Читать книгу Wer früher stirbt, spart sehr viel Geld - Werner Siegert - Страница 6
Alles bio ....
Оглавление„Hast du schon gehört, der Frieder ist gestorben, ganz plötzlich!“
„Der Frieder? Das kann doch gar nicht wahr sein; der ist doch gestern noch durch den Park gejoggt!“
„.... und der hat doch so gesund gelebt. Der war doch Vegetarier und hat immer jede Menge Grünzeug gefuttert.“
„.... und von seiner Familie hat der jede Woche so Bio-Zeug gebracht bekommen. Der hat doch nie - wie er immer sagte - diesen Industrie-Fraß zu sich genommen!“
„Na, na, na, das ging, glaube ich, gar nicht von ihm aus, sondern von seiner Familie. Das waren so Supergrüne, so Blumenkohl-Apostel. Er selbst, ihm war das so ziemlich wurst. Wenn die Lena, also die Frau von seinem Enkel, wenn die kam, hat sie ihm alles rausgeräumt und weggeworfen, was hier vom Heim-Service angeliefert wurde. Und der soll jetzt tot sein? Der Friedrich Heckler? Der war doch mit seinen 87 noch fit wie ein Turnschuh!“
„Ist natürlich ein schöner Tod. Gestern noch topp, und dann ganz schnell hopp! Wünsch’ ich mir auch.“
Gesprächsfetzen kurz vor dem Mittagessen in der Senioren-Residenz Sancta Agatha. Auf einem Tischchen stand schon sein Bild mit einem schwarzen Bändchen und ein paar Blumen.
Nun ja, gestorben wird in einem solchen Heim immer. Da muss man nicht gleich misstrauisch werden. Auch wenn jemand vorher noch fit wie ein Turnschuh war.
Erst als zwei Tage später eine der Hilfsschwestern ganz plötzlich zusammenbrach, auch sie noch kurz vorher flink auf den Beinen und mitten aus der Arbeit, da musste die Direktion reagieren. Ein Virus? Gefährliche Erreger? Etwas im Essen? Oder in der Lüftung? In solchen Fällen greift die Berichtspflicht. Behörden müssen diskret informiert werden, ohne gleich Panik auszulösen und gar den Ruf der Senioren-Residenz zu ruinieren.
Die Bestattung von Dr. Friedrich Heckler wurde gestoppt. Sein Leichnam wurde in die Pathologie der Tropenklinik überführt. Auch Schwester Ivanna wurde mit Blaulicht und Sirene in diese Klinik eingeliefert und kam auf die Intensivstation. Hatte sie den toten Heckler aufgefunden, etwa berührt? Könnte sie sich infiziert haben?
Wenige Stunden später kam die Diagnose: Heckler war an einem starken Gift verstorben. Kein Virus, kein Bakterium. Bei Schwester Ivanna zeigten sich dieselben Symptome. Ihr musste sofort der Magen ausgepumpt werden. Ihr Zustand nach wie vor bedenklich, weil bereits Nervenschäden diagnostiziert wurden und eine künstliche Beatmung eingeleitet werden musste. Die Analyse bestätigte erste Vermutungen: Aconitin, eines der stärksten Gifte aus der Reihe der Alkaloide. Leider fast überall für jedermann verfügbar, wo die beliebte Schmuckpflanze des tiefblau bis violett blühenden Eisenhuts angepflanzt worden war. Sämtliche Teile der Pflanze sind hochgiftig, wobei das Gift sogar durch die unverletzte Haut aufgenommen werden kann. Kinder, die diese vor allem in den Alpen reichlich vorkommende Pflanze in Sträuße gebunden hatten, erkrankten lebensgefährlich.
Wie konnte das Gift in das Heim gelangt sein? Im Park gab es keine Eisenhut-Stauden, an denen sich Dr. Heckler vergriffen haben könnte. War es Mord?
Wieder klingelte in der Mordkommission 2 das Telefon. Turnusmäßig war nun Hauptkommissar Maurice Elsterhorst an der Reihe, die Ermittlungen aufzunehmen. Jedoch warnte man ihn, seinen Hund Rinaldo mitzubringen. Die Gefahr sei zu groß, dass er Spuren des Giftes irgendwo aufschlecken würde. Man kenne ja die Spur nicht, vor allem keinen Zusammenhang zwischen Heckler und Ivanna.
„Wer hat den Toten morgens als Erster entdeckt?“ begann Elsterhorst seine Befragungen. Eigentlich war Thomas mit dem Frühstücks-Service betraut, stellte sich heraus, ein schon sehr lange beschäftigter, erfahrener Pfleger. Jedoch wurde er an diesem Morgen von Donata vertreten, einer Lernschwester.
„Ja, ich habe den toten Dr. Heckler entdeckt und sofort die Heimleitung verständigt, wie es den Anweisungen entspricht. Er war halb aus seinem Bett rausgerutscht und hatte etwas Schaum im Mund. Das ist ja häufig der Fall. Daher habe ich auch keinen Verdacht geschöpft.“
„Wer hat das Apartment gereinigt, nachdem der Tote weggebracht worden war. Gab es irgendwelche Besonderheiten?“
Die beauftragte Putzkolonne hatte die übliche Routine walten lassen. Spuren von Erbrochenem?
