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Am zweiten Sonntage des Advents.
ОглавлениеRömer 15, 4–13.
4. Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir, durch Geduld und Trost der Schrift, Hoffnung haben. 5. Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einerlei gesinnet seid unter einander, nach Jesu Christo; 6. Auf daß ihr einmüthiglich mit Einem Munde lobet Gott und den Vater unsers Herrn Jesu Christi. 7. Darum nehmet euch unter einander auf, gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lobe. 8. Ich sage aber, daß Jesus Christus sei ein Diener gewesen der Beschneidung, um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. 9. Daßdie Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben stehet: Darum will ich dich loben unter den Heiden, und deinem Namen singen. 10. Und abermal spricht er: Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. 11. Und abermal: Lobet den Herrn, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker. 12. Und abermal spricht Jesaias: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird zu herrschen über die Heiden, auf den werden die Heiden hoffen. 13. Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Ganz adventmäßig, ja ganz eigentlich von der Wiederkunft des Herrn Jesus spricht das heutige Evangelium. Dagegen aber die Epistel, die wir soeben zum zweiten Male gelesen haben, wie paßt sie zum heutigen Evangelium und zum Adventsgedanken? Scheinbar spricht sie ja von etwas völlig anderem, von der Geduld mit den Schwachen, von der Behandlung derer, die in die christliche Freiheit nicht einzugehen vermögen und den Gefreieten des Herrn Jesus Aufenthalt, Mühe und Beschwerde verursachen. Allerdings, meine Freunde, ist in den letzten Worten der Hauptinhalt der Epistel angegeben, allerdings scheint dieser Inhalt dem Adventsgedanken fern zu liegen, aber er wird durch die Art und Weise, wie ihn der Apostel behandelt, und durch die Begründung, die er unter seinen Händen findet, ganz adventmäßig, und schlägt eine Saite aus der Offenbarung Gottes vom Ende der Welt und der Wiederkunft Christi an, die zwar nicht unter diejenigen gehört, welche häufig angeschlagen werden, die aber neben dem gewaltigen Donner des heutigen Evangeliums eine süße, helle Melodie von der Seligkeit der letzten Zeit anstimmt. – Schon wenn in unsrem Texte von der Geduld die Rede ist, von einem Gott der Geduld, kann ein Strahl von der Wiederkunft Jesu Christi in unser Auge fallen, denn die Geduld hat doch ihr Ziel und Ende, auch die Geduld Gottes. Sie ist an und für sich selber eine Tugend, welche nicht ohne Maß gedacht werden kann; das Maß aber für alle Geduld Gottes und Seiner Heiligen setzt der Advent des Herrn, auf den wir warten, die Wiederkunft Christi zur Vertilgung des Reiches des Antichristus und der letzten mächtigsten Bemühungen des Teufels. Wenn aber auch das Wort von der Geduld nicht in unsrem Texte stände, so kommt doch mehr als einmal, es kommt dreimal das Wort vor, welches die bestimmteste Beziehung auf den Advent Christi hat, das Wort „Hoffnung“, dieses Wort, welches man zwar im 18. und 19. Jahrhundert lieber auf die Hoffnung eines seligen Lebens der Seele nach dem Tode bezogen hat, das aber nach dem Sinne der Apostel auf gar nichts anders deutet, als auf die Wiederkunft des Herrn, und die Aufrichtung des Reiches David; denn das ist die liebste Hoffnung aller Apostel, welche ihr Sinnen und Denken beherrscht. Da sagt denn unser Text nach der lutherischen Uebersetzung: wir sollen durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, oder genauer am Wort gegeben: wir sollen durch die Geduld und den tröstenden Zuspruch der heiligen Schriften die Hoffnung festhalten, nämlich die Hoffnung auf das Angesicht des ewigen Bräutigams und auf Sein Liebesreich, das alle Noth der Erde vergeßen macht. Und wie Gott im Texte ein Gott der Geduld heißt, so heißt er in demselben auch ein Gott der Hoffnung, der uns die gehoffte Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus vorbehält, und zur rechten Zeit und Stunde gibt. Endlich und zum dritten Male will ja unser Text, daß die Römer in der Kraft des heiligen Geistes völlige Hoffnung haben, oder überfließen an Hoffnung, d. i. an der sicheren freudigen Aussicht auf das Ende der Weltperiode, in der wir leben und den Beginn eines ewigen Reiches der Herrlichkeit. – Wer nun also die doppelte und dreifache Wiederkehr der Worte „Geduld und Hoffnung“ in unsrem Texte überlegt, der vernimmt schon ein Vorspiel zu dem süßen Hohen Lied des Advents, das aus dem Zusammenhang des Textes tönt, auch wenn er diesen Zusammenhang gar noch nicht gefunden, begriffen hat. Es sei nun aber heute meine Sorge, euch den Zusammenhang darzulegen, und euch zu zeigen,
wie sich die Geduld des Christen durch die Hoffnung stärkt.
Da sollt ihr also zuerst schauen die heilige Geduld, sodann die Hoffnung, von der St.Paulus schreibt, und am Ende euch selber überzeugen, wie solche Hoffnung auf die Geduld der Heiligen eine stärkende stählende Wirkung üben muß.
I.
