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Von Schampelmännern und Bovisten Eine Verneigung

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Haben Sie es satt, Müller zu heißen, Meier oder Schulze? Möchten Sie nicht lieber ein filziger Milchling sein? Ein Flaschenstäubling? Ein grauer Wulstling? Ein striegeliger Rübling? Ein lila Dickfuß? Ein sparriger Schüppling? Ein Judasohr? Eine krause Glucke? Ein kegeliger Saftling? Eine Toten-Trompete? Ein duftender Leistling? Ein gemeiner Stinkschwindling? Oder ein niedliches Stockschwämmchen?

Dann müssen Sie nur auf Pilz umschulen und in den Wald ziehen, oder wenigstens in den Garten. Egal, was Sie vorher waren oder taten, Sie werden sich rasant verbessern und evolutionieren. Die Menschheit bildet Schwafelköpfe in Hülle und Fülle aus; als Pilz können Sie sich persönlich zum rauchblättrigen Schwefelkopf emanzipieren und damit auch noch den allgemeinen Fortschritt befördern. Haben Sie womöglich etwas bizarre sexuelle Neigungen? Kein Problem – als Riesenporling oder als Lacktrichterling werden Sie jede Menge Spaß bekommen, ohne gleich die Öffentlichkeit damit zu behelligen, die das schließlich nicht das Geringste angeht.

Die stille Zauberwelt der Pilze eröffnete sich mir im noch nicht schulpflichtigen Alter. Die kleinen Gnubbelmänner waren das Größte. Ohne mich zu schonen, drang ich in jede Schonung ein, kroch in jedes Dickicht, die Nase am duftenden Waldboden, zwischen Fichtennadeln, Buchenblättern oder im weichen Moos. Im Kindergarten hatte man uns etwas vom Paradies erzählt – hier war es. Pilze suchen war klasse; man musste keine blöden Sonntagssachen anziehen und durfte sich so schmutzig machen, wie man wollte. Es war ja für einen guten Zweck – nach einem Ausflug in den herbstlichen Wald sollte schon eine ordentliche Pilzmahlzeit zusammenkommen.

An der allerdings hatte ich keinen Anteil und beanspruchte auch keinen; essen wollte ich nichts von dem, was gefunden und im Pilzkorb gesammelt worden war, auf gar keinen Fall. Die einzigen Pilze, die ich zu dieser Zeit mochte, waren Champignons aus dem Glas oder aus der Dose. Warum nur? Sie hatten so gut wie gar keinen eigenen Geschmack. Der Kindermund war kulinarisch noch nicht entwickelt. Während die übrigen Familienmitglieder die selbstgesuchten, sorgsam geputzten und mit Butter, Knoblauch, Zwiebeln und Kräutern zubereiteten Pilze verspeisten, futterte ich glücklich gummige Schampelmänner aus der Büchse.

Plastikpilze als Lohn für frische Beute: Ich saß da wie ein Indianer, der die kostbarsten Felle und Pelze gegen dünne, schlecht gewebte Decken, bunte Glasperlen und anderen Plunder eintauschte. Das ging mir allerdings erst viel später auf, und vor allem wollte ich es ja so haben. Für den Abenteurer liegt der Zweck des Abenteuers allein im Abenteuer selbst. Er hat die Freude und das wilde Vergnügen, die Beute geht an andere. Den Reibach nehmen die Damen und Herren von der Rechenschieberfraktion wie selbstverständlich an sich, denn im Aufgehen kühlen Kalküls finden sie ihr Ergötzen an der Welt. Es kann die scheinbar naive, harmlose Pilzsuche dem Pilzsucher die Augen öffnen für jene Klassenverhältnisse, vor denen er doch, bewusst oder unbewusst, in die Wälder floh.

Mein Vater hatte den Ehrgeiz, jeden Pilz, den er als essbar klassifiziert hatte, anschließend auch tatsächlich zu essen. Ein gewisses Restrisiko nahm er dabei in Kauf; allerdings sollte für den Fall, dass er sich fatal geirrt haben könnte, nicht die gesamte Familie dahingerafft und ausgelöscht werden. Nur jeweils ein Eltern- und ein Kinderteil der Sippe durfte beziehungsweise musste sich über die gewagte Speise hermachen. So wurde auch der nackte Ritterling verspeist; Testesser waren mein Vater und mein älterer Bruder. Noch in derselben Nacht wand sich mein Vater in Leibschmerzen; deren Quell aber war, wie sich bald herausstellte, nur eine Entzündung des Blinddarms.

Was die Auffassung untermauerte, am Pilz selbst könne ja gar nichts Böses sein, denn der Pilz an sich ist gut. Wer in Knollenblätter-, Panther- oder Fliegenpilze hineinbeißt, kann nicht bei Trost sein. Das muss man doch nicht machen. Sichtbar giftig und wie geschminkt leuchten sie den Betrachter an und wispern wie der Wind in den Weiden:

»Ja komm her, dich meine ich,

komm zu mir, auf den Iss-mich-Strich …«

Auf englisch heißen die Giftlinge Toadstools: Krötenschemel. Wer ihren Einflüsterungen erliegt, dessen Leben ist allerdings keinen Pfifferling mehr wert. Für den wiederum gilt:

Der Pfifferling ist als Passion

eine kleine Sensation.