„Nicht das ich wüsste. Ist ja nicht selten!“ sagte der Kolonnenführer. „Wir haben wie immer den Kühlschrank ausgeräumt und alle Nahrungsmittel, Honig, Marmeladen, Butter, was halt so drin steht, in einen Karton gepackt. Muss ja alles vernichtet werden. Auch alle Flaschen, Bier, Wasser, etwas Wein - alles kam raus. Schokolade, Kekse - das tut einem schon leid, dass diese guten Sachen, zum Teil noch unberührt, vernichtet werden müssen. Bei der Hungersnot woanders. Und manche Familie auch hier in München würde sich darüber freuen. Aber Vorschrift ist Vorschrift.“
Da der Müll bereits entsorgt war, müsste man eine sehr aufwändige Suche einleiten, um die Spuren zu verfolgen. Man einigte sich stillschweigend, darauf zu verzichten.
Gottlob erholte sich Schwester Ivanna einigermaßen, so dass ihr Kommissarin Uta Möbius am Krankenbett einige Fragen stellen konnte.
„Können Sie sich erinnern, was Sie an dem Morgen vor Ihrem Zusammenbruch gegessen hatten? Hatten Sie Kontakt mit irgendwelchen Blumen?“
„Mit Blumen? Nein, wir versorgen keine Blumen. Welkes Zeug entsorgen die Putzfrauen. Gegessen? Ja, ich habe mir in der Pause ein Marmeladenbrot geschmiert.“
„Von welcher Marmelade?“
„Frau Kommissarin, da dürfen Sie mich nicht verraten. Manchmal, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner gestorben ist, wird soviel weggeworfen, was noch völlig in Ordnung ist. Der Dr. Heckler, der wurde ja von seiner Familie immer mit den kostbarsten Sachen versorgt.“
„Auch mit Marmelade?“
„Ja klar, alles hausgemachte, leckere Marmelade, was man so im Laden gar nicht kaufen kann, und so liebevoll mit bunten Hauben und Schleifchen zugebunden. Kiwi, Pfirsich, Holunder; Traubengelee - alles bio. Die haben sich ja super um ihren Opa gekümmert. Nicht ohne Grund sah der noch mit seinen 87 aus wie 70.“
„Haben Sie von einer Marmelade gekostet?“
„Ja, ich konnte einfach nicht verstehen, dass diese leckeren Sachen in den Sondermüll wandern. Da habe ich mir dieses Glas mit der Kiwi-Marmelade zur Seite gestellt .... Sie meinen doch nicht etwa, da sei Gift drin gewesen?“
„Wo ist das Glas jetzt?“
Noch im selben Moment, in dem Ivanna ihr Versteck preisgab, rief Frau Möbius per Handy die Mordkommission an. Sofort raste ein Isar-Wagen zur Klinik und beschlagnahmte das Glas mit der grünen Marmelade. Hauptkommissar Elsterhorst startete mit einigen Beamten, um die Mitglieder der Familie Heckler einzuvernehmen. Die hatte zwar fassungslos von der Vergiftung ihres Großvaters Kenntnis genommen. Der Leichnam war ja auch noch nicht zur Bestattung freigegeben. Aber wie gut kann sich eigentlich so ein Familien-Clan verstellen und dichthalten? Natürlich wusste niemand, wie so ein tödliches Gift in ihre Marmelade hätte hinein geraten können.
„Wir machen alles total bio. Alle Früchte selbst geerntet, aus dem eigenen Garten. Nichts wird dazu gekauft, allenfalls Zucker. Sie können alle Gläser kontrollieren lassen. Schauen Sie in unseren Keller, in die Vorratskammer. Vielleicht hat ja irgendein Heimbewohner, der unseren Opa nicht leiden konnte, oder jemand vom Personal oder wer auch immer, da was hinein getan.“ Die Beweisführung gestattete sich schwierig. Dr. Heckler wurde zur Bestattung freigegeben.
Hauptkommissar Lothar Velmond ließ der Fall völlig unbefriedigt. „Wer könnte denn Interesse gehabt haben, den teuren Aufenthalt des alten Heckler zu verkürzen, ganz nach dem Motto ‚Wer früher stirbt, spart sehr viel Geld?’“
„Ihnen werden die Hecklers auch nicht mehr verraten wie mir!“ meinte Elsterhorst. Dennoch ließ Velmond nicht locker. „Ich fahre da nochmal hin!“
Er fand die Großfamilie vereint. Am Tag zuvor hatte die Beerdigung stattgefunden. Lothar Velmond sprach sein Beileid aus. Dass die Kripo Anteil nimmt an solchen Schicksalsschlägen, wurde positiv aufgenommen. Aber der Kriminalist ließ natürlich seine Blicke schweifen.
„Wer ist denn von Ihrer Familie der große Bergsteiger?“ fragte er beiläufig, als ob ihm die vielen gerahmten Bergfotos im Treppenhaus hohe Bewunderung abnötigten.
„Das ist unser Philipp. Aber der ist schon wieder auf der Hütte. Familienfeiern sind ihm ein Greuel. Und zum Großpapa hatte er auch kein besonders inniges Verhältnis, vor allem seit er die Uni geschmissen hatte. Da galt er beim Opa immer als Versager.“
„Wo haben Sie denn Ihre Hütte? Das war immer mein Traum, am Wochenende in die Berge, in eine eigene Hütte fliehen zu können. Bergluft macht frei.“
„Oh, das ist gar nicht so weit von hier, am Wilden Kaiser, Elmauer Halt. Vielleicht nimmt Sie der Philipp mal mit. Rufen Sie einfach in den nächsten Tagen mal an.“
Lothar Velmond rief in der Tat an. Er hatte das Wochenende gut genutzt und im Bereich des Elmauer Halts einige Eisenhutpflanzen ausgegraben und in Plastiktüten verpackt. Im Labor konnte man durch Spektralanalysen nachweisen, dass das darin enthaltene Acontin identisch mit dem in der Kiwi-Marmelade war. In Philipps Zimmer wurden Reste des Pflanzenextraktes sichergestellt. Dann klickten die Handschellen.***