Читать книгу VIRUS KILLER - Werner Sonne - Страница 6

Оглавление

Kapitel 1

Frankfurt

Ihr Duft hing noch im Raum, schwer und süß. Wie jedes Mal hatte sie ihn mit schnellen Bewegungen über ihren Oberkörper versprüht. Mit Parfums kannte er sich nicht aus, aber er glaubte Dior auf dem gläsernen Flacon gelesen zu haben. Dann war sie gegangen, ohne sich umzusehen.

Einen Moment lang hatte er fast instinktiv seine Arme nach ihr ausstrecken wollen. Als könne er sie halten. Aber da war die Tür schon ins Schloss gefallen und sie war verschwunden.

Das Geld hatte er wie immer in einen Briefumschlag gesteckt, diskret, wie er glaubte. 500 Euro. Sie hatte es sofort an sich genommen, kommentarlos, noch bevor sie sich ausgezogen hatte, und es in ihre Handtasche gesteckt. Auch mit Handtaschen kannte er sich eigentlich nicht aus, aber dieses Modell war ihm vertraut. Die indische Verkäuferin in der Mall of Dubai hatte sie ihm so sehr empfohlen, als er sie nach etwas Besonderem gefragt hatte. Die 'Lady D-Lite' Tasche bringe vollendete Eleganz und Schönheit zum Ausdruck, hatte sie gesagt, und er hatte genickt. 3500 Euro zeigte das Preisschild damals, als das für ihn noch kein großes Ding war. Schwarz war sie, mit goldenen Dior-Buchstaben, die vom Tragegriff herunterhingen.

Das war vor einem Jahr gewesen, als er in Dubai im Auftrag der Bank einen Scheich aus Saudi-Arabien getroffen hatte, einen der vielen Prinzen aus dem großen Königshaus. Sie waren sich schnell einig gewesen über das Geschäft – den Kauf einer Hotelkette. Die Bank hatte den Kredit sofort gewährt und für ihn war ein Bonus dabei herausgesprungen.

Als er zurück in Frankfurt war, hatte er die Tasche auf den Nachttisch des luxuriösen Doppelzimmers in dem nicht minder eleganten Hessen Palais gestellt, in dem sie sich seit fünf Monaten regelmäßig trafen. Er hatte Ewa dort an der Bar aufgegabelt. Oder sie ihn, bei genauer Betrachtung.

Ewa, Ewa Oksana, aus Kiew. Auch nach zehn Jahren hatte ihr Deutsch den ukrainischen Akzent. Er fand ihn exotisch. Er fand alles an ihr exotisch, attraktiv. Und natürlich sexy. Ihr langes blondes Haar, das sie für ihn herabfallen ließ, wenn sie zusammen waren, ihre breiten Hüften, ihre Rundungen, alles, alles, alles. Natürlich hatte ihm sein Kopf gesagt, dass sie ihr Geld damit verdiente, mit anderen Männern zu schlafen. Aber, so versuchte er einen rationalen Gedankengang daraus zu machen, auch er hatte geschäftlich mit Kunden zu tun, die er nicht unbedingt mochte. Das war eben sein Beruf. Manche von ihnen waren, das war ihm klar, sogar Kriminelle, nur eben im ganz großen Stil. Man nannte sie dann Oligarchen, was nichts anderes bedeutete, als dass sie sich beim großen Umbruch in ihren Ländern in Osteuropa schamlos bereichert hatten und ständig auf der Suche nach profitablen Anlagen für ihr Geld waren, am besten schwarz. Er wusste, der Vergleich mit Ewa hinkte. Er gab diesen Männern seinen Sachverstand, sie gab Männern ihren Körper. Zumindest hatte er es sich anfangs genauso zurechtgelegt, als er noch glaubte, für sich selber eine Rechtfertigung finden zu müssen und für sie eine Erklärung. Doch inzwischen hatte er diese mühsame, ja quälende Suche nach einer überzeugenden Begründung eingestellt. Sie war da und das war es, was er brauchte. Jetzt mehr denn je.

