Читать книгу Wer früher stirbt, spart sehr viel Geld - Werner Siegert - Страница 8
Der Heiler
ОглавлениеHendrik Ütersen war - etwas derb ausgedrückt – eine arme Sau. Wie der Name verrät, stammte er irgendwo aus dem Norden Deutschlands. Wie er selbst zu erzählen nicht müde wurde, „konnte man kilometerweit sehen. Kein Hügel, höchstens eine Reihe sturmgebeugter Bäume an einem Entwässerungskanal behinderte den Blick … und der ewige Nebel.“ Das muss wohl auch im Hause der Ütersens die Stimmung niedergedrückt haben.
„Da geht nix mehr, wenn du dein Tagwerk für immer vollbracht hast. Du sitzt in deinem Kotten und wartest den Tag ab. Die Großstadt ist weit weg … und was sollst du da auch? Auf die Reeperbahn? Vergiss es! Und dann haben wir uns auseinandergelebt. Ich wollte schon immer in den Süden. Auf der Wetterkarte war da immer Sonne und wir waren mal mit dem Kegelclub in München und Garmisch. Da habe ich gewusst: Hier fängt das Leben erst richtig an. Dann kam der Lottogewinn, daran ist die Familie erst richtig zerbrochen und ich bin mit meinen 70 Jahren auf und davon.“
So weit – so gut. Ütersen wollte und konnte sich seinen Traum verwirklichen, aber die Bayern hatten nicht auf ihn gewartet. Einen alten Baum pflanzt man nicht um. Er fand keinen richtigen Anschluss, höchstens, wenn er mal einer Tischrunde im Biergarten eine Runde spendierte und denen, ob sie wollten oder nicht, zum xten Male vormachte, was eine „Lüttje Lage“ ist. Er wohnte in einem kleinen Häuschen bei Unterhaching, von wo er, wie er sagte, wenigstens „mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen konnte“. Wöchentlich zweimal kam eine Zugehfrau fürs Grobe und vielleicht auch mehr. So ging das acht Jahre und dann ging es nicht mehr. Hendrik Ütersens Gedächtnis machte nicht mehr mit. Einige Male fand er nicht mehr nach Hause zurück, wusste nicht mal mehr seinen Namen. Die Caritas kümmerte sich um ihn – den Lutheraner. Ärzte versuchten was mit Medikamenten. Dann legten sie ihm nahe, er solle sich mit seinem Geld und dem, was aus dem Hausverkauf noch dazu kam, in einem komfortablen Seniorenheim für den Rest seiner Jahre betreuen lassen.
So kam der alte Ütersen nach „Sancta Agatha“, nicht gerade arm, aber einsam und verlassen. Keine Familienangehörigen, keine Freunde, die ihn mal besucht hätten. Bis vor einiger Zeit, da tauchte dann ein Neffe auf, angeblich Student in höherem Semester an der Ludwig-Maximilian-Universität. Und in seinem Gefolge ein etwas eigenartiger Mann mit langer weißer Mähne, hochgewachsen. Es hieß, er sei ein Schamane. Was man so im Haus schwätzt.
Und jetzt? Jetzt kam der Dauerauftrag, mit dem Ütersen sein Heim-Dasein zu bezahlen pflegte, mit dem Vermerk zurück, das Konto weise keine ausreichende Deckung mehr auf.
Das konnte doch gar nicht sein! So weit hatte er sich unter der guten Pflege erholt, dass er noch einigermaßen rechnen konnte. Auch stand er nicht unter Betreuung, was früher Vormundschaft hieß. Also ließ sich Ütersen zu seiner Bank fahren – um dort eine üble Überraschung zu erleben. Von seinem Konto hatte der angebliche Neffe regelmäßig hohe Summen abgehoben – mit einer Bankkarte von vielen Automaten. Aber Ütersen hatte gar keine Bankkarte. Nie eine besessen! Die waren für ihn Teufelszeug! Er ging immer zum Schalter. Er wollte die Leute sehen, die sein Geld für ihn aufbewahren.
Was nun? Die Polizei wurde eingeschaltet. Die Bank stand vor einem Rätsel. Wie konnte es sein, dass ein offenbar Fremder, der sich das Vertrauen eines relativ vermögenden Mannes erschlichen hat, für dessen Konto eine Bankkarte beantragen und benutzen konnte?
