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Von der Kontinentverschiebung zur Plat tentektonik oder von der Klassik zur Moderne
ОглавлениеSchon seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert gab es Naturforscher, die die Ähnlichkeit der Küstenlinien beiderseits des Atlantiks erkannt hatten und daraus auf eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit und spätere Wanderung der Kontinente schlossen. Der Erste, von dem dies überliefert ist, ist der englische Philosoph Francis Bacon (1561 – 1626) – zu einer Zeit, als die Landkarten erstmals verlässliche Umrisse der Kontinente zeigten. 200 Jahre später wies auch Alexander von Humboldt (1769 – 1859) auf die Passform der Küstenlinien hin. Man suchte schon damals nach Erklärungen. Der flämische Kartograph Abraham Ortelius (1527 – 1598) stellte 1596 fest, dass Amerika von Europa und Afrika durch „Erdbeben und Fluten“ weggerissen wurde [Braun & Marquardt 2001] – eine Interpretation, der man auch heute nichts hinzuzufügen braucht. Der deutsche Theologe Theodor Lilienthal fand 1756 hingegen die biblische Bestätigung dieser Beobachtung: „Eber wurden zwei Söhne geboren. Einer hieß Peleg, weil zu dieser Zeit die Erde zerteilt wurde“ (1. Buch Mose 10,25).
Der Meteorologe Alfred Wegener (1880 – 1930) war es, der in den Jahren von 1910 bis zu seinem frühzeitigen Tod 1930 – nachdem er die gute Passform und darüber hinaus enge geologische Beziehungen zwischen den Kontinenten zu beiden Seiten des Atlantiks festgestellt hatte – die Theorie der Kontinentverschiebung konsequent zu beweisen suchte und dabei aus den verschiedensten Sparten der Naturwissenschaften Belegmaterial zusammentrug (Abb. 1.1; [Wegener 1912, 1915, 1929]). Statt Wegeners nicht ganz korrektem Begriff „Kontinentalverschiebung“ verwenden wir die Bezeichnung „Kontinentverschiebung“.
In Wegeners Theorie treiben die aus spezifisch leichterem Material zusammengesetzten Kontinente („Sial“ – Kunstwort aus den vorherrschenden Elementen Silizium und Aluminium) auf dichterem Material des Erdmantels und der Ozeanböden („Sima“ – Silizium und Magnesium) und durchpflügen dieses. Für den Antrieb der Wanderung der Kontinente zog Wegener vor allem Kräfte wie die Erdrotation, die Präzession (eine kegelförmige Drehbewegung) der Erdachse oder Gezeitenreibung in Betracht. Die Erdrotation würde die Polflucht, ein langsames Wegdriften der Kontinente von den Polen, und die Westdrift der Kontinente verursachen. Diese Bewegungen erzeugten nach Wegeners Auffassung die Auffaltungen der Gebirge: die Polflucht den Gebirgsgürtel, der sich vom alpin-mediterranen Raum über den Iran und den Himalaya bis nach Südostasien erstreckt, indem sich die Südkontinente Afrika und Indien an Eurasien annäherten; die Westdrift die Hochgebirge an der Westküste der beiden amerikanischen Kontinente durch frontale Stauchung. Einige dieser Ideen wurden gleichzeitig und unabhängig von Frank Bursley Taylor in Amerika entwickelt [Taylor 1910].
Wegeners Theorie konnte einige aus damaliger Sicht bestehende Probleme lösen: die gute Passform der Küstenlinien beiderseits des Atlantiks; die lineare Form von Gebirgen (die Kontraktionstheorie müsste in der Tat viel breitere Gebirge hervorbringen); die Dominanz von zwei Höhenniveaus, nämlich der Tiefsee-Ebenen und der kontinentalen Flachländer, die die zwei Krustentypen – ozeanisch und kontinental – widerspiegeln (Abb. 1.2). Das unerklärliche Auftauchen und Verschwinden von Landbrücken entfiel, das man brauchte, um Faunenaustausch über große ozeanische Räume zu ermöglichen. Wegener konnte mit der Wanderung der Kontinente auch erklären, warum man Anzeiger von warmen Klimaten, z. B. in karbonischen Kohlen, heute nahe der Pole findet. Er erkannte, dass alle großen Kontinentschollen am Ende des Paläozoikums und am Beginn des Mesozoikums (siehe Zeittafel auf der vorderen Umschlaginnenseite) zu einem Riesenkontinent vereint waren, den er Pangäa (griech. die ganze Erde) nannte (Abb. 1.1). Ähnliche Darstellungen von Pangäa wurden bereits von Antonio Snider [1859] und Howard B. Baker [1911] veröffentlicht.
Nach Ansicht namhafter Physiker reichten allerdings die von Wegener vorgeschlagenen Kräfte bei weitem nicht aus, um die Wanderung der Kontinente zu erklären. Die Kritiker seiner Theorie waren deshalb zahlreich, und dies war der Grund, weshalb nach Wegeners Tod niemand die systematische Forschung auf dem Gebiet der Kontinentverschiebung weiterführte. Vor allem in Amerika wurde Wegener stark angefeindet, während in Europa einige wichtige Arbeiten entstanden, die es letztlich ermöglicht hätten, die Theorie der Plattentektonik vorwegzunehmen.
