Читать книгу Kinder erzieht man nicht so nebenbei - Wilma Burk - Страница 5
2. Kapitel - 1956
ОглавлениеWie früher fuhr uns Helmut mit seinem Auto durch die Stadt, dabei in Gegenden, in die wir ohne Auto nie gekommen wären. So staunten wir jetzt, wie viel sich mit der Zeit verändert hatte. Überall wurde gebaut, so manche Ruine war verschwunden und hatte einem Neubau Platz gemacht. Leben war in den Straßen, die Geschäfte voller Waren. Unter den Menschen, die hier ihre Einkäufe tätigten, befanden sich viele aus Ost-Berlin oder der DDR. Zu einem hohen Kurs tauschten sie ihre Ost-Mark in D-Mark ein und besorgten sich dafür, was sie drüben nicht erhalten konnten. Wenn sie Glück hatten, so kamen sie damit auch gut nach Hause, ohne am Übergang von West-Berlin nach Ost-Berlin durch DDR-Beamte kontrolliert zu werden.
Wir fuhren auch an dem Flüchtlingslager Marienfelde vorbei. Hier ging es zu wie in einem Bienenhaus. Das Lager konnte die Flüchtlinge kaum noch fassen, die Tag für Tag aus Ost-Berlin und der DDR nach West-Berlin kamen. Allein 250 000 Menschen waren im letzten Jahr über die Grenze in den Westen gekommen. Und hier in Berlin konnte das noch ziemlich leicht mit der S-Bahn vom Ostteil der Stadt in den Westteil gelingen.
Für den Osten verlor der Westen nicht an Anziehungskraft. Die Verstaatlichung der Wirtschaft in der DDR ging weiter voran und der Flüchtlingsstrom aus Land und Stadt in den Westen riss nicht ab.
Doch bald interessierte sich Konrad für andere Dinge als Neubauten oder die sichtbaren Veränderungen der aufwärts strebenden Stadt, wenn Helmut mit uns durch die Straßen fuhr. Mit dem spürbar zunehmenden Verkehr war auch bei ihm der Wunsch nach einem Auto größer geworden. Plötzlich wollte er von Helmut wissen: „Wie viel PS hat dein Auto? Was verbraucht es Benzin? Welche Automarke hältst du für die Günstigste?“ Bald gab es nur noch ein Ziel. Wo wir mit Helmut auch entlangfuhren, stets hielten wir an jedem Platz, auf dem Gebrauchtwagen angeboten wurden.
Und davon gab es bald immer mehr im Stadtbild. Sobald ein Ruinengrundstück abgeräumt war, wurde dort eine kleine Bude aufgestellt und darum herum standen die ehemaligen blechernen Lieblinge von irgendwelchen vorherigen Besitzern, die sich nun wahrscheinlich ein größeres, besseres Auto leisten konnten. Der Gebrauchtwagenhandel begann zu florieren. Wir streunten durch die Reihen begehrter Gefährte, die täglich blank geputzt wurden, um Rost und kleine Beulen zu verbergen. Es machte auch mir Spaß und ich freute mich darüber, dass Konrad sich mit dem Gedanken trug, ein Auto zu kaufen. Helmut gab sich dabei ganz als der fachmännische Berater. Es war zum Lachen, wie sie eifrig debattierend durch die Reihen der Autos gingen und versuchten, dem Verkäufer, der sich beflissen sofort näherte, kluge Fragen zu stellen.
Jetzt waren die Männer wie Kinder, jeder wollte möglichst bald ein Auto haben. So mancher belastete die Haushaltskasse mit den Raten für die Kredite dazu über die Maßen. Da konnte es sein, dass so manche Frau genau genommen für ein Auto mitarbeitete.
