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Am dritten Sonntage des Advents.

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1. Cor. 4, 1–5.

1. Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2. Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden. 3. Mir aber ist es ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde, oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. 4. Ich bin mir wol nichts bewußt, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertiget; der Herr ist es aber, dermich richtet. 5. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.

Das Evangelium des heutigen Tages erzählt die Botschaft Johannis aus dem Kerker an unsern Herrn Jesus und die Antwort des Herrn. Dieser Inhalt scheint, so allgemein angegeben, nicht adventmäßig; aber recht betrachtet ist er des Adventgedankens voll. „Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“ fragt Johannes. Ganz mit der Zukunft Jesu beschäftigte sich also Johannes in seinem Kerker; nur war er in der Nacht desselben am Advente Christi zweifelhaft geworden, sucht also Rettung aus dem Zweifel an der rechten Thüre, an der Thüre Jesu. Ebenso adventmäßig als die Frage ist die Antwort. Alle Werke, auf welche Jesus Christus den Täufer verweist, sind solche, auf welche die alttestamentlichen Propheten in ihren Weißagungen vom Advente Christi gleichfalls verweisen. Und vollends die Rede Jesu Christi von Johannes ist geradezu aus der stärksten Stelle genommen, welche die heilige Schrift vom Advent Christi nur enthalten könnte, nämlich aus dem dritten Kapitel Maleachi, des letzten Propheten. Es kann nichts adventmäßiger sein, als die Belehrung Jesu, daß Johannes Elias sei, und der Engel, der vor Ihm hergehen und Ihm den Weg bereiten soll nach Maleachis Worten. Wer am Advente Jesu zweifeln sollte, der kann seinen Zweifeln gewis nicht beßer rathen, als durch die Betrachtung des heutigen Evangeliums. Gerade wie mit dem Evangelium ist es aber auch mit der Epistel. Sie handelt von dem Hirten und Lehrer des neuen Testamentes, zeigt zuerst, was er sei, und dann, wie er sein solle, zuletzt aber, und zwar in den drei letzten Versen wird der ganze Advent des Herrn, seine Wiederkunft hingestellt als ein Advent für die Prediger und Hirten des neuen Testamentes voll Gericht und Gerechtigkeit. Ein ähnlicher Gedankengang, wie der des Evangeliums, in welchem auch ein großer Lehrer, der Täufer Johannes dargestellt, und zuerst gezeigt wird, was er sei – der Engel Jesu, – dann wie er sei, ein Mann von unüberwindlicher Treue, während das ganze Evangelium den Vorläufer in dem Gerichte seines Adventkönigs zeigt und stark an den Schluß der Epistel erinnert, in welchem es heißt: „Alsdann wird einem jeglichen von Gott her sein Lob widerfahren.“ Das Evangelium zeigt also den Täufer im Gericht, während die Epistel alle Hirten und Lehrer vor Gericht ruft. So erweist sich denn auch diese Textwahl als wolgelungen und es reiht sich namentlich die Epistel würdig an die vorangegangenen Episteln an, und bezieht auf einen Stand der Kirche, was in der Adventszeit sonst der ganzen Kirche gesagt wird. Laßt uns nun, meine lieben Brüder, genauer auf den Inhalt eingehen und sehen was ein Hirte und Lehrer des Evangeliums sei, was der Herr von ihm fordere, und wie er gerichtet und beurtheilt werden soll.

I.