Aus dem Vernehmungsprotokoll mit Hendrik Ütersen:
„Eines Tages rief mich ein Malte Ütersen an. Ob ich mich noch an ihn erinnern könnte. Er gab sich als mein Neffe 2. Grades, also als Sohn des Sohnes meines Bruders Otto aus, er studiere in München Medizin im zehnten Semester, und habe jetzt erst erfahren, dass ich, sein Onkel, hier in dieser Senioren-Residenz wohne, und ob er mich denn mal besuchen dürfe. Ich kannte zwar keinen Malte aus unserer Verwandtschaft, aber das ist jetzt so lange her, ich hatte ja mit denen keine Verbindung mehr. Da war ich neugierig und auch ein bisschen froh, dass noch irgendjemand von der Mischpoke an mich denkt.
Er kam. Natürlich kannte ich ihn nicht. Ohnehin habe ich kein gutes Personengedächtnis mehr. Aber seine Sprache, dieses Platt, was wir zuhause gesprochen haben, die klang wie Heimat. Er war sehr höflich, erkundigte sich, wie es mir ginge. Dann sind wir ein paar Mal hier in der Nähe in ein Wirtshaus gegangen. Er muss wohl festgestellt haben, dass ich so Aussetzer habe. Die kommen ganz plötzlich und da habe ich wahnsinnige Angst vor.
Eines Tages sprach er von einem Inder, einem weltberühmten Experten, Brahmasoundso, ich komme jetzt nicht auf den ganzen Namen. Der sei ein Spezialist in der Prävention von Demenz und Alzheimer, könne sogar Alzheimer heilen. Sei allerdings auch nicht ganz billig und nehme nur Bargeld, weil alles andere seelenlos sei, von Konto zu Konto, ohne jegliche Substanz. 2000 nähme der pro Stunde bei den Prominenten, Schauspielern, Politikern, ehemaligen Sportgrößen und so. Aber von mir nähme er nur 200 Euro. Weil er mit Malte befreundet sei.
Der kam dann auch. Sehr angenehme Erscheinung, angenehme Stimme. Ehe er mit der Behandlung beginne, müsse er erst eine Blutanalyse erstellen. Er nahm mir einen Blutstropfen ab von der Fingerkuppe auf ein Papiertaschentuch, das er in einem Gläschen verschloss. Nach dem Ergebnis dieser Analyse müsse er die Steine bestimmen, die er nach einem geheimen Muster auf meinen Rücken verteile, damit deren Energie in mich hinein fließe, über die Chakren. Gemäß einer uralten indischen Heilkunst, weshalb er vermutlich erst einige dieser Halbedelsteine, die für mich besonders wichtig seien, erst in Indien bestellen und aufladen müsse.
Er kam dann mit einer großen Tasche und einem Thermosbehälter. Ich habe mich nackt auf den Bauch legen müssen. Dann hat er die heißen Steinchen, so groß wie vielleicht ein 50- Centstück, auf meinem Rücken bis hinauf zum Hals verteilt. Er hat dabei gesummt und gemurmelt wie ein andauerndes Gebet. Das war nicht unangenehm. Und wissen Sie, wir da im Norden, haben ja einen Hang zu Spökeskiekerei, wie wir das nennen. Das Okkulte ist uns nicht fremd..
Mal hat er auch eisig kalte Steinchen dabei gehabt, heiße und kalte, um die Spannung zu erhöhen, 30, 40 Stück, fein geschliffen. Edelsteine. Hat das erste Mal 500 Euro gekostet, weil besondere Steinchen erst aus Indien in einem besonderen Behälter eingeflogen werden mussten, dann immer 200 Euro oder auch mal mehr wegen Sonderbehandlung, für ein besonderes Öl. Das Geld habe ich zusammen mit meinem Neffen Malte oder wer das in Wirklichkeit ist, bar von der Bank abgeholt.
Man kann über diesen Brahmanen, warten Sie, der Name kommt mir so ähnlich wie SriSunshine, man kann über ihn sagen, was man will, ein bisschen hat es genutzt. Das merkt man ja erst später. Dass ich jetzt mit Ihnen so sprechen kann, verdanke ich diesem Sri …, Sri … irgendwie. Das letzte Mal hat er sich für längere Zeit verabschiedet. Er müsse in die USA fliegen, nach Hollywood. Leute vom Film. Nach seinen Kuren könnten die sich ihre Rollen besser merken.“
Soweit das Protokoll.
