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SECHS

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Das Wohnmobil rollte über eine schmale Landstraße. Obwohl es ein strahlend blauer, heißer Sommertag war, lag die Fahrbahn fast vollständig im Schatten. Die Bäume rechts und links der Straße waren so groß und standen so dicht, dass ihre Kronen sich berührten. Zuhause in Korea hatte Danbi so etwas nie gesehen. Sie lehnte sich zurück und genoss den Blick zwischen den Bäumen hindurch auf Wiesen und Felder. Vorhin auf der hohen Brücke hatte sie das Meer gesehen, wunderbar blau, an den Rändern fast türkis. Aber hier unter den Bäumen gefiel ihr diese Insel noch besser. Das Smartphone in ihrer Hand gab ein Pling von sich. Danbi steckte es nach einem kurzen Blick auf das Display weg. Eigentlich sollte sie ihre Mails und Nachrichten beantworten. Die meisten davon kamen wie eben die SMS nach wie vor von ihren Schulfreundinnen oder Verwandten. Aber Korea war so weit weg. Für sie jetzt zu weit. Sie schaute lieber aus dem Fenster. Diese Insel Rügen mochte sie schon jetzt sehr.

Als sie über die Brücke gefahren waren, hatte Niklas ihr einige Geldscheine nach hinten gereicht. Ihr Anteil vom Wochenmarkt in dieser Stadt mit den roten Ziegelhäusern, deren Namen sie sich nicht gemerkt hatte. Niklas und Marvin waren zufrieden mit ihrem spontanen Abstecher. Sie hatte das Geld weggesteckt, ohne es zu zählen. Danbi war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Finanzielle Sorgen hatte sie nie kennengelernt. Ihr Vater war in ihrer Heimat ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Er hatte einen Vertrieb für elektrische Haushaltsgeräte aufgebaut, zunächst nur in Seoul. Inzwischen verkaufte er sie in ganz Südkorea. Er vertrat die Überzeugung, dass die Mixer, Geschirrspüler und Gefrierkombinationen aus Deutschland konkurrenzlos wären, die besten weltweit. Und Danbis Mutter, die als passionierte Hausfrau in der Lage war, das ebenfalls zu beurteilen, teilte seine Ansicht. So hatte es für die Eltern nahegelegen, ihr einziges Kind in Seoul auf eine Höhere Schule zu schicken, an der auch Deutsch unterrichtet wurde.

Zuerst hatte Danbi sich damit schwergetan. Aber dann, mithilfe von Gesine Hartung, einer Austauschlehrerin aus Hannover, hatte sie sich in die deutsche Literatur und Sprache verliebt: Emilia Galotti, das Käthchen von Heilbronn, die Marquise von O …. Gesine Hartung hatte Danbi gezeigt, dass diese Frauenfiguren sehr viel mit ihr und ihrem Leben zu tun hatten. Und Danbi hatte sich ihnen verbunden gefühlt.

Erst nach der Schulzeit, als Danbi mit einer Freundin das Gastspiel einer brasilianischen Theatergruppe besucht hatte, war ihr von einem Moment auf den nächsten klargeworden, dass es ihre Aufgabe wäre, die Heldinnen ihrer Schulzeit auf der Bühne darzustellen. Auf einer deutschen Bühne. Nach einer kurzen und heftigen Diskussion war die Mutter bereit gewesen, die Tochter ziehen zu lassen. Und ihr Vater hatte ihr einen Deutschkurs für Fortgeschrittene in Freiburg finanziert, bei dem sie scheiterte, dann noch einen, diesmal den für Anfänger. Auf der privaten Schauspielschule, die sich daran anschloss, wurde seiner Tochter dann erklärt, dass es kaum deutsche Theater geben würde, die Verwendung für eine Emilia Galotti mit koreanischen Gesichtszügen hatten. Das konnte Danbi sich allerdings nicht eingestehen. Und ihren Eltern schon gar nicht.

Als Aushilfskellnerin mit demnächst ablaufendem Visum in einer Freiburger Studentenkneipe war sie Niklas Lenz begegnet. Fast 30 Jahre älter und fast 20 Zentimeter kleiner, dafür aber 20 Kilo schwerer als sie, machte er ihr nach einer kurzen Kennenlernphase ein Jobangebot. Niklas und Marvin Lenz wollten in einem Wohnmobil durch Deutschland reisen und arglosen Passanten ihre Geldbörsen und Portemonnaies aus Jacken- und Gesäßtaschen ziehen. Genaugenommen wäre es Niklas, der zieht und das Erbeutete sofort an Marvin übergibt. Der hätte es dann so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen. Bambis Aufgabe würde es sein, auf ein Signal von Niklas hin das ins Auge gefasste Opfer abzulenken. Oder im Fall von Entdeckung für Verwirrung zu sorgen, bis Marvin und Niklas in Sicherheit wären. Weil bei diesem Job ihre schauspielerischen Fähigkeiten gefragt waren, hatte Bambi das Engagement angenommen. Ihren Eltern, mit denen sie mindestens zweimal die Woche skypte, hatte sie erzählt, sie sei nun auf Tournee. Mit den »Räubern«.

»Rechts. Rechts geht’s nach Binz.«

Ein abruptes Bremsmanöver und ein Wortwechsel vorne zwischen den Brüdern rissen Danbi aus ihren Gedanken.

»Das Navi sagt aber geradeaus«, murrte Marvin. »Wir wollen nicht nach Binz, sondern nach Prora.«

»Das ist dasselbe«, sagte Niklas. »Und unser Beachvolleyball-Turnier ist in Binz.«

»Aber der nächste Stellplatz für das Wohnmobil ist in Prora. Den habe ich reserviert und ins Navi eingegeben.«

Niklas schwieg. Und Marvin fuhr weiter, geradeaus dem Navi nach.

Wenn es möglich war, hielt Danbi sich aus den Gesprächen der beiden raus. Manchmal verstand sie sowieso nur halb, worum es ging. Und außerdem legten Marvin und Niklas auch wenig Wert auf ihre Ansichten. Immerhin hatte sie jetzt erfahren, dass sie zu einem Beachvolleyball-Turnier fuhren. Das gefiel ihr. Da war es wahrscheinlich ganz interessant, interessanter als auf einem Wochenmarkt in der Stadt, deren Namen sie sich nicht gemerkt hatte.

Rauch auf Rügen

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