Irgendwann in dieser Zeit begann es, dass auch viele Frauen eine Arbeit außer Haus, die bezahlt wurde, als wichtigen Teil ihres Lebens ansahen. Sie wollten ihre Berufe nicht umsonst erlernt haben. Eine „Nurhausfrau“, die nichts verdiente, was war das schon?! So hörte man es bald. Im Gegensatz dazu wurden berufstätige Frauen mit Kindern bald Rabenmütter genannt. In zwei fast unüberwindliche Lager zerfielen die Frauen mit ihren Lebenszielen.
Noch zögerte Konrad, wegen der Geldausgabe. „Ist ja doch eine ganz schöne Belastung“, überlegte er und schaute sehnsüchtig den vorbeifahrenden Autos nach.
Schließlich jedoch war der Wunsch bei ihm so groß, dass ich ihn zur Aufnahme eines Kredites überreden konnte. Für mich war es eine neue Erfahrung, dass er tatsächlich einmal auf mich hörte.
Wir gingen zu unserer Bank, bei der wir unser kleines Sparkonto hatten und stellten einen Kreditantrag. Wir waren richtig stolz, mit unserm Doppeleinkommen kreditwürdig zu sein.
„Die paar Zinsen Mehrkosten, auf die lange Zeit verteilt, das schaffen wir leicht, Konrad.“ Ich sah das zuversichtlich.
Auch vor unserem Haus würde nun bald ein eigenes Auto stehen.
Konrad musste zur Bestätigung seines Führerscheins, den er vom Krieg her hatte, noch einmal eine Prüfung abgelegen, dann konnten wir unser Auto, einen VW-Käfer, vom Händler abholen. Es war nicht das neueste Modell, aber preiswert, wie Helmut meinte. Was sollte es, wenn wir erst nach dem Kauf die kleine Beule am hinteren Kotflügel entdeckten, wenn die Motorklappe am Heck manchmal klemmte, wenn man bei höherer Geschwindigkeit – 100 km/h Höchstgeschwindigkeit, bergauf 80 km/h mit Rückenwind, bei 25 PS - innen erst gegen den Pfosten schlagen musste, damit der Winker heraussprang, den das Auto noch hatte. Es war unser erstes Auto. Und wir waren unsagbar glücklich damit.
Noch vor fast einem Jahr zu Traudels Hochzeit habe ich das nicht geglaubt, als uns Onkel Oskar prophezeite: „Sie werden auch bald ein Auto haben. Bald geht keiner mehr zu Fuß.“ Nun stand es also vor unserer Tür. Ich lief immer wieder ans Fenster, ich musste es sehen, ich war sicher ebenso stolz darauf wie Konrad.
Von nun an gehörte auch Konrad zu denen, die häufig am Kanal in der Nähe mit ihren Autos zu finden waren, Wasser aus dem Kanal schöpften und mit Ausdauer und Liebe ihre Kostbarkeiten auf vier Rädern schrubbten und putzten, bis sie nur so blitzten. Da wurde aber auch der geringste Kratzer nicht übersehen und möglichst gleich beseitigt. Das war schon seltsam, Männer, die es unter ihrer Würde fanden, zu Hause auch nur einen Waschlappen in die Hand zu nehmen, zogen mit Eimer, Bürste und Lappen los zum Putzen des Objekts ihrer Eitelkeit, außen und innen, aber gründlich! Noch hatte ja nicht jeder ein Auto oder sogar zwei oder drei wie heute. Da gab es noch jede Menge Parkplätze, keinen Kampf darum und keine Markstücke fressenden Parkuhren. Ein Auto zu besitzen, das war eben noch etwas!
Glücklich fuhren wir damit durch die Gegend. Ich kam in Ecken von Berlin, die ich nie gesehen hatte. Berlin wurde klein für uns, von Grenze zu Grenze. Noch hätten wir auch nach einer Kontrolle durch DDR-Volkspolizisten nach Ost-Berlin fahren können, aber dort zog uns nichts hin.
Auch mit dem Auto verreisen konnten wir jetzt. Wir packten in den ersten warmen Maitagen des Jahres unseren VW-Käfer voll und tauften ihn „Hannibal“, da er uns in die Berge bringen sollte.
