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GLÜCKSSTERN

Es war eiskalt am 1. Februar 1767, als Jeanne über den Platz vor der Corderie Royale in Rochefort ging. Auf der langen Reeperbahn flochten an die hundert in Lumpen gekleidete Häftlinge Hanf zu langen Seilen und dicken Tauen. Jeannes Gesicht war so gerötet, dass die Sommersprossen auf der sonst so blassen Haut kaum zu sehen waren. Als Jeanne das Tor an der westlichen Stadtmauer passierte, fand sie sich mitten in der pulsierenden, lärmenden Geschäftigkeit des Hafens. Jeanne bekreuzigte sich, als sie unter all den Schiffen, die mit gerefften Segeln auf der Reede lagen, den Namen des großen Dreimasters las, der ganz vorne am Pier lag. Am Bug stand in geschwungenen Lettern: Étoile. Jeanne hoffte, dass dieser Stern ihr Glück bringen würde.

Die Étoile lag wie eine fette Gans im Wasser, mit breitem Hinterteil und dickem Bauch. Obwohl das Schiff schon seit Tagen Fracht für die große Reise aufnahm, stauten sich vor dem Pier dutzende Lastkarren. Fuhrleute bahnten sich peitschenknallend und schreiend einen Weg zum Schiff. Es war so kalt, dass viele den Kopf einzogen, sich in Decken wickelten und den Kragen ihres Übermantels hochstellten. Immer neue Ballen, Kisten und Tonnen aller Größen, auch Bretter, Balken und Feuerholz wurden angeliefert. Die Gesichter der jungen Offiziere in blauweißen Uniformen glühten rot vor Ärger, weil trotz lauthalser Befehle nur schwer Ordnung in das Durcheinander zu bringen war. Mithilfe eines Flaschenzugs hievten Matrosen eine blökende Kuh an Deck. Grüner Kot lief dem verängstigten Tier an den Beinen herunter und klatschte auf den Pier.

Neben Jeanne humpelte Philibert Commerson zum Schiff. Der Doktor der Medizin und Königliche Botaniker ärgerte sich über seine Unbeholfenheit, denn trotz einer früheren Verletzung hatte er normalerweise einen forschen Schritt. Auf dem Weg von Paris, an einer Poststation, war er jedoch einem unachtsamen Kutscher in die Quere gekommen. Ein Rad der Droschke war gegen sein lädiertes rechtes Bein gestoßen, das ihn nun noch mehr behinderte.

Phile, wie Jeanne ihn liebevoll nannte, war ungeduldig und in gereizter Stimmung, weil sich die Abfahrt der Étoile immer wieder verschoben hatte. Ständig dringlicher und ungehaltener waren seine Fragen nach den Ursachen des langen Aufenthalts geworden, aber der Kapitän hatte ihm keine stichhaltigen Erklärungen geben können. Anscheinend hatte der Hafenmeister die Reparatur und Versorgung des Schiffes aus unerfindlichen Gründen verzögert; Phile vermutete einen anderen Grund. Während Jeanne einen Teil ihrer persönlichen Habseligkeiten schleppte, überwachte Phile die Verladung der umfangreichen Ausrüstung. Jeannes Herz klopfte bis zum Hals. Hätte Phile nicht in seiner ganzen Gewichtigkeit neben ihr gestanden, wäre sie wohl nie an Bord gegangen. Auch er war nervös, verbarg es aber hinter einem besonders forschen Auftreten.

Jeanne hoffte, dass ihre graue Kniehose mit den schwarzen Strümpfen und Schnallenschuhen, der offene Gehrock aus grober Wolle, Weste und Halstuch mit Rüschen, ihre wahre Identität verbergen würden. Zum Glück hatte sie kleine Brüste, die sie mithilfe eines engen Leibchens so flach drückte, dass sie nicht mehr wahrnehmbar waren. Sie hatte eine braune Kurzhaarperücke über ihren noch immer ungewohnten Bubikopf gezogen, auf dem ein kleiner, schwarzer Dreispitz saß.