Auf unsere erste Frage, was ein Hirte und Lehrer sei, gibt uns der erste Vers unseres Textes klare Antwort. Denn St. Paulus sagt: „Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Ein Diener Christi ist nach dem gebrauchten Ausdruck nichts andres, als einer, der Christum gegenwärtig weiß und bereit ist, ihm aufzuwarten, ihn bei seinen Geschäften zu unterstützen und zu helfen, so viel er es haben will und die Kraft es zuläßt. Es ist also mit dem Ausdruck „Diener Christi“ nicht bloß ein Mensch angedeutet, welcher dasjenige, was er aus eigenem Verstand und guter Meinung thut, zu Christi Lob und Preis will angenommen und angesehen haben, dabei aber doch nicht gewis weder selber weiß noch andern versichern kann, ob er Christi Sinn und Willen treffe. Ein rechter Diener will allerdings mit all seinem Thun seinen Herrn ehren; seine Freudigkeit aber und sein gutes Gewißen hängt an der Ueberzeugung, daß er nichts thue, als seines Herrn Befehl. Seine liebste Tugend heißt Gehorsam; nichts macht ihn unruhiger und unglücklicher, als wenn er einmal in den Fall kommt, im Dienste seines Herrn nach eigener Meinung zu handeln. – Daraus gehtalso hervor, daß die Hirten und Lehrer Befehle haben müßen von ihrem Herrn und König, und daß ihr ganzer Dienst in der Ausrichtung dieser Befehle steht. Sie sind, wie nach dem Schluße des 103. Psalms die Engel, nichts weiter als Diener, die Seinen Willen thun, auf Seinen Willen warten und ihn vollziehen. – Dabei heißen sie aber auch zweitens Haushalter über Gottes Geheimnisse. Ein Haushalter, mit dem griechischen Ausdruck ein Oekonom, war in der alten Zeit nichts anderes, als ein besonders begabter, mit dem Vertrauen seines Herrn beehrter Sclave, welcher den Auftrag hatte, das Vermögen des Herrn, seine Schätze, welche für andere Leute Geheimnisse waren, nach der vom Herrn selbst gegebenen Regel zu verwalten und von seinem Dienste ordentliche Rechnung abzulegen. Man sieht das an dem Gleichnis vom ungerechten Haushalter. Der brachte seines Herrn Güter um, d. h. er gieng anders mit ihnen um, als es nicht bloß des Herrn Nutzen, sondern auch sein Wille war; er hätte damit anders umgehen können und sollen, weil er ja seines Herrn Willen und Nutzen wußte und von demselben auch dazu eingesetzt war, den Willen zu thun, den Nutzen zu schaffen. Als er dagegen handelte, mußte er Rechnung ablegen, und da die Rechnung schlecht ausfiel, Strafe befahren. Aus dem allen zeigt sich, daß ich richtig gesagt habe, was ein Haushalter ist. – Jeder Haushalter ist ein Diener, aber nicht jeder Diener ein Haushalter; ein Haushalter ist ein solcher Diener, der seines Herrn Befehl und Willen im Berufe der Verwaltung seines Vermögens ausübt. Wenn es daher heißt, ein Hirte und Lehrer sei ein Diener und Haushalter Gottes und Christi, so liegt im ersten Worte das Verhältnis zu seinem Herrn im allgemeinen ausgedrückt, im zweiten aber wird der Dienst noch besonders begrenzt und der Arbeitskreiß angezeigt, in welchem der Diener seines Herrn Werk vollbringt. – Der Haushalter eines irdischen Herrn ist über deßen Schätze gesetzt; die Schätze Gottes, über welche Seine Haushalter gesetzt sind, heißen Gottes Geheimnisse. Sind sie über die Geheimnisse Gottes gesetzt, so können diese für sie keine Geheimnisse mehr sein. Wie kann ich Schätze verwalten, die für mich Geheimnisse sind; ich muß doch wißen, was ich verwalten soll. Darum sind die Hirten und Lehrer Verwalter über ihnen geoffenbarte und kundgegebene Schätze Gottes. Für die übrige Familie, d. i. für die andern Sclaven des Herrn, die er sich erkauft hat mit Seinem Blute, können die Schätze Geheimnisse sein, bis sie ihnen durch den Haushalter allmählich auch klar und kund werden. Der Haushalter hingegen hat Uebersicht über dieselben und Einsicht in sie und weiß, was er nach seines Herrn Willen mit ihnen anfangen soll, wie er sie anlegen, ausleihen und austeilen muß, was er einem jeden einzelnen Kinde oder Knechte seines Herrn zu dieser oder jener Zeit, zu diesem oder jenen Zweck zu verabreichen und zu verbuchen hat. – Was die Schätze Gottes seien, ist unschwer zu erkennen, nämlich Wort und Sakrament, Waßer und Geist, Brot und Leib, Wein und Blut, – Gesetz und Evangelium, Lehre und Strafe, Beßerung und Züchtigung, Trost und Friede, und dabei kommt alles darauf an, daß diese Schätze recht ausgeteilt werden, wie denn auch St. Paulus das richtige Haushalten der Hirten und Lehrer in das Orthotomein, d. i. in das richtige Teilen des Wortes setzt. – Ich denke, da haben wir klar und einfach gesehen, was ein Hirte und Lehrer sei, nämlich ein Sclave, ein Aufwärter und Diener des Herrn, angestellt zur Oekonomie, d. i. zum Haushalt, und beauftragt, die von ihm erworbenen Schätze des Wortes und des Sacramentes nach dem Willen seines Herrn zur Erhaltung und Emporbringung seiner Familie und seines Haushalts zu verwalten.

