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3. Juli 1990 (2)

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Gorbatschows gestriger Rechenschaftsbericht enthält wenig Vorwärtsweisendes. Er bräuchte diese Partei als »zementierende Kraft unseres multinationalen Staates«, d.h. als multinationale Kraft einer universalistischen politischen Kultur, hängt aber zugleich den kommunistischen Horizont aus, der längst zur sturen Mauer geworden ist, an der die Plakate abblättern, verfügt also über keine Losung, die zumindest im Glauben die Menschen in eine bessere Zukunft risse. Da Gorbatschow zugleich die »Umwandlung des superzentralisierten Staates in einen wirklichen Bundesstaat« betreibt und die unmittelbare Aufgabe darin sieht, »die Souveränität der Republiken und der örtlichen Selbstverwaltung mit realen wirtschaftlichen Inhalten zu füllen«, hängt er in den Widersprüchen einer fast magischen Problemstellung: die »Unteilbarkeit der KPdSU mit der maximalen Selbständigkeit der kommunistischen Bewegungen der Unionsrepubliken und Autonomien« zu vereinbaren. Die baltischen Republiken bieten ein Lehrstück: die dortige Spaltung der KP hatte zur Folge, »dass die kommunistische Bewegung in den Republiken weitgehend geschwächt wurde und dort andere politische Kräfte an die Macht kamen«. So schärft er als wichtigste Lehre ein: »Zusammen stellen die Kommunisten eine starke politische Kraft dar, doch diese Kraft wird zerbröckeln, wenn sie sich auf ihre nationalen Quartiere zurückziehen.« Aber was sollen sie der nationalen Agitation entgegensetzen? Der Klassenkampf ließe eine internationalistische Position aufbauen, aber von ihm ist nicht die Rede. Statt von einer im genauen Sinn sozialen Basis der Partei zu sprechen, bestimmt Gorbatschow die KPdSU als »politische Organisation des ganzen Volkes«. Gegensatzlos? Das erinnert an Stalins »Staat des ganzen Volkes«? Nicht die Pluralität von Bedürfnissen und Interessen ist das Problem, sondern die Antagonismen sind es. Hier redet Gorbatschow drum herum, als wäre das sozialistische Projekt gegensatzlos. Die KPdSU soll diejenigen Interessen vertreten, »die Millionen von Individuen zu einem Volk verbinden.« Der Markt, auf den er orientiert, spaltet indes die Gesellschaft bereits, und diese Spaltung führt dem Nationalismus paradoxe Energie zu (paradox, weil der Markt jede Nation unbarmherzig in Gewinner und Verlierer zerlegt). Nur als unerbittlich funktionierende Sanktionsmaschinerie in einer sich im Selbstlauf beschleunigenden Wirtschaft würde der Markt zugleich Kohäsionseffekte zeitigen. Jetzt bedingt die ökonomische Misere ein allgemeines Rette-sich-wer-kann.

Gorbatschow erwähnt den Vorwurf, er habe »das Land in ein ›globales Experiment‹ verwickelt, ohne einen theoretischen Vorlauf oder ein Reformkonzept zu besitzen.« Und da hat sich ja in der Tat ein Abgrund des Nicht-Vorhergewussten oder -Gewollten aufgetan, eine Verkettung von Zwangslagen, die seinem Handeln immer neue Impulse aufzwingen. Am wenigsten hatte man (einschließlich meiner) wohl erwartet, die Idee des Sozialismus könnte vom Versuch ihrer Neubelebung doppelt verletzt werden. Gorbatschow kann nur allgemein sagen, was nötig wäre, diesen Begriff mit neuem Leben zu erfüllen: »freie Arbeit, Selbstverwaltung und Wohlstand des Volkes« wäre ein »humaner und demokratischer Sozialismus«, der »das stalinsche Sozialismus-Modell durch die zivile Gesellschaft freier Männer und Frauen« ablösen würde. Diese Perspektive bleibt vorerst gleichsam ins Körperlose gebannt, hat keine materielle Basis mehr, vor allem im nächsten ›materialistischen‹ Sinn der Versorgung jener freien Männer und Frauen mit Lebensmitteln. Die »Befreiung vom Monopolismus« bleibt vorerst eine rein negative.

Neu, wie er die Frauenfrage aufnimmt; und endlich gewahrt er die neue Arbeiterbewegung. Klar, dass die KPdSU eine Partei im Wortsinn werden muss: Teil eines weiten politischen Spektrums. Klar auch, dass sie parlamentarische Partei zu sein hat und dass die Transposition vom Monopol der Staatspartei dorthin ein Salto mortale sein wird.

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