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Kapitel 8

Berlin

Noch einmal ging Julius Bergner über den Redetext. Quatsch, dachte er, viel zu allgemein. Das ist doch nur Politsprech. Das muss griffiger werden, aber immer noch so sein, dass man ihn hier nicht festnageln konnte. Für konkrete Aussagen würde er schon selber sorgen. Mit einem grünen Stift brachte er letzte Korrekturen an. Statt „Wir wollen uns gemeinsam der Herausforderung stellen“, wie es seine Redenschreiber formuliert hatten, machte er daraus ein: „Wir müssen Verantwortung übernehmen und dürfen uns nicht wegducken, wenn es um Spitzenfunktionen geht. Das kann die Bevölkerung von uns erwarten. Und das gilt auch für den Bundeswirtschaftsminister. Gerade jetzt.“ Dann brachte er, immer noch hemdsärmelig, das Manuskript selber in sein Vorzimmer und bat seine Sekretärin, es noch einmal neu auszudrucken.

„Sagen Sie auch der Pressestelle Bescheid, dass es hier noch Änderungen gegeben hat, wenn sie nachher den Redetext an die Nachrichtenagenturen geben“, bat er.

Winter wartete schon im Vorzimmer, als er aus seinem Büro zurückkam. „Schon den neuen Text gelesen?“, fragte Bergner, der inzwischen das Jackett zu dem heute sorgfältig ausgesuchten dunkelblauen Anzug übergezogen hatte. Winter nickte.

„Und? Besser?“, fragte er.

„Kommt darauf an, worauf Sie hinauswollen.“

„Das werden Sie heute noch erleben. Sagen Sie der Pressestelle, dass ich gerne bereit bin, nach der Rede noch einige kurze Fragen zu beantworten. Und tun Sie mir einen Gefallen und rufen Sie Kai Herrmann von der BILD-Zeitung an. Guter Mann, heller Kopf. Sagen Sie ihm, wir hätten da noch ein Extra für ihn, wenn er will, exklusiv. Nur für den Fall, dass er mich nach meinen Zukunftsplänen fragen möchte.“

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Gottlieb Heberle, der Arbeitgeberpräsident, dämpfte mit einer Handbewegung den pflichtgemäßen Beifall, als Julius Bergner eintraf.

„Noch sind die Wunden durch das Virus nicht geheilt“, sagte Heberle vom Rednerpult aus, „die schwere Krise wird noch lange nachwirken. Umso gespannter sind wir nun, was uns der Bundeswirtschaftsminister zu sagen hat. Bitte sehr, Herr Bergner, Sie haben das Wort.“

Wieder ertönte Beifall, höflich bislang. Bergner schaute in die Runde. Die vielen Scheinwerfer der Fernsehteams blendeten ihn leicht. In der zweiten Reihe entdeckte er ein vertrautes Gesicht. Nein, er täuschte sich nicht. Es war tatsächlich Kurt Friedrich.

Dann hob er an, hob den Aufschwung der Wirtschaft nach der Krise hervor, dankte den Industriellen, dem Mittelstand - ja ganz besonders dem Mittelstand, schließlich stelle der die meisten Arbeitsplätze - und natürlich der Exportwirtschaft. „…Und nicht vergessen sollten wir auch die Arbeitnehmer, ihren Einsatz und ihre Geduld.“ Dank ihnen gehe es wieder bergauf und alle müssten auch weiterhin ihren Beitrag leisten.

Dann kam er zu seinen Korrekturen und brachte den überarbeiteten Satz von der Verantwortung an und, dass man sich gerade jetzt auch bei Spitzenfunktionen nicht wegducken dürfe. Dann machte er eine Pause, schaute wieder in den Saal vor ihm und direkt in die Kameras: „Das kann die Bevölkerung von uns erwarten und das gilt auch für den Bundeswirtschaftsminister.“ Wieder eine kurze Pause, danach endete er auf ein stark betontes: „Gerade jetzt.“

Der Beifall nach der Rede war jetzt deutlicher, gewiss nicht tobend, aber Bergner interpretierte es so, dass eine gewisse Anerkennung darin mitschwang. Vielleicht jedenfalls. Es gab einen kleinen Empfang; Wein wurde gereicht, kleine Häppchen. Bergner schaute sich suchend um, bis er Kurt Friedrich entdeckt hatte. Er ging auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.