Das scheint nun ganz eine Erklärung zu sein nach dem Sinne des Volkes im 19. Jahrhundert. Pah, werden die Kinder der Zeit unter euch sagen, da haben wirs also, was die Pfarrer sind, Sclaven sind sie, Aufwärter, Knechte; aus ists also mit der Hierarchie, mit der Priesterherrschaft, und verflucht ist, wer die anbahnen will, nachdem sie in der Reformationszeit abgethan ist. Ihr habt auch recht, wenn ihr der Priesterherrschaft nicht hold seid; ich wehre mich dagegen, ein Kind der Zeit in diesem Stücke zu sein und bin doch auch ein Feind der Priesterherrschaft, und zwar deshalb, weil der Chorführer der heiligen Apostel, deßen Nachfolger die römischen Päpste zu sein vorgeben, den Hirten und Lehrern zuruft: sie sollen nicht sein, als die über das Volk herrschen, sondern Vorbilder der Heerde. Pfarrer haben nichts zu herrschen, und wenn man sie, wie in unserm bayerischen Vaterlande, zu den Herren und geistlichen Obern zählt, so ist das ein menschlichesRecht, das blühen und welken kann, ohne daß deshalb das Pfarramt aufhört zu sein, was es von Gottes Gnaden ist. – Ihr habt ferner ganz recht, wenn ihr sprechet, die Pfarrer seien nach St. Pauli Worten Sclaven, Aufwärter, Knechte, und ich will sogar zugeben, daß wir eure Knechte sind, sintemal wir euch dienen und ihr den Nutzen von uns habet, wenn ihr Ihn brauchen könnet und wollet. Wenn ihr Christen seid, so sind wir euer, wie St. Paulus sagt: „Alles ist euer, es sei Paulus oder Apollos, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige, alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.“ Also ja, seid ihr Christi, seid ihr Christen, dann ist auch alles euer, d. h. dann muß euch alles Segen bringen, dann könnt ihr alles benützen, wie es auch geschrieben steht: „Alle Dinge müßen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen.“ Aber sind wir deswegen eure Sclaven, eure Aufwärter, eure Knechte in dem Sinne, wie es von Unchristen und unchristlichen Gemeinden so gerne aufgefaßt wird. Habt ihr uns gekauft, wie uns Christus gekauft hat? Habt ihr uns die Gesetze des Amtes gegeben, müßen wir euren Willen vollbringen? Seid ihr unsere Herren und Herren unseres Amtes, daß wir euch predigen müßten, wie es euch gefällt? Seid ihr unsere Richter oder haben wir sonst einen menschlichen Gerichtstag zu fürchten? Stammt unser Amt von euch, von euch unser Beruf, unser Geist, unsre Gabe, unsre Zuversicht? Mit nichten. Weder das Amt, noch der Beruf, noch die Schätze, über die wir haushalten, noch die Gesetze, nach denen wir haushalten, noch das Gericht über unser Haushalten ist euer. So sind wir also wohl eure Knechte durch Liebe, weil wir euch nützen und dienen, wie auch Christus in der vorigen Epistel ein Diener der Beschneidung oder der Juden genannt ist, aber wir sind nicht eure Knechte aus Noth, ihr nicht unsere Herren nach der Gewalt, sondern Christus ist, wie euer Herr, so unser Herr; Seine Befehle richten wir an euch aus, und wenn und so lange wir nichts anderes an euch bringen, als Seine Worte, Seine Befehle, Seine Schätze, seid ihr zum Gehorsam verpflichtet, wie es auch geschrieben steht: „Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen.“ Es ist wol richtig, daß in der lutherischen Kirche zwei verschiedene Meinungen sind in Betreff der Uebertragung des Amtes an die Amtsträger; die einen behaupten, Christus habe allen Christen und Seiner ganzen Gemeinde das Amt gegeben, diese aber verpflichtet, das allen gehörige Amt in zweiter Ordnung den Amtsträgern zu überliefern; von dieser ganzen Meinung steht in der heiligen Schrift nichts. Die andern sagen schriftgetreu, der heilige Geist setze die Bischöfe durch diejenigen, welche schon Bischöfe seien unter Zeugnis und Zustimmung der Gemeinden. Indeßen mag diese Verschiedenheit sein so groß sie will, beide Richtungen stimmen nichtsdestoweniger doch darin zusammen, daß das Amt göttlich sei, so wie es einmal übertragen ist, und daß niemand selig werden könne, der sich der Amtsführung treuer Knechte Christi widersetzt. Herrschen dürfen Christi Knechte nicht; die Gemeinden vergewaltigen ist eine schwere Sünde, die der Herr fordern wird, wann er kommt. Aber die Gemeinden mit Gottes Wort und Sakrament leiten und weiden, führen und regieren zum ewigen Leben, das sollen die Knechte Christi, und alle frommen Christen sollen und müßen sich auch leiten und weiden, führen und regieren laßen zum ewigen Leben, und wer sich deßen schämt, der schämt sich der Ordnung und Satzung Christi, wird auf die Länge kein Glied des Leibes Christi sein und Antwort geben müßen dem Richter der Lebendigen und der Todten.