Die Archaik des Jagens und Sammelns geht ihrer Reize niemals verlustig; dieser Sucht hängt man ein Leben lang an. Mit geschärftem Pilzmesser und gleichfalls scharf gestelltem Pilzblick zieht der Suchende aus. Übermütig ruft er:

»Wo bist du,

Bovist du?«

– und setzt, weil der Bovist mal wieder stumm bleibt, sogar noch nach: »Schlagt die Bovisten, wo ihr sie trefft!« Sein Glück will der Waldgänger machen und also frohgemut nachschauen, ob Gott ihm seine rechte Gunst erweist, wie es im Lied heißt. Das Glück des durch die Natur hirschelnden Wanderers ist vielgestaltig, doch seine höchste Form ist das Auffinden des Steinpilzes. Herrenpilz mag ich ihn nicht nennen, das klingt wie von Herrenmenschen erdacht; unzweifelhaft aber ist der Steinpilz der König des Waldes. Boletus edulis ist sein lateinischer Name, die Verehrer dieser Majestät sind folgerichtig die Boletarier. Dass sie sich vereinen, kommt nur in Ausnahmefällen vor. In der Regel belauern sie einander mit scheelen Blicken und einer prall gefüllten Gallenblase im Herzen.

Freund Vincent Klink und ich durchstreiften ein Steinpilzrevier nahe Stuttgart, das sich schon oft von einer großzügigen, ergiebigen Seite gezeigt hatte. Auch diesmal wurden wir fündig. Wer den Steinpilz erblickt, den durchzuckt ein Freudestrahl, und er wird selbst zum Glückspilz. Wir knieten nieder; anders als kniend, hockend oder sich bückend ist dem Pilz nicht beizukommen, das hat er sauber eingefädelt. Hinter uns knackte der Wald, jäh trat ein Mann aus dem Dickicht. Er war groß, trug Funktionskleidung und eine Kiepe auf dem Rücken. Ein finsterer, missbilligender Ausdruck lag auf seinem Gesicht, das unheilvoll schimmerte wie die dunkle Seite des Mondes. Vor uns stand ein Pilzprofi – keiner, der mit dem Steinpilz tanzt, sondern das Erwerbsboletariat in seiner reinen Erscheinungsform.

Der Mann zog demonstrativ ein großes Messer, schaute herrisch auf die Pilze und sagte etwas in einem Argot mit turbokroatischer Anmutung. Wollte der im Ernst wegen einiger Pilze Krieg anfangen? Wir waren immerhin zu zweien, aber dass Hauen und Stechen nicht unser Metier ist, sah er uns wohl an. Die Steinpilze, vor denen wir uns niedergelassen hatten, nahmen wir noch mit; dann überließen wir das Terrain dem düsteren Messerling. Wir tauften ihn Herrn Grabschitsch; sein Gebaren lehrte uns, dass die Geschichte des Amselfeldes neu geschrieben werden muss. Wenn sich die Liebe zum Pilz in Beutegier wandelt, wird der Mensch zur Bestie.

Noch andere Feinde hat der Pilzfreund: Maden, Schnecken und Rentner. Was an manchen Tagen durch die Wälder pensionärt, ist schier nicht auszuhalten. Schneckenfallen gibt es – warum keine Rentnerfallen? Oder sind die Reisebusse, in denen ruhelose Senioren wie eingedost durch die Welt gekarrt werden, in Wahrheit mobile Rentnerklappen? Dann aber bitte nicht am Waldrand öffnen und die zwar von Hinfälligkeit geplagte, aber umso heftiger zu allem entschlossene, aufgestachelte Meute auf wehrlose Pilze loslassen. Schweigsame Pilze sind nichts für Gruppentruppen, Nordic Walker oder andere Geräuschlinge und Ächzebolde. Sie sind magische, poetisch inspirierende Wesen, zaub’rische Repräsentanten einer anderen, älteren Welt, die nur betreten soll, wer dabei Umsicht und Liebe walten lässt.

»Boviste und Planeten,

Das Schicksal der Poeten …«,

heißt es in Peter Hacks’ Gedicht »Du sollst mir nichts verweigern«. Als größter Pilzdichter dürfte Michael Rudolf gelten, der im Februar 2007 aus dem Leben in die ewigen Pilzjagdgründe gegangene Thüringer Schriftsteller, der alles über Vielfalt und Eigensinn der Pilze wusste. Betrat er die rund um seine Heimatstadt Greiz gelegenen Wälder, eröffneten sich ihm Bilder wie aus russischen Märchen. 1998 gab er bei Haffmans den Pilz-Raben heraus, in dem Ernst Kahl den Garten Eden zeichnete: eine Wiese voller aufgerichteter phallischer Stinkmorcheln, von denen ein entkleidetes Weib, lustvoll sich setzend, Gebrauch macht. Während Achim Greser ein Bild der »Pilz-Selbsthilfegruppe Hanau« präsentierte und einen Fliegenpilz bekennen ließ: »Ich heiße Ulf und bin giftig.«

Drei Jahre später folgte bei Reclam Hexenei und Krötenstuhl. Ein wunderbarer Pilzführer, das Standardwerk über den Pilz als literarische Figur. So kenntnisreich wie hymnisch durchdrang und besang Michael Rudolf die Mysterien von Mycel und Fruchtkörper; das Buch ist die schiere Liebe.

So ist das, wenn man in die Pilze geht: Finden ist schön und ein großes Glück, aber nicht der Kern der Sache. Suchet, und ihr werdet suchen.

Auf sie mit Idyll

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