Читать книгу Wer früher stirbt, spart sehr viel Geld - Werner Siegert - Страница 7
Das phantastische Picknick
Оглавление„Rosalinde, da bist du ja endlich wieder. Hast du ein schönes Wochenende verbracht mit deinen Lieben zuhause?“
„Oh ja, es war wunderschön. Diese Sonne, dieses herrliche bayerische Oberland, diese saftigen Wiesen, die blühenden Büsche und im Hintergrund die Berge ... einfach wunderbar!“
„Bist du mit den Deinen raus gefahren? Haben sie dich eingeladen? Ach, das wäre auch so ein Traum von mir. Aber die können sich ja gar nicht um mich kümmern. Die haben selbst genug um die Ohren. Aber du hast da wirklich Glück ... und Farbe hast du bekommen. Bist ja richtig braungebrannt. Siehst aus wie das blühende Leben!“
„Na ja, Fanny, wie man’s nimmt. Ich weiß ja nicht, ob ich’s dir überhaupt sagen soll. Also nur, wenn du es absolut für dich behältst. Wenn du auch nur ein Wort verrätst, dann ratscht das ganze Heim darüber. Dann wird geplappert und geplappert. Die würden mit Fingern auf mich zeigen.“
„Nun mach’s mal nicht so spannend. Was gibt’s denn so Geheimnisvolles zu erzählen. Du weißt doch, ich kann schweigen wie ein Grab. Ist denn was mit deiner Familie? Stimmt was nicht?“
„Nein, nein, da ist alles okay ...“
„... aber? Nun rück schon raus. Mach’s nicht so dramatisch, Rosi!“
„Na ja, es mir schon ein bisschen peinlich. In meinem Alter!“
„Sag’ bloß, du hast dich verliebt.“
„So ähnlich, Fanny, aber du darfst es niemandem weitersagen. N i e m a n d e m ! Versprich mir das! ... Also, na ja, irgendwann erfährst du es ja doch: Ich habe einen neuen Freund!“
„Waas hast du? Einen neuen Freund? Kaum dass dein Herbert ein paar Monate unter der Erde ist?“
„Noch schlimmer! Das ist es ja: Mein neuer Freund ist mein alter Freund. Ich kenn’ ihn ja schon seit hundert Jahren!“
„Nun übertreib’ mal nicht. Du warst doch über 50 Jahre glücklich mit deinem Herbert verheiratet ... und du hast einen alten Freund?“
„Ja, den Berthold. Denn kenn’ ich schon von der Tanzstunde her. Der war immer mein Schwarm. Ach Gott, was habe ich den angebetet ... und nicht nur das. Aber dann hat ihn mir so eine doofe Ziege, so ein aufgedonnertes Flittchen, vor der Nase weggeschnappt. Männer sind ja dumm. Wenn da eine kommt mit so’nem Busen und Beinen bis zum Hals, dann rennen die dieser Pute nach, blind vor Augen. Es ging ja auch nicht gut mit den beiden. Das hätte ich ihm gleich sagen können. Und dann kam Herbert. Was hätte ich denn tun sollen? Den Spatz in der Hand fliegen lassen wegen dem Täuberich auf dem Dach? Zumal Herbert ja auch einiges zu bieten hatte. Sonst könnte ich mir diese Senioren-Residenz hier gar nicht leisten!“
„Herbert - nur der Spatz? Und dann bist du 54 Jahre mit ihm durchs Leben gegangen? Hast ihm die Treue gehalten?“
„In gewisser Weise schon. Fast. Aber dann traf ich Berthold wieder! Reiner Zufall! Auf einmal steht er vor mir. In der Oper! Im Foyer, im Wandelgang! Er mich sehen und mir um den Hals fallen, war eins!“
„Nun sag’ bloß, du hast das ganze Wochenende mit ihm verbracht? Und ich wähnte dich wie immer bei deiner Familie, bei deinen Enkeln. Wussten die davon?“