Eine Ausflucht könnte derjenige, welchen unser Text und die darauf gegründete Predigt zu stark an den Gehorsam mahnt, allenfalls noch finden. Er könnte sagen, ob denn wirklich unter den Dienern und Haushaltern des Textes Hirten und Lehrer und nicht vielmehr Apostel gemeint seien; den Aposteln könne man das alles zugestehen, aber nicht den gewöhnlichen Hirten und Lehrern. Diese Ausflucht aber muß man fallen laßen, da man ja allerdings sich aus dem Zusammenhang unserer Epistel leicht überzeugen kann, daß der Apostel keineswegs allein von sich und seinen Mitaposteln spricht. Er verweist mit dem Worte „uns“ auf das Kapitel vorher, in welchem neben ihm selber allerdings auch von Petrus, insonderheit aber auch von Apollos die Rede ist. Muß man also einerseits auch zugestehen, daß St. Paulus auf sich und Petrus die Worte deutet: „dafür halte uns Jedermann;“ so muß man doch auch von der andern Seite zugestehen, daß sich das Wörtchen „uns“ mit auf Apollos beziehe. Sollte aber ja jemand daranzweifeln, der lese den 6. Vers unseres Textcapitels, den also, der unmittelbar auf unsere Epistel folgt und mit ihr in dem innigsten Zusammenhange steht. Da sagt St. Paulus gerade heraus: „Dies, lieben Brüder, hab ich auf mich und Apollos gedeutet.“ Ist nun aber unwidersprechlich das „uns“ auch auf Apollos zu deuten, so ist es auch unwidersprechlich, daß Apollos ein Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse heißt. Apollos aber war kein Apostel, sondern ein Lehrer, der obendrein den Aufenthalt wechselte, also kein Lehrer, der zugleich Hirte war, denn der Hirte bleibt bei der Heerde. St. Paulus faßt also sich und Petrum zusammen mit einem Lehrer, der nicht Apostel noch Hirte war, und wendet auf ihn dieselben Worte an, wie auf sich und seinen Mitapostel Petrus. Sollte nun aber wiederum Apollos den Anlaß zu einer Einwendung geben und aus der Größe seines Namens und seiner leuchtenden Gaben der Schluß gemacht werden, daß auf die Hirten nicht bezogen werden könne, was von einem hohen apostelgleichen Lehrer wie Apollos gelte; so wird diese letzte Ausflucht durch Verweisung auf Tit. 1, 7. ganz und gar niedergelegt. In dieser Stelle nennt derselbige Mund die Bischöfe und Aeltesten der Gemeinden Haushalter Gottes, der diesen Titel Aposteln und Apollos beigelegt hat. Damit ists aber auch vollkommen erwiesen, daß ganz recht geschehen ist, wenn ich behauptet habe, man ersehe aus dem ersten Vers unseres Kapitels, was die Hirten und Lehrer seien, nämlich Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Eben damit ist aber auch Grund genug gegeben, die Diener zu erkennen und zu ehren. Wie mancher eitle Mensch freut sich hie und da über den Titel eines königlichen Dieners, eines fürstlichen oder gräflichen Beamten und demonstrirt mit sichtlichem Wolgefallen den wolbegründeten und unumstößlichen Satz, daß der Diener desto höher zu achten und zu ehren sei, je größer der Herr ist, welchem er dient. Muß nun auch die Eitelkeit in diesem Falle einmal recht haben, so wird man doch auch billig den wahrhaftigen Schluß einer jeden Gemeinde zutrauen können und dürfen und müßen, daß also Christi Diener zwiefacher und großer Ehren dürften werth gefunden werden, weil sie dem offenbar größten und höchsten Herrn dienen, die größten und wichtigsten Befehle und Aufträge vollziehen, die herrlichsten seligsten Schätze verwalten. Man könnte auf den Titel eines Dieners und Haushalters Christi in der That nicht wenig stolz sein, wenn der Stolz überhaupt nicht eine satanische Sünde wäre, am allerverdammlichsten aber für Diener Christi, die da wißen können und tagtäglich fühlen müßen, daß die Bürde des Amtes sie tiefer hinabstößt in die Demut und Vernichtigung, als der Satan sie durch Vorhalt der großen Würde in die Höhe zu werfen vermag. Bei dem Amt sollte es eigentlich aus sein mit allem Brüsten und Prangen; es fühlt sich zu schwer und drückt nieder wie Centnersteine, so daß es gar oftmals wie ein schwerzufaßender Glaubensartikel erscheint, daß wir Amts- und Würdenträger Jesu seien. Der Herr gestattet aller Welt, über uns hin mit schmutzigen Füßen zu laufen und uns in den Koth zu treten; wir sind so sehr voll Verachtung und Spott, daß es eine That und Verläugnung ist, sich vor die jetzigen, zum Teil gleichgiltigen, zum Teil hohnlachenden Gemeinden hinzustellen, und ihnen zu predigen: „Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“