Um euch nun, meine lieben Brüder, zuerst die heilige Geduld zu zeigen, von welcher der Apostel redet, müßt ihr mir erlauben, in das vorausgehende Kapitel des Römerbriefes zurückzugreifen. Ich bitte euch um Erlaubnis und ich wollte, ich bedürfte das nicht. Meine Bitte beruht auf einer Art von Höflichkeit, die mich antreibt, euch und eure Schwachheit zu schonen; denn ihr kommt in der Regel ohne Kenntnis des Textes, über den gepredigt wird, zur Kirche, und für eure Trägheit in geistlichen Dingen scheint es eine übermäßige Zumuthung zu sein, wenn man nicht blos eine Bekanntschaft mit den Textesworten, sondern auch mit dem voraussetzt, was vor und nach dem Texte steht. Es sollte wol ein Prediger von einer Gemeine, der er zwanzig Jahre gepredigt hat, so viel erwarten dürfen, daß sie mit dem Text und seinem Zusammenhang vor jeder Predigt, wenn auch nicht bekannt sei, doch aber sich gerne bekannt mache. Fleiß der Vorbereitung sollte man fordern können. Kann ich nun das nicht fordern, greif ich beim Zurückgehen in die dem Text vorausgehenden Kapitel in euch unbekannte Regionen, so verzeiht und erlaubt mir zu thun, was ich nicht laßen kann, wenn ich zu meinem Ziele gelangen soll.
Der heilige Apostel Paulus hat seinen Brief an die Römer zu Corinth vor seiner letzten Reise nach Jerusalem geschrieben. Er hatte dazumal im Sinn in baldem über Rom nach Spanien zu reisen, wie er das im Briefe an die Römer selbst sagt. Nun wurde er zwar in Jerusalem gefangen genommen und Jahre lang in Cäsarea von den Landpflegern festgehalten; aber am Ende kam er, wenn auch durch Wege und Schicksale, die er nicht gewollt hatte, nach Rom. Schon zuvor, da er von Corinth aus seinen Brief an die Römer schrieb, sagte er von der Gemeinde zu Rom, daß man von ihrem Glauben in der ganzen Welt rede; also gab es ums Jahr 59, in welchem er seinen Brief schrieb, schon eine weltberühmte römische Christengemeinde. Als Paulus späterhin wirklich nach Rom kam, giengen ihm die Brüder entgegen, und das eine weite Strecke Landes, und es zeigte sich also wieder, daß eine rege, christliche Gemeinschaft, die St. Pauli apostolisches Ansehen erkannte, in der Hauptstadt der Welt war. Wer diese Gemeinde gestiftet hat, das ist in ein völliges Dunkel eingehüllt, und es hat nie jemand darüber eine sichere Kunde gegeben. Aber von Juden gestiftet oder doch von solchen, die, wie wir so häufig im Morgenlande finden, neben dem Evangelium eine Art Judentum beibehalten wollten, – von Juden oder judaisirenden Christen gestiftet kann sie nicht sein. Der Geist des freien Abendlandes, der die Bischöfe von Rom und ihre Gemeinde in den ersten Jahrhunderten durchdrungen und sie zu Gegnern alles jüdischen Wesens gemacht hat, läßt sich schon aus dem, was die Apostelgeschichte und der Brief an die Römer über die Gemeinde zu Rom enthält, in der Wurzel erkennen. Die Juden, mit welchen der heilige Paulus Apostelg. 28. in Absicht sie zu bekehren, umgeht, stehen dem Christentum so fern, als hätten sie nie von der weltberühmten Gemeinde zu Rom gehört: es ist, wie wenn die römische Christengemeinde mit den Juden längst schon fertig gewesen und ihren eigenen Gang gegangen wäre, und wie wenn andern Teils auch die zahlreichen römischen Juden, die sich nach dem Tode des Kaisers Claudius in der Weltstadt wieder angesammelt hatten, eine Verwandtschaft mit den zahlreichen Anbetern, die der Judenkönig zu Rom hatte, gar nicht mehr gespürt oder anerkannt hätten. Und doch gab es in der römischen Christengemeinde Leute, die in einer gewissen Weise judaisirten, und über das Verhältnis des alten und des neuen Testamentes nicht im Klaren waren, obwol man auf der anderen Seite wieder sagen muß, sie seien von den judaisirenden Christen im Morgenlande sehr verschieden gewesen. Bei der Verwandtschaft und zugleich Verschiedenheit dieser judaisirenden Christen zu Rom sind manche auf den Gedanken gekommen, es müßten diese römischen Unfreien und Asceten jüdische alttestamentliche Meinungen mit solchen vereinigt haben, welche aus dem Heidentum stammten. Wir lesen im fünften Vers des 14. Kapitels unsres Briefes, daß es in Rom Christen gegeben habe, die alle Tage für gleich geachtet, aber auch solche, die einen Tag dem andern vorgezogen hätten. Das scheint ganz der Gegensatz zwischen Juden- und Heidenchristentum zu sein. Dagegen lesen wir im zweiten Verse desselben Kapitels,daß die eine Partei in Rom alles gegeßen, die andre hingegen ganz und gar von Pflanzenkost gelebt habe. Diese letztere Partei gieng also weit über die jüdische Aengstlichkeit hinaus. Der Jude und Judenchrist vermied ja keineswegs alle Fleischspeise, sondern nur diejenige, welche Gott im alten Testamente für unrein und gemein erklärt hatte; hier aber finden wir eine Richtung, deren völlige Enthaltung von allem Fleischgenuße stark an gewisse heidnische Schulen erinnert. Indes das mag nun sein wie es will, der Grund, warum die ängstlichen Christen zu Rom nur Pflanzenkost genoßen, mag aus ihrem früheren Heidentum oder etwa aus dem Gegensatze gegen die Opferspeise hergenommen gewesen sein oder woher sonst: so viel ist klar, es gab in der römischen Gemeinde eine freiere und eine ängstlichere Richtung. Und auch das sehen wir aus dem 14. Kapitel deutlich, daß sich diese beiden Richtungen nicht ganz wol vertrugen, denn der Apostel sagt zu mehreren Malen, z. B. im 10. Vers des 14. Kapitels, daß die freiere Richtung die andere verachtet, dagegen aber die ängstlichere ihre Nebenpartei verurtheilt