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Anmerkungen über die Übergangsjacken

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Bösartig lang und düster ist der deutsche Winter. In dicke, nasse oder angefrorene Mäntel gehüllt, strickbemützt und in Schals gewickelt, stehen Menschenklumpen wie Falschgeld in der Welt; triefnasig, rotäugig und vergrippt starren sie aus der grauen Wäsche. Was sie verströmen, ist das, was sie fürchten und mit dem sie zugleich liebäugeln: Untergang.

Doch pünktlich zum Termin kommt der Frühling und streichelt mit zarten Sonnenstrahlenfingern vorsichtig die verwinterten Gesichter und Gemüter. Das Signal wird gleich richtig verstanden: Ihre Behausungen, in denen die Menschen eben noch in Agonie ausharrten, schmücken sie nun und tauchen sie in Meere von Blumen. Das Leben fügt sich wieder, es reimt sich Luft auf Duft, allenthalben wird froh und albern gedichtet und mit den Vögeln geträllert:

Im Frühling walten Gefühle,

die treiben mich aus dem Haus.

Denn die Wirte stellen die Stühle

und die Frauen die Beine heraus.

Nach draußen, ans Licht, zieht es den Menschen. Nur – was zieht er an beziehungsweise über? Den Winterkram kann und will er nicht mehr sehen, der ist ihm oll geworden und eine Last. Am liebsten spränge er gleich im leichten Sommerzeug umher, so luftig ist’s ihm in der Seele, aber das wäre nicht klug, zu leicht ist eine Erkältung eingefangen, und die würfe ihn um Tage, ja Wochen zurück. So greift der Mensch zum Übergangsmantel, oder, kühner noch, zur Übergangsjacke.

Vom Untergang zum Übergang – wenn das kein Fortschritt ist! Doch was genau ist eine Übergangsjacke? Was hat man sich darunter vorzustellen? Etwa Bruno Ganz, die alte Untergangszwangsjacke, eingekleidet von Jack Wolfskinhead? Zicke-zacke, Übergangsjacke? Und um was für einen Übergang handelt es sich überhaupt? Was geht von wo nach wohin über? Der Winter zum Frühling, oder gleich, in einer Art klimatischer Gleitzeit, zum Sommer? In jene Jahreszeit also, in der speziell der junge Mensch möglichst unbekleidet durch den öffentlichen Raum eiert? Und dabei aber immer eine Trinkflasche in der Hand festhält, um der Welt zu demonstrieren, dass er, obschon kaum volljährig, doch eigenständig und ambulant Flüssigkeit in sich aufzunehmen und zu versenken versteht, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um Bier, Bier oder Bier handelt? Ist es der Übergang vom Leben zum Tod – und die Übergangsjacke also ein letztes Hemd? Nein, dazu ist die Übergangsjacke zu bunt und hat auch zu viele Taschen.

Scheußlich und den Menschen schändend ist alles, was nach Freizeitkleidung aussieht; auch jede Anmutung von Funktionskleidung ist unbedingt zu vermeiden. Wer zu klassischen Geriatriefarben wie beige, grau, schlàmme oder grünlich greift, darf sich über Stigmatisierung und Ausgrenzung nicht wundern. Auf Grellheit allerdings möge gleichfalls verzichtet werden. Das Auge sieht mit und will nicht farbenblind werden. Der Mensch ist kein Buntstift und soll sich als solcher nicht aufführen.

Das Schönste an der Übergangsjacke ist der Tag, an dem die Übergangsjackenzeit dann auch schon wieder vorbei ist. Bis dahin gilt die Regel: Der Deutsche ist vernarrt in den Untergang, trägt dabei aber, zumindest zeitweise, Übergangsjacke.

Doch über den Übergangsjacken

Prangt – ohne oder mit Zopf –

Dabei modisch gleichsam altbacken

Dieses Ding namens Übergangskopf.

Auf sie mit Idyll

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