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Füdliblutt

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Wer in die Schweiz reist, lernt schöne neue Wörter kennen. Eine Schiebermütze heißt »Dächli-Chappe«; darüber nachsinnend, was das wiederum mit Dachpappe zu tun haben könnte, kann man schön albern einen halben Tag vertrödeln.

»Hät’s Lüüt ghaa?« fragte mich ein Freund am Tag nach meiner Lesung im Zürcher Kaufleuten. Was meinte er nur? Ob es geläutet hätte vielleicht? Ich verneinte, neinnein, niemand habe antelefoniert oder geklingelt – und begriff im selben Moment, dass er nach etwas ganz Anderem gefragt hatte: »Hat es Leute gehabt? War Publikum da?« Unter gemeinsamem Giggeln konnte ich meine Antwort korrigieren.

Als ich mit dem Essener Jazztrio »Spardosenterzett« in der Schweiz gastierte, gab es ähnliche Irritationen. Oft hörten wir in Zürich den Satz »’s isch keis Problem«; nach ein paar Tagen fragte mich der Kontrabassist, der mit Vornamen Kai heißt: »Sag mal – wieso ist hier eigentlich alles mein Problem?« In dem Fall konnte ich, der routinierte Schweizreisende, ihn beruhigen: »Das heißt bloß ›kein Problem‹, und wenn wir nach Bern fahren, bist du sowieso aus dem Schneider, da heißt ›kein Problem‹ nämlich ›kes Problem‹. Aber nicht dass du dann denkst, die hätten da ein Käseproblem.«

Witze von Deutschen über die Schweizer Mundart sind in der Schweiz unerwünscht. Wer es irrtümlicherweise für originell hält, den Schweizer Franken »Fränkchli« zu nennen, erlebt ein ungeteiltes Vergnügen. Abgesehen davon, dass Geld in der Schweiz niemals niedlich ist, heißt es Franken oder »Stutz«, fertig.

Überhaupt erlegt man sich als Deutscher in der Schweiz besser Zurückhaltung auf. Komplimente über die Schweiz aus dem Mund von Deutschen sind nicht sehr beliebt und führen zu einer gewissen Reserviertheit. Man kann förmlich sehen, was in einem Schweizer nach der Schweizschwärmerei eines Deutschen vor sich geht: Aha, es gefällt ihm hier also. Hmmh – will er vielleicht bleiben? Sich am Ende sogar niederlassen? Sich einnisten? So war das mit der Gastfreundschaft aber nicht gemeint. Gast sein heißt schließlich, dass man wieder geht. Das sprichwörtliche Sprichwort sagt es ganz deutlich: Ein guter Gast ist niemals Last.

Trotzdem will ich die Schweiz loben, allein schon für das Wort »Cervelat-Promi«. So heißt in der Schweiz die öffentliche Belästigung, die in Deutschland »B-Prominenz« genannt wird: Cervelat-Promi, also Wurst-Promi. »Cervelat-Promi« sagt alles: Sie kamen, um zu nerven – und wurden zu Wurst. Und zwar zur schlechtesten von allen. Cervelat ist das, was in Deutschland Bregen- oder Brägenwurst genannt wird, weil darin auch Hirn verwurstet wird. Wenn ein »Cervelat-Promi« eine Cervelat kauft, trägt er anschließend mehr Gehirn in der Einkaufstasche als zwischen seinen Ohren spazieren.

Dass man in der Schweiz nicht bestraft, sondern noch nach alter Christensitte »gebusst« wird, wusste ich schon. Der Schweizer Zeitschrift natürlich leben verdanke ich tiefere Kenntnis. Unter der Überschrift »Nieder mit dem Mieder« berichtete das Blatt darüber, dass im Kanton Appenzell sogar Nacktwanderer gebusst werden. Mir waren bislang nur Nachtwanderer begegnet, und meines Wissens schrieb Goethe auch kein »Wanderers Nacktlied«. Nun aber las ich: »Fertig lustig. Wer füdliblutt meint wandern zu müssen, wird in Appenzell künftig gebusst.«

Das Wort »füdliblutt« war mir neu; es setzt sich zusammen aus »Füdli«, hochdeutsch »Hintern«, »Popo« oder schlicht »Arsch« und »blutt«: »bloß«, »blank«, »nackt«. »Füdliblutt« heißt also »nacktpöterig«, und das wäre ja auch ein schöner Name für einen Pilz: der samtene Nacktpöterich.

Nacktpöterig aber soll man im Kanton Appenzell nicht mehr ungestraft wandeln oder wandern. Es geht dabei wohl eher ums unbedeckte Vornerum, um die Scham, die man seit Adams Biss in Evas Apfel bedecken soll, auch im Wald.

Dies ist der Appenzeller Füdli-Schwur:

Wandern darfst du, doch bekleidet nur.

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