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IV. Der bedingte Beweisantrag

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Der bedingte Beweisantrag enthält gegenüber dem Beweisermittlungsantrag bereits ein wesentlich stärker formalisiertes Beweiserhebungsverlangen. Mit ihm macht der Antragsteller ein Petitum auf Erhebung eines bestimmten Beweises zum Nachweis einer bestimmten Tatsache geltend; er begehrt die Beweiserhebung aber nur für den Fall des Eintritts eines von ihm ausdrücklich oder konkludent bezeichneten ungewissen Ereignisses. Dabei handelt es sich meist um eine Entscheidungstendenz des Gerichts; „-tendenz“ deshalb, weil insbesondere, wenn mit der Entscheidung das Urteil gemeint ist, ihre Verkündung den Beweiserhebungsanspruch nicht auslösen kann, da die Urteilsfindung die vorherige Ausschöpfung aller berechtigten Beweisanliegen voraussetzt.

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Man sollte also tunlichst auf die weithin gebräuchliche Formulierung verzichten:

„Für den Fall, dass das Gericht Herrn … zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren verurteilen sollte, wird beantragt, …“

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Stattdessen, sollte man sagen:

„Für den Fall, dass das Gericht dazu neigen sollte, Herrn … zu einer…“

Dies ist mehr als ein marginaler Unterschied. Wer nämlich den Urteilstenor selbst zur Bedingung für seinen Beweisantrag macht, nimmt in Kauf, dass die Bedingung erst mit der Verkündung des Urteils eintreten kann, – mit der Folge, dass das Gericht über den Antrag erst zusammen mit dem Urteil zu entscheiden braucht.

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Die Bedingung kann anknüpfen an die rechtliche Bewertung des Sachverhalts, an die Beweiswürdigung oder an Verfahrensentscheidungen.[1]

Beispiele für rechtliche Bedingungen ergeben sich insbesondere aus dem abgestuften strafrechtlichen Tatbestandsaufbau. Erst wenn nach Auffassung des Gerichts ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, ist die Beweiserhebung über ein anderes Merkmal von Bedeutung.

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Beispiel:

„Für den Fall, dass das Gericht sich der Auffassung anschließen sollte, die Polizeibeamten hätten sich bei der Festnahme des Herrn A. rechtmäßig verhalten, wird beantragt, Herrn Rechtsanwalt R.A. … als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass er in Kenntnis der genauen Umstände der Festnahme Herrn A. telefonisch die Auskunft gab, dass er sich gegen den hoheitlichen Willkürakt zur Wehr setzen dürfe.“

Die Beweiserhebung soll danach erst dann durchgeführt werden, wenn das Gericht die Diensthandlung der Polizeibeamten aufgeklärt hat und für rechtmäßig hält. Dann besitzt für die Entscheidung des Falles die Frage Bedeutung, ob dies Herrn A bewusst war, was fern liegt, wenn Rechtsanwalt R.A. die Festnahme als Willkürakt bezeichnet hat.

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Tatsächliche Bedingungen können sich aus der gedanklichen Abfolge der Beweiswürdigung ergeben:

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Beispiel:

„Für den Fall, dass das Gericht auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme davon ausgehen sollte, das Blut des Herrn A. habe zur Tatzeit eine Alkoholkonzentration von mehr als 1,1 Promille enthalten, wird beantragt, die Zeugin X zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass sie in den letzten 4 Stunden bis zu dem Vorfall, der Gegenstand der Anklage ist, ständig mit Herrn A zusammen war und dass er in dieser Zeit nur ein einziges 0,2-Liter-Glas Bier getrunken hat und keinerlei Anzeichen von Alkoholisierung zeigte.“

Hier soll die Beweiserhebung erst stattfinden, wenn das Gericht auf Grund anderer Beweismittel von der Richtigkeit eines bestimmten Sachverhalts ausgeht. Durch das neue Beweismittel soll die Aussagekraft des ersten Beweismittels erschüttert werden.

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Verfahrensbedingungen können sich insbesondere aus Zwischenentscheidungen des Gerichts ergeben, die im Laufe einer Hauptverhandlung notwendigerweise zu treffen sind. Sie beinhalten häufig eine vorläufige Würdigung der erhobenen Beweise, die für die Verteidigung wertvolle Hinweise auf die Überzeugungsbildung des Gerichts liefern kann.

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Beispiel:

„Für den Fall, dass das Gericht den Zeugen Z. vereidigen sollte und mithin bei ihm die Voraussetzungen des Vereidigungsverbotes des § 60 Ziff. 2 StPO (Verdacht der Tatbegehung durch Z. anstelle des angeklagten Herrn A.) verneinen sollte, wird beantragt, Frau Y … als Zeugin zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass sich Herr Z. ihr gegenüber einmal der Begehung der Tat berühmt hat …“.

