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7. Kapitel - 1961

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Gleich Anfang des Jahres forderte die Sowjetunion erneut, eine völkerrechtliche Umwandlung West-Berlins in eine „Freie Stadt“ ohne Bindungen an die Bundesrepublik. Das wurde scharf zurückgewiesen.

Das Hin und Her um Berlin ging weiter. Ich befürchtete, die Westmächte könnten des dauernden Streites darum einmal müde werden. Hofften das die Machthaber im Osten auch, oder war alles nur die Vorbereitung für einen entscheidenden Schritt?

Wenn ich manchmal am Telefon mit Mama oder Traudel sprach und dabei von meiner Furcht berichten wollte, die mich bei jeder provozierenden Maßnahme des Ostens befiel, dann sagte Mama nur: „Mach dir nicht so viele Gedanken! Der Westen wird West-Berlin nie aufgeben.“ Damit war es für sie abgetan. Ja, Berlin war eben inzwischen auch für sie weit entfernt.

Doch sofort bekam ich zu hören, was sie beschäftigte. „Weißt du übrigens das Neueste? Traudel hat jetzt ihr eigenes Auto bekommen, ein wirklich flottes kleines Automobil.“ Und sie berichtete davon voller spürbarem Stolz, obwohl sie doch nichts von Autos verstand und eigentlich gegen die Arbeit Traudels im Betrieb war. „Du solltest mal sehen, wie sie damit jetzt durch die Gegend flitzt“, betonte sie fröhlich.

„Wann willst du eigentlich endlich deinen Führerschein machen“, drängte mich Konrad daraufhin zum wiederholten Male. Wenn wir auf Reisen waren, sagte er oft: „Es wäre schön, wenn du mich jetzt ablösen könntest.“ Doch noch zögerte ich. Noch saß ich lieber daneben und spielte den Co-Piloten - wie er mich nannte -, mit der Landkarte auf dem Schoß.

Bald fuhren wir nicht mehr nur am Anfang oder Ende unserer Reisen in Hannover vorbei, sondern mitunter extra über Feiertage hin, zu Ostern oder zu Pfingsten. Nach West-Deutschland fuhren dann zwar viele West-Berliner zur gleichen Zeit und an den Grenzübergängen bildeten sich lange Autoschlangen, so dass man lange warten musste, aber ich freute mich, auf diese Weise Mama öfter sehen zu können. Das gab mir das Gefühl, dass sie doch nicht so weit entfernt war.

So sehr Mama auch mit den Kindern und all der Arbeit ausgefüllt war, die Sehnsucht nach ihrem Jungen, meinem Bruder Bruno, verließ sie nicht. „Warum er nur nicht kommen kann?“, fragte sie manchmal ratlos. „Sieben Jahre ist er nun fort. Ich weiß gar nicht mehr, wie er aussieht. Andere kommen doch nach Deutschland auf Besuch aus Amerika, aus England. Warum er nicht? Hätte ich nur so viel Geld, um es ihm für ein Flugticket schicken zu können.“

Bald jedoch erfuhr sie den Grund, warum Bruno noch nicht kam.

Als wir Pfingsten in Hannover waren, holte sie aufgeregt einen Brief von ihm hervor. Bilder fielen heraus, Hochzeitsbilder von Bruno mit einer jungen Braut. „Kannst du verstehen, warum er davon vorher nichts geschrieben hat?“, fragte sie. „Schau dir an, wie jung seine Frau ist.“

Ich nahm die Bilder in die Hand. Wirklich, neben Bruno, inzwischen breit geworden, wirkte die Braut besonders zerbrechlich und jung. „Wie alt mag sie sein?“, fragte ich.

„Er schreibt, sie ist zweiundzwanzig Jahre alt und heißt Mary, eine Australierin.“

„Dann ist sie nicht zu jung. Bruno ist dreißig.“

„Das mag sein. Doch warum hat er nie davon geschrieben, dass er heiraten will? Ich verstehe das nicht.“ Es klang fast gekränkt.