Seit Phile in Paris Jeannes lange Haare abgeschnitten hatte, fühlte sich ihr Kopf leichter an, aber auch nackt und verwundbar. Traurig hatte sie auf die Locken geschaut und sich mit einem Mal schutzlos gefühlt, einer ungewissen Zukunft ausgeliefert. Bei dem Gewühl wird wohl niemand auf den Assistenten eines fein gekleideten Herrn achten, versuchte sie sich zu beruhigen. Schließlich wirkte Phile in seiner gesetzten Haltung und dem gut geschnittenen Samtanzug ganz wie ein vornehmer Vertreter der Bourgeoisie.

* * *

Gerade einmal vier Monate waren vergangen, seit an jenem strahlenden Oktobertag ein Abenteuer seinen Anfang genommen hatte, das kein Mensch je für möglich gehalten hätte. Am wenigsten Jeanne selbst. Sie fixierte gerade eine gelbe Blüte des Habichtskrauts, als der Doktor der Medizin in das große Arbeitszimmer stürmte und Jeanne ein Pergament hinhielt, auf dessen oberem Teil ein blaues Lilienwappen prangte, das den Brief als Schreiben des Marineministers auswies. Philes Gesicht war gerötet. “Hier, Mademoiselle!“, drängte er ungeduldig. „Na, lies schon!“

Seine ungestüme Erregtheit übertrug sich auf Jeanne. Was war passiert, dass der sonst so gesetzte Naturforscher vor Freude überschäumte? Ihre Hände zitterten, als sie das Schreiben zu lesen begann. „Ausgehend von der Information, dass Sie umfassendes Wissen über alle Aspekte der Naturwissenschaften haben, ist Seine Majestät erfreut, Sie zum Doktor und Botaniker einer Expedition größten Ausmaßes zu berufen, damit Sie alle Beobachtungen und Entdeckungen tätigen, die an den Küsten und im Innern der angesteuerten Länder möglich sind. Sie sollen Proben diverser Pflanzen, Tiere und Mineralien mitbringen. Ich fordere Sie auf, genaue Aufzeichnungen zu tätigen, damit Sie am Ende der Reise in der Lage sind, einen exakten Bericht abzuliefern.“

Phile riss ihr das Papier aus der Hand, nahm Jeanne in seine Arme und wirbelte sie so heftig herum, dass ihr weites dunkelblaues Arbeitskleid flatterte, als hätte sie Flügel. „Ich habe vom König den Auftrag bekommen, an der ersten französischen Weltumsegelung teilzunehmen! - Denke nur, Jeanne, welche unerschöpflichen Möglichkeiten sich auftun, wenn ich als erster Naturkundler die Welt umrunde.“

Eine unheilvolle Ahnung stieg in ihr auf und schnürte die Kehle zu. Was sollte aus ihr werden?, fragte sie sich voll banger Gedanken, während Phile sie aus wasserblauen Augen anstrahlte. „So eine wissenschaftliche Expedition hat es noch nicht gegeben! Ich kann mehr unbekannte Spezies entdecken als irgendein Forscher vor mir. Und am Ende der Reise winken Ruhm und Anerkennung!“

Wie versteinert stand Jeanne im Salon, der zur Bestimmung der vielen getrockneten Pflanzen genutzt wurde. Panik erfasste sie. Was hatte sie sich nur für Hoffnungen gemacht! Wollte er sie nach allem, was zwischen ihnen war, nun einfach auf die Straße setzen? Sie hatte Angst, etwas zu verlieren, was sie gerade erst zu genießen gelernt hatte. Seit sie diesen Mann kannte, war ihr Leben völlig verändert. Der angesehene Bürger Commerson hatte sie zu sich emporgehoben, sie, ein Bauernmädchen. Ihr neues Heim kam ihr vor wie ein Palast, wenn sie an den Kuhstall dachte, in dem sie einst gehaust hatte.