„Wie gut, Sie zu sehen. Erlauben Sie mir, Ihnen zu danken – für Ihre stets großzügige Unterstützung unserer Partei und unserer Politik.“

Friedrich wehrte ab. „Solange Sie den richtigen Weg beschreiten, immer gerne, Herr Minister.“

Bergner nahm ihn beiseite.

„Übrigens, wie geht es bei NEWTEC? Machen die Fortschritte?“

„Große Fortschritte, soweit ich das aus den Labors höre“, sagte Friedrich. „Die Marktreife steht wohl in einigen Monaten an.“

„Unter uns, wir hören da von großem Interesse aus dem Ausland. Die entsprechenden Behörden warnen sogar vor einer Übernahme. Wir sollten diesbezüglich besonders wachsam sein“, sagte Bergner leise.

„Keine Sorge, Herr Minister, ich passe da schon auf. Ohne mich geht da nichts. Übrigens: interessant Rede, die Sie da gehalten haben. Von wegen der Verantwortung bei Spitzenfunktionen.“

Bergner lächelte, die Botschaft war anscheinend angekommen. Er hatte eine plötzliche Idee, spontan und ungeprüft.

„Na ja, steht ja noch nicht unmittelbar an. Aber was ist eigentlich mit Ihnen? Hätten Sie nach all den Jahren nicht auch mal Interesse an einem Rollentausch?“

„Rollentausch? Was meinen Sie?“

„Eine Rolle in der Politik. Ein Mann mit Ihren Erfahrungen könnte uns da doch guttun.“

„An was denken Sie genau?“, zeigte Friedrich sich neugierig.

„Ist natürlich alles viel zu früh. Aber vielleicht brauchen wir ja auch mal einen neuen Bundeswirtschaftsminister. Für den Fall der Fälle, Sie verstehen …“

„Sie meinen, wegen der Verantwortung bei Spitzenpositionen?“

„Genau. Aber warten wir das mal ab. Denken Sie in Ruhe darüber nach, ich käme dann gegebenenfalls wieder auf Sie zu.“

Sie schüttelten sich die Hände. Winter hatte das Gespräch abgewartet. „Hier geht es zu den Journalisten, Herr Minister“, sagte er und wies auf die Reporter, die im Vorraum Aufstellung bezogen hatten.

Mehrere Mikrofone streckten sich ihm entgegen.

„Sie haben von der Verantwortung für Spitzenpositionen gesprochen. War das etwa eine Bewerbung für das Kanzleramt?“, kam gleich die erste Frage von einem Tagesschau-Reporter.

„Ich habe nur das Selbstverständliche gesagt: Dass jeder Politiker, der in der Verantwortung steht, sich nicht wegducken darf, wenn die Pflicht ruft. Gerade in diesen Zeiten der Krise“, entgegnete Bergner.

„Schließen Sie aus, dass Sie sich als Kandidat zur Verfügung stellen?“, setzte der Reporter nach.

„Ach, diese ewige Ausschließeritis. Das ist doch eine Dauerkrankheit in der Politik. Ein verantwortungsvoller Politiker sollte bei solchen Spielchen nicht mitmachen. Ich jedenfalls tue das nicht. Vielen Dank!“

Bergner drehte sich weg. Die TV-Teams packten ihre Kameras ein. Am Rande der Meute wartete Kai Herrmann.

„Kommen Sie“, sagte Bergner. „Sie können mich im Auto auf dem Weg ins Ministerium begleiten. Dann haben wir noch Zeit, ungestört zu reden.“

Der BILD-Reporter hatte bereits sein kleines Aufnahmegerät in der Hand, als sie in den schweren, schwarzen Audi einstiegen. Er schaltete es ein.

„Nun mal Klartext, Herr Minister: Wollen Sie wirklich gegen die beiden anderen, aussichtsreichen Kandidaten beim Rennen um das Kanzleramt antreten?“

„Sie wissen doch, das entscheidet nicht ein Einzelner. Das ist die vornehmste Aufgabe der Partei.“

„Aber wenn die Partei Sie ausdrücklich dazu auffordern würde, würden Sie dann Nein sagen?“

„Noch einmal: Es gilt die Entscheidung der Partei. Aber wir sind hier in Berlin, im Herzen des alten Preußens. Und in Preußen stand immer die Pflichterfüllung im Vordergrund. Kein verantwortungsvoller Politiker, der das Wohl des Landes im Auge hat, hat das Recht, sich einer solchen Pflicht zu entziehen. Auch ich nicht. Es ist Zeit, dass wir hier jetzt klare Verhältnisse schaffen.“

Herrmann schaltete das Gerät aus.