Einen Medizinstudenten Malte Ütersen hatte man in der Medizinischen Fakultät noch nie gesehen, geschweige denn einen indischen Heiler. Alle Anträge für die Bankkarte waren offensichtlich mit gefälschten Unterschriften versehen. Die zugesandte Pin musste der falsche Malte bei Ütersen abgefangen haben. Das fiel ihm insofern leicht, als er sich immer wieder angeboten hatte, für seinen Onkel die Post aus den Schließfächern zu holen. Wo aber hat dieser Malte gewohnt? In einer Pension? Von wo telefoniert? Ein halbes Jahr lang?
Das Betrugsdezernat wurde eingeschaltet. Wo konnte es anknüpfen? Der sogenannte Heiler hatte einen Stein verloren, einen schwarzen mit weißen Äderchen. Am ehesten verriet sich der Neffe durch seine Sprache. Ütersen glaubte erkannt zu haben, dass man genau so zu Hause auch ge s p r ochen habe. Steckte also die Verwandtschaft dahinter? Wollte die dem flüchtigen Opa sein Geld abjagen? Ein Detektiv wurde eingeschaltet. In einem Dorfgasthaus in der Nähe seines früheren Wohnortes gab er sich als Reporter des Hamburger Tageblattes aus und fragte die Wirtin, er habe gehört, es gäbe in dieser Gegend einen Wunderheiler, der sogar Alzheimerkranke wieder ins Leben zurückführen könne.
„Wer’s glaubt … wird selig“, schmunzelte sie. „Lässt sich sicher ?ne Menge Geld mit machen! Da war mal so?n Typ mit so langen weißen Haaren hier. Der hat sich als Inder ausgegeben. Als Guru! Aber die Bauern hier sind skeptisch. Die haben ihre eigenen Gespenster und nix mit Ayurveda am Hut, so teures Zeug für die Städter, Anti-Aging für die Damen der Gesellschaft. Der junge Ütersen, also der Enkel vom Otto, der wollte hier damit ins Geschäft kommen und hat da so eine Wellness-Masche aufgezogen, mit dem Inder und so. Aber damit ging er selbst baden. Angeblich lebt er jetzt in Hamburg, ganz auf fein.“
„Wo er wohnt, wissen Sie nicht zufällig?“
„Ach, wissen Sie, die Ütersens, seit der alte Ütersen, also der Hendrik, im Lotto gewonnen hatte, irgendwas zwischen zwei und drei Millionen sollen es gewesen sein, da ist er ja abgehauen, irgendwohin nach Bayern. Hat aber seiner Frau und dem Sohn wohl die Hälfte vermacht, sagt man. Jedenfalls dieses Geld hat eine Explosion ausgelöst, Wahnsinn! Die ganze Familie, auch die vom Otto, seinem Bruder, hat’s zerrissen. Neid und Größenwahn! Natürlich nichts wie weg hier in die große Stadt. Weltreise, großer BMW, Einkaufen in Paris, die große Show hier abziehen. Der Sohn hat sich mit ?nem roten Porsche totgefahren. Der Otto hat sich als der große Kapitalanlageberater an die Rieke rangemacht. Der war doch beim Staat, Tiefbau, Drainagen, so was. Was hat der schon von Aktien verstanden? Ratzfatz war das schöne Geld weg. Nee, Geld macht nicht glücklich! Noch ein Pils, der Herr?“
Ütersens gibt es in Hamburg wie Sand am Meer. Aber ein Gewerbe anmelden und es wieder abmelden, hinterlässt Spuren in der Bürokratie – auch beim Finanzamt. So war die Adresse schnell gefunden. Vor dem Haus ein schnittiger Sportwagen. Man brauchte nur zu warten, bis Malte Ütersen in Erscheinung trat, zusammen mit einem anderen Mann. Zugriff! Die beiden schienen völlig überrascht. Bei der Durchsuchung der luxuriösen Wohnung fand sich außer den inzwischen gesperrten Bankkarten auch eine weißhaarige Perücke mit langen wehenden Haaren sowie die ganze Ausstattung des angeblich indischen Heilers nebst einem Eimerchen mit gewaschenen Kieselsteinen.
Hendrik Ütersen konnte übrigens in Sancta Agatha wohnen bleiben. Er hatte, wie er sagte, nicht alle Eier in einen Korb getan. Etwas Gold und ein guter Aktienfonds waren ihm erhalten geblieben.***