Jeanne erinnerte sich noch genau: Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen war sie beeindruckt gewesen von dem hohen Herrn, seiner vornehmen Kleidung, der kräftigen Statur. Dazu kam das ernste, runde Gesicht mit der feinen Nase. Sie liebte den schmalen Mund und die dichten Brauen, die wie zusammengewachsen aussahen, wenn er die Stirn runzelte. Ihr war sofort aufgefallen, dass der Mann statt einer Perücke seine natürlichen braunen Haare trug, die an den Seiten in fünf parallelen Rollen frisiert waren. Der Haaransatz auf der hohen Stirn war so weit zurückgesetzt, dass sie sich leicht vorstellen konnte, wie der Mann mit kahlem Kopf aussehen würde.

Auch Monsieur le Docteur hatte Gefallen gefunden an dem einst so unbedarften Mädchen, obwohl sie nie verstand, was ihn angezogen haben mochte. Sie hatte ihrem Äußeren nie Bedeutung beigemessen, nicht ihrer schlanken Figur mit den ausladenden Schultern: dem breiten Gesicht mit hohen Wangenknochen und vollem Mund, den braunen Augen mit dichten braunschwarzen Brauen, dem langen kastanienbraunen Haar, das sie in Locken trug.

Jeanne fühlte sich müde und leer. Sie setzte sich an den Arbeitstisch und schaute wieder und wieder auf den Brief, der nicht nur ein Stück Papier mit dem imposanten Wappen des Königs war, sondern vor allem Unglücksbote. Am liebsten hätte sie das Schreiben zerrissen, die Uhr einfach zurückgedreht. Tränen liefen über ihre Wangen und ließen die Sommersprossen auf dem herben Gesicht noch dunkler erscheinen. Wie in ihrer Kindheit suchte sie auch jetzt Trost bei ihrer Puppe Bébé, drückte sie an sich und roch ihren beruhigenden Heugeruch. Unter allen Umständen wollte sie versuchen festzuhalten, was sie gewonnen hatte. Was immer ich tue, sagte sie sich, nur kein unbedachtes Wort, keine Klagen, keine Vorwürfe. Das würde ihn nur erzürnen. Sie musste versuchen zu schmeicheln, an sein Gewissen, seine Verantwortung appellieren und ihn unterschwellig an sein Versprechen erinnern.

Philes Begeisterung war wie weggewischt, als er sah, wie Jeanne mit verkniffenem Gesicht wahllos ein paar Pflanzen hin- und herschob. „Was ist mit dir? Freust du dich nicht?“ „Liebster Phile, du hast dir die Anerkennung wahrlich verdient. Natürlich freue ich mich für dich.“ Jeanne legte die Arme um seinen Hals und sah ihn zärtlich an: „Ich will dich nicht verlieren. Das ist alles.“ Langsam löste sie ihre Arme von seinem Nacken und schlug nach kurzem Zögern die Augen nieder. „Was soll aus mir werden, wenn du für Jahre weg bist?“ Phile nahm ihre Hände und drückte sie an seine Brust. „Ich habe über deine Zukunft nachgedacht, Jeanne. Du wirst hier in der Wohnung bleiben, bis ich wieder nach Paris zurückkomme. Du kannst während meiner Abwesenheit auf meine Bücher aufpassen und die Pflanzensammlung pflegen.“

Jeanne schwieg, was Phile mehr ärgerte, als wenn sie zornig widersprochen hätte. „Erwartest du etwa, dass ich diese einmalige Chance verpasse? Sei nicht trotzig, Jeanne! Für deinen Unterhalt wird gesorgt sein. Ich werde das nötige Geld hinterlegen.“ Phile wandte sich brüsk ab, verließ das Zimmer und ließ sie in ihrer Verzweiflung zurück.

Jeanne wusste wohl, dass sie allen Grund gehabt hätte, zufrieden zu sein. Statt sie auf die Straße zu setzen, garantierte er ihr ein Auskommen, obwohl er dazu keineswegs verpflichtet war. In den Augen der Welt war sie nichts weiter als seine „Metze“, die in Fleischessünde lebte. Aber Verzagtheit konnte sie sich nicht leisten, dazu stand zuviel auf dem Spiel. Ihre Gefühle für den Mann waren mit den Jahren immer mehr gewachsen. Die beiden waren nicht nur ein Liebespaar, sondern arbeiteten auch eng zusammen. Doch der scheinbaren Sicherheit, die ihr geboten wurde, traute sie nicht. Wenn Phile erst fort war, konnte viel passieren. Eine unverheiratete Frau hatte keinerlei Rechte. Es war ihr längst zur Gewissheit geworden: Als Frau war sie ohne Mann schutzlos.