Seit ihrer ersten Begegnung hatten sie sich regelmäßig im Hessen Palais getroffen, oder ziemlich regelmäßig, soweit seine zahlreichen Reisen für die Bank es eben zuließen. Dubai, London, New York, Singapur, die Cayman Islands, das war seine Welt. Er drehte das große Rad, Millionen, viele Millionen, und gelegentlich ging es dabei auch um Milliarden. Investmentbanking hieß die Abteilung und er war einer ihrer Stars.

Am Anfang hatte er noch versucht, seine Treffen mit Ewa vor Ingrid geheim zu halten, hatte sich um Ausreden bemüht, um Erklärungen. Aber dann war es ihm mehr oder weniger egal geworden, je öfter er Ewa sah. Er hatte Ingrid wunschgemäß eine Sauna in ihr geräumiges Haus in Kronberg einbauen lassen, im Garten einen Swimmingpool, hatte ihre teure Aufnahmegebühr in den Golfclub bezahlt und irgendwie hatten sie den Schein gewahrt, wenn sie ihn gelegentlich noch zu den Empfängen begleitete, die die Bank für ihre bevorzugten Kunden veranstaltete.

Jetzt wohnte Ingrid immer noch in dem großen Haus und er hatte sich ein Zwei-Zimmer-Apartment in der Frankfurter Innenstadt nehmen müssen. Sie hatte keinen Moment gezögert, als die Bank ihn rausgeworfen hatte. Zwei Tage später hatte Ingrid die Scheidung eingereicht. Kurz darauf kam der Brief von ihrem Rechtsanwalt mit detailliert aufgelisteten finanziellen Ansprüchen. Eigentlich wäre einiges an Geld zu verteilen gewesen, selbst angesichts ihrer ungeheuerlichen Forderungen. Aber eben nur eigentlich, denn die Staatsanwaltschaft hatte seine Konten einfrieren lassen und wenn der Richter gegen ihn entscheiden würde, dann wären Strafzahlungen in Millionenhöhe fällig. Das wäre sein Ende: finanziell, gesellschaftlich, beruflich.

Cum-Ex, Cum-Ex, Cum-Ex. Der Begriff drehte sich immer wieder in seinem Kopf herum. Das verdammte Cum-Ex. Lange hatten ihn die Juristen in der Bank beruhigt, genau wie den Vorstand. Das große Steuermodell, bei dem die Anleger die Erstattungen für die nicht gezahlten Steuern gleich zweimal vom Finanzamt kassierten, sei doch legal. Es habe doch jahrelang funktioniert, Milliardengewinne eingebracht und der Staat habe immer weggeschaut. Doch als dann der Staatsanwalt aus Bonn, wo das Verfahren lief, mit dem Durchsuchungsbefehl vor der Tür stand und die Unterlagen kartonweise aus seinem und anderen Büros abholte, als die Fernsehteams die Aktion vor der Bank filmten, als plötzlich Cum-Ex das große schmutzige Wort wurde, als auch die Politik in Berlin unter Druck geriet, da reagierte die Bank schnell. Am nächsten Morgen lag das Kündigungsschreiben auf seinem Schreibtisch. Man gab ihm eine Stunde, sein Büro auszuräumen. Bauernopfer, dachte er, du bist das verdammte Bauernopfer.

Ewa hatte am nächsten Tag die BILD-Zeitung mitgebracht und sie stumm auf den Nachttisch gelegt, die Schlagzeile und das Foto von ihm, dem gefeuerten Spitzenbanker, nach oben. Sie hatte ihn fragend angesehen und er hatte sie in den Arm genommen. Das werde sich schon klären, das sei alles ein großes Missverständnis, die Juristen der Bank würden das regeln. Jedenfalls, so flüsterte er ihr ins Ohr, sie solle sich keine Sorgen machen, sie würden das schon gemeinsam schaffen. Dann hatte sie sich ausgezogen, wie immer. Er glaubte zu spüren, dass sie es routiniert tat, ja absolvierte, als er sich auf sie warf, sie nahm, innerlich aufgewühlt und nach Erlösung suchend. Er wollte das nicht realisieren, diese Distanz nicht wahrhaben, aber als sie gegangen war, lag er noch lange wach, und als er am Morgen mit schwerem Kopf aufwachte, stellte er fest, dass die Flasche Whiskey, die neben dem Bett stand, halb leer war.