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In all diesen Fällen bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass ihm lediglich an einer weiteren Beweiserhebung gelegen ist, wenn das Gericht eine bestimmte Sach- oder Rechtsfrage in einer bestimmten Weise zu entscheiden beabsichtigt. Dabei lassen sich die bedingten Beweisanträge nicht nur nach dem Inhalt ihrer Bedingung, sondern vor allem auch nach der Art ihrer Bedingung einteilen. So wird ein Beweisbegehren in der Praxis häufig mit einem Sach- oder Hauptantrag verbunden, d.h. mit der Frage des Freispruchs oder der Verurteilung.

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Die Beispiele für bedingte Beweisanträge sind vielfältig.[2] Besteht die maßgebliche Entscheidungsalternative im konkreten Fall nicht in Freispruch oder Verurteilung, sondern zum Beispiel in Verurteilung wegen Versuchs oder Vollendung, wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tatbegehung, so können diese Alternativen Gegenstand von Bedingungen für bedingte Beweisanträge sein. Daneben haben bedingte Beweisanträge im Bereich der Strafzumessung erhebliche praktische Bedeutung. Das Beweiserhebungsverlangen kann etwa davon abhängig gemacht werden, ob der Angeklagte nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden soll[3], ob er zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt werden soll oder davon, ob das Gericht ein bestimmtes Strafmaß überschreiten will[4], ob es die Strafe nicht zur Bewährung aussetzen will[5], ob volle oder verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht wird[6], ob ein minder schwerer Fall verneint wird[7].

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In der Literatur wird anknüpfend an die Frage, ob die Bedingung für das Beweisbegehren den Haupt- oder Sachantrag des Angeklagten, lediglich ein Begründungselement hierzu oder den Eintritt einer bestimmten Prozesslage betrifft, eine terminologische Unterscheidung vorgeschlagen, wonach die erste Kategorie als „Hilfsbeweisantrag“, die zweite Kategorie als „Eventualbeweisantrag“ und die dritte Kategorie als „prozessual bedingter Beweisantrag“ anzusehen sein soll.[8] Doch erscheint uns diese Terminologie als nicht hinreichend unterscheidungskräftig. Es sollte daher dabei bleiben, dass die generelle Bezeichnung „bedingter Beweisantrag“ ist. Lediglich der Sonderfall, dass die Bedingung in der Entscheidung über den Hauptantrag liegt, verdient eine eigene Bezeichnung (Hilfsbeweisantrag).

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Für alle Arten von bedingten Beweisanträgen gilt dabei eine wichtige Einschränkung: Der Inhalt der Bedingung darf nicht im Widerspruch zum Inhalt des Beweiserhebungsverlangens stehen. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine gegen den Schuldspruch gerichtete Beweisbehauptung an eine Bedingung geknüpft wird, die die Überzeugung des Gerichts von der Schuld des Angeklagten voraussetzt. Wer eine Beweiserhebung nur für den Fall beantragt, dass die vom Gericht beabsichtigte Strafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, hat in seine Bedingung gedanklich die Verurteilung des Angeklagten aufgenommen.[9] Soll durch die beantragte Beweiserhebung dann aber bewiesen werden, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, dann setzt sich dies zur Bedingung des Antrags in Widerspruch.[10] Wer lediglich dann, wenn ein bestimmtes Strafmaß überschritten werden sollte, den Nachweis der Unschuld führen will (und nicht schon dann, wenn überhaupt eine Verurteilung droht), der setzt sich dem Verdacht aus, dass er mit seinem Antrag nicht wirklich den Tatverdacht widerlegen will, sondern andere Ziele verfolgt.

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Damit wird aber nicht jede Verknüpfung des Strafausspruchs mit einem Beweisantrag zum Schuldspruch unzulässig. Wird für den Fall der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in einer bestimmten Höhe unter Beweis gestellt, dass eine Tatbestandsvariante gegeben ist, die eine dem Angeklagten günstigere Strafzumessungsentscheidung rechtfertigen würde, so widersprechen sich Bedingungsinhalt und Inhalt der beantragten Beweiserhebung nicht.[11] Es ist deshalb ohne Weiteres zulässig, wenn z.B. für den Fall, dass das Gericht beabsichtigen sollte, eine Freiheitsstrafe von drei Jahren zu verhängen, unter Beweis gestellt wird, dass nicht der Angeklagte den Mittäter i.S.v. § 30 StGB zur Tat bestimmt hat, sondern umgekehrt der Mittäter den Angeklagten.

Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der BeweisaufnahmeIV. Der bedingte Beweisantrag › 1. Bedingung aus der Sach- oder Prozesslage

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