„Ich habe Sie sicherlich nicht falsch verstanden, dass dies eine eindeutige Ansage war. Kann ich das alles so verwenden?“

„Selbstverständlich! Wort für Wort“, sagte Bergner.

Bergner war schon um sieben ins Büro gekommen, eine Stunde früher als sonst. Natürlich wollte er wissen, was Herrmann aus dem sorgfältig platzierten Interview gemacht hatte. Die BILD-Zeitung lag auf seinem Schreibtisch.

„Machtkampf in Berlin“ lautete die Riesenschlagzeile. Darunter: Wirtschaftsminister tritt an und verlangt klare Verhältnisse.

Das ARD-Morgenmagazin hatte bereits mehrfach bei seinem Pressesprecher Torsten Müller angerufen, das erste Mal um fünf Uhr, dazu dreimal in der vergangenen Stunde, und dringend um ein Live-Interview gebeten. Erneut klingelte sein Handy. Schon wieder Müller.

„Sie lassen nicht locker, Herr Minister“, sagte Müller. Er klang genervt. „Was soll ich denen sagen?“

„Sagen Sie, dass in der BILD-Zeitung alles steht, was im Augenblick dazu zu sagen ist“, blieb Bergner ruhig.

„Aber sie wollen das Thema unbedingt weitertreiben. Das ist doch der Knaller“, berichtete Müller.

„Sollen sie doch“, sagte Bergner. „Seien Sie sicher, dieses Thema wird uns erhalten bleiben.“

Julius Bergner wollte nicht sofort sein ganzes Pulver verschießen. Jetzt musste überlegt vorgegangen werden. Er schaltete den Fernseher ein, der an der gegenüberliegenden Wand hing. Er sah ein vertrautes Gesicht, dem er schon dutzende Male begegnet war: Hans-Peter Mertens, der Gesundheitsminister, war im ARD-Morgenmagazin zu sehen. Schau an, dachte Bergner. Er machte den Ton lauter.

„Wenn ich ehrlich bin, und das sollten wir Politiker ja sein, dann muss ich sagen: Natürlich war das auch für mich eine Überraschung“, sagte Mertens gerade in die Kamera.

„Wie ernst nehmen Sie die neue Bewerbung?“, setzte Julia Bellmann, die Berliner Korrespondentin des ARD-Morgenmagazins nach. „Sie galten doch schon vor der Krise als der klare Favorit und aus dem Kanzleramt war immer zu hören, dass Sie auch der bevorzugte Kandidat der Amtsinhaberin sind. Und jetzt mischt Julius Bergner das Bewerberfeld auf und verlangt klare Verhältnisse. Hat er das tatsächlich mit niemandem abgestimmt, fühlen Sie sich überrumpelt?“

„Wie ich schon sagte, überrascht bin ich schon. Die Erfahrung bei unseren politischen Wettbewerben zeigt doch, dass es nicht gut ist, wenn sich eine Partei quälend lange Personaldebatten leistet. Mehr Bewerber bedeutet nicht automatisch mehr Chancen beim Wähler, das verwirrt nur. Das ist auch Gift für den Aufschwung, gerade jetzt. Nein, das Land braucht Führung, das hat die Krise deutlich gezeigt.“

„Bleiben Sie im Rennen?“, versuchte es Julia Bellmann noch einmal.

„Selbstverständlich! Aber noch einmal: Jeder sollte es sich gut überlegen, ob er jetzt den Störenfried machen will.“

Bergner nickte zufrieden. Mertens war offensichtlich ziemlich von der Rolle. Er hatte ihn kalt erwischt. Genauso sollte es sein. Jetzt war der offene Kampf entbrannt. Und jetzt galt es, sich um seine Gegner zu kümmern. Mertens war eindeutig verunsichert. Jetzt würde er ihn eine Weile zappeln lassen. Als Nächstes würde er sich erst einmal Reiter vorknöpfen. Die alte Geschichte, nun musste sie ans Tageslicht.

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