Ich lachte und stieß sie an. „Mama, vielleicht wollte er keine guten Ratschläge haben. Die hättest du ihm doch sicher gegeben. Oder?“

„Na ja, aber trotzdem ...“

„Erinnere dich mal an damals, als Konrad vor unserer Verlobung von Papa eingehend nach seinem Leben befragt wurde, da hatte Bruno gesagt, das würde er nie mitmachen, wenn ein Mädchen einmal ja sage, dann sei doch alles in Ordnung. Nun, Mary hat ja gesagt. Hat er denn Mary in seinen Briefen nie erwähnt?“

„Doch schon, aber wer denkt denn, dass er sie gleich heiraten will.“ Mama war enttäuscht, dass Bruno sie nicht gefragt hatte, obgleich er so weit weg war.

„Nun könnte er aber mal kommen und uns seine junge Frau vorstellen“, überlegte sie fast bockig wie ein Kind.

„Mama, jetzt müssen sie sich erst ein Zuhause einrichten. So viel wird Bruno auch nicht verdienen. Sei froh, dass es ihm gut geht, dass er nicht mehr allein ist und eine junge Frau gefunden hat. Irgendwann wird ihn auch die Sehnsucht hierher zu dir treiben“, redete ich auf sie ein.

„Hoffentlich erlebe ich das noch. Sehnsucht scheint er nicht zu kennen.“ Mama war pikiert, fühlte sich übergangen. Doch nun wusste sie wenigstens, warum Bruno nicht kam.

Bald sah ich das Hochzeitsbild auf ihrem Nachttisch stehen, sah, wie sie es immer wieder nachdenklich in die Hand nahm. Mich würde nicht wundern, wenn sie dabei überlegte, ob sie nicht selbst hinfahren sollte. Aber da waren ja die Kinder von Traudel. Wer sollte auf sie aufpassen? Und dass Mama sie ungern aus den Händen gab, nicht einmal Traudel gern überließ, war längst klar.

*

Pfingsten war vorüber, wir wieder in Berlin. Die Hochzeit von Helmut und Margot stand bevor. Margots Vater hatte nichts gegen die Heirat der beiden einzuwenden gehabt. Er schätzte Helmut als tüchtigen Mitarbeiter sehr und hatte ihn im Betrieb bereits näher zu sich herangeholt. Es war eine Zeit, in der die Firma dank des Baubooms schneller wuchs, als man es fassen konnte. Nicht mehr unbekannt und wohlhabend in West-Berlin plante der Vater eine Aufsehen erregende Hochzeit, mit Kirche, Kutsche und großer Feier. Das war er schließlich seinem Ruf schuldig, fand er.

Als ich hörte, dass die Hochzeitsfeier in einem Saal eines vornehmen Restaurants an der Havel stattfinden sollte, den Margots Vater dazu gemietet hatte, wurde mir bange.

„Konrad, wer wird da alles hinkommen? Passen wir überhaupt dazu?“, fragte ich besorgt.

„Das sind auch nur Menschen, egal wie bekannt oder reich sie sind“, versuchte Konrad mich zu beruhigen.

„Aber wir kennen niemanden außer Margot, Helmut und seine Eltern.“

Helmut lachte, als Konrad ihm von meinen Sorgen berichtete. „Kauf dir ein schönes Kleid, und du wirst alle Frauen ausstechen“, riet er.

Margot nahm meine Hand, als sie davon hörte und sagte: „Keine Sorge, ich bin auch noch da.“

Doch das bezweifelte ich und antwortete: „Du bist die Braut. Wie willst du dich um uns kümmern können?“

So gingen wir und kauften für mich das erste lange Abendkleid meines Lebens. Als ich mich damit im Spiegel sah, verlor ich meine Ängste, besonders weil mich Konrad mit dem warmen Glanz in seinen Augen betrachtete, den ich so an ihm liebte.

Ich fühlte mich sogar großartig, als wir mit unserem VW-Käfer „Hannibal“ zur Kirche fuhren. Nichts machte es mir auf einmal aus, unser bescheidenes Auto zwischen großen protzigen Wagen zu parken.

Von allen Seiten strömten die Gäste in Festtagskleidung herbei. Die Männer in dunklen Anzügen, meist im Smoking; die Frauen in langen berauschend schönen Abendkleidern. So manches davon musste ein Vermögen gekostet haben.