„Was nimmst du nur alles mit“, moserte Konrad.
„Wieso? Du musst nichts mehr tragen, da spielt es doch jetzt keine Rolle mehr, wie viel ich einpacke“, erwiderte ich und schob noch ein zusätzliches Ersatzpaar Schuhe unter den Beifahrersitz.
War das schön, im eigenen Auto aus der Stadt hinauszufahren. An den Grenzkontrollstellen ging auch alles bereits geregelter zu, doch noch immer mit langen Wartezeiten, mit möglichen Schikanen und beklemmendem Gefühl. Die Kassen für die SED-Machthaber in Ost-Berlin klingelten zunehmend durch die Einnahmen der Straßenbenutzungsgebühren pro Auto in westlicher D-Mark. Es bewahrheitete sich wirklich - wie es Onkel Oskar vorhergesagt hatte – auf den Straßen fuhren mehr und mehr Autos. Was mochten wohl die Einwohner der DDR links und rechts der Autobahn empfunden haben, wenn sie die anwachsende Autolawine gen Westen vorbeirollen sahen?
Wenn irgend möglich, hielt Konrad auf der Transitstrecke durch die Zone (wie wir noch immer zum Gebiet der DDR sagten) auf keinem Parkplatz an. Wir atmeten erst auf, wenn wir den letzten Posten der DDR hinter uns hatten und uns die grünen Zöllner der Bundesrepublik begrüßten.
Unsere erste Reise mit dem Auto ging zu Onkel Anton, Papas Bruder, in die Alpen nach Immenstadt. Bei ihm hatten wir schon einmal einen Urlaub verbracht. Auch er hatte vor ein paar Jahren Berlin verlassen und sich aus dem Staub gemacht, weil er der Standhaftigkeit der Stadt dem Osten gegenüber misstraute. Jetzt war er Koch in einem erstklassigen Hotelrestaurant und hatte hier zugleich eine liebevolle Lebenspartnerin gefunden.
Mit großem Hallo begrüßte er uns. „Was denn“, rief er, als wir mit dem Auto vorfuhren, „ist das Wirtschaftswunder jetzt bis nach Berlin vorgedrungen?“ Und er lachte dabei. Dann wies er auf ein Auto, das vor seinem Haus stand. „Das ist meins“, sagte er voller stolz.
„Donnerwetter!“, bewunderte Konrad ihn gebührend. „Der ist natürlich ein bisschen größer als unser.“
Da lachte Onkel Anton, zwinkerte mit einem Auge, wies auf seinen vor Lachen zitternden umfangreichen Leib und sagte: „Bei euerm Auto brauchte ich wohl einen Schuhanzieher, um hineinzukommen.“ Mir schien, er musste wirklich noch zugenommen haben in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Dafür war sein Kranz dunkler Haare schmaler geworden.
Vroni, seine Lebensgefährtin, liebte ihn so wie er war. Wir fühlten uns wieder wohl bei den beiden, liebevoll umsorgt von Vroni in ihrem Haus. Wir genossen es, jetzt nicht nur in der Nähe des Ortes herumwandern zu können, sondern auch weiter in die Berge hinein zu fahren. Manchmal klammerte ich mich ängstlich an meinen Haltegriff, wenn es steil bergan ging. Dann lachte Konrad mich aus. „Angsthase!“, schalt er mich. Doch bald hatte ich mich auch daran gewöhnt und vertraute seiner Fahrkunst.
Zuerst wussten wir nicht, warum uns mitunter ein entgegenkommender Autofahrer anhupte, bald aber erkannten wir, dass es West-Berliner waren, die sich auch auf Reisen befanden. Das war bereits zur Gewohnheit geworden. So weit ab von Berlin, fühlte man sich miteinander verbunden. Bald hupten und winkten auch wir eifrig mit. Selbst in einem Lokal wurden Wildfremde so begrüßt, als wäre Berlin ein Dorf und sie die besten Bekannten, nur weil sie zufällig auch aus West-Berlin waren.
