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Am Sonntage nach Weihnachten.
ОглавлениеGalat. 4, 1–7.
1. Ich sage aber, so lange der Erbe ein Kind ist, so ist unter ihm und einem Knechte kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter; 2. Sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern, bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. 3. Also auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen. 4. Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan; 5. Auf daß Er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete, daß wir die Kindschaft empfiengen. 6. Weil ihr denn Kinder seid, so hat Gott gesandt den Geist Seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet: Abba, lieber Vater! 7. Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder. Sind es aber Kinder, so sind es auch Erben Gottes durch Christum.
Die Episteln der beiden Weihnachtstage sind beide aus dem Briefe Pauli an Titus genommen und haben, wie uns dargelegt wurde, nach Form und Inhalt eine unleugbare Verwandtschaft mit einander. Ebenso sind die beiden Episteln auf den heutigen Sonntag und auf den Beschneidungstag des Herrn aus einem und demselben Briefe St. Pauli, nämlich aus dem an die Galater, genommen und tragen gleichfalls Spuren der innigsten Verwandtschaft nach Form und Inhalt an der Stirne. Beide handeln von der Kindschaft Gottes, die wir armen Sünder in Christo Jesu erlangen, obwol ein jeder Text in einer andern Rücksicht. Beide setzen der Kindschaft den Zustand der Unmündigkeit entgegen, eine jede aber in einem andern Sinn. Während die heutige Epistel in dem Zustand der Unmündigkeit mehr auf die Unfähigkeit des Mündels hinweist, sein Erbe zu verwalten und ihn daher unter die Vormünder und Pfleger stellt; so zeigt uns die Epistel des Beschneidungstages den Mündel mehr als unerzogen, und stellt ihn daher unter den Erzieher. Und während jene den Zustand der Mündigkeit mehr in den Besitz des kindlichen Geistes und in den Antritt des Erbes setzt, zeigt uns diese den mündig gewordenen Christen mehr nach seiner Reife in der Erkenntnis und im Glauben. Beide Episteln schließen sich auf eine herrliche Weise mit denen der Weihnachtsfeiertage zusammen. In diesen sehen wir das Eigentumsvolk des Herrn in Seiner neuen Geburt und unter dem Einfluß der erziehenden Gnade; hier aber sehen wir dasselbe Eigentumsvolk nach seinem Sonst und Jetzt, und in seiner Reife für den ewigen Besitz einer großen Zukunft. Dabei stellen auch die Gleichnisse von Unmündigkeit und Kindschaft den Christen wieder in der Aehnlichkeit mit dem neugebornen Jesus dar. Wie die Evangelien der Weihnachtszeit den Lebenslauf Jesu von der jüngsten Kindheit bis zu Seiner Taufe und Seinen ersten Wundern verfolgen, so zeigen uns die Episteln das Eigentumsvolk des Herrn, wie es gewesen ist vor Christo, wie es geworden ist durch Christum, und wie es in Christo Jesu aus dem Zustand der geistlichen Kindheit immer mehr zu der männlichen Vollkommenheit reift. Neben der Geschichte Jesu sehen wir unsre Geschichte, unsern geistlichen Lebenslauf vor Augen gelegt. Und was nun insonderheit die beiden Episteln des heutigen Tages und des nächstkommenden Beschneidungstages anlangt, so geben sie ihren Inhalt so wunderlieblich und so nahe am Bilde des neugebornen Christus, daß man eine Weile denken kann, es sei von Christo dem neugebornen selber die Rede. Oder wer sollte nicht diese Bemerkungmachen, wenn er z. B. in der heutigen Epistel liest: „So lange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem Sklaven seines Vaterhauses, obschon er ein Herr ist aller Güter, sondern er ist unter die Verwalter und Haushalter gegeben, bis zum Eintritt der vom Vater festgesetzten Frist der Mündigkeit.“ Der Erbe ist hier keineswegs Christus, sondern wir sind gemeint. Dennoch aber sieht man sich schier gezwungen, an den in der Krippe liegenden unmündigen Erben eines ewigen Königreichs zu denken und unter den Pflegern und Haushaltern den guten Nährvater Joseph und allenfalls auch die selige Gottesmutter zu verstehen. Es liegt an diesen Beziehungen nichts; man kann sie auch nur aufnehmen, um sie alsbald wieder fallen zu laßen; wir haben auch viel nötiger auf den eigentlichen Sinn der Epistel einzugehen und wollen es ja auch getreu dem Texte. Doch aber schienen sie mir süß und nahe liegend, und als wären sie von denen, die in grauer Vorzeit das Meisterwerk der Textwahl vollzogen, fast beabsichtigt.
Nach diesem Eingang, meine lieben Brüder, will ich kürzer bei dem ersten Teil des Textes, das ist bei der Darstellung der Unmündigkeit, verweilen, dann den zweiten Teil vorlegen, nämlich unsre Befreiung aus der Vormundschaft und unsre Einsetzung in die Kindschaft; endlich aber will ich euch die Kindschaft selbst vorlegen, nach allem, was der Text darüber enthält.