„Genaueres nicht. Ich habe denen nur gesagt, dass ich an diesem Wochenende nicht kommen kann. Ja, und dann haben wir uns getroffen, stiekum, wie man bei uns zuhause gesagt hat, also heimlich. Und wir sind raus gefahren wie ein Liebespaar. Der Berthold, der hat ein ganz schickes Auto, da kann man sogar das Verdeck öffnen. Der kennt auch die schönsten Plätze. Da brauchst du gar nichts zu sagen; der liest dir die Wünsche am Gesicht ab. Gestern war ein Picknick angesagt, aber was für eins! Wir sind an einen See gefahren, nicht an so einen großen, wo uns hätte jemand sehen können. Ich kenne mich ja auf der Landkarte nicht so gut aus. Aber Berthold, der kannte so ein lauschiges, verstecktes Plätzchen direkt am Ufer. Wir mussten zwar ein kleines Stück laufen, aber er hatte so ein Wägelchen dabei. Für alles, Decke, Klappstühlchen, Picknick-Koffer, allerlei Leckereien. Stell’ dir vor, der hatte sogar eisgekühlten Prosecco dabei, in einer Kühltasche. Kaffee in der Thermosflasche, wunderbaren Kartoffelsalat von Feinkost Käfer, zartes Roastbeef. Ach was haben wir geschlemmt.“
„Und dann?“
„Stell’ dir vor, ich bin sogar seit langer Zeit mal wieder geschwommen!“
„Aber du hattest doch gar keinen Badeanzug dabei. Hast du überhaupt noch einen?“
„Das machte doch nichts. Konnte doch niemand sehen. Und Berthold, der kennt mich ja. Er ist ja auch nicht mehr so knackig wie früher. Er hat mich natürlich gehalten, aber so, dass ich die Illusion hatte, noch schwimmen zu können ohne abzusaufen.“
„Nackt? Also nein! In deinem Alter?“
„Wieso? Ich bin doch für mein Alter noch ganz gut beisammen. Es war jedenfalls wie ein Jungbrunnen.“
„Hattet ihr denn Handtücher dabei?“
„Berthold hat an alles gedacht. In gewisser Weise ist er ja auch ein Schlawiner!“
„Und dann?“
„Sind wir nach Achenkirch gefahren. An den Achensee ins Posthotel. Fünf Sterne! Alles vom Feinsten! Berthold hatte natürlich vorbestellt. Er kennt die Eigentümer persönlich. Schließlich war er ja selbst viele Jahre Hoteldirektor, allerdings in Thailand. Wie er sagt, in einem Sex-Sterne-Hotel, nicht sechs mit weichem S! So mit Massagen und so. Hat er auch ein bisschen was davon gelernt.“
„Sag’ bloß, du hast mit deinem neuen alten Freund im Doppelzimmer übernachtet?“
„Ja, was denn sonst? So bleibt man jung, Fanny! Du musst dir auch wieder einen Freund anschaffen. Setz’ mal eine Anzeige in die Zeitung, unter Verschiedenes.“
„Nein danke! Das ist mir zu gefährlich. Dein Berthold hätte dir ja auch was antun können! Wem kann man denn heute noch vertrauen?“
„Der? Der vergöttert mich doch immer noch. Außerdem, so ein bisschen was antun, ist auch nicht ganz ohne Reiz. Und jetzt muss ich mich erstmal ausschlafen. Bis morgen!“
Einige Tage später:
Fanny Reiter sieht, wie Dr. Wagner, Rosalindes Sohn, das Foyer der Seniorenresidenz St. Agatha betritt und nach seiner Mutter Ausschau hält. Fanny kennt ihn natürlich - und er sie.
„Hallo, Grüß Gott, Herr Dr. Wagner, hat sich Ihre Mutter verspätet? Die macht sich sicher noch fein. Aber sagen Sie mal, die ist ja noch ganz schön viel unterwegs. Oder habe ich jetzt was verraten?“
„Ach die Mama? Hat sie wieder was erzählt? So eine Berthold-Phantasie? Welche denn diesmal? Salzburger Festspiele? Comer See? Picknick?“
„Wieso Phantasie? Ist das etwa alles nicht wahr?“
„Ach wo! Aber lassen Sie es sie nicht spüren. Machen Sie es ihr nicht kaputt. Sie lebt in diesen Phantasien. Wenn sie bei uns auf der Terrasse in der Sonnenschaukel sitzt, dann träumt sie von ihrem Berthold. Berthold war ihr Jugend-Idol. Wer auch immer Berthold war, wir wissen es nicht. Aber die Rosi-Mama hat sich da ein Phantasia-Land geschaffen und ist glücklich dabei. Ist das nicht köstlich? Es verlängert ihr Leben. Wir erfahren es ja nur ums Eck, also von anderen. Mit uns spricht sie nie über ihren Berthold. Aber es muss grandios sein, wenn sie von Berthold und den Salzburger Festspielen schwärmt. Fünf-Sterne-Hotel! Und wen sie dort nicht alles getroffen hat, die Netrebko persönlich natürlich. Also Frau Reiter, bitte, bitte nichts anmerken lassen! Lassen Sie der Rosi ihren Berthold! Jeder sollte so einen Berthold oder eine Berta haben, das ist bestes AntiAging!“***