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Bericht eines Pfarrers aus dem Berliner Arbeiterbezirk Moabit über die Stimmung der Bevölkerung im Herbst 1914

Aus: August 1914, S. 124.

Die eigentliche Begeisterung – ich möchte sagen, die akademische Begeisterung, wie sie sich der Gebildete leisten kann, der nicht unmittelbare Nahrungssorgen hat, scheint mir doch zu fehlen. Das Volk denkt doch sehr real, und die Not liegt schwer auf den Menschen. (…) Der sozialdemokratische Arbeiter ist stolz, daß er seine vaterländische Gesinnung zeigen kann. Die Jugend ist natürlich schlechthin begeistert. In meinem Jugendverein, der sich sonst nicht gerade durch Patriotismus auszeichnete, singt man jeden Sonntag Abend stehend ‚Heil dir im Siegerkranz‘. Kriegslustig ist der sozialistische Arbeiter nicht, aber kriegsentschlossen. Das Kleinbürgertum, das bisher schon national war, ist eher etwas radaumäßig gestimmt.

Vielfalt der Stimmungen

Aber auch bei nationalistisch eingestellten Menschen stand die Begeisterung für den Krieg oft unvermittelt neben der Angst um die in den Krieg ziehenden Angehörigen, und bald riefen die anfangs noch in der Presse veröffentlichten Verlustlisten auch in diesen Kreisen Entsetzen und Trauer hervor. Im öffentlichen Leben traten ferner andere, nicht so eindeutig klassifizierbare Reaktionen zutage: Weit verbreitet war der Wunsch, das Leben schnell noch einmal zu genießen, bevor der Abschied in den Krieg und damit möglicherweise für immer anstand. Dies trug auch sexuelle Züge, wie das sogenannte Khaki-Fever junger Britinnen anzeigt, die sich in Massen vor den Kasernen versammelten. Viele Menschen wurden von Panik ergriffen, was sich nicht zuletzt in einem Sturm auf die Sparkassen und verbreiteten Hamsterkäufen, aber auch in einer wachsenden Zahl von Selbstmorden äußerte. Gerüchte über feindliche Spione und ihre Umtriebe, insbesondere über Brunnenvergiftungen griffen um sich, friedliche Bürger organisierten Einwohnerwehren, die auch schon mal einen Verdächtigen erschießen konnten. Hinzu kamen ideologisierte Hassausbrüche, die sich teilweise zu einer Pogromstimmung gegen alles verdichten konnte, was fremdartig erschien: Restaurants und Geschäfte entfernten Fremdwörter aus ihren Namen, Menschen konnten verprügelt werden, nur weil sie eine Baskenmütze trugen, und unter den vielen Gedichten des Kriegsbeginns fand in Deutschland keine Eloge auf die nationale Einheit, sondern Ernst Lissauers „Haßgesang gegen England“ die größte öffentliche Verbreitung.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Massenstimmung bei Kriegsbeginn sehr unterschiedliche Ausprägungen hatte. Weit wichtiger als die nur für Teile der Bevölkerung insbesondere im Bürgertum feststellbare Begeisterung für Krieg und nationale Erneuerung war es jedoch, dass die Menschen in der Regel nach anfänglichem Zögern bereit waren, den auf allen Seiten proklamierten „Verteidigungskrieg“ erst einmal zu akzeptieren und – oft ohne Begeisterung, aber doch mit einer gewissen Entschlossenheit – für den Sieg einzutreten; nicht zuletzt in der Erwartung allerdings, der Krieg könne schnell, spätestens bis zum Jahresende siegreich beendet werden.

Der Erste Weltkrieg

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