wurde die Arbeit aufgeteilt. Ein Team unter Elsterhorst sollte alles über den Immobilienmakler, seine Familie und seine Klientel herausfinden, während das Team Velmond die näheren Umstände auf dem Friedhof rund um das Grabmal aufzuklären hatte. Schnell ergab sich dort ein Kontakt mit der Verwaltung. Ja, man erinnerte sich sehr genau an den Tag, als der kunstvolle Stein angeliefert wurde, von einer Steinmetzfirma Kobler & Söhne, die selbst mit einem Kran angerückt waren. Schon wenig später betrat Velmond die Werkstatt und traf dort auf den Meister.

„Herr Kobler, Sie haben den Grabstein für die Grabstelle des Immobilienmaklers V.R. angeliefert und wahrscheinlich auch hergestellt, eine wunderbare Arbeit. Können Sie uns Näheres dazu sagen? Insbesondere interessiert uns, was es mit ‚May Tone“ auf sich hat.“

Warum?“ An Koblers ‚Warum’ störte Velmond eine unverhohlene Aggressivität.

„Das Warum braucht Sie jetzt nicht zu kümmern. Es gibt einen Interessenten, der vielleicht ein ähnliches Kunstwerk erwerben möchte. Er hat großen Gefallen daran gefunden. Nun sucht er den Künstler. War es Ihr Entwurf? Wer ist ‚May Tone’?“

Der Mann ist tot. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

„Wenn er tot ist, hat er dennoch einen Namen. Es müsste ja auch Korrespondenz geben, Zeichnungen und nicht zuletzt eine Abrechnung?“

Jetzt erst zeigte Velmond seinen Ausweis. Jedoch gab er vor, im Auftrag der Steuerbehörden zu ermitteln. Es wäre jedenfalls vorteilhafter zu kooperieren, als die Steuerprüfung auf den Plan zu rufen.

Anton Mayer, mit A und Ypsilon!“ Widerwillig rückte Kobler den Namen raus und schließlich auch seine letzte Adresse. Irgendetwas war faul. Anton Mayer kann ja jeder heißen. Ein Allerweltsname, nur so hingesagt?

„Wir werden es prüfen!“ - Und so geschah es. Die Mayers mit A und Y gab es tatsächlich. Erst nach mehrmaligem Läuten und Pochen an der Tür öffnete eine Frau von etwa 60 Jahren, ungekämmt, mit wirrem Blick und einer merklichen Alkoholfahne, in schmutzigen Jeans und einem üppigen Wollpullover, auf Strümpfen. Nur zögerlich ließ sie den Hauptkommissar eintreten. Der zog ein paar Fotos aus der Tasche.

„Frau Mayer, nehme ich an? Frau Mayer, kennen Sie diesen Grabstein?“

Natürlich, den hat ja mein verstorbener Mann entworfen. Der Anton. Eigentlich war er ja Architekt, aber am liebsten wäre er Bildhauer geworden. Wenn ihn seine Eltern nicht immer gedrängt hätten, einen soliden Beruf zu erlernen. Und nicht brotlose Kunst. Na ja, große Sachen hat er nie bekommen. Immer so Allerweltszeug. Für die Superbauten, da darf einer nicht Mayer heißen, so für China oder Amerika. Da hat er sich aus seinen Namen „May Tone“ zusammengebastelt. Aber genutzt hat es nichts. Da braucht es Verbindungen. Nebenher hat er so Kunstwerke entworfen.“

„Wie diesen Grabstein?“

Ja, er war ja krank, sterbenskrank. Da hat er gesagt ‚Waltraut, Waltraut, ich möchte wenigstens unter einem eigenen Grabstein beerdigt werden’. Und dann hat er den Koblerfranz beauftragt, ihm das Ding zu machen. Und hat ihm viel Geld dafür gezahlt, so peu à peu. Aber als er starb, hat der Kobler den Stein nicht rausgerückt. Der sei erst zur Hälfte bezahlt. Aber das ist nicht wahr. 5000 Euro hat sich der Anton das kosten lassen. Sogar die Buchstaben aus Bronze waren schon drauf. Der hat die Krankheit vom Anton ausgenutzt. Nie hat er Quittungen ausgestellt. Am Grab vom Anton steht jetzt so ein armseliges Holzkreuz.“

„Und jetzt steht der Stein auf dem Grab vom Immobilienmakler R.!“

Der es dem Kobler für über 20.000 Euro abgekauft hat. Und mir hat er die 5.000 nicht wieder zurück gegeben, der Lump!“

„Wo waren Sie gestern abend zwischen 19 und 21 Uhr?“ Velmond hob ein paar verdreckte Schuhe vom Boden. „Wir können das sehr genau feststellen lassen!“

Ja, ich geb’s ja zu, ich war da oben auf dem Friedhof. Ich wollte die Frau R. zur Rede stellen. Ich wollte sie bitten, mir das Geld zurückzugeben. Unser Geld. Ich hab ja kaum was zum Leben. Sie sollte wenigstens den Kobler darum bitten. Mein Gott, die Leute haben doch die große Kohle. Und wir nichts!“ Die Frau begann zu weinen. „Aber die arrogante Tucke hat mich nur von oben bis unten verächtlich gemustert und gemeint, ich solle mich davon machen ...“

„Da haben Sie der Witwe die Plastiktüte über den Kopf gezogen?“

Ich konnte das einfach nicht mit ansehen, wie die da vor dem Grabstein meines Mannes Stiefmütterchen eingepflanzt hat. Der Wind ist sirrend durch die Harfe gestrichen. Genau, wie es sich mein Anton gewünscht hatte. Da hab’ ich mir gesagt: Du Weibsbild, das soll dein Totengesang sein. Ich habe ihr die Tüte über ihre Dauerwellen gezogen. Die lag ja direkt daneben. Dann habe ich ganz fest zugehalten. Sie hat noch ein paarmal geschnackelt. Dann bin ich gegangen. Den ganzen Weg bis Starnberg. Und jetzt komme ich ganz ohne Handschellen mit Ihnen. Schlechter kann es mir im Knast auch nicht gehen.“***

Wer früher stirbt, spart sehr viel Geld

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