Wir passten uns den Geflogenheiten an, kauften Kniehosen und Stiefel, wie wir es bei den andern Touristen sahen, die durch die Berge wanderten. Vor den Gattern auf den Almwiesen blieben wir nicht mehr hilflos stehen wie bei unserer ersten Reise. Auch an den Kühen dahinter gingen wir jetzt fast furchtlos vorüber.
Als wir nach vierzehn Tagen bei Onkel Anton wieder abfuhren, waren wir zu erprobten Alpenfahrern geworden. Drei Filme hatten wir verknipst, damit man uns auch glauben sollte, wo wir überall gewesen waren: an Wasserfällen, vor steilen Felswänden, auf serpentinenreichen Pässen. Sogar mit einer Kuh habe ich mich ohne Furcht fotografieren lassen.
Eigentlich wollten wir noch einen Abstecher zu Traudel nach Hannover machen. Doch der Umweg war uns zu weit und Urlaubstage hätte es auch gekostet. „Einmal, zu verlängerten Feiertagen kommen wir bestimmt“, hatte ich Traudel vertröstet auf einer Ansichtskarte aus den Bergen.
Traudel stand kurz vor ihrer Niederkunft. Mama war bereits ganz außer sich, dass sie nicht bei ihr sein konnte. Doch Papa meinte, das würde sie sicher allein schaffen, sie solle lieber hinterher hinfahren, wenn sich Traudel daran gewöhnen musste, ein Kind zu haben.
*
Und dann kam endlich die heiß ersehnte Nachricht, Traudel hatte ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Sie hatte es nicht leicht dabei gehabt.
„Das mache ich nicht noch einmal mit“, sagte sie mir am Telefon. „Karl-Heinz soll sich nicht einbilden, dass wir uns noch ein Kind anschaffen.“
„Das sagt man so“, lachte Mama. „Sie soll froh sein, dass es ein gesundes Mädchen ist.“
Sie nannten es Susanne, und wenn ich es richtig mitbekam, war Karl-Heinz ganz vernarrt in seine kleine Tochter.
„Der meint glatt, es besser zu wissen als ich, wann ich sie stillen muss“, empörte sich Traudel.
Bald aber begann sie auch darüber zu klagen, dass es ein Problem sei, wieder im Betrieb mitzumachen. „Da denkst du schon am Morgen, den Berg Arbeit kannst du gar nicht schaffen“, stöhnte sie.
So stand sie nun da mit dem Kind, dem Haushalt und dem Betrieb, in den es sie zog. Wir waren in Berlin und sie allein in Hannover. Nur der Onkel von Karl-Heinz, dem der Betrieb gehörte, war der einzige Verwandte, den sie dort hatte. Die Frau Jäger im Büro neben der Werkstatt, die seit Jahren für den Onkel arbeitete, war nie verheiratet gewesen, hatte keine eigenen Kinder, wusste nicht damit umzugehen.
„So schwierig habe ich es mir nicht vorgestellt“, teilte mir Traudel mit. Und sie war gerade erst zwanzig Jahre alt. „War ja Pech, dass Susi so früh bei uns kommen musste“, fügte sie hinzu.
„Das hört sich an, als würdest du deine Tochter nicht mögen, als wäre sie nur eine Last.“
„Bist du verrückt!“, wehrte sie sofort ab.
Mama wurde unruhig. Papa spürte es und lachte. „Sie geht mir hier ein, meine Familienglucke“, meinte er. Und er redete ihr zu, zu Traudel nach Hannover zu fahren. Noch nie habe ich Mama so strahlend gesehen wie an dem Tag, als sie begann ihren kleinen Koffer zu packen.
