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4. Juli 1990

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Ajas Mutalibor (1. Sekr. Aserbaidschan): »Die Geschichte wird den politischen Mut des Mannes gebührend einschätzen, der sich für eine revolutionierende Perestrojka entschieden hat. Doch seine Zeitgenossen können sich nicht mit Unentschlossenheit und Inkonsequenz abfinden, wegen derer die große Initiative untergehen kann.«

Leonid Abalkin hat dem Parteitag auf seine Weise das historische Surfprinzip erklärt: Jede gesellschaftliche Bewegung muss »die Tendenz fortschrittlicher Veränderungen des gesellschaftlichen Prozesses aufspüren und möglichst zu deren Realisierung beitragen«. Eine Partei, die dem zuwiderhandelt, »wird unweigerlich […] abtreten«. – Was daran verzweifelte Rhetorik ist, um das Neue in die Köpfe des Apparats zu hämmern, was er selber davon so denkt, vermag ich nicht abzuschätzen. Aber da ist es wieder, das ›eiserne Gesetz des Fortschritts‹. Diesmal will es die Absage an die »Idee der sozialistischen Wahl«. Von der Gegenseite wendet sich Generaloberst Nikolai Schljaga, 1. Stellv. d. Chefs der politischen Hauptabteilung der Sowjetarmee und der Seekriegsflotte, scharf »gegen Entideologisierung und Entpolitisierung der Streitkräfte […]. Die Partei als die politische Avantgarde der Gesellschaft darf die Armee nicht verlassen.«

APN verteilt ein Interview mit Wladimir Lysenko (Kandidat in Philosophie) von der Demokratischen Plattform. Sein Credo: »Die Gesellschaft sollte sich auf natürliche Weise entwickeln und ihren eignen Gesetzen folgen.« Da sind sie wieder, Natur und Gesetz, diese scheinschweren Kaliber, mit denen auch der ML in die Gegend schoss. Immerhin findet L. es »notwendig, sich auf marxsches Denken als Ganzes zu stützen, einschließlich von Werken Plechanows, Bernsteins und Gramscis«. Vor allem müsse man weg von Lenins Lehre von der Partei neuen Typs.

Abel Aganbegjan: »Die UdSSR auf dem Wege zur Integration in das Weltwirtschaftssystem«, ein kleiner Artikel von vier Manuskriptseiten, verteilt von APN, preist den Weg von der Selbstisolierung zum offenen Wirtschaftssystem, das sich in den Weltmarkt einklinkt. Völlig theorie- und bedenkenlos.

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Hans Ulrich Kempski (»Der Magier probiert einen neuen Trick«, SZ v. heute) nennt Gorbatschows Bericht »eine seltsame Rede, die erst hinterher bewusst werden lässt, wie sehr sich Gorbatschow bedeckt hält: keine Versprechungen und keine Prognosen, auch keine Schuldzuweisungen.« Auf dem XXVII. Parteikongress hatte er noch rasche Besserung versprochen und Kampfansagen gegen negative Erscheinungen und Personengruppen ausposaunt.« Diesmal räume er bloß ein, »bisher vergeblich nach einem grandiosen Gedanken […], nach einem rettenden Geistesblitz zugunsten der Perestrojka« gefahndet zu haben. Das Wort »radikal« durchziehe nun als »trotzig-theatralische« Beschwörungsformel den Diskurs. – Die ausländischen Beobachter rätselten, warum es ihm nicht gelingt, »seine geradezu magische Strahlkraft, die ihn im Ausland gleichsam zum Supermann macht, zu Hause in der Sowjetunion in Erfolge umzumünzen«. Die »kaum strittige« Antwort laute: »weil die Perestrojka nicht nach einem durchdachten Plan in Gang gesetzt worden sei«. Nur 4,8 Prozent der KPdSU-Mitglieder sollen sich noch als »gläubig« bekennen. Den schütteren Applaus für Gorbatschow im Vergleich zum »rauschhaften Beifall« für Jakowlew erklärt Kempski aus Sätzen wie diesem, dass es »nicht nur leere Regale, sondern auch leere Seelen« gegeben habe. Dieser Satz habe die Seelen der Delegierten erreicht.

Der Verteidigungsminister, Dmitri Jasow, gegen »Entpolitisierung« der Armee. Wegen einer Welle von Wehrdienstverweigerung fehlten 400 000 Soldaten. Erlitt danach einen Schwächeanfall und musste vom Podium geführt werden. – Ligatschow lobte die Armee: sie habe »endlich angefangen, sich selber zu verteidigen«. Klingt nach gefährlichem Spiel. Gekontert wird es von Schewardnadse: die Konfrontation mit dem Westen habe in 20 Jahren 700 Mrd Rubel gekostet. Sagt damit indirekt, dass das alte Regime zugrundegerüstet wurde. Die Politik müsse dafür sorgen, »dass man keine Gegner und Feinde hat«. Träumt er? Oder schläfert er ein?

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