Was St. Paulus von dem Leben unter der Vormundschaft sagt, schließt sich eng an die Sitten des Altertums an. Der Erbe des größten Vermögens war während der Vormundschaft den Verwaltern und Haushaltern unterthänig, wie jeder Sklave, der zu seinem eigenen Besitz gehörte. Ueber seine Ländereien und Güter war der Verwalter oder Pfleger gesetzt, über das Haus und die Bedürfnisse der Familie der Haushalter. Beide waren meistens Sklaven, die sich vermöge ihrer Gaben und Bildung und Redlichkeit für solche Posten und Geschäfte eigneten. Da war der Herr seinen Sklaven unterthänig, hatte auch nicht das mindeste Recht, seines Eigentums zu walten, war auf allen Schritten und Tritten beaufsichtigt, ohne daß irgend wer von ihm selbst Aufsicht und Einsprache annahm. Und das dauerte an, bis die Zeit der Mündigkeit herbeikam, deren Eintritt entweder durch die Gesetze des Landes oder durch väterlichen Willen bestimmt war. Während dieser Zeit der Unmündigkeit durfte sich der heranwachsende Jüngling auch nicht beschäftigen wie er wollte; er mußte sich an die ihm vorgeschriebenen Schulgegenstände und Uebungen halten und durfte über diesen engen Kreiß des Lernens, Uebens und Lebens durchaus nicht hinausgehen. Dieser enge Kreiß der Beschäftigung und des Lernens hat einen eigenen Namen, der auch in unsrer Epistel vorkommt, von Luther aber nicht nach dem Wortlaute, sondern nach dem Sinne übersetzt wurde, welchen er dem Ausdruck nach dem Zusammenhang unsers Textes mit Recht glaubte unterlegen zu dürfen. Er übersetzt: „Wir waren als unmündige Kinder gefangen unter den äußerlichen Satzungen.“ Näher am Texte aber heißt es: Wir waren wie Sklaven an ihre Aufgabe, so an die Elemente der Welt gehalten, – an die Elemente oder an die Elementarkenntnisse und Anfangsgründe der Welt.
Dieser Zustand der alten Unmündigkeit wird nun von dem Apostel gleichnisweise auf das Leben angewendet, welches die Juden und auch die Heiden vor der Erscheinung des Herrn Jesu Christi im Fleische führten. Die Juden waren Erben eines großen Herrn, des Herrn der Herrlichkeit, und der Apostel bezeugt es an einem andern Ort ausdrücklich, daß ihnen die Verheißungen des alten Testamentes zunächst gehörten; auch nennt sie Christus selber die Kinder, denen das Reich und das Brot gehöre. Aber ob sie wol die Herren aller Güter waren, so waren sie es doch nur in Hoffnung, in den Besitz eingetreten waren sie noch nicht. Dazu mußte erst die Fülle der Zeit und die vom Vater festgesetzte Frist kommen. Bis dahin war ihnen zwar alles beigelegt und gehörig, auch alles wol verwaltet und aufgehoben, aber nicht ausgeantwortet, und wie bei den Mündeln der alten Zeit war ihre Beschäftigung und ihre Erkenntnis im Vergleich mit dem, was kommen sollte, nur mit dem Namen von Elementarkenntnissen der Welt, von allgemeinen Anfangsgründen zu belegen. Das gaben nun allerdings die Juden in der Fülle der Zeit, da Christus Jesus erschien, durchaus nicht zu. Wer wie dieser Apostel Paulus zu ihnen gesagt hätte, daß alles was sie wüßten, im Vergleiche der Erkenntnis Gottes in Christo Jesu, nur dürftige äußerliche Satzungen,allgemeine Elementarkenntnisse, Schulkenntnisse seien, daß sie noch gar nichts rechtes wüßten und hätten, Mündel seien, unter der Vormundschaft beschloßen, dem würden sie gedankt haben, wie sie auch wirklich St. Paulo bei seiner letzten Anwesenheit in Jerusalem dankten, nämlich mit Stürmen des mörderischesten Unmuths. Diesen Buben war es ganz anders gegangen, als andern Mündeln. Andre strecken sich nach dem, was kommen soll, und können diese Zeit nicht erwarten, die von dem Vater bestimmt ist; die aber hatten sich dermaßen in die Sklaverei ihrer Mündelschaft eingewöhnt, daß sie gar nichts wesentliches vermißten. Ihr lichtes Schattenreich mit seinen schönen Bildern war ihnen über alle Verheißung lieb geworden; das waren keine Anfangsgründe für sie, sondern die Summa aller Herrlichkeit und der Grund des gerechtesten Stolzes.