und verworfen habe. Es war also zu Rom ein Widerstreit, und zwar scheint es aus dem ganzen Kapitel hervorzugehen, daß die freiere Richtung die übermächtige, die ängstliche aber trotz ihrer eigenen Stärke dennoch durch die Uebermacht der andern Partei gedrückt gewesen sei. Die freiere Partei hatte ja wol auch das Recht, weil das Wort Gottes auf ihrer Seite, sie fühlte sich daher auch stark und mächtig, und es lag ihr nahe, ihre Gegner so zu ignoriren und zu verachten, daß gewissermaßen alles Verhältnis zu ihnen aufgelöst worden wäre. Denn so ists mit der armen Menschenseele, wenn sie sich eines unbequemen Gegners entweder nicht entledigen kann, oder ihn nicht auf die rechte Weise überwinden will, weil ihr dazu Inbrunst und Ausdauer der Liebe fehlt, so fängt sie an denselben nicht blos zu verachten, sondern zu vergeßen; sie thut, als wäre er nicht da und setzt sich damit, soviel es nur immer möglich ist in den unangefochtenen und bequemen Zustand der vollen Freiheit, welchen ihr doch Gott der Herr nicht hat verleihen wollen. Sie hat ein solches Wolgefallen an der eignen Richtung, daß sie eine andere, um sie nicht tragen zu müßen, wenn nicht aus ihrer Nähe, doch aus ihrem Herzen und Andenken austilgt. Gerade das aber ist der Tod der Liebe. Das Misfallen Gottes und Seiner heiligen Apostel ist über denen, die so handeln und sich also hemmen, und die Hirtenliebe des heiligen Paulus straft in unsrem Texte auch die Römer, die er selbst noch nie gesehen hat, um dieses Verhaltens willen. Er verweist die übermächtige Partei der Freien und Starken zu Rom auf das größte Beispiel, das er finden kann, auf das Beispiel Christi: der habe gewis in allen Stücken und gegenüber allen Menschen ganz alleine recht gehabt, sein Anspruch auf Beifall und Anerkennung sei der gerechteste und vollkommenste gewesen, den es geben konnte; dennoch sei er Seiner Meinung und Seines Rechtes nie so froh gewesen, daß er sich um fremdes Unrecht gar nicht gekümmert hätte, im Gegentheil, wie es im 10. Vers des messianischen 69. Psalmes heiße, seien die Schmähungen derjenigen, die Gott schmähten, auf Ihn gefallen, und Er habe als ein Lamm Gottes sich der Sünden aller Sünder angenommen und sie getragen. Das sei geschrieben im alten Testament, im 69. Psalm, und zwar zu unsrer Lehre, damit wir durch die Geduld, welche uns in der heiligen Schrift in Gottes und Christi Beispiel vorgelegt werde, und durch die Ermahnungen des göttlichen Wortes gekräftigt würden, gleichfalls in Geduld und in der Kraft des Wortes Gottes die Hoffnung fest zu halten und ihr entgegen zu gehen. Was predigt also der heilige Apostel Paulus in unsrem Texte den römischen Christen? Die Starken sollen nicht gleichgiltig auf die Schwachen sehen, sie nicht verachten und aus dem Andenken ihrer Liebe austilgen. Sie sollen sich ihrer annehmen, sie tragen, so lang sie in ihrer Schwachheit und Aengstlichkeit verharren, und in der Kraft der himmlischen Geduld, die ihnen gegeben werden kann, gestärkt durch die Vermahnung des göttlichen Wortes an ihnen arbeiten, sich ihrer annehmen, wie sich Christus der Sünder angenommen habe und wie er nach den Zeugnissen der heiligen Schrift die entgegengesetztesten Menschen, Juden und Heiden zu einer Gemeine zusammengebracht habe, und ferner zusammenbringen werde, so sollten sie auch die Gegensätze in der Gemeinde erst tragen, dann aber durch Kraft der Wahrheit überwinden und nicht ruhen, bis eine heilige Einmüthigkeit, einmüthiges Gotteslob, Friede und Freude aller hergestellt sei. Das alles, meine lieben Brüder, gehört nach dem Apostel zur Geduldund diese Geduld ist es, in welcher man dem Herrn Christo entgegengehen soll.
Diese Geduld ist nicht eine träge Ruhe, nein, sie trägt, sie duldet, sie arbeitet, sie hat ihr Ziel; sie weiß, was sie soll, und das will sie, und zwar mit solchem Ernst und Eifer, daß sie das Angesicht des kommenden Christus scheut und sich vor Ihm fürchten würde, wenn sie von ihrem Werke abließe eher, als sie muß, eher, als die Nacht kommt, da niemand wirken kann, oder der Tag, der alles Wesen dieser Welt zu Ende bringt und eine andre Weltzeit beginnt. – Auch wir haben allerlei Gegensätze unter uns; auch unter uns gibt es Schwache und Starke; ja wir haben noch eine dritte heuchlerische und gleißnerische Partei, die weder schwach noch stark ist, aber wol weltlich und frech genug, sich ihre Fleischesfreiheit zur christlichen Freiheit und Stärke umzudeuten. Wahrlich, da gilt es dulden und sich gedulden zur Rechten und zur Linken, beten und arbeiten und nicht müde werden, bis entweder der Zweck erreicht, oder doch die Arbeit zu Ende ist; bis die verschiedenen Parteien zu einer werden, oder der Widerstand der Bösen sie aus den Pforten der Kirche hinausgeführt hat, oder wir von der thränenreichen betrübten Arbeit, die Widerstrebenden zu Christo einzusammeln, durch den Tod entbunden sind! Brüder, die wir von Gott ermahnt sind, heilige Hände ohne Zorn und Zweifel an allen Orten aufzuheben, laßt uns allenthalben Gott anrufen, daß wir aus dem Muth und Werk der Geduld nicht entfallen. Laßt uns doch keinen aufgeben, so lange es Tag heißt, laßt uns einander nicht aufgeben, uns nicht zur Verachtung des Bruders wenden, nicht zu der verdammten Gesinnung, die andern ihr grimmiges Racha und Narr zuruft. In aufrichtiger treuer Liebe laßt uns an einander arbeiten, ob wir vielleicht doch noch einmüthig werden, um einhellig den Gott und Vater unsres Herrn Jesu Christi zu preisen.