Und daneben ich mit meinem Abendkleid von der Stange eines bekannten Bekleidungshauses. Konrad sah gut aus in seinem einfachen dunklen Anzug mit silbernfarbener Krawatte. Er erkannte wohl den Moment meiner Unsicherheit, nahm meinen Arm und führte mich, unbeeindruckt von dem sichtbaren Reichtum um uns herum, in die Kirche. Er ließ mir keine Zeit, mich fehl am Platze oder minderwertig zu fühlen.

Das Raunen und Flüstern verstummte, als Margot und Helmut die Kirche betraten. Ganz in feierlicher Konzentration schritten sie bei dem einsetzenden Orgelklang dem Altar entgegen. Ein warmer, glücklicher Schein lag über Margots Gesicht. Ruhige Sicherheit strahlte sie aus, während sie aufrecht in ihrem Brautkleid aus kostbarer Spitze an Helmuts Arm zwischen den Bänken mit den Gästen mehr schwebte als ging. Sie war eine schöne Braut.

„Wer führt hier eigentlich wen?“, flüsterte mir Konrad schmunzelnd zu.

Ich war gerührt und kämpfte gegen aufsteigende Tränen. Konrad sah es. Wie bei unserer Hochzeit grinste er belustigt. „Rührselige Alte!“, foppte er mich.

Das erinnerte mich daran, wie ich bei unserer Hochzeit bei den Stufen zum Altar hoch mit jedem Schritt in meinen langen Rock gestiegen war und mir vor Schreck der Brautstrauß aus den Händen fiel. Würde bei Margot und Helmut Ähnliches geschehen können? Oder war das bei der selbstsicheren Margot unmöglich?

Doch dann entstand Unruhe vor dem Altar. Als der Pfarrer ihnen andeutete, aufzustehen, erhob sich Helmut, beugte sich zu Margot nieder und wollte ihr helfen. Sie aber kam nicht hoch. Sie flüsterte ihm irgendetwas zu, was er sichtlich nicht verstand. Die Hochzeitsgäste wurden unruhig.

„Was ist da los“, fragte ich leise Konrad.

„Er steht bestimmt auf ihrem weiten Rock, so dass sie nicht aufstehen kann“, vermutete er und grinste belustigt. Solche Pannen in feierlichen Momenten gefielen ihm.

Sie bestätigten uns später Konrads Vermutung, als wir Gelegenheit fanden, mit ihnen zu reden.

„O Margot, pass nur auf, wenn das kein Omen ist, dass Helmut dich in eurer Ehe nicht hochkommen lässt“, scherzte Konrad.

Doch Margot machte sich darum keine Sorgen.

„Da muss eher ich aufpassen, dass sie das nicht mit mir macht“, antwortete Helmut scherzend an ihrer Stelle.

Margot lachte.

Doch klang da nicht ein bisschen Ernst in Helmuts Worten mit? Schließlich war es Margot, die aus reichem Haus kam und nicht er.

*

Die Tafel im Saal des vornehmen Restaurants brach fast zusammen unter dem, was im Überfluss angeboten wurde. Der Brautvater ließ sich nicht lumpen, wenn seine einzige Tochter heiratet. Es fehlte nicht Lachs, nicht Kaviar. So mancher unter den Gästen mit Rang und Namen in West-Berlin bediente sich fleißig. Ich kostete neugierig die mir unbekannten Leckerbissen, war aber keineswegs begeistert davon. Wir fanden auch bald nette Leute, mit denen wir uns zusammengesellten. Es waren Leute wie wir, ohne Rang und Namen. Margot huschte mitunter vorüber, kontrollierte, ob uns auch nichts fehlte. Ich staunte, dass sie als Braut Sinn dafür hatte.

Auch Helmut kam ein Weilchen zu uns. Dann tanzten wir miteinander. Dabei spürte ich einmal mehr, es gab nichts mehr zwischen uns als eine tiefe Freundschaft. Wie anders umfing er mich gegen früher, während seine Augen nur Margot suchten. Wir lächelten uns an. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Eine wundervolle freundschaftliche Vertrautheit war geblieben.