Einen kleinen Triumph hatte er verbucht. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Konto übersehen – bei der Sparkasse in Darmstadt, wo er aufgewachsen war. Er hatte es nie aufgelöst. 57.341,76 Euro lagen dort, nur ein kleiner Einsatz, und das Geld wurde jeden Monat weniger, die Kosten liefen weiter. Für das Apartment, für die Krankenkasse, für den Lebensunterhalt und für Ewa. Er hatte versucht, das zu verdrängen, und früher war es ja auch fast egal. Aber jetzt zählte jeder Euro und die Rechnung war nicht sonderlich kompliziert. Sie kam zweimal in der Woche zu ihm, seit der Viruskrise sogar noch regelmäßiger als früher. Einmal war sie tatsächlich mit einem Mundschutz bei ihm gewesen. Bis dato hatte er nie darüber nachgedacht, dass Frauen wie sie hoch risikogefährdet waren, was Ansteckungen anging, und dass ein Mundschutz dabei gewiss nicht die Lösung war. Mehrfach war sie in dieser Zeit die ganze Nacht über bei ihm geblieben. Er hatte es genossen, sie an seiner Seite zu spüren, wenn er nachts wach lag, auch wenn ihn seine Sorgen quälten. Und schon wieder hatte er den Gedanken nicht zu Ende denken wollen, dass es vielleicht damit zu tun hatte, dass andere Männer unter den neuen Umständen diese Form des sehr direkten Körperkontaktes nicht wollten und auf ihre Dienste verzichteten. Jetzt war die Krise vorbei und erst jetzt war ihm bewusst geworden, dass er sie zumindest gesundheitlich überstanden hatte – und Ewa anscheinend auch.

Eine Weile hatte er überlegt, ob er ihr nicht anbieten sollte, ganz bei ihm einzuziehen. Doch er traute sich nicht, scheute davor, dass sie diesen Vorschlag zurückweisen würde, und er wollte sich diesen Schmerz ersparen. Die Rechnung war also einfach. Zweimal pro Woche, jeweils 500 Euro, das machte 4.000 im Monat.

Und dann waren da noch die Kinder. Sebastian, der Sohn aus seiner ersten Ehe, war lange schon erwachsen und erfolgreicher Rechtsanwalt in München. Aber Eric, sein Sohn mit Ingrid, studierte noch an der FU in Berlin, war an die regelmäßige Überweisung gewöhnt. Und ihre gemeinsame Tochter Johanna war während der Viruskrise bei ihren Gasteltern in Australien hängengeblieben und flehte ihn mehrfach um Geld an.

Es konnte keinen Zweifel geben, dass das Gerichtsverfahren eine Riesensumme an Anwaltskosten verschlingen würde. Er musste sich dringend um einen Anwalt kümmern und bisher hatte er keine Ahnung, wie er das finanzieren sollte. Die Lage war eigentlich ziemlich einfach zu beschreiben. Nach dem vorläufigen Ende der Viruskrise waren die wirtschaftlichen Schäden riesig und niemand suchte einen 57-jährigen, ausgebrannten Ex-Banker, dem ein spektakuläres Gerichtsverfahren drohte.

Peter Conrad wurde plötzlich bewusst, dass Ewas Duft immer noch im Raum schwebte. Wenn er sie verlieren würde, dann wäre es das Ende. Er wollte aufstehen, um ins Bad zu gehen, als sein Handy klingelte – eine anonyme Nummer.

Kurz zögerte er, ob er den Anruf annehmen sollte. Dann tat er es doch.

„Hallo?“, sagte er in den Hörer.

„Peter Conrad?“, hörte er eine Stimme und er glaubte, einen Akzent zu hören, denn der Anrufer sagte nicht Peter, sondern mehr Pieter. Es klang amerikanisch.

„Ja, bitte?“, antwortete er.

„Mein Name ist Joe Miller“, sagte die Stimme. „Ich habe von Ihnen in der Zeitung gelesen. Böse Sache, aber vielleicht brauchen Sie ja einen Job. Und ich hätte da was für Sie. Es geht für Sie um eine Million Dollar.“

VIRUS KILLER

Подняться наверх