II.
Was der heilige Paulus unter der Geduld versteht, von der er redet, wird dem aufmerksamen Leser nun klar sein. Noch aber wird er vielleicht nicht begreifen, warum ich Eingangs behauptet habe, es singe diese Epistel eine süße Melodie mitten in die donnernden Ereignisse des Evangeliums hinein, sie handle in der lieblichsten Weise von der Hoffnung. Doch wird auch das begriffen werden, wenn der Leser noch eine kleine Aufmerksamkeit zu schenken willig ist. –
Es ist richtig, meine lieben Brüder, daß die Welt durch Feuer untergehen wird und daß diesem furchtbaren Ende der Welt schreckliche Dinge vorausgehen werden, wie sie im heutigen Evangelium und noch weitläufiger in der Offenbarung Johannis gelesen werden können. Aber dieselbige heilige Schrift, die uns so furchtbare Beschreibungen vom Ende liefert, beschreibt uns dies Ende auch mit lieblichen Zügen. Es kommt ja der Weltbrand nicht eher, als bis der Zweck der Welt erreicht ist. Gottes Absichten zur Seligkeit des Menschen müßen in Erfüllung gehen, sein Werk kann niemand hindern, sein Arbeit darf nicht ruhn, wenn er, was seinen Kindern ersprießlich ist, will thun. Der Zweck der Welt aber ist kein anderer, als die Sammlung der heiligen Kirche, die Erziehung und Bereitung der Braut Jesu Christi für die ewige Hochzeitfreude, und daher beschreibt uns auch die heilige Schrift das Ende unter dem lieblichen Bilde der beginnenden Hochzeit des Lammes. Können wir aber glauben, daß die Schrift ein Bild ohne Ursach brauche, ein Wort ohne Wahrheit? Wäre es möglich, daß von einer Hochzeit die Rede wäre, wenn auch die Kirche mit in den allgemeinen Strudel des Untergangs und des Verderbens gezogen würde? Und ist das nicht eine süße Melodie, die sich mitten unter dem Donner vom Weltuntergange kenntlich klar und deutlich vernehmen läßt für alle, die es angeht, wenn von der seligen Vereinigung Christi mit Seiner Braut für alle Ewigkeit gepredigt wird? Das geschieht aber in unsrem Texte, der, von der Bereitung der Braut und von dem seligen Gelingen dieses Geschäftes herrliche Reden führt.
Vor der Sintfluth war erst alles einig. Dann schied sich das Geschlecht der Kainiten von dem der Patriarchen, bis die Kainiten den Sieg gewannen in so fern, als die Mehrzahl des menschlichen Geschlechtes von ihrem bösen Geiste durchdrungen wurde. Nach der Sintfluth war schnell wieder alle Welt im Bösen einig, der Herr aber richtete eine Trennung an, erweckte und erzog den Samen Abrahams zum zahllosen Volke, während er alle Heiden ihre Wege gehen ließ. Diese giengen alle den Weg des Verderbens, während das Volk Gottes durch die starke Hand des Herrn den Weg des Friedens geführt wurde. Trennungvor, Trennung nach der Sintfluth, kein einheitliches, dem Herrn einmüthig dienendes menschliches Geschlecht. Dazu war die Trennung, die Gott selbst schuf, indem er sein Volk gegenüber allen Völkern erweckte, so offenbar und kenntlich sein eigner Wille, daß viele Juden in derselbigen schon ein Gericht sahen, den Heiden alle Hoffnung abschnitten und das Heil allein sich selbst, den Juden zueigneten. Damit aber hatten sie den Sinn ihres Gottes nicht getroffen, das hatte er nicht gemeint, so hatte ers weder vorausgesehen noch gefügt. Er gab seinem Eigentumsvolke Verheißungen, die allerdings bis ans Ende der Welt reichen sollten, aber deshalb sollten weder alle Israeliten selig, noch alle Heiden verloren werden, sondern er wollte die Glieder der Braut seines Sohnes, die Glieder der heiligen Kirche, aus allen Völkern sammeln und seinen ewigen Tempel aus Steinen von allen Weltgegenden zusammenbringen, wenn auch gleich dem gläubigen Israel im Reiche der ewigen Seligkeit seine eigene, herrliche, der übrigen seligen Menschheit voranleuchtende Stellung gesichert bleiben sollte. Da öffnet sich uns nun ein Blick in die Bereitung der Braut, oder der Kirche Gottes. Die Trennung, die Gott gemacht hat zwischen Israel und den Heiden, soll keine ewige Trennung sein, sie hört auf. Gott hat auf eine Zeit lang eine Trennung gesetzt, um darnach eine Vereinigung desto sicherer zu erreichen, und wenn auch immer der größere Teil der Menschheit getrennt bleiben und verloren gehen wird, so wird doch die selige Menschheit am Ende der Tage und in der Ewigkeit in der Zusammensetzung ihrer Glieder ein Beweis sein, wie wenig der Herr selbst die Trennung wollte, und wie sein Geist der Einigung zum entgegengesetzten Ziele strebte. Das ist es, was unser Text mit den Worten sagt: „Jesus Christus ist ein Diener gewesen der Beschneidung,“ d. h. des Volkes Israels, „um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen; die Heiden aber loben Gott um der Barmherzigkeit willen.“ V. 8. 9.
