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2.1 Vorbemerkung Anekdote zum Einstieg
ОглавлениеAls es um den Beitrag der wissenschaftlichen Begleitung eines Weiterentwicklungsprojektes in der Bewährungshilfe ging, und die Hochschulvertreter*innen anregten, sich doch in einem ersten Schritt zu vergewissern, welche theoretischen Grundlagen, welches sozialarbeiterische Selbstverständnis, welche sozialarbeiterische Basistheorie etc. von Wissenschaft und Praxis gemeinsam formuliert werden könnte, herrschte in der Runde, die gemischt aus Praktiker*innen und Hochschulvertreter*innen bestand, einige Turbulenz. Als diese zu laut wurde und der Sitzungsleiter zur Ordnung rief, hielt es ein Praktiker nicht mehr aus und rief in die Runde: »Theorien sind nun wirklich nicht das, was wir Praktiker brauchen.«
Nicht nur Wissenschaftler*innen, sondern jedem*jeder Praktiker*in sollte es zu denken geben, wenn in Bezug auf die Qualität der Sozialen Arbeit allein oder hauptsächlich auf die eigene Erfahrung verwiesen wird. Es steckt tiefe Wahrheit in dem Satz von Tucholsky »Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.« Übersetzt in die Fachsprache heißt das:
»Die Annahme, die eigene ›Lebenserfahrung‹ und die eigene ›Haltung‹ reichten aus, um die Lebenssituation anderer Menschen zu verstehen, zeugt von einer unreflektierten Arroganz. Dieser entspricht auf Hochschulebene der Unwille und die Unfähigkeit, Studierenden die systematische Befassung mit Theorien als wesentlichen Bestandteil zur Vorbereitung auf ihre Berufstätigkeit begreiflich zu machen« (Almstadt & Kotthaus 2018, 19).
Wir wissen spätestens sein Kahneman (2012) um die Manipulierbarkeit der ›Erfahrung‹, und jede*r Professionelle sollte deshalb schon aus eigenem Interesse die korrigierende Funktion von Wissenschaft spätestens im Studium erlebt und erfahren haben.
Dieses Kapitel soll in einer – aus Sicht der Autoren – notwendigen Selbstvergewisserung professioneller Sozialer Arbeit bestehen. Wer über Methoden und Vorgehensweisen spricht, gar »Tools« und »Handlungsanleitungen« erarbeitet, vergisst sehr schnell, dass diese nicht willkürlich entstehen können (oder zumindest sollen), sondern auf dem Hintergrund einer ganz bestimmten, für die Profession typischen »Blickrichtung« entwickelt werden. Diese Blickrichtung ist umso wichtiger, als klar sein muss, was eine Profession in einem Arbeitsfeld zu bieten hat, und mindestens genauso wichtig: was sie nicht zu bieten hat, was nicht ihre Aufgabe ist, wozu man sie eben nicht gebrauchen kann. Wenn diese professionelle Selbstvergewisserung fehlt, wird das methodische Vorgehen entweder völlig subjektiviert und jedem Einzelnen überlassen, oder es besteht aus einem mehr oder weniger zufälligen Konglomerat der gerade anwesenden Mitarbeitenden. Beides ist anfällig für Manipulationen, entbehrt der für Professionen notwendigen Anbindung an die entsprechende wissenschaftliche Disziplin und führt in letzter Konsequenz dazu, dass Soziale Arbeit für alles zuständig ist, für das sich eine andere Profession nicht zuständig erklärt.