Aehnlich war es mit den Heiden, von denen der Apostel allerdings nicht zunächst redet. Durch die Barmherzigkeit und Gnade Gottes sollten auch sie mit dem Volk Israel Erben werden der ewigen Verheißung, eingepflanzt und eingeleibt werden und aus zweien zu einem neuen Menschen zusammenwachsen. Auch ihnen sollten zur Zeit der Fülle die reichen Güter des Reiches Gottes ausgeantwortet, und auch sie mündig werden für den seligen Besitz. Bis zu der vom Vater bestimmten Zeit aber sollten sie ihre Wege gehen, suchen und forschen dürfen, ob sie den Herrn fühleten und fänden. Sie suchten auch und forschten, und auf dem Wege ihres Forschens und Suchens fanden sie allerlei Weisheit, welche bis zu dieser Stunde unter den Menschen einen hochberühmten Namen hat. Den Herrn aber, den einig wahren, will nicht sagen den dreieinigen Gott, fanden sie nicht. Kaum daß einer hie oder da die ewige Kraft und Gottheit, von welcher St. Paulus an die Römer spricht, ahnte, fühlte oder aus der Ferne erkannte; kaum daß man unter den Heiden irgend eines von den großen Räthseln des menschlichen Geistes und seines Wißens so gelöst hat, daß der Christ dazu Ja und Amen sagen könnte. Was sie nun fanden, was sie erkannten, kann man es gegenüber demjenigen, was uns in Christo geoffenbart ist, höher schätzen als dasjenige, was Gott seinem Volke als Vorschule der christlichen Religion offenbarte? Was ist größer und herrlicher, wahrer und schöner, die Weisheit der Griechen oder die heimliche Weisheit des Ebräers, von welcher der 51. Psalm spricht? Was wiegt mehr in der Wage des Geistes, der den Weg zu einem ewigen Glück sucht, und, für ein ewiges Leben geschaffen, auch nicht zufrieden werden kann, als bis er es gefunden hat? Kann man die Weisheit der Griechen oder irgend eines andern Volkes mit der Vorbereitung der Offenbarung Gottes im alten Bunde auch nur vergleichen? Wenn aber das ist, dann muß man ja eben so wol den Ruhm und Preis des Altertums und seiner Weisen unter die Elemente der Welt rechnen, als das, wovon zunächst St. Paulus spricht. So sehr sich auch der begeisterte Jünger des heidnischen Altertums dagegen sträuben und weigern mag, so hochmütig er höhne und verachte, der Christ wird doch nicht anders urteilen können, und die höchsten Gedanken des menschlichen Geistes manchmal vielleicht kaum werth achten, sie unter die Anfangsgründe des selig machenden Wißens zu zählen. Was der Jude von dem Herrn bekam, der Heide aber auf eignen Wegen suchte, es ist also alles mit einander der Menschheit in ihrem Zustande des unmündigen Wesens zuzuschreiben, auf alles paßen die Worte: „Auch wir, da wir noch unmündig waren, waren wir gefangen unter den Anfangsgründen der Welt.“
Nun leben zwar wir in andern Zeiten; längst ist die Fülle der Zeit vorhanden und die letzte Stunde, – das Christentum ist weit verbreitet, und noch haben es die bereits vorhandenen kleinen Antichristen auch nicht auf einem einzigen Gebiete des Lebens dahin gebracht, allen Einfluß der allerheiligsten Religion zu vertilgen. Aber eine satanische Bemühung und ein abscheuliches Streben nach diesem Ziele hin ist da; und wenn auch das Böse den endlichen Sieg nicht gewinnen wird, so wißen wir doch, daß eine Zeit vorhanden ist, in welcher ein vorübergehendes Gelingen und eine Rückkehr zu den Elementen der Welt, ja zu den furchtbarsten Abwegen der Abgötterei und des Heidentums statthaben wird. Da Gott die Menschheit ihre Wege gehen ließ, damit sie Ihn suchen und finden sollte, verlegte ihr der Satan allenthalben den Weg, daß ihr ein reines Forschen gar nicht möglich wurde. Und wenn auch bisher das Ziel des Teufels und jener babylonischen Eintracht der Menschheit im Bösen nicht erreicht wurde, so wird doch das Böse, bevor das Gute seine ewigen Siegefeiert, auch noch selbst seine größten, obgleich vorübergehenden Siege feiern, und die Mehrzahl der Welt zu einer zuvor unerhörten Gestalt des Heidentums zurückkehren, unmündig werden und sich sklavisch niederdrücken laßen in die ärmsten Satzungen und Anfangsgründe der Welt. Auch regt sich bereits allenthalben die Bosheit und der Menschen werden viele, die von dem göttlichen Reichtum sich abwenden, und sich zur Armut der Schulfragen weltlicher Weisheit und ihrer Satzungen mit einem Hochmute hinwenden, als gienge ihnen ein neues Licht auf, und als wäre die längst vergangene Nacht der Unmündigkeit der letzte Trost und Sonnenschein der Völker. Vor solcher Schmach hüte sich jeglicher Christ und salbe seine Augen fleißig mit der Augensalbe der beßern Erkenntnis, welche die Schrift und unser Text darbeut.