Allerdings will der Apostel in unserm Texte mit diesen Worten zunächst nichts anders, als das großartigste und nachahmungswürdigste Beispiel der Geduld und geduldigen Arbeit nach einem Ziele hin aufstellen. Der große Diener der Beschneidung und der Vorhaut, Israels und der Heiden, hat sich das schwerste vorgesetzt: die Juden selig zu machen nach der Verheißung um der Wahrheit Gottes willen, die Heiden aber nach Barmherzigkeit, aus beiden eins, einen neuen heiligen Menschen für die Ewigkeit zu machen, und allen Zaun und Hindernis im Himmel und auf Erden wegzuschaffen durch Seine blutenden Hände. Ja, ja, da gibt es zu arbeiten, zu dulden, zu überwinden; hier muß eine Geduld der Liebe und eine Beständigkeit des segensreichen Vorsatzes obwalten, daran die Römer und wir lernen können, wie man geringere Liebesaufgaben geduldig und langmüthig leisten soll. Aber indem der Apostel diese seine nächste Absicht, ein mächtigziehendes Beispiel der Geduld aufzustellen, zu erreichen sucht, gibt er uns doch eben damit, wie ich gesagt habe, für die Adventszeit zugleich einen Blick, in die Bereitung der Braut. Christus ist ein Diener der Beschneidung und in der That auch ein Diener der Heiden; denn wenn er sein und seines Vaters Wort durch die Erlösung der Beschnittenen löst, ist er gewis nicht mehr ein Diener der Beschneidung, als er ein Diener der Vorhaut ist, wenn er, ohne durch sein Wort verpflichtet zu sein, und die Wahrheit desselben retten zu müßen, die Heiden durch sein theures Blut erlöst. Christus heißt also und ist für Juden und Heiden ein Diakonos, ein Diener. Die einzige Stelle, in der Er von Seinen Aposteln ein Diener genannt wird, entsprechend jenen andern, da Er sich selbst einen Diener der Seinen nennt! Zum Zwecke der Vereinigung beider, der Juden und der Heiden, zur Herstellung der heiligen Vereinigung der erwählten Menschen aus allen Völkern, ist er ein Diener, ein Diener seines Vaters, ja ein Arbeiter und arbeitender Knecht, der sichs im Laufe der Zeiten weh sein und sauer werden läßt, wenn man so sagen darf, bis er sein Ziel erreicht hat, bis zu Stande gekommen ist der seligste Liebesgedanke des Dreieinigen, aus aller Menschen Geschlechtern eine ewige Kirche zu sammeln.
Unser Text zeigt uns, wie gesagt, die Bereitung der Braut oder der Kirche, er zeigt uns aber auch dies Werk in seinem Fortschritt bis ans Ende, bis zum vollkommenen seligen Gelingen. Er enthält vier Stellen des alten Testamentes, die im Allgemeinen denselben Inhalt haben, von der Vereinigung der Juden und Heiden zu einer Kirche reden, mit einander verglichen aber einen Fortschritt und Stufengang des großen Werks enthüllen. Die erste Stelle aus dem18. Ps., V. 50 heißt: „Ich will Dich loben unter den Völkern und Deinem Namen singen.“ Da sieht man den Erlöser der Welt nach Seinem prophetischen Amte unter den Völkern thätig, wie er die großen Thaten Gottes unter den Völkern verkündet, den Herrn lobt und Seinem Namen singt. Er ist, ein Diener aller Völker, mitten unter ihnen thätig, und singt ihnen sein Lied. Die zweite Stelle, genommen aus 5. Mose 32, 43. gibt den Völkern die Erlaubnis, sich des Evangeliums anzunehmen gleicher Weise, wie die Juden. „Freut euch, ihr Heidenvölker mit Seinem Volke.“ Da sehen wir also vorausgesetzt, daß das Volk Israel den Lobgesang seines Messias freudenvoll aufnehmen werde, und ausgesprochen, daß die Antwort Israels auf den Gesang des Messias in seiner Mitte, das freudenvolle Responsorium des Glaubens aus Zion volltönig werden darf und soll durch Hinzufügung des Jubels aller erlösten Heiden und Völker. Und was diese zweite Stelle wie dem Anfang nach zeigt, das zeigt die dritte, nämlich der 117. Psalm im schwellenden Fortgang. Da erscheint nicht mehr die zweigeteilte Welt „Israel und Heiden“ in werdender Verbindung; da hört man große Waßer rauschen; vereinigt zu einer großen Schaar, erscheinen die Auserwählten aller Völker, und in ihnen die Völker selber, mächtig rauscht das große Confitemini: „Lobet den Herrn alle Heiden und preiset Ihn alle Völker.“ So ist ein Fortschritt im Werk, und er ersteigt in der zuletzt angeführten Stelle aus Jesaja 11, 10 den höchsten Gipfel. Der lobsingende Messias, dessen Sang die volltönige Antwort gefunden, setzt die Krone auf, und wird zum herrschenden Messias; Jesus von Nazareth, der Juden König, erscheint als angebeteter Herrscher und Zuversicht aller Völker. „Es wird sein die Wurzel Jesse, und der sich erheben wird zu herrschen über die Heiden, auf Ihn werden die Heiden hoffen.