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3. Kapitel - 1957

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Ein Jahr verging. Traudel schickte fleißig Bilder von der kleinen Susi: Susi in der Badewanne, Susi auf Traudels Schoß, Susi auf dem Arm von Karl-Heinz und dann als Clou noch, wie Onkel Oskar den Kinderwagen schob und wie Susi darin bereits saß und lachte. In Mamas Glasschrank war ein ganzes Fach mit Bildern von Klein-Susi vollgestellt.

„Hoffentlich nimmt sich Traudel genug Zeit für die Kleine“, war ihre Sorge.

Denn Traudel erzählte voller Stolz, was sie inzwischen alles in dem Betrieb erledigen konnte. „Onkel Oskar meint, wenn der Verkauf von neuen Autos so weitergeht, müssten wir bald einen kleinen Autosalon anbauen.“

Karl-Heinz begnügte sich damit, am Telefon zu sagen, dass es ihnen gut gehe. Er war kein Mensch vieler Worte.

Wenn wir aber mit Mama und Papa zusammen in unserem Garten waren, sie wieder zu Erna, der Mutter von Karl-Heinz, verschwand, dann wusste sie hinterher noch viel mehr zu erzählen. Da musste wohl auch Karl-Heinz gesprächiger sein.

Helmut brachte zu uns noch immer keine Freundin mit. Doch wenn wir im Sommer wieder unter unserem Kirschbaum im Schrebergarten zusammensaßen, war er oft dabei. Ständig gab es Neuigkeiten um Berlin, die wir dort diskutierten.

In Ost-Berlin fand eine Militärparade statt. Die Westalliierten protestierten dagegen mit dem Hinweis auf den Status von Berlin. Im März wurde die Europäische Wirtschaftgemeinschaft (EWG) gegründet.

„Das wäre schön, wenn daraus ein vereintes Europa entstehen könnte, das dann zusammen dem Osten gegenüber auftreten würde“, sprach Helmut seine Hoffnung aus.

„Wer hofft von unserer Generation nicht darauf“, stimmte ihm Konrad zu.

„Ich weiß nicht, so viele unterschiedliche Nationen wie in Europa unter einem Hut?“, warf Papa ein und wiegte seinen Kopf voller Bedenken hin und her.

Mama hatte währenddessen in ihrer Tasche gekramt. „Wo habe ich es denn?“, sprach sie vor sich hin. „Ach hier!“, rief sie erleichtert und zog das neueste Foto von Klein-Susi aus der Tasche. „Hier sieh mal, wie sie schon läuft! Dabei ist sie noch nicht einmal ganz ein Jahr alt.“

„Ja, schön“, sagte Konrad, nahm es und gab es weiter.

Ich sah es mir länger an. Wirklich niedlich die Kleine, wie sie unbeholfen in ihrer viel zu großen langen Trägerhose an Traudels Hand balancierte, das Patschhändchen hob, als wollte sie winken, und mit hellwachen Augen unter dem lockigen blonden Haar - so wie es Karl-Heinz hatte - in die Kamera lachte. „Ein süßes Kind“, sagte ich. Und Mama strahlte.

Die Männer achteten nicht auf uns. Sie stritten längst darüber, ob es nun richtig sei, dass die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche erhalten bliebe oder nicht. Mit Protesten in unzähligen Briefen an die Tageszeitungen hatten die Berliner darum gekämpft, dass sie nicht abgerissen wird. Dann waren da noch die verheerenden Waldbrände, die bei der Trockenheit dieses heißen Sommers in den Wäldern von West-Berlin ebenso gewütet hatten wie um Berlin.

Als wir danach in diesem Jahr wieder zu unserer Reise in die Berge aufbrachen und über die Transitstrecke durch die DDR zur Bundesrepublik fuhren, sahen wir links und rechts der Autobahn die verkohlten Waldflächen, die riesengroß wirkten. Es waren die größten Waldbrände seit Kriegsende, die hier gewütet und große Flächen vernichtet hatten.

Helmut, der bei der Baufirma „Zumbold“ arbeitete, die in Berlin nicht unbekannt war, wusste noch viel von der internationalen Bauausstellung in West-Berlin zu berichten, die ihn sehr interessierte. Besonders der Bau einer Kongresshalle mit ihrer gewagten Dachkonstruktion aus Spannbeton, die von den Amerikanern erbaut wurde, fand seine Beachtung. Aber nicht nur seine. Die Form dieses Baus war so ungewohnt, dass die Meinungen darum auseinandergingen.

„Was soll das?“, vertrat Papa seine Ansicht. „Soll das etwa ein Haus sein, Bogen hier und Bogen da, keine richtig gerade Wand?“

Im Volksmund hieß der Bau bald „schwangere Auster“. Doch sie wurde auch eine sehenswerte Attraktion im Tiergarten in West-Berlin. Kein Bus einer Stadtrundfahrt – Sightseeing-Tour hieß das jetzt - versäumte, daran vorbeizufahren.

Als Willy Brandt in diesem Jahr Regierender Bürgermeister wurde, waren wir dabei unseren kleinen Garten wieder für den Winter klarzumachen.

Und als es Weihnachten wurde, gab es eine Neuigkeit aus Hannover von Traudel. Sie erwartete ihr zweites Kind.

Mama schlug die Hände zusammen. „Warum haben sie sich nicht ein bisschen Zeit gelassen?“, klagte sie.

Ich fragte Traudel neckend: „Ein Wunschkind?“

„Ach, Quatsch!“, antwortete sie. „Wie sagte doch Mama einmal, als wir sie fragten, ob wir Wunschkinder seien: ‚Ihr habt euch angemeldet und dann wollten wir euch, basta!' Das passt auch auf uns.“

Kinder erzieht man nicht so nebenbei

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