Diese beßere Erkenntnis lehrt dich, o Christ, dein Heil, das Heil deiner Erlösung, von welchen im zweiten Teil des Textes die Rede ist. Gegenüber den dürftigen Satzungen und Anfangsgründen der alten Zeit sehen wir hier den Eintritt der vom Vater bestimmten Grenze und Ablaufszeit der Unmündigkeit. Diese Zeit heißt die Erfüllung oder die Fülle, wie der Apostel spricht: „Als die Fülle der Zeit kam.“ Sie heißt Fülle nicht blos im Sinne der Erfüllung so vieler Weißagungen, die in der Zeit der Unmündigkeit gegeben waren, die erfüllt werden mußten; sondern auch weil die Zahl der Tage des Harrens und Wartens und das Maß der Sehnsucht voll wurde, der Sehnsucht nämlich derjenigen, die wie Simeon und Hanna mit den Schulkenntnissen der Unmündigkeit nicht zufrieden waren, sondern sich nach einem Fortschritt des Reiches Gottes und größeren Offenbarungen sehnten. Von dem Herrn steht es geschrieben, daß er den Königen und Königreichen ihre Zeit setzt, die sie nicht überschreiten dürfen; er hat auch den Weltmonarchieen der alten Zeit ihre Frist bestimmt und unter den Völkern der alten Zeit sein eigenes auserwähltes Volk die siebenzig Jahrwochen feiern laßen, von denen Daniel schreibt. Mit deren Ablauf kam die Fülle der Zeit. Da sandte Gott Seinen Sohn aus, vom Weib geboren, unter das Gesetz gethan, damit er die unter dem Gesetze erkaufte, auf daß sie die Kindschaft empfiengen und genößen. Merkwürdige Worte St. Pauli! Sie reden von einer Erkaufung aus der Vormundschaft, und es ist für einen jeden, der ein wenig überlegen will, am Tage, daß dieser Vers St. Pauli über das Gleichnis hinaus schreitet, welches in unsrem Texte das vorwaltende ist. Aus der Vormundschaft muß man ja doch sonst niemand erkaufen, am allerwenigsten aber muß der Vater und Eigentumsherr der Kinder sie den Vormündern und Pflegern abkaufen. Dazu kommt noch, daß im Grundtexte ein Wort steht, welches noch stärker ist als das deutsche Wort, erkaufen. Erkaufen ist mehr als kaufen, die Vorsilbe er zeigt an, daß das kaufen Mühe macht; nun heißt es aber im Griechischen „herauskaufen“, und es zeigt sich also, daß hier von einem kaufen die Rede ist, für welches der Verkäufer nicht einmal einen guten Willen entgegen bringt. Es liegt in dem Worte etwas, was nicht blos an den Kauf, sondern an die Beute erinnert, die man mit starker Hand und siegesmutig dem Feind entreißt. Wenn man nun sieht, wie der Apostel gewissermaßen drei Gedanken verbindet, die Aufhebung der Vormundschaft, die Erkaufung der Sklaven und die Herausführung der Erkauften als einer Beute, die man dem Verkäufer als einem Feinde entreißt; so sieht man schon daraus, was aus der Vormundschaft, von welcher St. Paulus redet, im Laufe der Zeit geworden war, nemlich eine Sklaverei. – Daran erinnert schon das Wort, welches der Apostel einmal gebraucht: „geknechtet unter die Anfangsgründe der Welt.“ Die Sklaverei war überdies eine um so ärgere, weil nicht blos der Satan und seine Knechte die armen Sklaven, die Mündel, nicht frei werden laßen, sondern weil sie auch selbst nicht frei werden wollten und sich ganz wol zu befinden wähnten. Aus dem Wort „erkaufen, loskaufen“ sieht man, daß der Herr, der sich bequemte, sein Eigentum zu erkaufen, dem Teufel und seinen Knechten ein gewisses Recht mußte zugestanden haben, die als Sklaven zu behalten, welche doch eigentlich bloße Mündel der Elemente dieser Welt waren. Es braucht ja kein Preis gezahlt zu werden, wenn der kein Anrecht hat auf die Sache, der sich als Verkäufer gibt. Und freilich, da sich die Juden den Verwaltern und Haushaltern und den Satzungen der alten Zeit freiwillig als Sklaven überlieferten, und Gott der Herr ihre eigne Wahl zur Strafe bestätigte, so war ein Recht vorhanden. Und wenn auch die Teufel sammt allen räuberischen Pflegern und Haushaltern selbst kein Rechtin Anspruch nehmen durften und ihnen kein Kaufpreis gezahlt werden mußte; so sollte doch nach dem Rathe des ewigen Erbarmens aller Gerechtigkeit Gottes genug gethan werden, auf daß sich die Barmherzigkeit wider das Gericht rühmen könnte, und es galt hier schon ein Erkaufen und ein mächtiges Entreißen aus der Hand der Feinde, die selbst im Namen Gottes noch den erkauften Sklaven den Weggang von ihrem Sklavenmarkte streitig machen wollten. Es hat sich ja auch in der Folge gezeigt, was es mit dieser Ausführung aus der sklavischen Vormundschaft der Juden für eine Schwierigkeit gehabt hat. Die Judenchristen wollten von ihren alten Satzungen nicht los. Nicht blos die Apostelgeschichte und die Behandlung des heiligen Paulus bei seinem letzten Besuch in Jerusalem liefert dazu sprechende Beweise; sondern da steht der Ebräerbrief als ein mächtiger Zeuge. Aus ihm sieht man ja, daß die ebräischen Christen in der furchtbarsten Versuchung waren, von Christo abzufallen und sich rein wieder den alttestamentlichen Satzungen, Vormündern und Pflegern zu überliefern. Ja als bereits der Tempel und Tempelkultus im Jahre 70 in Staub gesunken war, giengen doch ganze Generationen von Judenchristen aus großer Sehnsucht nach den Elementen der Welt, die sie aufgeben sollten, geradezu verloren, von den Juden allen zu schweigen, die bis zur Stunde lieber des Teufels werden, als daß sie sich ihrem König David und seiner befreienden Hand überlieferten. Und ganz so ist es ja auch mit den unzähligen heidnischen Geschlechtern, die seit der Erscheinung Christi den Ruf zur Freiheit überhörten und die dämonische Nacht der Abgötterei dem sonnenhellen Tage des Erlösers vorzogen. Aus der Schwierigkeit des geschichtlichen Erfolges kann man einen Schluß machen auf die Größe des Werkes der Erkaufung zur Freiheit der Kinder Gottes. Da galt es eine Erfüllung des Gesetzes und der Weißagungen, durch welche Gesetz und Weißagung nicht bloß erfüllt und übertroffen, sondern selbst verherrlicht wurden. Auch mußte die Kindschaft, zu welcher man durch die Erkaufung eingeführt wurde, allen Vergleich mit der Zeit der Vormundschaft aushalten können und Schätze bieten, wie sie der heilige Paulus im Ebräerbrief auch wirklich dem alttestamentlichen Wesen gegenüberstellt und kraft der Gegenüberstellung einen glänzenden Triumph über das vormundschaftliche Wesen feiert. Es ist hier nicht an der Zeit und Stelle, das Werk der Erlösung zu preisen, vielmehr müßen wir zum Ziele eilen, und die Kindschaft hervorheben, deren Recht nicht allein, sondern auch deren Genuß wir bekommen sollen und alle Tage bekommen können. Dennoch aber können wir nicht umhin, noch auf einige Besonderheiten unsers Textes hinzuweisen, die auf die Art und Weise der Erlösung hindeuten, und in welchen das Weihnachtsmäßige besonders hervortritt.