*

Margot und Helmut machten eine Hochzeitsreise nach Venedig - eine Reise, von der ich zu meiner Hochzeit nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Wir verlebten damals unsere Flitterwochen in dem kleinen Schrebergarten von Konrad. Die Laube und der Garten waren das Einzige, was ihm von dem Besitz seiner Eltern über den Krieg erhalten geblieben war.

Wir hatten auch unsere Ehe in einem möblierten Zimmer in der Stadt begonnen; Helmut und Margot dagegen kamen zurück in eine vollständig eingerichtete Eigentumswohnung, die sich in einem Häuserblock befand, der gerade von ihrer Firma „Zumbold“ errichtet worden war. Eine Eigentumswohnung war eine Wohnmöglichkeit, die immer mehr Zuspruch fand. Die Mieten stiegen ständig an. Wer es sich leisten konnte, der bildete lieber Eigentum - und sei es auf Pump -, wenn es auch nur eine Wohnung, ein kleines Stückchen von einem Haus war.

Nun also war Helmut nicht mehr nur ein Mitarbeiter einer bekannten Baufirma in Berlin, sondern er gehörte dazu. Längst hatte Margots Vater ihren Bruder in die Geschäftsleitung der Firma „Zumbold“ eingeführt, jetzt sollte auch der Schwiegersohn nicht zurückstehen. So bekam Helmut seinen Platz neben dem Bruder in der Leitung der Firma.

„Hoffentlich empfindet mich mein Schwager nicht als Eindringling. Ich wäre auch zufrieden auf meinem Posten geblieben“, sorgte er sich.

„Aber ich wäre damit nicht einverstanden“, erklärte Margot. „Du gehörst jetzt zur Familie. Eines Tages wirst du die halbe Firma zu vertreten haben, wenn Papa sich zur Ruhe gesetzt hat.“

Später erwies es sich, dass Helmuts Sorgen unbegründet waren. Der Schwager war oft froh, dass er nicht allein die Verantwortung tragen musste, dass er auch einmal zum Wannsee zum Segeln fahren konnte, während Helmut im Betrieb die Arbeit machte. So hatte Helmut sich zwar nicht seinen Traum erfüllen und eine eigene Firma gründen können, aber über seine Frau Margot sollte er bald Teilhaber dieser Baufirma sein.

*

Kaum waren Margot und Helmut von der Hochzeitsreise zurück, saßen wir wieder bei uns im Garten unter dem Kirschbaum zusammen und das Tagesgeschehen holte uns in den Alltag zurück.

Der Ministerpräsident der DDR sprach von Schutzmaßnahmen, die gegen Menschenhändler, so genannte Abwerber und Saboteure aus dem Westen ergriffen werden müssten.

„Was hecken die wieder aus?“, überlegte Konrad.

„Hast du die letzten Zahlen in der Zeitung gelesen, wie viele Flüchtlinge allein hier in Berlin jeden Tag die Seite wechseln? Es wäre ein Wunder, wenn die dagegen nichts unternehmen würden?“, überlegte Helmut.

„Aber was?“, fragte ich ängstlich.

„Die werden es schon wissen“, meinte Margot.

Und wir wussten es auch bald.

Was niemand für möglich gehalten hatte, geschah. Es war ein Sonntag, der 13. August, da bauten sie über Nacht eine Absperrung um West-Berlin. Doch eingesperrt waren nicht wir, die immer noch über unsere Transitwege hinaus zur Bundesrepublik gelangen konnten, sondern die Einwohner der DDR und Ost-Berlins. Sie konnten nicht mehr nach West-Berlin, waren gefangen in dem Machtbereich des Ostblocks.