* * *

Zuerst kam ihr die Idee verwegen vor, vor allem aber undurchführbar. Doch bald wurde Jeanne klar, dass es keinen anderen Ausweg gab, wenn sie nicht auf Jahre von Phile getrennt sein wollte. In ihrer Verzweiflung versuchte sie zunächst zaghaft, Phile zu überreden, sie mitzunehmen, indem sie ihn durch beiläufig hingeworfene Bemerkungen zu verunsichern suchte. „Phile, wie willst du alleine zurechtkommen? Du bist nicht gesund, dein Bein bereitet dir Probleme. Exkursionen in Urwälder, auf Berge und einsame Inseln sind anstrengend. Du brauchst Unterstützung.“ Aber Phile wies nur jedes Mal darauf hin, dass ihm für die Dauer der Weltreise ein Assistent seiner Wahl zugesichert worden sei. Der könne sich um ihn kümmern.

Nachdem sie sich abends geliebt hatten, glaubte Jeanne den rechten Moment gekommen, ihn direkt zu konfrontieren. „Phile, ich kann keine drei Jahre ohne dich leben. Ich fahre mit dir! Man wird mich nicht entdecken.“ „Das ist doch Unsinn! Frauen ist es streng verboten, auf einem Schiff der Kriegsmarine Seiner Majestät zu reisen! Das weißt du. Und wie willst du vor einer Mannschaft roher Kerle verbergen, dass du eine Frau bist? Das ist doch absurd!“ Doch Jeanne ließ sich nicht beirren und sagte trotzig: „Ich tarne mich als Mann!“ Phile schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. Er hielt die Idee für kindisch, ja närrisch, und wollte nichts mehr davon hören. - So lebte das Paar eine Zeitlang in unbehaglichem Schweigen, bis Jeanne sich ein Herz fasste und auf Phile einredete, schmeichelte und bettelte, weinte und argumentierte. Schließlich begann er sich ernsthaft auf die Idee einzulassen, und so reifte in Phile langsam der Entschluss, Jeanne mitzunehmen in die ferne Welt. Aus Jeanne Baret wurde Jean Bonnefoy, Phils Assistent. Es war eine mutige, ja tollkühne Entscheidung, schließlich stand nicht nur sein Ruf auf dem Spiel, sondern seine ganze Zukunft. Von der herben Strafe, die beide treffen würde, ganz zu schweigen.

* * *

Jeanne zuckte zusammen, als die barsche Stimme an der Gangway nach ihrem Namen fragte. „Bonnefoy, Jean“, antwortete sie kleinlaut. „Lauter!“, fuhr sie der Offizier ungeduldig an. „Jean Bonnefoy, Monsieur!“, rief sie mit erhobener Stimme und versuchte ihr dabei einen tieferen Klang zu geben. An Deck ein Gewusel von Schauerleuten, Stimmengewirr, laute Kommandorufe. Polternd rollten große Fässer über die Decksplanken, Holzwinden quietschten, über die Stauer schwere Lasten tief in den Bauch der Étoile abseilten.

Sie standen am großen Mast in der Mitte des Schiffs, als ein kleiner, drahtiger Mann auf das Paar zukam und sich vorstellte. „Pierre, Messieurs, Pierre Saussi, Maat an Bord Seiner Majestät Étoile!“ Dann steckte er seine von Tabaksud gebräunte Tonpfeife wieder in das wilde Bartgestrüpp, das den Mund überwucherte. Von seinem Gesicht waren nur die breite Nase und zwei schwarze Augen zu sehen. Der Unteroffizier trug eine dunkelblaue Hose und schwarze Jacke aus schwerem Wollstoff. Seine Strickmütze, deren Spitze überkippte, hatte er schräg über die Stirn gezogen, am Gürtel hing ein abgewetztes Lederfutteral, aus dem der Griff eines langen Messers herausragte. Jeanne mochte Pierre Saussi sofort, denn trotz seines verwegenen Aussehens wirkte er auf sie vertrauenswürdig.