Die eigentlich weihnachtsmäßigen Worte dieser Epistel, die wie eine Antiphone dem Psalm, so dem ganzen Texte kenntlich den Charakter eines Weihnachtstextes aufprägen, finden sich nemlich im vierten Vers, welcher uns darlegt, wie die Loskaufung aus der Vormundschaft erfolgte. Dieser Vers lautet wörtlich wie folgt: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott Seinen eigenen Sohn aus, geboren von einem Weibe, untergethan unter das Gesetz.“ Da erinnert uns nun nicht allein der Ausdruck „Fülle der Zeit“ an das Fest der Geburt des Herrn, sondern die Worte: „Gott sandte Seinen Sohn“ klingen wie von der Sendung des Sohnes zur Menschwerdung, „geboren von einem Weibe“ erinnert ohnehin im Deutschen noch mehr als im Griechischen an die Geburt, und der Ausdruck „unterthan unter das Gesetz“ macht den Text so recht eigentlich zum Texte dieses Sonntags, welcher dem Beschneidungstag Christi voranläuft, das ist eben dem Tage, an welchem sich der Herr durch Empfang des alttestamentlichen Sakramentes der Beschneidung dem Gesetze unterwarf. Auf alle Fälle würde man für diesen Sonntag nicht leicht einen paßenderen Text haben wählen können, und dieses ist und bleibt der Fall, auch wenn meine nun zunächst folgenden Worte dem Texte ein Weniges von seiner unmittelbaren Beziehung auf das Weihnachtsfest nehmen sollten. Bei einer genauen Betrachtung zeigt es sich nämlich, daß die Worte „Gott sandte Seinen Sohn aus“ nicht auf die Aussendung zur Menschwerdung bezogen werden können, sondern daß der Sohn hier ausgesandt wird, um die Menschen zu erkaufen, die unter der Vormundschaft stehen, und daß die Zeit der Aussendung nicht eine und dieselbe ist mit der Zeit der Geburt, sondern hinter Geburt und Beschneidung zu setzen ist. Wen sendet Gott aus? Den Sohn, der vom Weibe geboren, und unter das Gesetz gethan ist. Erst mußte Er vom Weibe geborenund beschnitten sein, ehe Er zu dem großen Werke der Erkaufung und Auslösung aller Sklaven ausgesendet werden konnte. Durch diese Erinnerung und Zurechtlegung gewinnt der Text und Sonntag eine schöne Beziehung mehr, nemlich die auf den schon nahenden Epiphanientag, an welchem man auch der Taufe Jesu gedenkt, oder der heiligen Handlung Gottes, durch welche der Menschensohn zu Seinem Erlösungswerke ausgerüstet und ausgesendet wird. Dabei aber wird man durch die Stellung der Worte und den Character ihres Inhalts stark an eine Lehre erinnert, die bei uns selten vorgetragen zu werden pflegt, bei den alten Vätern aber, und zwar gerade wenn sie von der Geburt des Heilands predigen, mächtig hervorzutreten pflegt. Gott sandte Seinen eignen Sohn; niemand löst die Aufgabe, als Er allein; aber Er sendet den Sohn nicht in Glorie der Gottheit, auch nicht im Glanze der mit der Gottheit verbundenen Menschheit, sondern in der Gestalt eines gewöhnlichen jüdischen Kindes, vom Weib geboren und unter das Gesetz gethan. Der Held, welcher das Werk Gottes ausführen soll, geht also nicht mit aufgedecktem Angesicht, sondern eingehüllt und verborgen im Scheine eines gewöhnlichen menschlichen Looses. Ob Er gleich in einer Weise geboren und empfangen ist, die unerhört und völlig neu ist, und Seine Mutter vor, in und nach der Geburt eine Jungfrau bleibt, dieweil sie kein Mann erkannt hatte, so ruht doch durch die Begleitung des Nährvaters Joseph, in welcher Maria in Bethlehem ankam, und durch die öffentliche Vermählung mit diesem, auf dem Kinde der Schein einer gewöhnlichen menschlichen Geburt, und die am achten Tage erfolgende Beschneidung läßt nichts davon merken, daß der Herr des Gesetzes beschnitten wird, vielmehr scheint in ihr ein neuer Sklave der alten Vormundschaft gewonnen zu sein. Da also der ewige Sohn Gottes zu Seinem Geschäfte ausgieng, die Menschheit zu erlösen, kannte Ihn niemand. Die Juden sagten wol zuweilen, sie kenneten Seinen Vater Joseph, Seine Mutter Maria, Seine Brüder und Seinen ganzen Ursprung, aber Er trat auch einmal im Tempel, da sie ähnliche Reden führten, mitten unter sie hin und rief mit großartiger Ironie: „Ja ihr kennet mich!