Es ist überhaupt, als müßte man in dieser Epistel von einer Tiefe zu der andern steigen. Denn so eben hat man sich angestrengt zu predigen: wir sind Christi Diener und Haushalter; nun aber wird man zweitens ein Wörtchen zu predigen haben, welches das Gewißen in der Tiefe aufrührt und den Menschen in Selbstvernichtung führt, ich meine das Wörtchen „Treue“, und drittens wird vom Gericht die Rede sein, vor welchem das Herz erschrecken kann und beben, wie die Bäume im Wald, wenn der Wind geht.

II.

Den zweiten Teil des diesmaligen Vortrags habe ich euch voraus so bezeichnet, daß er von der Tugend eines Hirten und Lehrers handeln soll. Was für eine Tugend aber damit gemeint sei, darüber kann niemand im Zweifel sein, der auf den Text oder auch nur auf die letzten Sätze geachtet hat, die ich so eben geredet habe, es ist die Treue. Man könnte die sogenannten Pastoralbriefe Pauli, die Briefe an Timotheus und Titus aufschlagen, und aus denselbigen nicht bloß eine, sondern eine ganze Reihe von Tugenden aufstellen, die man bei einem Hirten und Lehrer zu suchen hat. In unsrem Texte aber heißtes: „Man sucht nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden.“ Das ist nun aber nicht ein Widerspruch, es ist nicht hier eine Tugend an der Stelle aller andern genannt, sondern sie sind zusammengefaßt in eine; die Treue schließt alle ein, und wer sich überzeugen will, der schlage nur die Pastoralbriefe auf, und prüfe, so wird er finden, daß sich wirklich alle in die Treue zusammenfaßen laßen und daß die Treue Königin ist. Es gehört zum Haushalt eines Oekonomus Gottes mancherlei Gabe und mancherlei Tugend, Haushaltungsverstand, Haushaltungswachsamkeit, Haushaltungsfleiß und viel anderes; aber die Gabe hilft nichts und die übrigen Tugenden alle sind todt, wenn die Treue todt ist. Treu aber ist der, dem sein Herr vertrauen kann, in deßen Amtsführung sich das Vertrauen rechtfertigt, das sein Gott in ihn gesetzt hat, als er ihm das Amt vertraute. Der Herr vertraut das Amt und damit Seine heiligen segensreichen Geheimnisse und Schätze seinen Haushaltern in der Absicht, daß sie damit nach Seinen heiligen Regeln und Seinem ihnen kund gegebenen Willen umgehen, und alle ihre Gaben dazu anwenden, daß mit Seinem Gute Sein heiliger und grundgütiger Wille geschehe. Es läuft daher die Treue zusammen mit dem Gehorsam: wer in der Verwaltung der himmlischen Güter des Wortes und Sakramentes in allen Fällen allezeit und allenthalben seines Herrn Willen thut, der ist treu. – Daraus, meine lieben Brüder, könnt ihr ersehen, was ihr von den Hirten und Lehrern zu erwarten habt, die Treue des Gehorsams nämlich gegen das Wort und den Willen Christi. Die Korinther haben an ihren Lehrern andere Dinge gesucht, als die Treue. Sie waren eitle Griechen, die nach Menschenweisheit, nach einer ihnen zusagenden Beredtsamkeit und allerlei äußerlichen Dingen fragten. Statt sich an den Gaben aller Lehrer zu erfreuen, welche zu ihnen kamen, und nach dem Grundsatze zu gehen „Alles ist euer“, waren sie wählerisch und zertrennten sich in Parteien, je nachdem ein jeder die göttliche Wahrheit nach seinem Geschmacke vorgetragen fand oder nicht. Etliche wollten die Wahrheit nur in der Weise vorgetragen finden, wie es Christus that. Eine unsinnige Forderung, da kein Apostel reden kann wie der Herr, so wenig ein Strahl, der von der Sonne ausgehet, dem Heerd und Meer des Lichtes gleichet, das in der Sonne selbst ist. Andere verlangten von allen im Vortrag die petrinische Fülle, Allseitigkeit und Mannhaftigkeit. Wieder andere fanden nichts schön, als die Weise des gelehrten alexandrinischen Juden Apollos. Endlich gab es auch solche, welche die paulinische Tiefe und Schärfe jeder andern Gabe vorzogen. So gieng die Gemeinde zu Korinth in vier Parteien auf, die nicht um die Wahrheit stritten, denn die hatten und wollten sie alle, auch nicht um Tugend und Treue, denn die war bei all den genannten Lehrern zu finden, sondern rein um die höhere oder niedere Gabe, um den schöneren und paßenderen Vortrag, um die Elocution, um die Form. Deshalb nannten sie sich Christisch und Kephisch und Apollisch und Paulisch. Ein entschlafener Lehrer der lutherischen Kirche behauptete, die protestantische Christenheit Deutschlands habe sich aus dem neuen Testamente insonderheit die Korintherbriefe zuzueignen; die Gaben und die Fehler der korinthischen Gemeinde fänden sich auch bei den deutschen Protestanten. Ich weiß nicht, ob der theure Lehrer bei den Gaben recht hat, aber mit der Gemeinsamkeit der Fehler hat es seine Richtigkeit, insonderheit mit dem Fehler der Wählerei und der Parteiungen um der besondern Gaben willen des Vortrags und der Beredtsamkeit der Lehrer. Denn diese widerwärtige ekelhafte Untugend, aus der Lehr- und Predigtweise eine Liebhaberei zu machen, und den Lehrern nachzulaufen, je nachdem einem die Ohren jücken, ist bei uns allerdings allenthalben sehr gemein. Mancher Lehrer wird in der Entwicklung seiner Gaben durch die Misachtung, welche er findet, aufgehalten und gehindert, wenn ihm nicht gar durch Gram und Verdruß darüber die Gabe selbst zerdrückt wird und verloren geht. Manch anderer aber ist wie ein Vogel, den man zum Singen reizt, der sich mit vielem Gesang und durch Misbrauch seiner Stimme die Stimme verdirbt und aufhören muß vor der Zeit; denn gerade so misbraucht mancher Prediger, wenn er vom Lobe seiner Anhänger gereizt wird, seine Gabe und nützt sie ab, so daß sein Schatz bald leer wird, und sein Segen versiegt. Es sind ja nicht alle Lehrer mit solcher Besonnenheit und Weisheit begabt, wie St. Paulus, welcher durch Lob und Tadel der Korinther und anderer nicht benebelt noch getrübt wurde, sondern den einfachen Pfad der Furcht seines Herrn und der treuen Benützung deßen, was er hatte, unterden Füßen behielt. So verderben die Gemeinden viele Lehrer und Prediger, weil sie mehr auf die Gabe sehen, als auf die Treue, mehr auf die Befriedigung ihres geistlichen Geschmacksgelüstens, als auf den Gehorsam gegen den Willen des Herrn.

