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Dicke Denke an der Raste
Оглавление»Denke«, »Kenne«, »Schreibe«, »Tanke«, »Raste«: Optimistische Philologen könnten wohl meinen, bei diesen viel gebrauchten Wörtern handele es sich um den von ihnen bevorzugten Umgangston, den Imperativ – oder aber um die jeweils dritte Person Singular Konjunktiv von »denken«, »kennen«, »schreiben«, »tanken« und »rasten«. Die Worte beschrieben also in indirekter Rede, dass jemand denkt, etwas kennt oder schreibt, dass er oder sie tankt oder rastet. Aber erstens gibt es keine optimistischen Philologen, sondern nur zermürbte und kulturpessimistische, und zweitens handelt es sich nicht um Verbformen, sondern um moderne Substantive.
Mangelt es jemandem an einer zündenden Idee, dann hat er einfach nicht »die richtige Denke«. Verfügt er nicht über ausreichend Wissen, fehlt ihm »die nötige Kenne«. Manchem Schriftsteller wird »eine gute Schreibe« attestiert; der Leiter des Göttinger Literaturherbstes, Christoph Reisner, sprach sogar schon von »geilen Briten«, die »einen heißen Reifen schreiben«, weshalb er sie »nach vorne bomben« wolle. Das passt dann schon eher an die »Tanke«, den Treffpunkt von zum Komasuff entschlossenen jungen Menschen, die das Wort »Tankstelle« nicht mehr vollständig auslallen können, sondern es gerade noch zur »Tanke« schaffen, oder, falls sie motorisiert sind, zur »Raste«, der Autobahnraststätte.
Das »Denken«, das »Kennen« und das »Schreiben« sind sächlich abstrakt – in der Umgangssprache werden sie weiblich konkret: die »Denke«, die »Kenne«, die »Schreibe«. Hat, wer schnell laufen kann, analog »eine gute Renne«? Und wer treffsicher schießt, »die richtige Knalle«?
»Tanke« und »Raste« allerdings sind keine Verweiblichungen, sondern Abkürzungen – Ausdrucksformen also, die einerseits die Sprache schneller machen und andererseits die Souveränität des Sprechers unter Beweis stellen sollen. Wer zugunsten einer Initiative Transparente malt und Flugblätter schreibt, der fertigt in seiner eigenen Sprache – beziehungsweise seiner eigenen »Spreche« – »Transpas« und »Flugis« für die »Ini« an. Das klingt niedlich, cool, locker, flockig und fluffig, es scheint die Zugehörigkeit zur richtigen Gruppe zu beweisen – und es suggeriert, da beherrsche einer den Gegenstand, mit dem er es zu tun hat.
Die DDR-Wortschöpfungen »Plaste« und »Elaste« dagegen dienten ursprünglich der gesellschaftlichen Unterscheidung; »Plastik« und »Elastik« waren englischstämmig, kapitalistisch und böse, Plaste und Elaste deutsch, sozialistisch und gut. Wer heute »Plaste« oder gleich »Plaste und Elaste aus Zschkopau« sagt, betont damit entweder seine DDR-Herkunft – oder demonstriert, durch ironischen Gebrauch, dass er zur DDR auf Abstand hielt und immer noch hält, obwohl es sie längst nicht mehr gibt.
Die Bundesrepublik ihrerseits hatte vieles, das es in der DDR nicht gab – zum Beispiel Religionsunterricht, der bei Schülern selbstverständlich verkürzt »Reli« hieß, manchmal aber auch »Region«. Diese saloppe sprachliche Entheiligung setzt sich fort, wenn im Andenkenladen christliche Devotionalien als »Devos« angeboten werden, was stark nach dem englischen Plural »Devils« klingt, nach Teufeln. Und die Dämonen des Kommerzes und des schlechten Geschmacks stecken ja tatsächlich in jeder Devotionalie, in jedem Kitschbild vom Pontifex, in jedem Kruzifix aus Plastik oder Plaste, das man sogar an der Tanke kaufen kann oder an der Raste.