“ Er sagte es ihnen auch mehr als einmal mit dürren Worten, daß sie weder Ihn noch Seinen Vater kennen, Er war vor ihnen ein verborgener, und ebenso verborgen vor dem Teufel. „Er gieng in Seiner armen G’stalt, gar heimlich führt Er Sein Gewalt, den Teufel wollt Er fangen.“ Während der Teufel und die ganze Welt es mit einem gewöhnlichen Menschen zu thun zu haben meinten, zumal ja der Sohn Gottes, um auf Erden Mensch zu werden, den Himmel und seine dortige Herrlichkeit und Anbetung nicht zu verlaßen brauchte, also dort keine Veränderung eintrat; gab es auf Erden eine Menschwerdung, die Schöpfung einer neuen unbefleckten Menschheit im Mutterleibe einer jüdischen Jungfrau, dazu eine Erniedrigung und Annahme der Knechtsgestalt. Die heiligen Engel gelüstete das Geheimnis zu schauen, die Teufel aber und ihre Welt ahnten und merkten nichts davon, und konnten auch aus dem Gloria der Engel über Bethlehem, das den bösen Geistern vielleicht nicht verborgen blieb, doch nicht abnehmen, was es für eine Bewandtnis mit dem Kindlein in der Krippe habe. Denn das ist der Fluch des Teufels und aller seiner Geister, daß sie den Heilsweg nicht faßen können, wie denn auch die in des Teufels Reich eingetretene Seele des Reichen durch den Eintritt in die Ewigkeit in diesem Stücke nicht weiser und klüger geworden ist, als in der Zeit. – Faßt man also den vierten Vers unsers Textes so auf, so kann man daraus wieder um eins mehr sehen, was für ein außerordentliches Werk das ist, die Unmündigen aus der geliebten Vormundschaft des Gesetzes und auch des Heidentums, der bösen Vormünder Israels und der dämonischen Herrschaft der Heidenvölker zu erlösen. Schwer ist das Werk, außerordentlich und einzig die Person des Meisters, der es vollbringen soll, und unwillig obendrein die Mündel, die nun in die Freiheit gehen und die Kindschaft genießen sollen. – Ach meine Brüder, das ist eine so jammervolle Sache, daß der Mensch sein eignes Heil am allerwenigsten versteht. Er soll die Kindschaft genießen, und will lieber ein geknechteter Sklave seiner Vormünder bleiben; der Sohn Gottes kommt in sein Eigentum, um es zu erlösen, und die Seinen nehmen Ihn nicht auf. Nachdem Er sich drei Jahre Mühe gegeben hat, sie wie Küchlein unter die Flügel der Mutterhenne zu sammeln, ruft Er mit Thränen vor den Thoren Jerusalems: „Sie haben nicht gewollt“. Sie gedenken es am Charfreitag böse zu machen, aber Er macht alles gut, und bringt ihnen für ihreMörderherzen den Frieden, ja Gottes-Kindschaft und ewigen Segen, und läßt ihnen durch Apostel und Evangelisten Grüße unaussprechlicher, heißer, versöhnlicher Liebe sagen; aber das hilft auch nichts, sie mögen nicht, bis die Geduld zu Ende ist, und der Tempel, die Stadt und das Land zur Wüstenei werden. Und wie die Juden, so sind auch wir, auch wir, wir elenden blinden Thoren, die wir nach 1800 Jahren nicht weiser sind, als die Mörder Stephani und Christi.
Und doch ist die Kindschaft so selig und so herrlich, die vollkommene Frucht des vollkommensten Gehorsams Christi, werth daß man alle Fesseln bräche, und alles dafür hingäbe! Sie ist’s ja auch, auf die ich während dieses ganzen Vortrags das Auge gespannt habe, von der ich mit alle dem, was ich bis jetzt gesagt, schon mit gepredigt habe. Ich kann euch zur Kindschaft nicht zwingen, zum Verlaßen aller Fesseln und aller Knechtschaft nicht nötigen; hie gilt kein Zwang, weil sich die Stimme der Weisheit und Wahrheit nicht zwingen läßt. Aber sagen muß ich euch wenigstens noch, was im Texte von der Kindschaft steht, und hab ich das gethan, d. h. mein hauptsächliches heutiges Werk, dann sei euch Wahl und Ueberlegung anheimgegeben. Ich bin verantwortlich für mein Wort, und ihr für euer Thun.
