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Große Yachten und Hafenstress
ОглавлениеBeginnen wir mit einer Situation, die wohl fast jeder Segler kennt:
Eine modern gestylte 16-m-Yacht läuft mit sieben Leuten an Deck in den Hafen ein. Skipper und Mannschaft versuchen so gut sie können, das Anlegemanöver vorzubereiten, aber man sieht es den Leuten an, dass sie etwas verunsichert sind. Der Hafenassistent kommt in seinem Außenborder-Schlauchboot angerauscht und weist einen Liegeplatz zu, leider etwas spät, denn die zugewiesene Box ist dummerweise bereits passiert und liegt achteraus. Ein mittelkräftiger Wind steht quer, sodass das Schiff nach dem Aufstoppen trotz Bugstrahlruders unkontrolliert schräg wegtreibt. Maschine achteraus, doch der Radeffekt zieht das Heck genau zur falschen Seite und statt rückwärts geradlinig Fahrt aufzunehmen, dreht und treibt die Yacht quer in der schmalen Gasse zwischen den bedrohlich nahekommenden anderen Schiffen. Der Anker im Bugbeschlag verhakt sich im Heckkorb einer anderen Yacht und reißt diesen halb heraus. Fender werden vergebens hektisch hin- und herplatziert. Es kracht ein zweites Mal, diesmal am Heck. Der Rudergänger versucht verzweifelt mit Maschine Vorwärts-Rückwärts und Bugstrahlruder die Situation in den Griff zu bekommen – vergeblich. Endlich schafft es das Hafenschlauchboot mit heulendem Außenborder, das große Schiff mit seiner gestressten Mannschaft aus der Notlage zu befreien.
Normalzustand in vielen Häfen im Hochsommer: Kein einziger Liegeplatz ist frei.
Erstes Problem: Die Yacht ist gemessen an den Manövriermöglichkeiten im Hafen viel zu groß. Unter dem Windeinfluss von der Seite wird der Rudergänger in die Enge getrieben und ist überfordert.
Weiteres Problem: Die Kommunikation zwischen Skipper und Crew über Bug und Heck funktioniert nicht; kein Wunder bei 16 m Länge über Deck und sieben Leuten Besatzung.
Verfolgt man die Produktpaletten der großen Yachtwerften im Laufe der letzten drei Jahrzehnte, wird sofort deutlich, dass die Entwicklung zu immer größeren und komfortableren Yachten kein Ende nimmt. Inzwischen haben praktisch alle großen Werften ein mindestens 60 Fuß langes Schiff im Programm. Und diese großen Boote werden zahlreich verkauft! Einige als Eigneryachten, viele für den Charterbetrieb. Im Jahre 1980 war das größte Schiff in der Großserienwerft Jeanneau die Mélodie mit 34 Fuß. Heute ist das größte Schiff dort mit 64 Fuß fast doppelt so lang. Gleiches gilt für die anderen Großserienwerften. Vor 35 Jahren war es nichts Ungewöhnliches, mit einer Monsun 31 (Länge 9,40 m) mit vier Personen von Hamburg in die Karibik zu segeln. Heutzutage werde ich mit meinem 40-Fuß-Schiff in Madeira gefragt, ob es denn nicht viel zu gefährlich sei, mit einem so kleinen Schiff so weit zu segeln.
Die Schiffslänge scheint eine Schraube ohne Ende zu sein. Nur sind die Häfen im Laufe der Zeit nicht mitgewachsen. Zwar wurden in den letzten 30 Jahren zahlreiche neue Marinas angelegt, aber die alten, historisch gewachsenen Häfen – und das sind die wegen ihrer Atmosphäre beliebtesten – platzen dennoch aus allen Nähten. Zudem sind die Liegeplätze in den vor 20 Jahren neu gebauten Marinas heute auch schon wieder zu klein, weil die Yachten inzwischen noch einmal 50 % länger geworden sind. Im Mittelmeer, wo es vielerorts üblich ist, römisch-katholisch anzulegen, also mit dem Heck an die Pier und den Bug gesichert durch den eigenen Anker oder durch eine Mooringleine, ist der Andrang in der Hochsaison in den alten und neuen Häfen inzwischen so groß, dass zum Beispiel in Griechenland mancherorts in zwei Reihen hintereinander römisch-katholisch festgemacht wird. Der daraus resultierende »Ankersalat« ist oft unvermeidlich.
Stress durch Überfüllung: Yachten in zwei Reihen hintereinander römisch-katholisch festgemacht. Programmierter Ankersalat.
In Häfen mit Schwimmstegen wie beispielsweise in Süd-England, am französischen Atlantik oder an der Algarve wurde beim Bau der Breitenabstand zwischen den Fingerstegen in der Regel so gewählt, dass er für zwei »normale« 11-13-m-Yachten voll ausreichte. Macht dort heute aber beispielsweise eine »Flunder« wie die Pogo 12.50 mit 4,5m Breite fest, passt als Nachbarschiff nur noch eine Jolle daneben. In einigen Häfen wird darum die Liegegebühr nicht mehr nach Bootslänge, sondern nach belegter Quadratmeterzahl festgelegt, was sinnvoll erscheint.
In vielen Häfen wurden die Gassen zwischen den Stegen einst in den 80er- und 90er-Jahren so angelegt, dass bei 9-11 m Bootslänge genügend Raum zum Manövrieren blieb. Heute liegen aber 12-14-m-Schiffe an denselben Fingerstegen, sodass in der Gasse zwischen den voll belegten Pontons der Raum zum Manövrieren gefährlich knapp wird. Kollisionen beim An- oder Ablegen sind daher praktisch vorprogrammiert. Nicht zuletzt dann, wenn ein steifer Wind weht und es sich um eine Charteryacht handelt. Denn die Chartercrew ist häufig nicht mit dem Manövrierverhalten der Yacht vertraut. Wie denn auch bei nur ein oder zwei Segelwochen im Jahr?
Die Hafenbetreiber sind sich dieser Probleme bewusst, und es wird inzwischen in vielen Häfen erwartet, dass sich eine einlaufende Yacht über UKW anmeldet, sodass sich die Einparkhilfen-Hafenbarkasse früh genug zum Einsatz klarmachen kann.
Viele der Liegeplätze in alten, historisch gewachsenen und deshalb besonders attraktiven Häfen werden umgebaut und aus kommerziellen Gründen bevorzugt an große Luxusyachten vermietet. Die Restplätze gehen an Einheimische. Für die übrigen Wassersportler wurden außerhalb der Stadt neue künstliche Marinas mit viel Beton und hohen Steinschüttungen angelegt. Aber auch diese Häfen sind meist – nicht nur in der Hochsaison – rappelvoll. Im Mittelmeer in Spanien, Italien und Kroatien konnten es sich deshalb die Hafenbetreiber in den letzten Jahren aufgrund der großen Nachfrage erlauben, die Liegegebühren skrupellos explodieren zu lassen.
In den beliebtesten Häfen der Côte d’Azur und auch auf Korsika sowie vielerorts in Italien ist es inzwischen notwendig und üblich, bereits viele Monate im Voraus die Hafenplätze für den geplanten Sommertörn zu reservieren. Nicht Windrichtung und Wetter oder die spontane Idee, einfach aus Lust einen bestimmten Hafen anzulaufen, entscheiden über den Törnverlauf, sondern die zu Weihnachten wetterunabhängig festgelegten Reservierungen. Kommentar überflüssig …