„Ich bleibe aber nur ein paar Tage“, versicherte sie Papa, denn sie sorgte sich um ihn. Wie sollte er ohne sie zurechtkommen, er, aus der alten Generation, der sich vielleicht einmal Bratkartoffeln machen konnte, aber ob ihm schon ein Spiegelei gelingen würde? Mama bezweifelte das. Sie fuhr mit großen neugierigen Augen los, als wir sie mit unserem Auto zum Interzonenzug zum Bahnhof-Zoo brachten.
*
Papa kam in den Tagen, da Mama bei Traudel war, nach der Arbeit zu uns. Ich kochte Essen für uns drei. Er lobte meine Küche. „Bei dir schmeckt die Kartoffelsuppe anders als bei Mama“, meinte er.
„Besser?“, fragte ihn Konrad scherzhaft.
Da lachte er etwas hilflos: „Wenn ich jetzt ja sage, und du erzählst es Mama, dann gibt es Ärger mit ihr“, antwortete er und zwinkerte mir zu. „Mama scheint es ja gut in Hannover zu gefallen. Hoffentlich hat sie überhaupt noch Lust wiederzukommen“, erzählte er dann, sah mich verschmitzt mit seinen grauen Augen an und griff mit seinen schlanken knochigen Händen nach den Spielkarten.
Doch so war es nicht. Mama versäumte nie, mich zu fragen, ob Papa richtig esse, ob er genug Brot zu Hause hätte und ich immer für ein sauberes Oberhemd für ihn sorgte. Halb war sie hier, halb war sie dort. Da konnte ich ihr zehnmal sagen, dass Papa vergnügt mit uns zusammen Karten spielte. „Na, wer weiß!“, antwortete sie stets am Ende.
Papa lachte über ihre Sorgen. Doch es gefiel ihm auch, dass sie sich um ihn Gedanken machte.
Hausarbeit, die ich abends nach der Arbeit im Verlag dringend machen müsste, blieb in diesen Tagen liegen. Stattdessen spielte ich zusammen mit Papa und Konrad Karten. Ich genoss es, ihn für mich zu haben. Und auch er fühlte sich sichtlich wohl bei uns. Selten habe ich ihn so viel lachen sehen, wie in dieser Zeit. Selten wirkte sein von Furchen durchzogenes Gesicht unter den dünnen grauen Haaren so entspannt, als in dem Moment, wenn er glaubte, eine unschlagbares Blatt zugeteilt bekommen zu haben. Dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, sah uns herausfordernd an und begann voller Genuss um den Skat zu reizen. Skat spielen, das konnte ich. Dafür hatten Helmut und Konrad früher an langen Winterabenden gesorgt, wenn ihnen dazu ein dritter Mann gefehlt hatte.
Abends wollte Konrad dann Papa mit dem Auto nach Hause bringen, aber Papa lehnte es ab. „Ich bin noch gut zu Fuß“, meinte er. „Ich störe ohnehin euren Feierabend bereits genug.“
Dabei fühlte ich mich ihm in diesen wenigen Tagen so nah und verbunden, wie bisher in meinem ganzen Leben nicht. Schließlich war ja ein Junge, mein Bruder Bruno, früher immer wichtiger gewesen, der hatte mehr Aufmerksamkeit zu beanspruchen als nur wir Mädchen. - Warum das so war, werde ich nie verstehen.
Doch bald kam Mama glücklich und zufrieden zurück. Sie hatte gesehen, wie ihre Jüngste dort lebte. Und ihr Enkelkind erst! - Ein so schönes Kind hat noch keine Frau auf die Welt gebracht. „Der werden mal die Männer reihenweise hinterherlaufen“, scherzte sie und kicherte fröhlich.
Nur entsetzt war sie darüber, dass Traudel das Kind einfach mit ins Büro nahm, um dort arbeiten zu können.