Maat Saussi hielt das zerkaute Mundstück seiner Pfeife zwischen den Zähnen und nuschelte. „Das Schiff steht für die Dauer der Reise unter dem Kommando der königlichen Marine. Eigentlich ist es ein Handelsschiff mit den dazugehörigen Offizieren.“ Saussi wischte mit einer schnellen Handbewegung über die Étoile. „Damit Sie sich an Bord zurechtfinden, erkläre ich Ihnen die Örtlichkeiten. Wir stehen hier auf dem Hauptdeck. Die Plattform, die das Deck vom Mast in der Mitte des Schiffes bis zum Heck, also dem Ende des Schiffs, überragt, ist das Achterdeck.“ Der Maat wies mit dem Pfeifenstiel auf die hintere Hälfte des Schiffes. „Das Achterdeck ist sozusagen die Kommandobrücke. Ihre Unterkunft für die nächsten Jahre liegt genau darunter, im Deckshaus. Achtern logieren, über zwei Decks verteilt, alle Offiziere und die Überzähligen oder Die Messieurs, wie wir Seeleute die Gäste an Bord nennen, die keine seemännischen Pflichten haben.“

Pierre Saussi lotste Jeanne und Phile in einen großen Raum im Deckshaus, dessen ganze Länge von einem großen Tisch eingenommen wurde. „Das ist die Messe, wo Sie und die Offiziere speisen werden.“ Als Pierre eine Tür öffnete und seelenruhig verkündete: „Hier ist Ihre Kajüte, Messieurs!“, schauten Jeanne und Phile in ein winziges Kabüffchen. Phile war so überrascht, dass er erst nach einigem Zögern seiner Empörung Ausdruck verlieh: „In so einem Loch soll ein Mann über zwei Jahre hausen?“ „Nicht einer, Sie beide, Messieurs. Sie werden sehen, wie eng dagegen der Rest der Mannschaft zusammengepfercht ist.“ Aber das interessierte Phile nicht. Er konnte es nicht fassen, der Raum sah aus wie eine schmale Besenkammer. „Zwei Mann in diesem Loch!“, schimpfte er. „Und wo soll unsere Ausrüstung hin? Wo sollen wir arbeiten?“ Als er den Kapitän sah, der gerade die Messe betrat, entrüstete sich Phile: „Monsieur Giraudais, so geht das nicht! Ich habe einen wichtigen Auftrag des Königs zu erfüllen! Wie sollen wir in so einem Verlies schlafen und arbeiten? Der Marineminister persönlich hat mir zugesagt, dass an Bord alles getan werde, damit ich meine Aufgaben zufriedenstellend erfüllen kann!“

Jeanne wunderte sich, dass der Kapitän über den anklagenden Ton nicht ungehalten zu sein schien. Hätte er keine farbenprächtige Uniform mit goldenen Epauletten und einen großen Dreispitz auf der schwarzen Perücke getragen, hätte sie das Männlein niemals für den Schiffsführer gehalten. Giraudais war klein und mager, am meisten fiel die lange, spitze Nase auf, die aus dem breiten, wettergegerbten und von scharfen Falten zerfurchten Gesicht ragte. Der Angeraunzte schien eher vergnügt denn verdutzt über den Wortschwall, der da über ihn hereinbrach. „Monsieur de Commerson! Es ist mir eine Ehre, Sie an Bord begrüßen zu dürfen“, sagte er freundlich und machte eine übertriebene Verbeugung. Noch bevor Phile reagieren konnte, wandte sich der Mann, der so selbstsicher und kontrolliert wirkte, an Jeanne. „Und Sie müssen wohl Monsieur Bonnefoy sein. So jung hatte ich mir den Assistenten eines bedeutenden Naturforschers nicht vorgestellt. Sie müssen ja besonders begabt sein.“ Eine Hitzewelle stieg in Jeanne auf und trieb ihr das Blut ins Gesicht. Sie hatte Angst, schon vor Beginn der Reise entlarvt zu werden.