Die Alpengeologen Otto Ampferer und Robert Schwinner machten sich Gedanken über die gebirgsbildenden Kräfte und suchten diese im Erdinneren. Aus der Unterströmungstheorie Ampferers [1906], die Einengung und Deckentransport durch abwärts gerichtete Massenströme unter den Gebirgen postulierte, entwickelte Schwinner [1920] eine weitergehende Theorie. In ihr werden die Strömungen im Erdinneren durch konvektiven Wärmetransport erzeugt. Eduard Suess sah in seinem großartigen und wegweisenden, mehrbändigen Werk „Das Antlitz der Erde“ in den Tiefseerinnen am Rande des Pazifiks bereits Zonen, in denen der Ozeanboden unter die Kontinente abtaucht [Suess 1885 – 1909]. Der von Ampferer verwendete Ausdruck „Verschluckung“ musste später der globalisierten Bezeichnung „Subduktion“ weichen. Dieser Begriff wurde von André Amstutz [1951] für die Bildung des tektonischen Deckenbaus in den Schweizer Alpen eingeführt und später in die Plattentektonik übernommen.
Abb. 1.1: Rekonstruktion des Superkontinents Pangäa nach Wegener [1915]. Eingetragen sind übereinstimmende geologische und klimatische Befunde aus verschiedenen Kontinen ten, welche sich in der Rekonstruktion zwanglos aneinanderfügen. Pan thalassa: Riesenozean, der Pangäa gegenübersteht.
Die Konvektionsströme im Erdmantel machte der britische Geologe Arthur Holmes [1931, 1944] zum Motor seines mobilistischen Modells. Die Vorstellungen von Ampferer, Schwinner und Holmes mit aufsteigenden Strömen unter kontinentalen Zerrstrukturen und ozeanischen Rücken, Gebirgsbildung über absteigenden Strömungsästen und Kontinentdrift am Rücken der horizontalen Strömungsbereiche ähneln jenen der modernen Plattentektonik weitgehend. Hätten sich Schwinner und Wegener, beide Ende der 1920er-Jahre Professoren an der Universität Graz, verständigt, hätten sie die Drifttheorie mit der korrekten Antriebstheorie vereinen und somit die Plattentektonik vorwegnehmen können, zumal durch deutsche Forschungsschiffe zu dieser Zeit die riesigen lang gestreckten untermeerischen Gebirge entdeckt wurden, die heute als Mittelozeanische Rücken bekannt sind und eine Schlüsselstellung in der Plattentektonik einnehmen. So hielt die allgemeine Skepsis und Ablehnung von Wegeners Theorie bis weit in die 1960er-Jahre hinein an. Ein Geologe formulierte zu dieser Zeit noch: „Ich glaube die Kontinentverschiebungstheorie erst, wenn von einem Fossil der Kopf in Afrika und der Schwanz in Südamerika gefunden wird.“
In den 1960er-Jahren wurde der Durchbruch zur allgemeinen Anerkennung der Kontinentverschiebungstheorie mit der Entstehung der Theorie der Plattentektonik erzielt. Moderne Untersuchungen des schwer zugänglichen Ozeanbodens, vor allem aber die Entdeckung der magnetischen Streifenmuster (siehe unten) zu beiden Seiten der Mittelozeanischen Rücken führten zum Konzept des „sea floor spreading“, der Ausbreitung des Ozeanbodens oder Ozeanboden-Spreizung, und brachten damit die feste Grundlage für die Theorie der Plattentektonik. Das Modell der Plattentektonik, das sich in den Folgejahren entwickelte, konnte mit einem Schlag alle grundlegenden geologischen und geophysikalischen Phänomene einer Erklärung zuführen, wenn auch noch viele Details ausgefeilt werden mussten und dieser Prozess bis heute anhält. Sie ist die erste globale geodynamische Theorie, die die verschiedenen tektonischen Erscheinungen (Erdbebenzonen, Gebirgsbildung, Grabenbildung etc.), Anordnung und Charakteristika der Ablagerungsräume von Sedimentgesteinen, Magmatismus, Metamorphose und Lagerstättenbildung auf elegante Weise in einer Synthese vereinigt und miteinander verflicht.
Die Fakten, die zum plattentektonischen Konzept führten, wurden dem heutigen Erscheinungsbild der Erde entnommen. Somit ist die Plattentektonik ein aktualistisches Modell. Die Geologie versucht, dieses Konzept auf ältere Gebirge anzuwenden. Dies gelingt in zahlreichen Fällen sehr gut, stößt aber in der fernen erdgeschichtlichen Vergangenheit (frühes Präkambrium vor mehr als ca. 2,5 Milliarden Jahren) auf Schwierigkeiten. Auf diese Periode kann das plattentektonische Konzept nicht unkritisch übertragen werden (Kap. 10). Viele der ursprünglichen Informationen sind in späteren Gebirgsbildungsprozessen zudem zerstört oder verwischt worden, und heute messbare geophysikalische Anomalien sind in älteren Gebirgen nicht mehr fassbar. Es muss daher häufig aus wenigen Überresten auf regionale oder globale Zusammenhänge rückgeschlossen werden.