Das Wort, welches Martin Luther mit „Kindschaft“ übersetzt hat, heißt eigentlich „Einsetzung in die Kindesrechte“, Adoption, und erst nach dem verallgemeinerteren Sprachgebrauch der Griechen wird es zur Bezeichnung des kindlichen Verhältnisses überhaupt gebraucht. In der Stelle und in dem Zusammenhang, in welchem nun aber das Wort in unserm Texte steht, kann es zunächst nichts heißen, als Einsetzung in die Kindesrechte, denn im kindlichen Verhältnis steht ja allerdings der schon, der als Mündel Vormünder, Verwalter und Pfleger hat. Man kann zwar sagen, daß uns Gott in Christo Jesu erst als Kinder annehme, und daß wir vor geschehener Erlösung nicht Kinder sein könnten; allein das tritt eben nach dem Gleichnis unsers Textes mehr zurück. Der Israelite war ein Gotteskind in Hoffnung und nach der Verheißung, und als solches einstweilen den Pflegern und Vormündern übergeben; in Genuß und Ausübung der kindlichen Rechte aber sollte er durch Jesum Christum treten. So lang er unter den Vormündern und Pflegern war, war er allerdings einem Sklaven nicht unähnlich, mit dem Eintritt in die Kindesrechte aber heißt es nach dem Wortlaut des achten Verses in unsrem Texte: „Nun bist Du kein Knecht mehr, sondern ein Sohn.“ Aus ists mit den Pflegern und Vormündern; die Sklaven, die zuvor über dem jungen Erben standen, neigen sich jetzt vor Ihm; auch ist das Ende der Elemente der Welt und aller Schulstudien gekommen, und der erwählte und mündig gewordene Sohn tritt in das Erbe Seines Vaters ein, wie wir im Texte lesen: „Bist Du aber Sohn, so bist Du auch Erbe.“ Der volleste, freieste Besitz und der unbeschränkteste Genuß der väterlichen Güter ist eingetreten. – Hier, meine lieben Brüder, ist nun vor allen Dingen zu faßen, was unter dem Erbe zu verstehen sei. Zuweilen steht dies Wort, wie z. B. 1 Petri 1, 4 von jenen Gütern, welche uns im Himmel aufbehalten sind, „von dem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das im Himmel aufbewahrt ist für diejenigen, die in der Kraft Gottes aufbewahrt werden durch den Glauben für das Heil, das schon bereit liegt um in der letzten Zeit offenbart zu werden.“ In diesem Sinne kann es in unserm Texte nicht gebraucht sein. Da ist ja das Erbe gegenüber gestellt der Unmündigkeit des alten Testamentes, und man tritt in dasselbe nicht erst nach dem Tode ein, sondern alsbald nach vollendeter Erlösung und gläubiger Annahme derselben. Dies Erbe, oder beßer zu reden, dieser Teil unsres Erbes muß also nicht jenseits, sondern diesseits des Todes liegen und alles das umfaßen, was uns der himmlische Vater in dieser Welt um Jesu Christi willen beilegt. Was in den Satzungen des alten Testamentes vorgebildet ist, und sich in den Weißagungen der alten Propheten abgespiegelt hat, was zuvor kein Auge gesehn, kein Ohr gehört hat, aber von Gott denen bereitet ist, die Ihn lieb haben, was alles in Wort und Sakrament und durch Wort und Sakrament mitgeteilt wird, und der Christ als ein Gnadenrecht dahin nehmen darf, das ist alles zusammengefaßt in dem einen Worte „Erbe“, das ist unser diesseitiges Erbe in der Pilgrimschaft. Der vorlaufende Teil jenes ewigen Erbes der triumphirenden Kirche, und der gläubige Empfang der diesseitigen Güter ist selbst erst wieder eine Bedingung für den Empfang der jenseitigen Güter. Wer diesseits nicht in das Erbe alles Verdienstes Jesu Christieingetreten ist, wird auch jenseits nicht eintreten. Der Anfang alles Guten ist nicht dort, sondern hier; dort wird nichts empfangen, was nicht hier den entsprechenden Anfang genommen hat.
Es ist also das Erbe, in welches der Mensch nach der Vormundschaft der alten Zeit durch Christum eintreten soll, die Gnade des neuen Testamentes und der Reichtum alles Verdienstes Christi, sammt Christi Leib und Blut.
Da man nun aber für eine jede Gabe die nötige Empfänglichkeit haben muß, und für alle geistlichen Güter und deren Genuß die Zubereitung des Herzens eine wahre Bedingung ist, ohne welche man sie nicht besitzen kann, so würde uns aller Reichtum des neuen Testamentes und der ganze Schatz von außen her kommender Wohlthaten Gottes nicht nützen, wenn unser Inneres ungeändert bliebe. Deshalb stellt auch der Apostel Paulus in unserm Texte noch vor der Erwähnung des Erbes den schönen sechsten Vers ein, in welchem es heißt: „Weil ihr denn Söhne seid, so sandte Gott den Geist Seines Sohnes aus in unsre Herzen, der da schreiet: Abba, Vater.