Wie lange musste das vorbereitet worden sein, unendliche Rollen von Stacheldraht wurden ausgerollt, Mauern gemauert oder mit Betonplatten errichtet. Ganze Straßenzüge wurden durchschnitten von einer Grenze. Nicht nur in der Bernauer Straße gehörte der Bürgersteig vor den Häusern einer Straßenseite bereits zu West-Berlin, während die Häuser selbst ein Teil Ost-Berlins waren. Die Menschen aus diesen Häusern durften ihre Straße nicht mehr betreten. Unsagbare Szenen spielten sich ab, schreckliche und ergreifende. Menschen sprangen einfach aus den Fenstern auf den westlichen Bürgersteig, um der Abgrenzung zu entfliehen, und kamen zu Schaden. So mancher aber konnte dabei von der westlichen Feuerwehr mit dem Sprungtuch aufgefangen werden. Unzählige Menschen in Ost und West liefen eilig zur Grenze. Weinend standen sie auf beiden Seiten davon und winkten denen zu, die sie nun nicht mehr erreichen konnten. Vielleicht waren es Liebende, Freunde, Verwandte, Eltern oder Kinder, die nun getrennt wurden. Und währenddessen errichteten zwischen ihnen schwer bewachte Bausoldaten und Arbeiter unüberwindliche Grenzsperren.

West-Berlin war in Aufruhr. Fünfhunderttausend Menschen versammelten sich spontan im Protest vor dem Schöneberger Rathaus. Zum Boykott der S-Bahn in West-Berlin wurde aufgerufen, damit die in Ost-Berlin sitzende Reichsbahndirektion nicht weiter West-Geld einnehmen konnte. Und die West-Berliner folgten diesem Aufruf, vermutete man doch, dass den vielen Stacheldraht, der jetzt an der Grenze ausgerollt wurde, die DDR-Machthabern in der Bundesrepublik für D-Mark erworben hätten - D-Mark, die sie als Transitgebühr an den Grenzübergängen West-Berlins eingenommen hatten.

Doch alles änderte nichts mehr daran, die Berliner Mauer stand. Sie wurde mehr und mehr zu einem die Stadt zerschneidenden tödlichen Grenzstreifen ausgebaut. Lediglich noch einige Sektorenübergänge blieben offen, die aber nur mit einem Passierschein passiert werden konnten. Dabei war für die Scheine noch längst keine praktische Regelung getroffen worden.

Wie gelähmt lauschten wir den Nachrichten im Radio oder schlugen als Erstes morgens die Zeitung auf. Wir konnten es kaum glauben! Wie viele tragische Schicksale mochten sich jetzt diesseits und jenseits dieser Grenze aus der gewaltsamen Trennung ergeben.

„Ein Glück, dass mein Vater inzwischen in Hamburg ist und wir sonst nur noch entfernte Verwandte drüben haben“, stellte Konrad fest.

Die Spaltung Berlins schien endgültig zu sein.

Unser Telefon klingelte unaufhörlich. Mama war außer sich vor Sorge. „Was ist los bei euch? Geht es euch gut? Habt ihr gehört, wie es weitergeht?“

„Könnt ihr überhaupt noch zu uns kommen?“, wollte Traudel wissen.

Ja, plötzlich war auch ihnen wieder wichtiger geworden, was in Berlin geschah.

Und die Mauer wuchs jeden Tag ein Stückchen mehr, als werde sie für die Ewigkeit gebaut. Sie zerriss menschliche Beziehungen. Häuser, die dem Todesstreifen im Wege standen, wurden niedergerissen. Fenster und Türen wurden zugemauert, wenn Häuser die Grenze berührten. Schlimm blieb es für diejenigen, die enge Verbindungen zu Menschen in Ost-Berlin oder der DDR hatten. So manches Eheversprechen konnte nicht eingehalten werden. Hilfsbedürftige alte Menschen mussten auf die gewohnte Hilfe ihrer Kinder verzichten, seit die Mauer sie trennte. Bei vielen wurde dies ein sehr trauriges Weihnachtsfest. Doch noch nie waren so viele Päckchen und Pakete gepackt und zu Weihnachten in den Osten geschickt worden, wie in diesem Jahr. Jeder, der auch nur irgendeinen Menschen drüben wusste, schickte wenigstens Kaffee und Schokolade hinüber. Die Mauer hatte einen tiefen Schnitt getan, aber so ganz ließen sich die Menschen nicht trennen. Dahinter lebte der Wunsch zu fliehen in vielen von ihnen weiter.

Kinder erzieht man nicht so nebenbei

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