“ Der Diener Jesus ist nun der König Jesus, sitzt auf dem Stuhle Davids, und herrscht von einem Meer bis zum andern, und bis an der Welt Ende. Ist das nicht, meine lieben Brüder, eine Offenbarung über den Gang der ganzen Geschichte der Kirche, oder wenn ihr lieber wollt, der Welt? Denn es gibt ja keine eigne Weltgeschichte, die Geschichte der Welt geht auf in der Geschichte der Kirche Jesu. Sieht man da nicht die Fülle der Heiden eingehen, und am Ende Israel verklärt werden, indem unter ihm die Wurzel Jesse aufschießt zum Baume, der alle Völker beschattet, und der König aufsteht, der alle Völker einigt. Wer die Weißagung kennt und glaubt, wer sich unter das Wort der Propheten und Apostel beugt, die einmüthig von einer Wiedergeburt des Volkes Israel, und einer seligen Kirche Jesu Christi aus den Juden Zeugnis geben, der kann hier nichts andres finden, als den Trost der letzten Zeit, er sieht klar, wie Christus am Ende, am Ende der gegenwärtigen Weltperiode und am Ende der Welt selber unter den Stürmen des Antichristus und zuletzt des Teufels Sein Reich aufrichten, Seine Feinde bezwingen, Sein Ziel erringen wird, und Seine aus Gliedern aller Völker zusammengebrachte, durch Seinen Geist im tiefsten Innern vereinigte Kirche und Braut aus der Welt retten, und dem Vater darstellen wird. Und das ist ja doch gerade die liebliche Seite vom Ende, die hohe, heilige Melodie mitten unter dem brausenden Untergang der Welt, die Hoffnung der Wiederkunft Jesu Christi in ihrer fröhlichsten Ansicht. Denn was hilft es, wenn die Welt verbrennt und untergeht, und der Richter mit den Wolken kommt, wenn er nur kommt, um zu richten, zu verdammen, zu verderben; heißt seine Wiederkunft deshalb die Hoffnung der Kirche, weil alles untergeht, gerichtet und verdammt wird, oder deshalb, weil er die Seinen rettet und die Kirche Recht behält gegenüber allen ihren Feinden? Singt man deshalb dem Herrn tausend mal tausend Hosianna, und freut sich auf Seine zweite Zukunft mehr als auf die erste, weil er mit dem Stabe seines Mundes den Antichristus tödet, und am Schluß der letzten Weltperiode den Teufel und seinen Anhang verderbt, oder geschieht es, weil man des Bräutigams fröhliches Angesicht und die Hilfe des mächtigsten Helfers in Aussicht hat, weil ihm Alles gelingt und eben damit den Seinen? Ich denke, die Antwort ist leicht und auch das ist mir kein Zweifel, daß ihr nun erkennet, wie in unsrem Texte der Advent des Herrn in der lieblichsten Weise gemalt, und der ewige Hirte aller Völker, unter den Lobgesängen der wunderbar gesammelten und vereinigten Kirche dargestellt wird.
Wenn ich mir, meine lieben Brüder, die gewaltigen Verschiedenheiten der Völker und Nationenvor die Augen führe, die äußerlichen und die innerlichen, die leiblichen und die geistigen, von der Hautfarbe bis zur Sprache und zum Dialekte, so kommt mich ein Schauer an, nicht bloß über die Verschiedenheit, sondern über die tausend- und aber tausendfache Zertrennung, welche in den Verschiedenheiten der Menschen ihren Grund hat. Ich erkenne alsdann den Fluch des Herrn, der bei Babel über die Menschen kam, der sie lieber aller Dinge uneins, als im Bösen einig sein laßen wollte. Wenn ich mir dann aber wiederum ins Gedächtnis rufe, daß alle diese Verschiedenheiten durch das Werk des Gekreuzigten aufhören trennend zu sein, daß der Widerspruch unter ihnen weggenommen werden kann und soll und muß durch die Einigkeit der Geister im Glauben, ja daß diese Verschiedenheiten selbst nicht aufgehoben werden, aber am Ende harmonisch zusammenstimmen und samt und sonders zur Ehre eines einigen Gottes und Erlösers mitwirken sollen; – so erscheint mir das nicht blos als das Ende, sondern auch als die Krone aller Werke Gottes, und der Psalmenvers, in welchem die Rede davon ist, daß der Herr Recht behalten soll an jenem großen Tage und rein bleiben am Gerichte, scheint mir in dieser Vereinigung seine heiligste und völligste Erfüllung zu bekommen. Es ist allerdings ein tröstliches Gebet: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde,“ und wenn Himmel und Erde vergehen und die Hand und Allmacht Gottes unser einziger Aufenthalt und Ruhepunkt sein wird, wird gewis dies Gebet unser Triumphgesang sein und alle Angst des Weltuntergangs in Freude verkehren. Aber wenn wir nun am Ende doch nicht Ihn allein haben werden, sondern bei und mit Ihm eine große heilige Kirche voll anerschaffner und voll Gnadengaben, wenn wir uns in der seligsten Gesellschaft und wunderbarsten Vereinigung mit den verschiedensten Menschen und Seelen vor dem Herrn finden werden; so wird doch unser Herz desto mehr voll Rühmens und unsre Zunge voll Preises sein. – In Christo werden wir alles, was wir je wünschen konnten, ja überschwänglich mehr haben und besitzen, Leib und Seele, Himmel und Erde, Er wird als das Amen aller Gottesverheißungen sich erweisen und wir werden erkennen am Tage und in der Zeit jener großen Fülle, was alles und welche Seligkeiten das christliche Wörtchen „Hoffnung“ einschloß.
III.