„Monsieur le Capitaine, verzeihen Sie bitte meine Unhöflichkeit“, sagte Phile endlich. Er war verlegen. „Die Pferde sind mit mir durchgegangen, weil mich die Umstände doch überrascht haben. Schon die nötigste Ausrüstung, auf die wir stets Zugriff haben müssen, nimmt viel Raum ein.“ „Schon vergessen Monsieur, schon vergessen! Sie bekommen alle Unterstützung.“ Der Kapitän wandte sich an den Maat, der mit der Mütze in der Hand hinter ihnen stand. „Monsieur Saussi, sagen Sie dem Zimmermann, er soll die Schotten zwischen der Kajüte dieser Herren und der angrenzenden Vorratskammer abschlagen. Für die Offiziersvorräte wird im Zwischendeck Raum geschaffen.“

Der Zimmermann entfernte die vorgefertigten Zwischenwände erstaunlich schnell. Trotz der großzügigen Erweiterung jedoch war die Kajüte gerade einmal dreieinhalb Meter lang und anderthalb Meter breit. Niedrige Deckenbalken ließen nur eine gebückte Haltung zu. Die leicht gekrümmte Rückwand war Teil des bauchigen Holzrumpfes der Étoile, in die ein winziges, rundes Fenster eingelassen war, das von außen durch eine Holzklappe verschlossen wurde. „Messieurs, Sie haben die größte Kajüte an Bord“, sagte Zimmermann Balladier voller Hochachtung für die, wie es schien, hochgestellten Gäste, und schaute dabei in Philes missmutiges Gesicht. „Ich werde sie in Zukunft Ballsaal nennen.“

Balladier löste ein paar Knoten an der Decke und ließ ein kistenartiges Gestell herab. „In Paris stehen die Betten fest auf dem Boden, hier hängen sie an vier Seilen, damit man im Schlaf nicht immer von den Bewegungen des Schiffes hin- und hergerollt wird. Man kann die Schwingkoje hochziehen, damit man am Tage mehr Platz hat.“ Balladier schaute Jeanne kurz aus seinen rot entzündeten Augen an und drehte ihr dann wieder den schmalen Rücken zu. „Gleich daneben ist noch so eine Schlafkiste vertäut.“ Mit dem Anflug eines Lächelns, als würde er einen Witz machen, fügte er noch hinzu: „Himmelbetten sozusagen!“

Jeanne war gespannt zu sehen, wie erst die Matrosen hausten, wenn dieser enge Verschlag ein Privileg sein sollte. Phile drehte sich zu ihr um, zeigte auf das Gepäck und sagte resigniert: „Dann packen Sie mal aus, Bonnefoy!“

Jeanne alias Jean verzurrte zuerst das „Himmelbett“ an der Decke und rückte dann die Kisten mit den Sachen, die sie immer bei sich haben wollten, so lange hin und her, bis die platzsparendste Anordnung gefunden war. An der Wand war eine Tischplatte fixiert, die man herunterklappen konnte. Auch zwei zusammenlegbare Stühle waren an der Innenwand angelascht. In zwei großen Kisten wurde der Teil der Kleidung untergebracht, auf den sie jederzeit Zugriff haben wollten, Arbeitskleidung für den Alltag, ausgewählte Anzüge für die Mahlzeiten in der Offiziersmesse. Jeanne betrachtete jedes Buch, das sie auf einem Wandbord mit Holzgitter platzierte, mit besonderer Freude. Auf der Reise würde sie genug Zeit haben, auch noch die kleine Bibliothek zu studieren, die im Sondergepäck verstaut war. Sie empfand es als eine Gnade, lernen zu dürfen, lernen, soviel sie nur wollte. Phile und die Bücher waren ihre besten Lehrmeister.

Jeanne konnte sich kaum noch in der Kajüte bewegen und errötete bei dem Gedanken, wie sie und Phile in dieser Enge auf dem wackligen Schiff aufeinanderliegen würden. Sie ahnte, dass es ein hartes und schwankendes Liebeslager sein würde.

Die erste Frau

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