Indeßen denk ich, der korinthische Fehler wird den eigentlichen und alten Gliedern der hiesigen Gemeinde weniger zuzuschreiben sein. Der Korinther dachte nicht daran, daß seine Wählerei die Treue in Schatten stellte; euer Fehler aber ist, daß ihr mit der Treue hadert und über nichts unzufriedener seid, als über diese beste Tugend der Lehrer. Wenn die Fehler, welche in der Gemeinde als die herrschenden genannt werden können, nach dem Willen und Befehl unsres Königs Christus gestraft werden, wenn man mit der Bestrafung anhält, auf daß Buße und Beßerung erfolge, wenn es, je länger die Buße ausbleibt, desto mächtiger und anhaltender geschieht, so ist das nichts anderes, als Treue gegen das Wort und den Befehl des Herrn. Aber für Treue wird es nicht erkannt, das gilt für Richten und Schelten, das können viele nicht hören; da stehen eure Widerwärtigen während der Predigt auf von ihren Sitzen, da sehen sie mit gespannten drohenden Augen dem strafenden Prediger ins Angesicht, das würden sie verbieten, wenn sie könnten, und wie viele haben nicht schon ihr Maul aufgethan und behauptet, dafür sollte man den Prediger zur Kanzel hinabstürzen. Wofür also? Für seine Treue. Wenn der Beichtvater die offenbaren unbußfertigen Sünder angreift, welche als gerecht angesehen werden wollen, während sie Ursache hätten, in Staub und Asche zu beichten und Buße zu thun; wenn er den Hartnäckigen und Unbußfertigen, die er mit dem Worte nicht zu demütigen vermag, die Absolution verweigert und sie vom Abendmahl zurückhält, damit sie nicht neben ihren andern Sünden sich auch noch am Leibe Christi versündigen und sich Gericht und Verdammnis eßen und trinken; was ist denn dieses? Treue ist es, Treue gegen den Hirten und gegen seine Schafe, gegen den Herrn, der verbeut, das Heiligtum vor die Hunde und die Perlen vor die Säue zu werfen; Treue gegen die Seelen, die nicht nöthig haben, den Zorn Gottes zu mehren, der schon über ihnen ist. Wie aber wird diese Treue erkannt? Da dreht sich ganz schnell die ganze Sache um. Der Prediger sündigt, die unbußfertige Rotte wird gerecht. Nicht Treue übt er, sondern Ungerechtigkeit, Priesterherrschaft, die Gerechten stößt er zurück, daß sie dem Gebote Christi nicht folgen können, zu Seinem Tisch zu gehen, andere, die schlechter sind, als sie, nimmt er an, legt ihnen die Hand auf, gibt ihnen Christi Leib und Blut in ihren Mund. Und obendrein haben sie noch ein wenig recht; denn es werden ja freilich auch die größten Sünder angenommen, wenn sie nämlich eine Tugend haben, die Aufrichtigkeit, und in der Aufrichtigkeit Buße, und in der Buße gläubiges Verlangen nach Vergebung. Denen legt man auch die Hände auf, und wie sich Jesus selbst mitten unter solche Leute setzte, und den Hohn und Spott pharisäischer verhärteter Sünder nichts achtete, so nimmt man sie auch jetzt noch zu Seinem Tisch, tröstet und erquickt sie mit den geheimen Schätzen Seiner himmlischen Mahlzeit, – und das alles aus Treue, aus miskannter Treue. Da wandeln denn die treuen Knechte Christi unter solchen Gemeinden und schreien: „Man sucht an den Haushaltern nichts, denn daß sie treu erfunden werden.“ Die Gemeinden aber oder doch ein großer Teil von ihnen bewirft sie dafür mit Spott und Hohn und will nichts weniger haben, als die Treue. Käuflich wenn die Prediger und Beichtväter sind, das Gewißen, wenn man ihnen mit Geschenken zudecken kann und mit Schmeicheleien; nachsichtig wenn sie sind, weil doch nichts zu wirken sei, – oder wenn sie die Treue aus Verzweiflung unterlaßen und über alle Gebote des Herrn selber hinwegstreichen, als nach welchen nicht hausgehalten werden könne: da freut sich der Pöbel der Gemeinden; da ist erreicht, was man will; solche Pastoren verachtet man und liebt sie doch; sie bekehren die Gemeinden nicht, aber sie selbst werden verkehrt ins Bild der Gemeinden: aus ists mit der Treue, und mit der soll es ja nach der Meinung der meisten aus sein. Der Schalksknecht, der das Pfund verzweifelt im Schweißtuch vergräbt, und der ungerechte Haushalter, der klüger ist als die Kinder des Lichtes: die sitzen auf den Stühlen der Propheten und Bischöfe der ersten Zeit und herrschen über ein Volk ihnen gleich, bis da kommen wird, der da kommen soll, der Erzhirte, der nach der Treue fragen wird. Und das ists ja, wovon wir dem Text gemäß noch zu reden haben, es gibt einen Advent, auch für die Hirten und Lehrer, und ein Gericht,ein Urteil über sie, eine Würdigung derselben. Das laßet uns noch betrachten.

III.