Eine Schriftstelle sagt: „Geduld bringt Erfahrung oder Bewährung, Bewährung aber bringt Hoffnung.“ So sieht man also, daß zwischen Geduld und Hoffnung eine Brücke ist, und daß der Mensch, je mehr er trägt und duldet, nicht desto abgeschlagener, müder und todter werden muß, sondern, daß die Geduld kräftigend, stärkend, bewährend wirkt und das Auge für die ewige Herrlichkeit Gottes öffnet. Aber davon reden wir gegenwärtig nicht, sondern von dem umgekehrten Wege, daß Kräfte des Lebens aus der Hoffnung übergehen auf die Geduld, und zwar gerade auf die Geduld, von der in unsrem Texte die Rede ist, die sich am Gebrechen und der Schwachheit des Bruders übt, nach dem Frieden und der Freude der Bruderliebe ringt.
Bei einem leisen Nachdenken kann es ein jeder für natürlich finden, daß die Hoffnung zur Belebung und Stärkung der Geduld wirke. Unsre Hoffnung ist die Wiederkunft des Herrn, der Herr aber ist der Richter, der Richter aber fragt nach der Geduld. Wenn nun der Richter kommt und nach der Geduld fragt und keine da ist, welche Schande, von der Strafe nicht zu reden. Welche Schande für den Richter und die Seinen! Brüder, wenn man in die Todesnähe tritt und sich der Sünden erinnert, die man mit anderen bereits entschlafenen, in die Freuden Gottes eingegangenen Christen, oder an ihnen begangen hat, da wird dem Herzen weh und traurig zu Muthe; denn wie soll man den Seligen Gottes begegnen, die man betrübt hat, die man zu Sünden gereizt hat? Der Uebergang aus der Zeit zur Ewigkeit wird schwer durch Scham. Wie aber soll man sich erst schämen vor dem heiligen und reinen Richter, der alle unsre Sünden, auch die nicht an ihm selbst geschehen sind, persönlich nimmt, dem mit allem weh geschieht, was wir sündigen. Ach was für eine Scham und Schande, wenn wir vor ihn treten, und all unsre Sünde dann hervorgekehrt werden und all unsre Missethat auf unsern Stirnen stehen wird. Und wenn er dann nach der Geduld fragt, wiederhole ich, und ist keine da, und man muß schmählich schweigen und verstummen: was für eine Schande wird das sein! Wahrlich, schon der Gedanke, schon der Blick auf unsre Hoffnung, auf die Wiederkunft Christi kann uns zur Geduld erwecken.Und doch ist es nicht einmal das, was ich sagen will, das gerade mein ich nicht.
Ich denke nicht an den Richter als solchen, ich sehe heute den Gerichtstag und seine Freuden als einen Erfolg der Geduld und Arbeit Christi an. Wenn er kommen wird mit viel tausend Heiligen, zu Hilfe den bedrängten Christen, die dann leben werden, zur Vertilgung des Antichristus, oder wenn er an dem allerletzten Tage alle die Seinen um sich her sammeln wird und so viel Millionen Leiber und Seelen aus dem Untergang der Welt gerettet stehen werden, wenn Sein Auge freudenvoll auf sie gerichtet sein wird und ihre Augen wonnevoll und anbetend an Ihm hangen werden: so wird das die Frucht Seiner Geduld sein. Er ist nicht blos deswegen berühmt im Himmel und auf Erden, weil Er das Lämmlein Gottes unschuldig ist, das für uns in unaussprechlicher Geduld die Sünden trug: sondern Er wird auch hoch gerühmt und ewig gepriesen um der Geduld willen, vermöge welcher er nun 1800 Jahre lang Seine Schafe aus allen Völkern zusammenträgt und zu ihrer Reinigung und Vereinigung durch seinen Geist und Amt arbeitet. Seine Geduld ist so groß und Seine Langmuth so stark, daß viele sie gar nicht mehr für Geduld und Langmuth achten, sie gar nicht mehr sehen, nicht mehr erkennen, sondern viel eher von dem Gedanken geplagt und angefochten werden, entweder er laße alle gehen, wie sie wollen, und kümmere sich nicht um sie, oder es sei vielleicht mit Ihm selber ein Mährchen. Wenn Er darein schlüge, wenn Er Feuer vom Himmel fallen ließe, wenn Er die Sünde der Seinen so recht kenntlich und deutlich strafen würde, auf die That alsbald die Strafe folgte: dann, ja dann würden auch blöde, blinde Augen sehen und erkennen, daß Er lebt. Scheu und Schrecken, so denkt man wenigstens, würden dann die Menschen beßer machen. Aber diese Geduld, die sich durch so viele Jahrhunderte, ja bald Jahrtausende hindurch erstreckt, diese Langmuth, wie es scheint, ohne Ende, sie als Zeichen des lebendigen Gottes und Christus zu erkennen, erfordert scharfe Augen, großen Glauben, reine Herzen. Und doch ist der Herr ein Gott der Geduld, und wie Er durch Sein geduldiges Leiden die Welt erlöste, so heiligt Er die Welt durch Sein geduldiges Tragen, durch Seine geduldige Arbeit, durch Sein tagtägliches Vergeben, und die Schaaren um Seinen Thron, die Menge derer, die Er zu Priestern und Königen macht, sie würden allzumal ohne diese ausdauernde Geduld des himmlischen Seelsorgers durchaus nicht in Seinem Lichte stehen, nicht ein einziger würde gewonnen sein ohne die himmlische Geduld und Langmuth unsres Herrn. Und so hängt die Hoffnung der Kirche Gottes, der Heiden und Juden, an der Geduld Christi, der Leute aus allen Zonen und Ländern und Zeiten mit unermüdlichem Fleiße zusammenbringt, zusammenordnet und bereitet für Seine ewige Kirche. Das kann man in der That nicht überlegen, ohne daß man selber Lust und Muth zur Geduld gewinnt. Der Blick aufs Ende, der uns die ewige Herrlichkeit der Kirche als eine Frucht der Geduld Christi zeigt, muß tausendfach die Gewalt ausüben, die sonst der Blick auf ein gutes Beispiel auf willige Menschen auszuüben pflegt. Es kann kein Beispiel geben, wie das Beispiel Christi; es gibt keinen Erfolg, wie den Erfolg des Herrn. Wirkt ein Beispiel und der Segen irgend eines Beispiels, so muß das Beispiel wirken, von dem wir reden, und sein großer Segen.