“ Unsre Erlösung von der Vormundschaft hat also die Aussendung des Geistes zur unmittelbaren und ersten Folge, und der Herr, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, der wirkt zu allererst in uns nicht die Erkenntnis des Erbes, sondern die Erkenntnis des Vaters in dem eingebornen Sohn Jesu Christo. Das Hüllen wird weggethan, die Schulkenntnisse fallen dahin, alles bübische, unreife Wesen wird ausgetilgt, nicht mehr erkennt man den eignen Willen und die freie Selbstbestimmung für das größte und beste, man hat erfahren, wie wenig das hilft und fördert. Nicht mehr setzt man etwas Großes darein, die eignen Wege zu gehen, das Zeichen der Mündigkeit wird im Gegenteil Kindessinn, und es geschieht, was man auch in menschlichen Verhältnissen so oft beobachten kann. Was zeichnet den unmündigen Knaben, wenn nicht der Eigenwille, dem nichts widerwärtiger ist, als Beachtung der väterlichen Meinung und des väterlichen Willens. Was hingegen kennzeichnet den männlichen reifen Sinn und die rechte Mündigkeit? Ganz offenbar das Eingehen in fremde Gedanken, die Achtung vor den Vorfahren und die Nachfolge ihrer Grundsätze. Wenn die verstorbenen Eltern durch Gottes Barmherzigkeit Kunde davon erhalten, in welchem Maße ihre nachgelaßenen Kinder je länger je mehr in ihrem Gehorsam leben und ihnen ähnlich werden, und wie die alten ergrauten Söhne oft stehen und ihre Erinnrung durchsuchen, um auszufinden, was in dem oder jenem Falle der längst heimgegangene Vater gethan oder gesagt hätte, so werden sie gewis erstaunen über die große Aenderung, welche mit ihren Kindern rücksichtlich des Gehorsams vorgegangen ist. Aehnlich ist es auch mit dem Menschen, der in die Schule des heiligen Geistes tritt und nach den Vorbereitungsstufen der Erkenntnis und der Gesetzlichkeit in das Bewußtsein eintritt, daß er ein Kind Gottes sei und Teil an allen Schätzen Jesu Christi habe. Die Weltentsagung ist nun keine Entbehrung mehr, über deren gebotene Notwendigkeit man seufzt und thränet; das Joch Jesu Christi erscheint nicht mehr als ein harter Zwang, die Gebote nicht mehr als eine schwere Last, es hat sich mit einem alles geändert, mit dem Verhältnis zu Gott ist man allewege in andre Verhältnisse gekommen; und weil man zu Gott „Vater“ hat sagen lernen, ist die Last leicht und die Gebote sind nicht schwer. Das aber ist eben die Hauptsache, daß man in’s kindliche Verhältnis zu Gott dem Herzen nach komme, mit Ihm und aller Seiner Führung zufrieden werde, und durch die Macht des Wortes „Abba, Vater“ das Geheimnis aller Wege Gottes kennen lerne. Es ist leicht zu glauben, daß man ein Erbe Gottes und Miterbe Jesu Christi sei, wenn innerlich felsenfest die Ueberzeugung steht, daß man ein Kind Gottes sei, und aus dem Herzen, von den Lippen, als wahrer Lebensodem, der Hauch des Geistes, das süße Gebet: „Abba, Vater,“ weht. So groß und herrlich erscheint dieser Geist der Kindlichkeit und des Gehorsams, der völlig eins ist mit dem Geiste der Mündigkeit, daß alles in Ordnung gekommen zu sein scheint, wenn nur Er vorhanden ist. „Das Pfand, der Geist,“ heißt es einmal in der heiligen Schrift, und wahrlich der Geist ist das Unterpfand alles Erbes. Auch steht es geschrieben: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit,“ und in der That so ist es, wo der Geist des Herrn ist, da ist kein Zwang mehr, keine Sklaverei, keine Büberei noch Mündelschaft, sondern da ist ein freies, freiwilliges, freudiges, seliges Eingehen in alle Absicht des Vaters und in alle Seine Wege. Und während man dem Vater gegenüber wieder ein Kind geworden ist,an Einfalt, an Vertrauen und Hingebung, wie auch der Herr es befiehlt, wenn Er sagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen,“ – steht man der Welt gegenüber in der vollen Mündigkeit und Mannheit, und es wird offenbar, daß Gottes Kinder die männlichsten Männer sind. Das ist dann mehr als Kindereinfalt, denn es ist die Einfalt der Männer, die Kinder Gottes geworden sind. Das ist dann aber auch mehr als alles, was die thörichte, hochmütige Welt Freiheit und Mündigkeit nennt. Die Welt will groß sein und wird dabei zum Mündel und Sklaven; die Kinder Gottes ersterben alle Tage mehr in ihrem Hauch: Abba, Vater, werden immer kleiner und eben deshalb größer, immer ärmer, und eben darum immer würdiger, das Wort von ihrem Erbe zu vernehmen, das der Herr spricht: „Selig sind die geistlich Armen, denn das Himmelreich ist ihr.“ –
Hier bin ich am Schluße der Betrachtung! Ihr seid nicht mündig, denn ihr seid nicht kindlich. Noch seid ihr nicht eingegangen in den Vollgenuß der Gnaden, welche der Herr Seinem Volke schon hier verleiht, denn ihr habt den Geist der Kindschaft nicht aufgenommen. Ihr kümmert und freßt euch das Herz ab mit Erdendingen und merkt es nicht, daß das auch nichts anderes ist, als eine jämmerliche Schulplage und eine Quälerei mit den Elementen der Welt. Wenn ihr einmal euch darin ergäbet, weiter nichts zu sein als Christen und Kinder Gottes, und es faßen könntet, daß man damit nicht zu kurz kommt, so würdet ihr auch einmal frei werden, auf einen grünen Zweig kommen und in der elenden, irdischen Welt zu einem fröhlichen gedeihlichen Dasein kommen. So aber mistraut ihr Gotte, und euer ganzes Herz schwebt zwischen Furcht und Hoffnung, Freud und Leid in einem immerwährenden Wechsel. Gott gebe euch den Geist der Kindschaft, dann wird alles gut. Und wie Sein Sohn klein geworden ist am Anfang des Weges zu einem ewigen Erbe, so wünsch ich euch und mir am Ende, daß wir nur vor allen Dingen Gottes Kinder werden, uns keinem Irrtum, keiner Verführung mehr preisgeben, sondern nur purlauterlich an des Vaters Lippen hangen, Wort und Segen von seinen Lippen nehmen, und bis in den Tod hinein in Christo Jesu rufen:
Abba, lieber Vater! Amen.