Mir aber gilt es für’s geringste, daß ich von euch abgeurteilt und abgewürdigt werde, oder überhaupt von einem menschlichen Gerichtstag,“ so sagt der Apostel im 3. Vers des Textes. Aehnliche Reden hört man zuweilen auch von anderen; wenn über sie geurteilt wird, wie es ihnen nicht gefällt, wenn ihnen das Urteil tief in die Seele fährt, wenn sie sich davon im innersten angeregt, erregt und empört fühlen, Zorn und Unmut auflodert, dann sprechen auch sie: „Mir ist das allergeringste, was Du sagest, Deine Rede ist mir völlig gleichgiltig.“ So sagen sie, aber wahr ists nicht, was sie sagen; es dient ihnen die Sprache nicht zur Offenbarung des Innern, sondern zur Verhüllung, sie heucheln, und ihr ganzer Zustand steht in Widerspruch zu ihrer Rede. So ist es aber bei St. Paulo nicht. Zwar verachtet auch er das Gericht der Korinther, ja jedes Gericht eines menschlichen Tages oder, wie wir zu sagen pflegen, jeglichen Termin, aber nicht deshalb, weil er innerlich aufgebracht voll Unmuts und Zornes wäre, oder weil ihm die Korinther selber so gleichgiltig wären mit allem, was sie redeten und sagten, oder weil ihn der Hochmut beseßen hätte. Nein, sondern weil er ein anderes Gericht kennt, vor welchem er die tiefste Ehrfurcht hat. Dies Gericht aber ist nicht das Gericht seines eigenen Gewißens. Von diesem spricht er im Gegenteil: „Aber ich richte mich auch selbst nicht, denn ich bin mir zwar nichts bewußt, aber damit bin ich nicht gerecht gesprochen.“ Man sagt zwar: Ein gut Gewißen ist ein sanftes Ruhekißen, und in Anbetracht mancher Versündigung mag es auch wol gelten. Ein Mensch kann beschuldigt werden etwas Böses vollbracht zu haben, was er nie gethan hat. Warum sollte er da nicht in seinem ruhigen Gewißen ein gutes Ruhekißen haben? Da kann es kommen, wie bei dem König David, welcher bei aller tiefen Buße, die sein Herz durchdrang, dennoch seinen Feinden gegenüber beten konnte: „Richte mich, Gott, nach meiner Gerechtigkeit und nach der Reinigkeit meiner Hände.“ Ganz etwas anderes aber ist es, wenn ein Mensch z. B. ein Hirte und Lehrer auf seine ganze Amtsführung schaut. Wie einer da von einem guten Gewißen reden kann, begreife ich wenigstens nicht. Ich bin erstaunt über das Wort des Apostels: „Ich bin mir nichts bewußt.“ Für mich liegt in dieser Behauptung, auch wenn ich sie begrenze und auf bestimmte Vorwürfe der Korinther gegen Paulus beziehen will, nach dem Zusammenhang nichts destoweniger die Behauptung einer außerordentlichen Vollendung des inneren und äußeren Lebens, und weil ich dem Apostel die Worte glaube, ein Beweis, daß man selbst bei Bekenntnissen, wie sie St. Paulus Röm. 7 gethan hat, doch auch in diesem Leben eine bedeutende Stufe der Heiligung erringen kann. Sonst aber glaube ich nicht blos aus meiner eigenen, sondern auch aus der Seele anderer Hirten heraus die Stimme abgeben zu dürfen, daß die Berufung auf das Amtsgewißen mit St. Pauli Worten nicht leicht von einem Lehrer unsrer Zeit gewagt werden wird. Das Bewußtsein vieler und schwerer Schuld hat einmal einen Hirten gedrungen, zu sagen: „Selig kann ein Pfarrer sterben, aber fröhlich nicht.“ Und einen solchen Ausspruch könnte ich wenigstens weit eher unterschreiben, als die Worte des Apostels: „Ich bin mir wol nichts bewußt.“ So tief scheint mir das Bewußtsein meiner Schuld, meiner Amtsschuld zu gehen, daß ich oft schon den gewagten Wunsch gethan habe, der Herr möge mich gnädiger richten, als ich mich selber, sonst müße ich schon um meiner Amtssünden willen ewig verloren sein. Ich habe zuweilen gemeint, es könne einem Hirten begegnen, daß sein Auge vom Schauen in die Schwärze seiner Sünden auch nicht mehr das Gute sähe, das Gottes Geist in ihm wirkte, wie man durchs Schauen ins Schwarze etwa fürs Licht unempfänglich werden kann. Auf die Trüglichkeit des menschlichen Urteils auch über die eigne Sünde habe ich mich zuweilen unterstanden eine kleine Hoffnung auf ein gnädigeres Urteil des Herrn zu gründen und in meiner Weise an den Urteilsspruch Jesu zu appelliren, weil ichs in der Weise Pauli nicht vermag. Der sagt: „Ich bin mir wol nichts bewußt, aber damit bin ich nicht gerechtfertigt,“ und setzt eben damit die Möglichkeit, daß ihn sein gutes Gewißen trüge, wiewol ich dennoch glaube seinen Worten abmerken zu dürfen, daß er auf ein gnädiges Urteil seines Gottes hofft. Ich aber appellire an meinen Herrn in meinem und andrer Hirten Namen in einem ganz anderen Sinn, in der Meinung, daß er die Wirkungen seines Geistesin den Seelen seiner Unterhirten richtiger erkennen, und milder würdigen werde, als ich. Aber so gewagt ist meine Appellation, daß ich fürchte, es möchte ein Rest von Hochmut dahinter stecken, und mich hindern nackt und bloß mich ins Meer der Gnaden zu werfen, und an die blutenden Wunden meines Erlösers zu legen. Jedenfalls aber erkenne auch ich mit St. Paulo das eigene Gericht für trüglich, wie das Gericht anderer Menschen, so daß ich mit St. Paulo des Advents gedenke, der Wiederkunft des Herrn, und wahrlich mit Schaudern und Schrecken dem Apostel nachsage: „Der Herr ists, der mich richtet.“

Es ist, meine lieben Brüder, in unserem Texte wiederkehrend ein Wort gebraucht, welches M. Luther ganz einfach mit dem deutschen Worte „richten“ wiederzugeben versucht, allein dies einfache deutsche Wort drückt den Sinn des griechischen Wortes nicht völlig aus. Es liegt darin etwas, wie wenn ich sagen wollte „beurtheilen, würdigen, classificiren.“ Die Corinther wollten, versteht sich, auch wenn sie einen von den ihnen bekannt gewordenen großen Lehrern den andern vorzogen, die andern mit ihrer Gab’ und Leistung nicht gar verwerfen und vernichten; aber sie beurtheilten und classificirten die Lehrer und wiesen einem jeden auf der Stufenleiter, die sie sich dachten, seine Sproße an, und das ist es eigentlich, was ihnen der Apostel verdenkt, und was ihm andrerseits so gleichgiltig ist, wenn er ihnen zuruft: „Mir ist ein geringes, daß ich von euch classificirt oder beurtheilt werde, oder von einem anderen menschlichen Tage.“ Ein Mensch sieht am anderen, was vor Augen ist, und wenn er da auch die Gabe und Leistung eines Lehrers richtig beurteilen könnte, so hätte er doch damit selber den Lehrer noch nicht richtig beurteilt. Man urteilt so oft über Gab’ und Leistung, als wäre damit der Mann beurteilt, und doch gehört zum urteilen über den Mann und seinen Werth der Blick in sein Inneres, in die Heimlichkeit des Herzens und in die Rathschläge seiner Gedanken, ein Blick und Wißen, welche der Mensch nicht einmal für sich selber hat, geschweige für andere. Denn wenn es gleich gewis ist, daß der Mensch im Vergleich mit anderen sich richtiger beurtheilt und da das Wort gilt: „Des Menschen Geist weiß, was im Menschen ist;“ so ist das doch blos im Vergleich der Kenntnis gesagt, die andre von uns haben, während des Menschen Herz so tief, und seine Gedanken, Absichten und Rathschlüße so verschlungen sind, daß sich auch niemand auf seine Selbsterkenntnis verlaßen kann. „Wer kann das Herz ergründen,“ fragt Gott, und beantwortet die Frage mit Ausschluß sogar des eigenen Geistes des Menschen: „Ich, der Herr kanns ergründen.“ Der Herr kann die Finsternis der Seele, und was in ihr verborgen liegt, erkennen und Licht hinein bringen und die Rathschläge der Herzen offenbaren, und wie er den Leibern die Seele wiedergibt, so kann er an jenem Tage auch den Thaten und der Amtsarbeit Seiner Knechte die Seele wiedergeben, nämlich die Absicht, die bei einer jeden Handlung war, den Willen, und ans Tageslicht bringen, wie es mit all dem Predigen und Amtiren gemeint war. Da kanns dann gehen, wie St. Paulus 1. Cor. 13 sagt: „Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle.“ Da kann am Ende der gesammten Amtswirksamkeit manches gefeierten Predigers und Pfarrers das Beste fehlen, die heiligende Treue des Haushalters, die von niemandem erkannte tief verborgene Schweigerin, die im Gerichte das Zünglein in der Waage stellt und bei der Classification jenes großen Tages zu allen glänzenden Amtsthaten das genau treffende Gewicht hinzufügen wird, nach welchem alles erst groß und klein sein wird. Das wird ein furchtbares Gericht geben und da wird sich’s erst zeigen, wie verkehrt oft die Urteile der Menschen gewesen sind. Da wird Preis und Ehre und unvergängliches Wesen manchem zu Teil werden, von dem mans nicht erhoffte, und im Gegenteil die preiswürdige Amtswirksamkeit manches Predigers wie welke Blätter eines erstarrenden Baumes in die Hölle niedergeschüttelt werden.