Dazu kommt ja noch ein anderer Umstand. Die Kirche der Ewigkeit, wie sie am jüngsten Tage geoffenbart werden wird, ist eine Frucht der Geduld und geduldigen seelsorgerischen Liebesarbeit Christi. Aber wirkt denn Christus alleine, hat er keine Mitarbeiter? hilft ihm niemand, und nimmt Er die Hilfe niemands an? Nach dem Zeugnis der heiligen Schrift hat er, unser Gott und Herr, menschliche Mitarbeiter; er will nicht ohne Seine Heiligen auf Erden arbeiten, im Gegenteil, alle Seine heiligen Wirkungen und Werke will er unter dem Lobe, dem Danke, dem Gebet und der Mitarbeit der Seinen vollbringen, und vollbringt sie auch nicht anders. Seine Kirche auf Erden und die Gemeinschaft Seiner Heiligen in allen Landen ist nichts anders, als ein heiliger Verein von Seelen, die nach dem Vorgang des geduldigen Lammes Gottes und Erzhirten alle ihre Zeit und Kraft daran geben, daß er Seine Absicht erreiche, Seine Kirche sammle und heilige. Wenn irgend einer die Hoffnung der Kirche nicht in Geduld erstreben, nicht in Geduld und guten Werken nach dem ewigen Leben ringen will, so hindert er an seinem Teil die Zukunft des Reiches Gottes und die heilige Absicht Jesu. Der Herr wird dann andere an seiner Stelle in das Werk Seiner Geduld einstellen, aber der Ungeduldige, Verzagte,Ermüdende wird keinen Teil haben an der Freude des ewigen Gelingens und am Triumphe Seiner Kirche. Die aber arbeiten und einander tragen und einander fördern durch das Wort des Herrn, und nicht müde werden, die dürfen in dem seligen und ewigen Gelingen Jesu auch die Frucht ihrer Geduld erkennen. Mitarbeiter sind sie gewesen, so werden sie auch Miterben des Lohnes und werden sich mit dem großen Helden, der alles in allen thut, freuen am Tage der Ernte, am Tage, da die Beute ausgeteilt wird. Da wird der Herr mit freudeglänzenden Augen in der aus allen Völkern zusammengebrachten Schaar die Frucht Seiner Leiden und Seiner Hirtentreue sehen. Da wird aber auch der Römer, der St. Pauli Wort im 14. und 15. Kap. aufgenommen und den schwachen Bruder durch viel Geduld und Liebe in das helle Licht und die Freiheit der Kinder Gottes eingeführt hat, den Sieg seiner Arbeit in seinem seligen Bruder schauen. Diese Gedanken, meine Brüder, die ohne Zweifel in unsrem Texte liegen, müßen geeignet sein, die Geduld durch Hoffnung zu stärken. Und so kann also nicht blos die Furcht, auch nicht blos das Beispiel Jesu, sondern auch die offenbare Gewisheit, daß unsere große Hoffnung und die Darstellung einer herrlichen und seligen Kirche in Ewigkeit Frucht der geduldigen Arbeit Jesu und unsrer geduldigen Mitarbeit ist, unsre Geduld und Arbeit stärken und stählen.
Ach, wir müßen uns viel gedulden: Arbeit an den Seelen ist eine schwere Arbeit. Das wißen die Väter, die Mütter, die Lehrer, die Freunde, nicht blos die Seelsorger. Ach, es ist sehr schwer, die Gebrechen und Mängel der Andern zu tragen, heute zu tragen und morgen zu tragen, und immer wieder dieselben Dinge zu tragen. Und wahrlich, nicht minder schwer ist es, zu wißen, zu sehen, wie auch wir andern zu tragen geben, wie man an uns trägt und hebt und schleppt und schier müde wird über unsrer Last. Es ist eine schwere, mühselige, jammervolle Sache mit unsrer Verklärung und Vollendung. Aber das Auge aufs Ziel, auf den Tag unsrer Hoffnung hingerichtet! Die Heiligen alle, die der Herr gewinnt und ewig selig macht, sie sind alle durch dieselben Mühen gekommen, derselben Last und Noth entronnen, und so wir treu bleiben im Tragen und Gedulden, so siegen auch wir und dringen hindurch, und gewinnen und werden gewonnen, und auch uns kommt nach der harten Plage die Freude eines ewigen Gelingens. Darum wollen wir es uns auch einander geloben und versprechen, nicht müde zu werden, und ob einer müde würde, so erinnere und strafe ihn der andere, und helfe einer dem andern mächtig durch Gebet und Zusprache zur Geduld der Heiligen. Es ist ja nur noch ein Kleines, und die Zeit ist kurz: die kurze Zeit wird man doch in des Herren Kraft aushalten können in liebender Geduld! Die Luft, die uns von jener Welt entgegenweht, die Freude unsrer Hoffnung, die herrliche Aussicht auf Christi Ziel und unser Ziel stärke uns alle zur geduldigen Arbeit seelsorgender Liebe, und der Gott der Hoffnung erfülle uns mit aller Freude und Friede im Glauben, daß wir völlige Hoffnung haben durch die Kraft des heiligen Geistes. Amen.