„Reicht dir die Aufgabe nicht?“, hatte sie Traudel vorwurfsvoll gefragt. „Mutter zu sein, ist doch eine Aufgabe, der man sich ganz widmen muss.“
„Vielleicht noch in deiner Generation. Hast du schon einmal etwas von Emanzipation gehört? Was Karl-Heinz kann, das kann ich auch“, hatte Traudel ihr in altem Trotz erwidert. In Gedanken sah ich, wie sie ihre rote Haarfülle mit einem Ruck in den Nacken warf, als mir Mama von diesem Gespräch entrüstet erzählte.
Mama häkelte und strickte jetzt viele kleine Babysachen. Auch ich hatte inzwischen all die kleinen Jäckchen und Strampelhöschen hervorgeholt, die einmal für mein Baby bestimmt gewesen waren, packte sie ein und schickte sie Traudel. Da waren Jäckchen und Mützchen dabei, die Traudel damals selbst angefertigt hatte. Ich hatte mein Baby verloren, kurz bevor ich es zur Welt bringen konnte. Nun würde alles Traudels Kind tragen. Ein bisschen weh tat es mir doch, als ich das Paket fertig machte, obgleich ich mich inzwischen ganz gut daran gewöhnt hatte, dass wir nach der Totgeburt nie Kinder haben werden.
*
Wenn ich mit Traudel sprach, so hatte ich den Eindruck, dass sie Mama immer ähnlicher wurde. Sie war auch klein an Gestalt, und alles was sie jetzt sagte, klang so energisch wie bei Mama. Nur die roten Haare schienen sie noch wirklich zu unterscheiden, von denen niemand wusste, woher sie die hatte. Mamas Haare waren dunkel, später mit weißen Fäden durchzogen, und Papa war dunkelblond, ehe er ergraute.
„Bei Karl-Heinz scheint Traudel fast alles erreichen zu können, was sie will“, berichtete Mama. „Manchmal fragt man sich, wer bei den beiden eigentlich wen erzieht in ihrer Ehe?“ Und sie erinnerte daran, wie Karl-Heinz behauptet hatte, er nehme sich extra eine so junge Frau, damit er sie sich in der Ehe erziehen könne, wie er sie haben wolle.
Zu Traudel sagte ich danach am Telefon: „Du scheinst Glück mit Karl-Heinz zu haben. Mama meint, er würde dir meistens nachgeben.“
Doch Traudel lachte und wehrte ab: „Da täuscht sie sich! Du kannst alles machen, solange es für ihn nicht wichtig oder bequem ist. Aber wenn er einmal etwas will, dann bist du machtlos. Und er setzt es auch noch so durch, dass du gar nicht dazu kommst, mit ihm darum zu streiten.“
Ich konnte es kaum glauben. Traudel, diese Katze, die es verstand, eben noch einen Buckel zu machen, und im nächsten Augenblick jemand schnurrend zu umarmen, hatte es doch stets geschafft, ihren Willen durchzusetzen. Und ausgerechnet bei dem ruhigen und geduldigen Karl-Heinz sollte dieser Trick versagen, wenn er sich weigerte, ihr nachzugeben?
Mama machte sich Sorgen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass der Onkel Oskar - wie sie es sah - die Arbeitswilligkeit von Traudel ausnützte, sie zu immer mehr und immer verantwortungsvolleren Arbeiten im Büro heranzog. Eigentlich sollte das besser Karl-Heinz als zukünftiger Chef erledigen, meinte sie. Auch die gut eingearbeitete Frau Jäger schob jetzt offensichtlich so manche ihr unliebsame Arbeit Traudel zu.
„Das Mädel ist aber auch wie besessen darauf!“, moserte Mama. „Karl-Heinz scheint darüber froh zu sein. Ihm scheint seine Arbeit in der Werkstatt völlig zu genügen. So habe ich mir wirklich nicht einen zukünftigen Chef vorgestellt. Wenn das so weitergeht, dann sehe ich eines Tages die Zügel in Traudels Hände übergehen.“
Und was sie davon hielt, das brauchte sie nicht mehr zu erklären.