Ich habe euch, meine lieben Brüder, im Verlauf des letzten Teiles dieser Predigt schon meine Verwunderung ausgesprochen über die Worte St. Pauli: „Ich bin mir nichts bewußt“; eine nicht geringere Verwunderung empfinde ich über den Schluß der Epistel, der sich unmittelbar an die schauder- und schreckenerregenden Worte von der Erleuchtung der Finsternisse unsres Herzens und der Offenbarung der Rathschläge anschließt. Im Vorgefühle des großen Advents des Herrn zum Gerichte über Seine Knechte, sagt St. Paulus: „Alsdann wird einem jeglichen von Gott herdas Lob widerfahren.“ Man sieht aus diesen Worten den Wiederhall seines eigenen guten Gewißens. Einem anderen würde in diesem Zusammenhange vielleicht der Satz näher gelegen sein: „Alsdann wird keinem Lob widerfahren von dem Herrn“; Paulus aber gedenkt an das mögliche Lob. Er ist erhaben über die niederdrückenden Gefühle der Sündhaftigkeit, und die Einsicht in die herzliche Barmherzigkeit des Herrn, wie sie sich auch in andern Stellen der heiligen Schrift ausspricht, die große Klarheit aller Wege Gottes, die ihm offenbart sind, läßt ihn so hoffnungsreich und fröhlich reden. Und es muß ja freilich auch am Tage des Herrn etwas zu belohnen geben, sonst müßten ja viele Stellen der heiligen Schrift des neuen wie des alten Testamentes als falsche Zeugnisse erfunden werden; sonst würde ja auch das Verdienst Jesu Christi und die Arbeit Seines heiligen Geistes an den Seinen umsonst sein, sonst gäb es ja keine Kirche, keine Heiligen Gottes, keine guten Werke, keine Verheißungen für dieselben, keinen Gnadenlohn. Lauter Dinge und Voraussetzungen, die durchaus nicht sein können. Wenn wir uns also auch noch so sehr fürchten vor dem Abgrund und der Finsternis unseres eigenen Innern und vor den Rathschlägen und Bewegungen unsrer Seelen; wenn wir auch gleich mit Zittern auf den schauen, der unsre Wirksamkeit mit unsrem Innern zusammenreimt und nach der Harmonie der beiden den Lohn bestimmt; wenn wir am allerliebsten das Gericht vermeiden und uns rein in die Tiefen der Wunden Jesu verbergen möchten: so haben wir doch in unsrem Texte das bestimmte Zeugnis, daß er nicht blos die Seinen selig machen will, sondern sie auch beurteilen, classificiren und einem jeden je nach dem Zusammenhang seiner Thaten mit seinem Innern das Lob bestimmen. Und weil ich denn dieser Ueberzeugung nicht entrinnen kann, und mich ihr nicht zu entwinden vermag, so bitte und vermahne ich euch im Angesicht eures und meines Herrn, und Seines Gerichtes über euch und mich, wie St. Paulus die Korinther vermahnt: „Richtet nicht vor der Zeit; es kommt der Tag des Gerichtes, da wird gerecht gerichtet werden.“ Richtet nicht über mich, nicht über meine Vertreter, laßet das classificiren und die Schärfe der Kritik; fürchtet den Richter, der auch euch richtet und schlagt an eure eigne Brust, denn der Herr wird auch den Rath eurer Herzen offenbaren. Richtet nicht, betet lieber, betet für uns, eure Prediger und Lehrer, daß wir nicht als ungetreue Knechte am Tage der Rechenschaft erfunden werden, betet um Vergebung meiner zwanzigjährigen Untreue, meiner Trägheit, Läßigkeit und Versäumnisse und daß ich in der Kraft des Herrn Jesu, so viel ich noch hinterstellige Zeit habe, treuer, unverbrüchlich treu erfunden werde sammt denen, die mir an euch helfen und mich vertreten. Wir hingegen wollen beten, daß unsre Treue an euch gesegnet sei, unsre Arbeit gelinge, und daß wir mit einander Lehrer und Hörer würdig erfunden werden, zu stehen vor des Menschen Sohn und zu entfliehen dem schrecklichen Gerichte, das da kommt. Amen.

Die Winterpostille

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