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Bardiert und nappiert

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Ich saß draußen vor der Gaststätte Fischerhof in Rheinsberg, gleich am Ufer des Grienericksees. Das Wasser glitzerte in der Abendsonne. Es war still, ein paar Enten und Schwäne kurvten mit ihren jeweiligen Nachwüchsen auf dem See herum, ab und zu sprang platschend ein Fisch. Frieden waltete, alles war gut. Im Hinterkopf hörte ich Bob Dylans raspelnde Stimme singen, »It’s all good«, das letzte und mitreißendste Stück seines fantastischen Albums »Together through Life«, dem Soundtrack des Frühlings und Sommers 2009. Mit stoischer Energie hämmert die Band die Rhythmen durch, und Dylan singt wie unter dem Milchwald: alt, weise, stark, solitär, geradeaus treibend, rauh. Selbst das Echo der Erinnerung daran treibt die Mundwinkel den Ohrläppchen zu.

Obwohl ich schon wusste, was ich bestellen würde, studierte ich die Speisekarte. Ich glaube an die Kraft des Wortes, sei es gesprochen oder geschrieben. Ist es wahrhaftig, entfaltet es biblische Macht. Auch aus Speisekarten kann das Wort sprechen und den Menschen ergreifen, warum denn nicht? Mein Dortmunder Freund und Kollege Fritz Eckenga las mir einmal aus einer Speisekarte vor. »Hömma! Hier gibbet Tolloni mit Pansemannkäse und Gonzolasoße!« Das hatte er sich zwar ausgedacht, aber die Wirkung war phänomenal.

Auf der Speisekarte des Fischerhofs fand ich »bardierten und gebratenen Ziegenkäse«. Bardiert? Also von Barden angenölt und zum Hörbrett gemacht? Prötert Peter Maffay dem Käse, den er auf seiner mallorquinischen Finca Can Sureda herstellen lässt, jetzt auch die Ohren voll? Duzt Wolf Biermann unschuldige Milchprodukte an? »Du lass dich nicht verhärten, du Ziegenkäse frisch…«, nöddel nöddel bramm? Armer Käse! Vielleicht ist aber ›barbiert‹ gemeint? Barbierte Ziege gibt es: Im Grimm’schen Märchen »Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack« wird eine verlogene Ziege, die drei Söhne bei ihrem Vater angeschmiert hat, am Ende »glatt wie eine flache Hand« rasiert. Oder handelte es sich um bombardierten Käse? Hatte die bombodromfixierte Bundeswehr ihre kulinarischen Vorlieben auf die Speisekarte dieses friedfertigen Ortes schmuggeln können?

Ich ließ das Rätsel zwischen meinen Ohren zunächst offen und las weiter. Frischer Wels war im Angebot – »mit pikanter Meerrettichsauce nappiert«. Wie jetzt, nappiert? Nepp ist mir bekannt, zum Beispiel von der Ostsee her, wo manches Restaurant ›Neptun‹ heißt, dem dann allerdings hartnäckig ein ›p‹ fehlt. Aber ich befand mich im Fischerhof in Rheinsberg und nicht in der Tourismushölle deutsche Ostsee.

Wer nicht unwissend ins Grab sinken möchte, kann lesen oder fragen. Zuhause wartete der Fremdwörterduden, das Lokal aber bot die Gelegenheit, die freundliche Kellnerin um Auskunft bitten. Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht? Und so erfuhr ich: Etwas ›bardieren‹ bedeutet, es mit Speck zu umwickeln. Wer dagegen ›nappiert‹, der überzieht etwas mit Sauce. Vielen Dank!

Mit derlei frischem Wissen überhäuft, ja geradezu nappiert, warf ich einen weiteren Blick in die Speisekarte – in die kleine, aber auffällige rote Zettel eingelegt worden waren, auf denen in Handschrift zu lesen war: »Liebe Gäste! Hiermit weisen wir darauf hin, dass auch Fischfilets Gräten enthalten können!« So beschränkt können nur Touristen sein: Fisch bestellen und dann hocherstaunt darüber herumjabbeln, dass Fisch infamerweise Gräten hat. Wenn sie aber Richtung Ostsee weiterziehen, ist alles gut.

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